Künast-Beleidigung: Das Fehlurteil stärkt private Zensoren

Künast-Beleidigung: Das Fehlurteil stärkt private Zensoren

Künast-Beleidigung: Das Fehlurteil stärkt private Zensoren

Tobias Riegel
Ein Artikel von: Tobias Riegel

Das Fehlurteil zu den Beleidigungen gegen Renate Künast verstört und ist Wasser auf die Mühlen privater Zensoren: Staatliche Gerichte gelten nun im Kampf gegen „Hasssprache“ nicht mehr nur als „schwerfällig“, sondern zusätzlich als unfähig. Dadurch werden private und dubiose „Faktenchecker“ gestärkt. Und teils die gleichen Journalisten, die geholfen haben, die Gerichte kaputtzusparen, fordern nun deren Durchsetzungskraft. Von Tobias Riegel.

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Das Urteil des Berliner Landgerichts zu den Beleidigungen gegen die Grünen-Politikerin Renate Künast ist ein Fehlurteil. Die gesellschaftliche Empörung und der Medientenor rund um das Urteil sind eindeutig – sie sind aber auch nicht frei von Heuchelei, dazu später mehr. Die Entscheidung des Berliner Gerichts ist Wasser auf die Mühlen jener, die die Zensur am liebsten privatisieren wollen. Denn wenn man für die Entscheidungen in der Grauzone zwischen Zensur und Persönlichkeitsrecht ein Monopol für ordentliche staatliche Gerichte einfordert, dann müssen diese Gerichte auch nachvollziehbare Entscheidungen fällen, wenn’s drauf ankommt.

Der nun durch das Fehlurteil entstandene Eindruck ist fatal: Demnach sind die „schwerfälligen“ deutschen Gerichte nicht nur wegen der durch Kürzungspolitik erzeugten Überlastung von der Aufgabe überfordert, beim Thema „Hasssprache“ zeitnahe Klärungen herbeizuführen – etwa, ob eine Äußerung im Internet nur politisch unerwünscht ist oder ob sie harte juristische Kriterien wie Beleidigung oder Volksverhetzung berührt. Zusätzlich scheint es nun so, dass „der Rechtsstaat“ selbst dann unbefriedigend bis verstörend agiert, wenn er die Ressourcen findet, die Fälle zu bearbeiten.

Verstörendes Urteil stärkt „Correctiv“ und Internetkonzerne

Durch diesen Eindruck könnten nun jene Stimmen gestärkt werden, die Löschungen im Internet privaten und nicht legitimierten Gruppen wie „Correctiv“ und den Internetkonzernen selber überlassen wollen. Diese Gruppen arbeiten unter anderem mit dem altbekannten Verweis, dass die Mühlen der Justiz zu langsam mahlen: Die Zeitspannen bis zu einem Urteilsspruch könne man von „Hasssprache“ Betroffenen nicht zumuten. Darum sollen „offensichtlich“ problematische Inhalte sofort und auch ohne Gerichtsentscheid gelöscht werden können.

Diese Sicht öffnet die Tore für Zensur, Willkür und Selbstherrlichkeit durch private Akteure sowie für eine Verwischung der Grenzen zwischen politisch-moralischer Empörung einerseits und juristisch definierten Delikten andererseits. Dazu kommt, dass Delikte wie Volksverhetzung oder Beleidigung bereits durch die ordentliche Gesetzgebung verboten sind. Private Zensoren versuchen allerdings, neue und im Strafgesetzbuch nicht genau definierte Delikte und Begriffe einzuführen. Die erwähnte Selbstherrlichkeit äußert sich aufseiten von Facebook aktuell in den Plänen der Firma, ein konzerneigenes „Gericht“ für die Themen „Moderation und Zensur“ einzuführen.

Medien-Echo: Heuchelei und einhellige Empörung

Die gesellschaftliche Empörung und der Medientenor rund um das Urteil sind wie gesagt eindeutig, das muss hier nicht im Einzelnen protokolliert werden, Beispiele gibt es etwa im „Tagesspiegel” oder in der „Welt“. Juristische Einordnungen finden sich unter anderem in der „FAZ“ oder im Deutschlandfunk – und ein Beispiel, wie nun eifrig und pauschal ein „Versagen des Rechtsstaats“ an die Wand gemalt wird, gibt es in der „Süddeutschen Zeitung“. Auffällig in diesem Zusammenhang ist, dass nun zum Teil die gleichen Journalisten eine starke Rolle der Gerichte fordern, die einer wirtschaftsliberalen Kürzungspolitik das Wort geredet haben, die die Arbeitsfähigkeit der Gerichte nun bedroht. Die „Zeit“ fasst den Vorgang derweil unter dem Titel „Widerlich und die Würde verletzend“ zusammen:

„Die Richterinnen und Richter halten es für zulässig, die Politikerin als “Drecks Fotze” und “Stück Scheisse” zu beschimpfen. Auch die Aussage “Wurde diese Dame vielleicht als Kind ein wenig viel gef… und hat dabei etwas von ihrem Verstand eingebüßt” bekommt vom Gericht den amtlichen Stempel der rechtlichen Zulässigkeit. Insgesamt gibt es 22 ähnliche Äußerungen, die das Landgericht für zulässig hält.“

„Autokraten“: Wie Medien die Verrohung unterstützt haben

So einhellig jedoch der empörte Tenor der Medien erklingt, so sehr ist er teils mit Heuchelei verbunden. Und dies auf zwei Ebenen: So haben zum einen viele Medien, wie gesagt, den Zustand des schwachen Staats und der überforderten Gerichte durch eigene wirtschaftsliberale Kampagnen mit herbeigeführt. Zum anderen haben viele Medien einen gehörigen Anteil an der Verantwortung für die Verrohung des gesellschaftlichen Diskurses. Wer etwa gegenüber politischen Konkurrenten im Ausland Anstand und Seriosität offensiv ablegt (Stichworte: „Autokraten“ und „Machthaber“), der braucht sich nicht zu wundern, wenn die hiesigen Medienkonsumenten diese Masche nun zum Teil auf die Regierung Merkel anwenden (Stichwort: „Merkel-Regime“). Man konnte einige Medienkampagnen der vergangenen Jahre auch als Freifahrtschein für den politischen Rufmord interpretieren – allerdings nur, wenn dabei auch die „richtigen“ politischen Konkurrenten getroffen wurden. Diese Kampagnen haben das gesellschaftliche Klima zusätzlich vergiftet.

Teile von Politik und Medien haben außerdem nicht nur das Kaputtsparen der Gerichte vorangetrieben und parallel geholfen, einer verbal-politischen Verrohung der Gesellschaft den Weg zu ebnen – sie haben zusätzlich mit Kampagnen wie jenen zu Syrien oder der Ukraine das Phänomen „Fake News“ auf eine ganz neue, allumfassende und überwältigende Ebene gehoben.

Trifft es mit Künast „immerhin die Richtige“? Nein!

Hier geht es nicht um die Verteidigung der Politikerin Renate Künast: Künast ist einflussreiches Mitglied der Grünen und damit auch mitverantwortlich für das destruktive Wirken der Partei, etwa in der Außenpolitik. Die NachDenkSeiten haben diese problematische Seite der Grünen aktuell etwa hier oder hier thematisiert. Diese politische Seite der Grünen und damit auch Künasts soll scharf kritisiert werden. Aber diese Kritik darf eben nicht die Person Künast herabsetzen. Auch harte politische Kritik muss strikt auf persönliche Angriffe verzichten.

Wie so oft, ist auch hier der Ausspruch: „Immerhin trifft es die Richtige“ grundfalsch. Aus zwei Gründen: Zum einen muss auch die Würde politischer Gegner geachtet werden – die Titulierungen Künasts widersprechen so dermaßen einem Grundgefühl des Anstands, dass sie auch ihre politischen Gegner verstören müssen. Zum anderen eröffnet man durch diese falsche Sicht den unwürdigen Umgang auch mit Politikern, die einem inhaltlich näher sind. Wer die Beschimpfung Künasts zulässt, kann sie etwa bei Sahra Wagenknecht nicht plötzlich moralisch verurteilen. Zu guter Letzt ist festzustellen, dass das Personal der Partei Die Grünen ausreichend Anlass für vernichtende politische Kritik liefert – um sie zu entzaubern, ist es also nicht „nötig“, auf die zu Recht verbotene Ebene der persönlichen Beleidigung hinabzusteigen.

Zwischen moralischer Empörung und politischer Kritik

Die Trennung zwischen den drei Aspekten „moralische Empörung“, „politische Kritik“ und „justiziable Beleidigung“ muss sehr scharf sein – vor allem um die politische Kritik vor der Gleichsetzung mit „Schmähkritik“ zu schützen: Vieles von dem, was uns weite Teile der Medien und der Politik als „rechte Hasssprache“ präsentieren, ist außerdem in Wirklichkeit „linke“ Kritik an westlichen Kriegen, westlichen Wirtschaftsmodellen und westlicher Propaganda. Gleichzeitig entpuppen sich zahlreiche Empörungen über „Hasssprache“ als juristisch nicht begründet und als politisch motiviert.

Diese Trennungen muss ein Gericht vornehmen, nicht private Zensoren. Um diese Forderung nach einem staatlichen Zensur-Monopol zu stärken und aufrecht zu erhalten, muss das Gericht dann aber auch nachvollziehbare Entscheidungen fällen – vor allem in einem solch exponierten und eindeutigen Fall wie dem um Renate Künast.

Titelbild: squaredot_art/shutterstock.com