Hitlers SS im Amazonas-Dschungel – Das halsbrecherische Abenteuer einer wirren Nazi-Expedition, die 1935 gegen den Strom des Jari kämpfte
Zwischen der Mündung des Jari-Stroms in den Amazonas und seinem tosenden Wasserfall Santo Antonio befindet sich ein drei Meter hohes und zwei Meter breites Holzkreuz, das seit einigen Jahren im brasilianischen Bundesstaat Amapá als Touristenattraktion gilt. Darunter ruht Joseph Greiner, ein Deutschbrasilianer, der im Januar 1936 an den Folgen einer Malaria-Erkrankung mit jäher Wirkung starb und dort beigesetzt wurde. Von Frederico Füllgraf.
Vor einigen Jahren wurde das Grab wiederentdeckt und mauserte sich zum Dschungel-Pilgerort. Kreuz und Grab werden von einem Dach geschützt. An der oberen Spitze wurde ein Hakenkreuz als Brandikone des Nationalsozialismus in das Dschungelholz geschnitzt. Der Nekrolog deutet nur vage die Umstände an: “Joseph Greiner starb hier am 01.02.36 den Fiebertod im Dienste der deutschen Forschungsarbeit – Deutsche Jary-Expedition, 1935-1937.”
Meine Beschäftigung mit der Geschichte begann 2003, auf einer zufällig im tiefen Internet gefundenen Seite mit dem Titel “A rota nazista na Amazônia“ (Die Naziroute in Amazonien) und in Anlehnung an das Buch über eine mysteriöse deutsche Expedition. Meine spontane Reaktion war die Erinnerung an den Irrwitz, der in dem Buch Die Chronik von Akakor des ehemaligen ARD-Hörfunkkorrespondenten Karl Brugger in Brasilien niedergeschrieben ist, der 1984 vor einem Restaurant in Rio de Janeiro ermordet wurde.
Darin wiederholte Brugger die Legende, die ein angeblicher Indianer in den 1970er Jahren von einer “Nazi-Expedition zum Amazonas” am Ende des Zweiten Weltkriegs gesponnen hatte und die 2008 von Steven Spielberg als Milliardenplagiat mit dem Titel „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“ recycelt wurde. Hauptbühne der fiktiven, angeblich „verschollenen“ Filmstadt Akator war eine „unterirdische Nazi-Basis im Amazonasgebiet”, um deren Kontrolle sich sowjetische und amerikanische Agenten die wüstesten Schlachten lieferten.
Im Laufe der Jahre hatte ich eine Menge historische Hinweise über die Jari-Expedition gesammelt, zauderte jedoch, etwas darüber zu veröffentlichen, um ein aufregendes Dokumentar-Filmprojekt nicht sinnlos zu verpulvern.
Der Stoff erregte jedoch das Interesse des Spiegel-Magazins, dessen Korrespondent in Brasilien, Jens Glüsing, sehr schnell mit dem Buch “Das Guyana-Projekt“ an die deutsche Öffentlichkeit trat. Ich widerstand der Versuchung, Glüsings Buch zu lesen, um mich nicht unbewusst davon beeinflussen zu lassen, aber die nötige Werbung für die Finanzierung des geplanten, jedoch bisher nicht realisierten Filmprojekts veranlasste mich schließlich zur Reportage “Nazistas na Amazônia“, die erstmals 2009 in der brasilianischen Monatszeitschrift Brasileiros erschien und hier in etwas veränderter, deutscher Fassung wiedergegeben wird.
“Rätsel der Urwaldhölle”
In einem verstaubten, deutschen Internetshop bestellte ich das Buch mit obigem Titel und wenige Wochen später packte ich es mit ungeduldigen Handgriffen in Brasilien aus, so als sei nun auch ich auf einen „Schatz“ gestoßen. Beim Durchblättern überfiel mich das dumpfe Gefühl, die falsche Ausgabe in der Hand zu haben, das Buch war 1953 veröffentlicht worden. Nur schrittweise dämmerte mir, dass es realiter zwei Buch-Versionen des Jari-Abenteuers gibt: eine offizielle, 1953 veröffentlicht, und eine zensierte, aus dem Jahr 1938.
Die im Deutschen Verlag während der NS-Diktatur erschienene Originalausgabe von “Rätsel der Urwaldhölle. Vorstoß in unerforschte Urwälder des Amazonenstromes” enthält nämlich 60 Fotos, die in der von mir erworbenen Nachkriegsversion fehlen. Darunter zwei freche Hakenkreuz-Bilder: das eine am Kopf des Greiner-Kreuzes, ein zweites als fröhlich flatternde Hakenkreuzfahne am Heck eines Kanus auf dem Jari. Den Grund für die Ausradierung der Hakenkreuz-Fotos in der 1953er Buchfassung erklärte mir die demokratische Verfassung der Bundesrepublik; sie hatte die Verbreitung des Hakenkreuz-Symbols unter Verbot gestellt.
“Rätsel der Urwaldhölle” ist eine Mischung von Tagebuch und Chronik, die dem gleichnamigen Film – der 1938 von der Universum Film AG (UFA) uraufgeführt und vertrieben wurde und dann auf mysteriöse Weise verschwand – als Treatment diente. An seiner Stelle taucht in den 1970er Jahren ein Dokumentarfilm mit dem ungenauen und harmlosen Titel “Über das tägliche Leben der Indianer im Amazonas-Dschungel – Berichte von einer Forschungsreise, 1935-1937“, auf.
Brasilianische Unterstützung
Die offizielle Version des Abenteuers erzählt, dass im Oktober 1935 drei junge deutsche Flieger im amazonischen Belém do Pará landeten, begleitet von 11 Tonnen Gepäck, deren Liste und Raffinesse die Grenzen jeder Chronik extrapolieren würde. Als amüsante Fußnote erfährt der Leser, dass die Deutschen nicht auf Komfort verzichten wollten und Kamelhaardecken und -bettwäsche zum Übernachten im Dschungel mitgebracht hatten.
Zum Kernteam gehörten Gerd Kahle, Gerhard Krause und Expeditionsleiter Otto Schulz-Kampfhenkel. Joseph Greiner, der unter dem Jari-Kreuz begraben wurde, war entgegen ungenauen damaligen Berichten brasilianischer Medien kein Mitglied der deutschen Forschungsgruppe, sondern wahrscheinlich in Rio de Janeiro angeheuert worden. Schulz-Kampfhenkel machte entsprechende Andeutungen in einer Buchpassage mit dem Satz, „Aber da ich in Rio de Janeiro bin, versuche ich, einen Landsmann zu finden. Nach langem Suchen finde ich den richtigen Mann: Joseph Greiner, Auslandsdeutscher, ein junger, unternehmungslustiger und vertrauenswürdiger Seemann, der sich als viertes Mitglied unserer Expeditionsgruppe anschließt“. Unter Vertrag genommen, übernahm der Deutschbrasilianer die Rolle des Kolonnen- und Proviantführers.
Doch bevor Schulz-Kampfhenkel überhaupt die Erlaubnis für den Auftakt seiner Expedition erhielt, verbrachte er mehr als zwei Monate mit anstrengenden Zollabfertigungen und Behördengängen in Rio de Janeiro. Von den damals renommiertesten, aber von den Nationalsozialisten besetzten naturhistorischen Forschungsinstituten und Museen Deutschlands akkreditiert, gelang ihm die umgehende Unterstützung des brasilianischen Emilio-Goeldi-Instituts in Belém und des Nationalmuseums in Rio de Janeiro. Die politisch relevante Förderung erwartete er indes von den brasilianischen Streitkräften, die 1935 noch nicht in pro-deutsche und pro-US-amerikanische Fraktionen gespalten waren, weshalb der Besuch von Gouverneur José Carneiro da Gama Malcher und General Manuel de Cerqueiraaltro Filho vom „Deutschen Kommando“ als Ehrung empfunden wurde.
Die Deutschen erwiderten die diplomatische Geste mit einem Test des auseinandergenommen mitgebrachten und an der Amazonas-Mündung wie aus einem Lego-Kasten wieder zusammengesetzten Leichtfliegers vom Typ “Seekadett”, gefertigt aus Sperrholz und Leinentuch, mit dem zweifelhaften Namen “Seeadler”, der speziell mit Navigationsinstrumenten ausgestattet war und die brasilianischen Würdenträger in Erstaunen versetzte. Die Begeisterung der Brasilianer entsprang möglicherweise der Erwartung, von den wichtigsten Zielen der Mission zu profitieren: der topografischen Vermessung des Jari-Beckens bis zu seinem Quellgebiet – eine bis dahin einmalige Leistung, die vom Geographen Schulz-Kampfhenkel jedoch in vorsorglichen Einzelheiten vorausgeplant war.
Himmlers SS-Expeditionen
Die Jari-Expedition fiel zeitlich mit einem ungewöhnlichen Kapitel in der Geschichte des NS-Regimes zusammen.
Chef des „Staats im Staate” – dem berüchtigten, von der SS dominierten Reichssicherheitshauptamt – war dessen finsterer und esoterisch angehauchter Kommandeur Heinrich Himmler, der von einer fixen Idee besessen war: Er glaubte an die sagenumwobene “Zivilisation von Atlantis”, deren “reinrassige” arische Nachkommen er in Tibet und Südamerika vermutete. Zu den Geistesvätern von Himmlers Esoterik zählten gespenstische antisemitische sogenannte “Ariosophen”; doch auch der Mythenforscher und „Jäger“ des Heiligen Grals, Otto Rahn, faszinierten ihn. Himmler hatte den Heiligen Gral als heidnisches Mysterium für die SS aufbereitet und eine Reihe von Expeditionen in die tiefsten Winkel des Planeten abkommandiert, in denen seine Männer nach genetischen Spuren der „arischen Rasse” jagten.
Im Jahr 1934 ernennt Himmler den jungen Geographen Otto Schulz-Kampfhenkel, der erst kürzlich der NSDAP beigetreten war, zum Teilnehmer an der ersten deutschen Tibet- Expedition. Schulz-Kampfhenkel schiffte sich jedoch nicht ein und entkam einer Tragödie, als die meisten Mitglieder auf dem Nanga Parbat – nach dem Everest der neunthöchste Gipfel der Welt – umkamen. Die dritte deutsche Tibet-Expedition, im Jahr 1939, wurde mit dem Buch des einstigen SS-Offiziers Heinrich Harrer “Sieben Jahre in Tibet“ vor noch nicht langer Zeit von Hollywood im gleichnamigen Film Jean-Jacques Annauds und mit Brad Pitt in der Hauptrolle gefeiert. Eine weitere Himmler-Expedition hatte den Amazonas zum Ziel, fand aber nur in den Phantasien esoterischer Bruderschaften statt.
Himmler und Schulz-Kampfhenkel trafen zwar mehrmals zusammen. Derjenige aber, der als Mentor des Geographen die Jari-Expedition sponserte, war Hermann Göring, Flieger des Ersten Weltkriegs im Geschwader des „Roten Barons“ Manfred von Richthofen, der bald von Hitler zum Luftfahrtminister befördert wurde. Mit dem militärisch-industriellen Komplex und den großen deutschen Banken exemplarisch vernetzt, hatte Göring bereits frühere Expeditionen des Fliegers Schulz-Kampfhenkel gefördert und diesmal auch der Jari-Expedition die Tür geöffnet.
Der aus wohlhabenden Berliner Familienverhältnissen stammende Schulz-Kampfhenkel hatte Geographie und Naturwissenschaften studiert und sich auf die Jagd afrikanischer Tiere für deutsche Zoos spezialisiert. Was ihn jedoch am meisten „anturnte“, waren Abenteuer und das Fliegen. Als „militanter Zoologe“ beteiligte er sich 1934 aktiv an der “Arisierung” der weltweit als Referenz-Zentrum anerkannten Deutschen Gesellschaft für Säugetiere (DGS) und wie die meisten deutschen Militärs bekämpfte er den Versailler Vertrag, der Deutschland neben anderen Vergeltungsmaßnahmen untersagte, wissenschaftliche Forschungen im Ausland durchzuführen. Schulz-Kampfhenkel konnte es sozusagen kaum erwarten, mit seiner Jari-Expedition Vertragsbruch zu begehen.
Gegen den Strom
Jari, Ende 1935. Trotz der Einstellung von 30 einheimischen Buschmännern, die mit dem Dschungel vertraut waren, begann die Auffahrt zum Jari als turbulentes Unternehmen. Dass der Jari ein riesiger, von Wasserfällen unterbrochener, robuster Wasserteppich ohne Landefläche für Wasserflugzeuge war, ahnten die Deutschen erst, als sie bereits flussaufwärts marschierten.
Während Gerd Kahle an der Spitze der Dschungel-Kolonne mit äußerster Kraftanwendung gleich beim Auftakt das Gesetz der Schwerkraft herausforderte, prallten Schulz-Kampfhenkel und Gerhard Krause im Tiefflug zwischen Gurupá und Arumanduba mit dem Heck des “Seeadlers” gegen schwimmende Baumstämme und stürzten über dem Amazonas ab. Mehr als einen Kilometer vom Amazonas-Ufer Amapás entfernt, klammerten sich die beiden Deutschen an einem der beiden Schwimmer fest und mussten von Caboclo-Ruderern gerettet werden; Mischlinge aus Indios und Europäern, die Schulz-Kampfhenkel dennoch als “Helden des Dschungels” pries. Mit dem demolierten Wasserflugzeug war das Hauptziel der Expedition – die Kartierung des Jari-Beckens aus der Luft – nun stark in Frage gestellt.
Mit überladenen Booten und einem zu flachen Fluss befahl der Geograf und Zoologe die Installation von Nebenlagern und teilt sein Team auf. Der Amazonas-Winter rückte näher, es regnete dauerhaft und in Strömen. Schulz-Kampfhenkel erkundete allein einen Nebenstrom und wurde von einer plötzlichen Flut überrascht. Er verlor sein Boot mit der gesamten Ausrüstung – Kameras, Kartografie, Waffen, Proviant und Kleidung waren dahin. Eine ganze Woche lang irrte er im Regenwald umher, wurde jedoch gerettet und entkam ein zweites Mal dem Tod.
Im Januar 1936 erreichten die Deutschen das Hauptdorf der Aparaí-Indianer im mittleren Jari. Vorarbeiter und Gepäckmeister Joseph Greiner machte kehrt und wanderte wieder flussabwärts, um die in Santo Antonio zwischengelagerten Vorräte abzuholen.
Doch seine indianischen Begleiter kehrten allein zurück. Da traf der gerührte Flugzeug- Mechaniker und Film-Tontechniker Krause die Entscheidung, Greiner zu suchen. Er fand ihn auch, konnte ihn aber nicht retten. Krause trug Greiner zu Grabe, schlug das Holzkreuz aus umliegenden Baumstämmen und schnitzte den bis heute lesbaren Nachruf, ohne den die filmreife, jedoch von Schulz-Kampfhenkel bis zu seinem Tod im Nachkriegsdeutschland beflissentlich verschwiegene, Expedition – vor allem ihr militärisches Ziel – niemals bekannt geworden wäre.
Anschließend schickte Krause eine Nachricht an das Expeditionskommando im Dorf der Aparaí, in der er sich wunderte, dass der Chininvorrat Greiners überraschenderweise unberührt war. Er hatte keinen einzigen Löffel zu sich genommen und sich offensichtlich stark auf die “Immunität” seines Körpers verlassen. Die unberechenbare Malaria zahlte es ihm heim.
Die „Rache des Dschungels“
Vor dem Auftakt versuchte Schulz-Kampfhenkel dem später legendären Curt Nimuendaju Unkel – einem deutschen Indianer-Freund, der in Belém lebte und dem Emilio-Goeldi-Institut diente – die Expeditions-Leitung zu übertragen. Damit hätte er die Auffahrt-Katastrophen weitgehend vermeiden können. Doch seine Begegnung mit dem „Landsmann“ findet bei Schulz-Kampfhenkel eine sehr unterkühlte Erwähnung. Wahrscheinlich, weil Unkel den Nationalsozialismus verachtete. Seit 1910 war er Mitglied des neugegründeten Indianerschutz-Dienstes (SPI), war aber als Berater für mindestens vier UFA-Abenteuer-Filmproduktionen im Amazonas in die Filmgeschichte eingegangen.
Tatsächlich schien die „grüne Hölle” sich für alte deutsche Sünden rächen zu wollen, die nie gesühnt worden waren. So zum Beispiel für die 1820 vom Naturforscher Carl Friedrich Phillip von Martius aus Amazonien nach Deutschland mitgenommenen Indianer. Drei Erwachsene starben während der Atlantiküberquerung und die beiden Kinder Isabella Miranha und Yuri Comás wurden auf dem Münchner Südfriedhof beigesetzt. Sie starben im Winter 1820/21 an Erfrierung. Eine weitere Gruselgeschichte waren die Schädel der Botocudo-Indianer, die von deutschen Abenteurern, darunter Prinz Maximilian zu Wied, gejagt wurden, um die makabre Sammlung der diensthabenden Darwinisten in den deutschen ethnologischen Instituten zu beglücken – ein mit der Salon-Etikette absolut vereinbarer, entsetzlicher Brauch.
Es war exakt diese Nachfrage nach „Wildnis“, die den deutschen Amazonas-Filmrausch entfachte und zwischen 1920 und 1941 mehr als 20 UFA-Filmproduktionen in den Dschungel zog. Die meisten förderten und nutzten die starke Nachfrage nach Exotik. Mit einer Ausnahme: der Kautschuk-Spielfilm “Die grüne Hölle“, inspiriert von der legendären Episode aus dem Jahr 1870, als Henry Wickham für das British Museum 70.000 Gummisamen aus Amazonien schmuggelte und damit den Niedergang der Kautschuk-Wirtschaft einleitete. Mit einem Team von über 60 Menschen mitten im Regenwald fand die Produktion ungefähr zur selben Zeit statt, als Schulz-Kampfhenkel in Jari sein Bußgeld zahlte.
Die „Aparaí des “Führers”
Es war 1936, das Jahr der Olympischen Spiele in Berlin.
Schulz-Kampfhenkel interessierte sich nicht für Kultur, sondern nur für “Rassen”. Unempfindlich für die Bräuche und Religiosität der Aparaí, schlachteten die Deutschen zum Beispiel eine riesige Sucurí (Anakonda), die an der Wasseroberfläche schwamm und niemanden bedrohte. Sie wurde gehäutet und Hunderten von alkoholkonservierten Häuten, Schädeln, Knochen, Zähnen, Federn und Organen als Beute oder angebliches Geschenk für die naturwissenschaftlichen Museen Deutschlands hinzugefügt. Von Wissenschaft war da keine Spur, der “wissenschaftliche” Schuppen der Deutschen glich einem riesigen, bluttriefenden Schlachthof.
Trotzdem war das Verhältnis zu den gastfreundlichen Aparaí mehr als friedlich. Die Aparaí verstanden natürlich die Ziele der Deutschen überhaupt nicht, doch die Indigenen und die Deutschen verkehrten als gute Freunde. Eine friedliche Koexistenz, die bald sexuelle Beziehungen zwischen Gästen und Gastgebern nicht ausschloss. Aber natürlich gibt es in Schulz-Kampfhenkels Büchern keinen Hinweis darauf, dass er sich mit der schönen Macarrani – der Tochter von Häuptling Aocapotu – einließ. Vermutlich deshalb, weil das Eingeständnis die unzulässige Schwäche des “überlegenen” germanischen Fleisches und einen Verrat an der Rassenlehre zugegeben hätte; eine der Nazi-Doktrinen, die Schulz-Kampfhenkel aus Überzeugung beherzigte.
Beim Abschied von den Aparaí im Jahr 1937 hinterließ der Deutsche eine schwangere Frau. Seine zwischen 1937 und 1938 geborene Tochter hieß Cessé, auch bekannt als “Alemoa” – „die Deutsche“. Sie hatte den klaren Teint und die blauen Augen ihres “arischen” Vaters. Cristóvão Lins, ein angesehener Forscher und Buchautor über den Jari, erzählte mir, dass Jose Pinheiro, Führer der Schulz-Kampfhenkel-Buschführer, Anfang des neuen Millenniums gestorben sei. Damit war auch der letzte lebende Zeuge der Geburt von Cessé der Recherche beraubt.
„Unternehmen Guyana“
Anfang 1937 in der Nähe von Französisch-Guayana. Die Deutschen hatten mit all ihren Apparaturen und Ausrüstungen den Atlantik nicht überquert, um Unsinn zu testen. Was Schulz-Kampfhenkel ausprobieren wollte, war die sogenannte Aerophotogrammetrie, eine Technik, die die moderne Kartographie revolutionierte.
Nach dem demolierten Flugzeug musste er sich mit Boden-Bemessungen zufriedengeben. Trotz der Schufterei “seiner” Indianer und Waldführer bestand der Deutsche hartnäckig darauf, das unweit der Grenze zu Französisch-Guayana liegende Quellgebiet des Jari zu kartieren. Die Grenzkarte war als Schlüssel eines Plans zur Besiedlung des französischen Territoriums durch große deutsche Kontingente, unterstützt von einer starken “indigenen Kolonne”, gedacht.
Während der Invasion Frankreichs durch Deutschland im Juni 1940 hatte der Geograph und Zoologe keinen Zweifel: Er überreichte Heinrich Himmler seinen Plan und empfahl den nordamazonischen Dschungel als Naturgebiet mit sehr geringer Bevölkerungsdichte, das sich hervorragend als “tropische Kolonie” eignete. Eine Kolonie – und jetzt kehrte Schulz-Kampfhenkel seinen tiefsitzenden, inneren Rassisten heraus – „die im Gegensatz zur englischen Schludrigkeit nicht im Besitz von Völkern minderer rassischer und zivilisatorischer Voraussetzungen verbleiben dürfe“.
Der SS-Chef wies die Idee jedoch mit einer elementaren Rechnung zurück: Warum der herkulische Aufwand, den Jari zu erobern, wenn Französisch-Guayana nach der Besetzung Frankreichs automatisch in deutsche Hände fallen würde?
Der Sahara-Spion
In den frühen 1940er Jahren war “Unternehmen Guyana” bereits zu den Akten gelegt und vergessen. Mittlerweile übte sich ein “Schulz-Kampfhenkel-Geschwader” – bestehend aus Geologen, Geographen, Hydrologen und Botanikern und ordnungsgemäß in die SS eingebunden – als Sondermission in Nordafrika. Die Gruppe hatte den Auftrag, Karten für die Geländebewertung zu erstellen, die mit Luftaufnahmen Blitzeinsätze ermöglichen sollten.
Dabei erlebte der Jari-Expeditionschef seine glorreichen Tage. Aus der Kabine seines Flugzeugs kartografiert Schulz-Kampfhenkel die Sahara, um für Erwin Rommels schweres Afrika-Korps die geeigneten Einmarsch-Pfade herauszufinden. Schulz-Kampfhenkel, der nach Deutschland zurückgerufen und im Mai 1943 zum SS-Hauptmann befördert wurde, wird zum “Sondergesandten des Reichs für geowissenschaftliche Missionen des Reichsforschungsrates” ernannt, der nun über dem Gebiet der Sowjetunion geografische Geheimdienstoperationen durchführt.
Nachdem der Krieg verloren war, wurde er von US-Truppen festgenommen und vom CIA-Vorläufer OSS hart verhört und vorübergehend festgenommen. Und obwohl der Flieger-Geograph 1946 freigelassen wurde, wurde er jahrelang als „Nazi im Dienst des US-amerikanischen Geheimdienstes” unter dem Buchstaben “S” in der “streng geheimen Dezimaldatei/Aufzeichnungen des Generalstabs der Armee, RG 319, NA“ zitiert.
Otto Schulz-Kampfhenkel, der “Nazi des Amazonas”, beendete seine Tage und führte das Leben, das er von Gott verlangt hatte. Auf Reisen drehte er Dutzende erzieherische und wissenschaftliche Dokumentarfilme. Erzählen Sie mir, dass Falko Ahsendorf, der in den 1960er und 1970er Jahren in mehreren Schulz-Kampfhenkel-Produktionen über Afrika und den Nahen Osten als Kameramann tätig war, Mysteries of the Wild Hell, den Film von 1938 über die Jari-Expedition, “erfolgreich” gemacht hat. Der Geograph-Flieger, der 1989 im Alter von 78 Jahren getötet wurde. Aber von ihrem reichen Vater wusste Cessé Schulz-Kampfhenkel nichts.
Bilder: Alle Bilder – Frederico Füllgraf