Am kommenden Sonntag ist eigentlich die 50-wöchige Haftstrafe für Julian Assange zu Ende bzw. 50% davon sind abgesessen, und da kommen „normale“ Häftlinge im Vereinigten Königreich für gewöhnlich auf freien Fuß. Dass dem in seinem Fall nicht so ist, musste Julian Assange letzten Freitag per Videozuschaltung aus seinem Hochsicherheitsgefängnis erfahren. Am letzten Samstag veröffentlichte die italienische La Repubblica einen Artikel zu dem Gerichtsurteil des Obersten Tribunals in London, welches besagt, dass die Presse kein Recht auf vollen Zugang zu den Dokumenten im Fall Assange hat. Hiermit gibt es also zwei weitere fragwürdige Entscheidungen in diesem andauernden Justizskandal, in welchem die wahren Täter nicht belangt werden, während die Berichterstatter/innen über die (Kriegs)verbrechen mit Hilfe weiterer (Schreibtisch)gehilfen und Wegschauender in Isolationshaft gehalten werden. Eine Zusammenfassung von Moritz Müller.
Die sehr engagierte Aktivistin Emmy Butlin veröffentlichte am Montag ihren Aufruf, in der Sache Assange an das Westminster Magistrates Court zu schreiben. In dem Aufruf folgt dann, was sie selber an das Gericht geschrieben hat, nämlich, dass die derzeitigen Justizaktivitäten im Fall Assange sehr intransparent sind, weil der Öffentlichkeit manchmal erst nach Gerichtsterminen oder kurz vorher Bescheid gegeben wird oder, wie am 2. Mai geschehen und auch von den NachDenkSeiten berichtet, die normale Bevölkerung, außer hauptsächlich ausgesuchter Presse, keinen Zugang zum plötzlich in einen kleineren Saal umgezogenen Prozess hatte.
Des Weiteren beschreibt Emmy ihre Frustration, dass in dem „archaischen“ Gericht weder Transkripte angefertigt werden, noch dass es Videoaufzeichnungen oder -übertragungen gibt, wie noch 2012 im Fall Assange geschehen. Somit ist es für die Öffentlichkeit unnötig schwer, in dieser Sache einen Überblick zu behalten bzw. überhaupt zu bekommen. Als Beispiel zieht Emmy den Gerichtstermin vom letzten Freitag heran, über den die BBC berichtete. Hier ein Auszug aus diesem Bericht, übersetzt von mir (MM): „Bezirksrichterin Vanessa Baraitser sagte am Freitag zu Assange, der per Video-Link erschien: “Sie wurden heute vorgeführt, weil ihre Haftstrafe kurz vor ihrem Ende steht. […] Wenn dies geschieht, ändert sich Ihr Haftzustand von einem büßenden Gefangenen zu dem einer Person, die einer Auslieferung entgegensieht.”
Sie sagte, dass seine Anwältin es nicht für nötig befunden habe, in seinem Namen einen Antrag auf Kaution zu stellen, und fügte hinzu: “Vielleicht nicht überraschend angesichts Ihrer Fluchtgeschichte in diesem Verfahren. […] Meiner Meinung nach habe ich einen wesentlichen Grund zu glauben, dass Sie, falls ich Sie auf freien Fuß setzte, sich wieder absetzen würden.” Diese Bemerkungen sind nicht überraschend, wenn man sich den ganzen Fall anschaut oder dies tun könnte, weil ja ein anderer Richter sich weigert, der Presse umfassende Akteneinsicht zu geben, doch dazu später.
Aber aus der Logik der Richterin heraus ist es verständlich, dass sie Julian Assange nicht wieder unter Hausarrest stellen will. 2012 stand er nämlich unter Hausarrest, als er in der ecuadorianischen Botschaft in London um Asyl bat und dieses auch erhielt. Seine juristischen Möglichkeiten waren damals ausgeschöpft, als ihm der Weg zum Europäischen Gerichtshof kurzfristig versperrt wurde. Julian Assanges damalige Befürchtungen bezüglich eines Auslieferungsbegehrens der USA und der Untersuchungspraktiken der schwedischen und britischen Behörden scheinen sich seitdem bestätigt zu haben. Hierzu auch der Bericht des UN-Sonderbeauftragten für Folter, Nils Melzer.
Die Haftbedingungen, die Julian Assange bis jetzt auferlegt sind, scheinen komplett unangemessen, wenn man bedenkt, dass er wegen eines Kautionsvergehens in Haft sitzt, in einer Sache, die niemals zur Anklage gekommen ist und die von den schwedischen Behörden anscheinend auch nicht mehr vorangetrieben wird. Zumindest ist Julian Assange nun seit fast einem halben Jahr inhaftiert, aber nachdem die Wiederaufnahme der Untersuchung wegen Vergewaltigung sehr öffentlich verkündet wurde, wurde am 3. Juni eine Verhaftung in Abwesenheit, die zu einem Auslieferungsbegehren geführt hätte, von einem schwedischen Richter mit dem Hinweis verweigert, dass die Ermittler Herrn Assange doch nun im Belmarsh-Gefängnis, in den Händen der britischen Justiz, in Ruhe befragen könnten. Dahingehend ist aber bisher nichts geschehen und erst auf Nachfrage ließen die Ermittler verlauten, eine Vernehmung von Julian Assange sei nicht geplant.
Für dieses „Vergehen“ sitzt er nun seit dem 11. April meistens 23 Stunden am Tag allein in einer Zelle im Krankenhaustrakt, kann nur sehr eingeschränkt Besuch empfangen, und diese Zeiten beinhalten auch noch die Treffen mit seinen Rechtsanwälten. Er hat keinen Computer oder ähnliches, um sich irgendwie angemessen auf das ihm drohende Auslieferungsverfahren, welches am 25. Februar nächsten Jahres beginnt, vorzubereiten. Dies in einem Land, welches sich „eine der ältesten Demokratien der Welt“ nennt und das so stolz auf sein althergebrachtes Rechtssystem ist.
Nun, da die Haftstrafe am Sonntag abläuft und sich Julian Assange „nur noch“ in Auslieferungshaft befindet, wäre es an der Zeit, ihn in ein bewachtes Krankenhaus zu überführen, wo er von zivilen Ärzten behandelt würde und wo ihn Personen seines Vertrauens mit Nahrung seiner Wahl versorgen könnten. Dort müsste er dann auch ganz normalen Zugang zu allen Informationen haben, die er für seine Verteidigung gegen die größte Militärmacht auf diesem Planeten braucht. Natürlich dürfte ihm auch Sonnenschein und frische Luft nicht verwehrt sein. Alles andere ist eine Umkehrung der Unschuldsvermutung und steht einem Rechtsstaat wie dem Vereinigten Königreich nicht zu Gesicht.
Es steht zu befürchten, dass es anders kommt, wenn man sich den Artikel von Stefania Maurizi auf La Repubblica anschaut. Dieses Organ versucht seit Jahren, den Fall Assange mit juristischen Mitteln zu beleuchten (Übersetzung MM):
„Im Jahr 2015 haben wir in vier Ländern einen Antrag auf Zugang zu den Unterlagen nach dem Freedom of Information Act gestellt: Australien, das Land, in dem Assange geboren wurde; England, wo er seit 2010 ist, nachdem er explosive geheime Dokumente über die US-Regierung veröffentlicht hat; die Vereinigten Staaten, wo er wegen der WikiLeaks-Publikationen angeklagt wird; Schweden, wo er in eine Vergewaltigungsuntersuchung geriet, die am 20. August 2010 eröffnet wurde, am 25. August 2010 geschlossen wurde, am 1. September 2010 wieder eröffnet wurde, am 19. Mai 2017 erneut geschlossen wurde und schließlich am 13. Mai 2019 wieder eröffnet wurde und immer noch im Gange ist, auch nach neun Jahren noch in einer Vorstufe.“
Und weiter:
„Unser Versuch, auf die Dokumente zuzugreifen, wurde in all diesen Legislativen behindert und massiv verzögert. Die wenigen Dokumente, die wir bisher erhalten haben, haben es uns jedoch ermöglicht, wichtige Informationen zu finden. Sie sind ein unbestreitbarer Beweis für die Rolle des Vereinigten Königreichs bei der Schaffung des rechtlichen und diplomatischen Morastes, der Julian Assange seit 2010 willkürlich in Haft hielt. […] Tatsächlich war es die britische Staatsanwaltschaft, die die schwedischen Staatsanwälte von der einzigen juristischen Strategie abriet, die die schwedische Vergewaltigungsuntersuchung hätte schnell abschließen können: Assange in London zu verhören, anstatt zu versuchen, ihn nach Stockholm auszuliefern. Es war die Staatsanwaltschaft der Krone, die versuchte, die schwedischen Staatsanwälte davon abzuhalten, den Fall 2013 einzustellen. Schließlich war es die Staatsanwaltschaft der Krone, die an ihr schwedisches Gegenstück schrieb, “Bitte denken Sie nicht, dass der Fall nur als ein weiteres Auslieferungsersuchen behandelt wird”, und wichtige Dokumente zerstörte, obwohl der Fall noch andauert und sehr umstritten ist.“
Die Nachfragen von „La Repubblica“ wurden immer wieder abgeschmettert, sodass sich diese mutige Publikation gezwungen sah, den Crown Prosecution Service (Staatsanwaltschaft der Krone) auf Herausgabe der Dokumente zu verklagen. Dies wurde in erster Instanz abgelehnt mit der Begründung, dass das Recht auf Geheimhaltung des US-Auslieferungsbegehrens größer sei als das Recht der Öffentlichkeit auf Information im Fall Assange. Letzte Woche lehnte der Richter der nächsten Instanz auch die Berufung ab und nun stellt sich die Frage, wer Licht in diese dunkle Angelegenheit bringen kann, wenn nicht die Presse.
Insgesamt bekommt man das Gefühl, dass man es mit einem großen Staubsauger zu tun hat, welcher Menschenwürde, Humanität, Mitgefühl, Rechtsempfinden und die Informationen darüber gleichermaßen in sich aufsaugt. Auch Chelsea Manning sitzt weiterhin in einem US-Gefängnis in Beugehaft, wodurch sie gezwungen werden soll, gegen Julian Assange auszusagen. Wir werden in Kürze mehr über diesen weiteren unmenschlichen Aspekt in dieser Geschichte informieren.
Es liegt an uns, dieses schwarze Loch zu blockieren, durch die Weiterverbreitung von Informationen zum Thema und die Teilnahme an Protesten, die immer wieder organisiert werden. So findet zum Beispiel am morgigen Samstag in Köln eine große Mahnwache für Julian Assange statt. Auch eine Unterstützung des Aufrufs von Emmy Butlin ist sicher sinnvoll oder auch Briefe an Angela Merkel, Bundespräsident Steinmeier, Ihren Wahlkreisabgeordneten, Ihre Lokalzeitung etc. Hoffentlich findet sich beim Gang durch die Instanzen auch noch ein Rechtsprechender, der seine Bezeichnung verdient und nach bestehenden Gesetzen handelt, denn dann müsste dieser Spuk bald ein Ende haben.
Weiter unten ein Auszug aus dem Newsletter #2 des Julian Assange Defence Committee Germany (JADCG).
Außerdem lohnt es sich, an dieser Stelle auch auf die Friedenstagung am 28. September in Essen hinzuweisen. Die Tagung wird von einem breiten Bündnis diverser Gruppen organisiert und verspricht, Impulse zu geben, und man wird dort Gleichgesinnten begegnen, was einen Mut schöpfen lässt in ansonsten unruhigen Zeiten. Hier ist das Grußwort des Schirmherrn Konstantin Wecker.
Ich für meinen Teil plane Anfang Oktober an dieser Friedenskonferenz in Irland teilzunehmen und damit gegen die Nutzung des Shannon Airport auf dieser angeblich neutralen Insel durch die US Air Force zu protestieren.
Termine Mahnwache #Candles4Assange:
Berlin: Jeden Mittwoch vor der US-Botschaft, Pariser Platz, 19 bis 21 Uhr
Düsseldorf: jeden zweiten Mittwoch, z.B. 25. September 2019, vor dem US-Konsulat, Bertha-von-Suttner-Platz, 17 bis 21 Uhr
Frankfurt am Main: Mittwoch, 25. September 2019, in der Zeil am Brockhausbrunnen, 17 bis 19 Uhr
Köln: Samstag, 21. September 2019, Domplatte ab 13.30 Uhr
Bei der Sitzung des WDR-Rundfunkrates am 5. September 2019 wurde der Einsatz des WDR für die Pressefreiheit betont. Dieses Engagement begrüßt das Free Assange Committee Germany und wird bei der #Candles4Assange-Veranstaltung am 21. September 2019 den WDR beim Wort nehmen. Nach dem Auftakt an der Domplatte wird die Veranstaltung vor dem WDR-Gebäude fortgesetzt. Interessierte sind herzlich zur Teilnahme eingeladen.
Frankfurt am Main: Für Samstag, 12. Oktober 2019, ist eine #Candles4Assange-Mahnwache anlässlich der 6-monatigen Inhaftierung Assanges geplant. Der Journalist war am 11. April 2019 in der ecuadorianischen Botschaft in London von der britischen Polizei gefangengenommen worden. Die Details werden in Kürze auf der FACG-Facebook-Seite bekanntgegeben:
facebook.com/Free-Assange-Committee-Germany-296800261268837/
Vom 23. bis 27. Oktober 2019 finden in Berlin wieder die Anti-Knast-Tage statt. Aber was heißt schon Knast? Was heißt Anti-Knast-Arbeit?
antiknasttage.blackblogs.org/ankuendigung/
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