Angesichts der aktuellen Steuersenkungsepidemie: Nochmals die Fakten! Jenseits der Kapitalismuskritik ist viel Raum für Selbstkritik

Ein Artikel von:

Im neuesten „Wirtschaftsdienst“ des HWWA stellt Lorenz Jarass einmal mehr dar,

  • dass die tatsächlich bezahlte Steuerbelastung der Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen in Deutschland im EU-Vergleich mit 21% am niedrigsten ist,
  • dass Deutschland das einzige EU-15-Land ist, in dem die Kapitalsteuerbelastung von 1995 bis 2002 gesunken ist,
  • dass die Besteuerung von Vermögensbeständen (Substanzbesteuerung) mit Abstand am niedrigsten ist,
  • dass die tatsächliche Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften 2003 rund 11% war.


Gründe für die geringen tatsächlichen Steuerzahlungen sind u.a.:

  • Steuersatzsenkungen bei der Körperschaftssteuer von 40% auf 25% in 2001. Heute hat das Kabinett eine weitere Senkung auf 19% beschlossen.
  • Senkung der Einkommensteuer für gewerbliche Einkommen von 45% bis 2000 schrittweise auf 42% bis 2005,diese Senkung wirkt auch bei pauschaler Anrechung Anrechnung der Gewerbesteuer. Dies führte in ihrer Gesamtwirkung zu einem Achtel weniger Einnahmen.
  • Steuerfreiheit von Beteiligungserträgen und Veräußerungsgewinnen, obwohl mindestens 95% der dadurch verursachten Kosten in Deutschland steuerlich geltend gemacht werden können. Jarass nennt das ein dauerhaftes „Steuerspar-perpetuum-mobile“.
  • Subventionierung des Arbeitsplatzexportes dadurch, dass viele Kosten einer Betriebsverlagerung mit einem in Deutschland erwirtschafteten Gewinn verrechnet werden können (Planungskosten, laufende Verwaltungskosten, Kosten für den Abbau deutscher Arbeitsplätze, dauerhaft alle Schuldzinsen die für die Kapitalausstattung der verlagerten Tochterfirma anfallen). Der Gewinn dieser Tochterfirmen kann nach Deutschland transferiert werden, wo er mit 2% besteuert wird.
  • Aus der hohen Fremdfinanzierungsquote etwa durch Equity funds, die das Eigenkapital der aufgekauften Firmen ins Ausland transferieren und mit Fremdkapital refinanzieren resultieren Steueraufkommensverluste wegen der anschließend hohen Zinsbelastungen der Unternehmen.
  • Es bestehen viele Möglichkeiten Erträge unversteuert als „stille Reserven“ im Unternehmen zu belassen, die dann ins EU-Ausland transferiert und dort (sogar) unversteuert realisiert werden können.
  • Inländische Töchter ausländischer Konzerne verschieben ihre Gewinne ohnehin in Länder, wo möglichst niedrige Steuersätze gelten.
  • Seit 2004 dürfen die EU-Länder keine Quellensteuern mehr auf Schuldzinsen und Lizenzgebühren mehr erheben, soweit sie an verbundene Unternehmen mit einer Beteiligung von mehr als 25% bezahlt werden. Damit hat die EU die Steuerflucht in Niedrigsteuerländer innerhalb der EU gefördert.
  • Seit 2004 wurde das Verbot von Quellensteuern auf Dividendenzahlungen sogar noch erweitert: Es gilt ab 2009 schon für Beteiligungen ab 10%. Damit wird auf die Sicherstellung der Besteuerung von Dividenden beim Empfänger verzichtet.
  • Ab 2005 wurde die Fusionsrichtlinie (keine Aufdeckung von stillen Reserven bei Sitzverlagerung in ein anderes EU-Land) erweitert. Damit wurde auf die Sicherung der Besteuerung von stillen Reserven verzichtet.
  • Die Unternehmen machen Aufwendungen tendenziell in Deutschland mit seinen hohen nominalen Steuersätzen geltend, die Erträge wiederum in Ländern mit niedrigen nominalen Steuersätzen (z.B. Irland mit 12,5%).

Jenseits der – berechtigten – Kapitalismuskritik, ist viel Raum für Selbstkritik an der der eigenen Steuerpolitik durch die Bundesregierung.

Lorenz Jarass schlägt vor:

  • Die Abschreibungsbedingungen zu verbessern, um diejenigen Unternehmen zu begünstigen, die in Deutschland investieren.
  • Über die Rücknahme ungerechtfertigter Vergünstigungen sollten alle andern Unternehmen gezwungen werden, wenigstens wieder tatsächlich 20% Steuern auf ihren ökonomischen Gewinn zu bezahlen.
  • Striktes Abzugsverbot bei steuerfreien Erträgen und damit Beendigung der Subventionierung des Exports von Arbeitsplätzen.
    Erhöhung der tatsächlich bezahlten Steuern auf das international übliche Maß und anschließend eine Reduktion der nominalen Belastung.
  • Eine einheitliche Unternehmensbesteuerung für alle unternehmerischen Tätigkeiten (Kapital- und Personalgesellschaften, Freiberufler, Vermietung und Verpachtung)
  • Eine volle Besteuerung der im Unternehmen erwirtschafteten Kapitalerträge durch die Gewerbesteuer, sowohl der ausgewiesenen als auch der bisher nicht ausgewiesenen Gewinne (stille Reserven) als auch aller Schuldzinsen und Lizenzgebühren.

Über diese Vorschläge ließe sich natürlich noch im Einzelnen diskutieren, aber: Hier wäre wirklich Reformbedarf genug.

Siehe im Einzelnen: Lorenz Jarass, Einheitliche Unternehmenssteuerbelastung – ein Standortnachteil?, Wirtschaftsdienst, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, Heft 4, 2005 Hrsg.
Hamburgisches Welt-Wirtschafts-Archiv (HWWA). (Leider nicht im Internet verfügbar.)

Quelle: jarass.com [PDF – 80 KB] »