Der Europäische Gerichtshof hat das deutsche Leistungsschutzrecht für unzulässig erklärt und der heimischen Verlegerlobby einen Dämpfer verpasst. Springer, Burda und Co. wollen Google eigene Presseinhalte zur Verlinkung auf dessen Suchmaschine nur gegen Genehmigung und Bezahlung überlassen. Die frühere Bundesregierung aus Union und FDP stand dafür prompt mit einem Gesetz bei Fuß. Zu mehr als teuren Rechtsstreitigkeiten hat das allerdings nicht getaugt. Jetzt landet es im Eimer und irgendwer muss für zehn Millionen Euro Prozesskosten aufkommen. Gut möglich, dass am Ende der Steuerzahler für Springer in die Bresche springt. Von Ralf Wurzbacher.
Gesetze machen will gekonnt sein. Dass die große Koalition es bisweilen nicht kann, hat sie zuletzt mit ihrer „Ausländermaut“ bewiesen, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) vor drei Monaten kassierte. Aber Dilettanten gibt und gab immer wieder und ihr Erbe wirkt manchmal bis weit in die Zukunft. Und so kann man dieser Tage einen Scherbenhaufen bewundern, den die frühere schwarz-gelbe Bundesregierung ihrer Nachwelt schon vor sechs Jahren eingebrockt hat. Im Mittelpunkt steht dabei das sogenannte Leistungsschutzrecht (LSR), über das sich einmal Julia Reda, bis vor kurzem EU-Abgeordnete für die Piraten-Partei, wie folgt äußerte: „Das ist das falsche Gesetz zur Lösung des falschen Problems, handwerklich falsch gestrickt, es gehört in die Papiertonne.“
Genau dort ist es jetzt gelandet. Und erneut sind es die obersten EU-Richter, die es entsorgt haben. Am Donnerstag der Vorwoche hat der EuGH das 2013 erlassene Gesetz für nichtig erklärt. Peinlich dabei: Gekippt wurde es nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern wegen eines Formfehlers. Die Bestimmung sei im Vorfeld nicht ordnungsgemäß bei der EU-Kommission gemeldet worden und deshalb nicht anzuwenden, hieß es zur Begründung. Die Richter schlossen auch die Möglichkeit einer Nachbesserung aus, womit das Regelwerk tatsächlich für alle Ewigkeit im Eimer bleibt. Das ist an sich zwar gut so, hat aber einen Haken: Alle juristischen Aktivitäten, die zur Durchsetzung des LSR bis dato eingeleitet wurden, waren für die Katz.
Staatshaftung?
Auch das wäre kein Beinbruch. Wen freute es nicht, wenn etwa der Springer-Verlag seine Anwälte für nichts und wieder nichts an die Front geschickt hat. Nur könnte die Sache eben doch anders aus-, weil für den Steuerzahler nach hinten losgehen. Womöglich muss nämlich der Bund die in mehreren Jahren aufgetürmten Prozesskosten übernehmen, die deutsche Zeitungsmacher in einen Rechtsstreit gesteckt haben, der nach dem EuGH-Entscheid nicht mehr zu gewinnen ist. In einem Gutachten des Bundestags von 2015 liest sich das so: „Zudem ist eine Staatshaftung in Betracht zu ziehen, wenn Mitbewerber dadurch benachteiligt werden, dass Behörden in europarechtswidriger Weise die nationalen Regelungen anwenden.“
Aber was genau hat sich der Gesetzgeber zu Schulden kommen lassen? Nach geltendem EU-Recht müssen die Mitgliedstaaten der EU-Kommission „frühzeitig die geplante Einführung oder Änderung von Normen oder technischen Vorschriften in gemeinschaftsrechtlich relevanten Gebieten anzeigen“. Darunter fallen insbesondere Änderungen, die „Dienstleistungen der Informationsgesellschaft“ betreffen. Beim LSR liegt das eigentlich auf der Hand. Das Regelwerk zielt im Kern darauf ab, Betreiber von Suchmaschinen und andere sogenannte News-Aggregatoren dafür zur Kasse zu bitten, dass sie Überschriften und Textausschnitte von Presseerzeugnissen in ihren Trefferlisten anzeigen. Durch Nutzung dieser sogenannten Snippets würden Internetdienste, allen voran der Weltmarktführer Google, viel Geld verdienen, ohne die Rechteinhaber und Urheber daran zu beteiligen, argumentierte die damalige Regierung.
Dennoch vertraten Union und FDP seinerzeit nach außen die – ziemlich merkwürdige – Ansicht, ihr Gesetz wäre nicht speziell auf die IT-Wirtschaft gemünzt. Weswegen man davon absah, das Projekt durch die EU-Kommission „notifizieren“ zu lassen, um es ohne den Segen aus Brüssel durchzuziehen. Das kann teuer werden. Laut besagter Expertise „könnten sich Investitionen durch den Verstoß gegen die Notifizierungspflicht als Fehlinvestition erweisen“, weshalb von einer möglichen „Amtspflichtverletzung“ auszugehen sei. Diese „läge in der Veranlassung der Investitionen mittels einer auf Grund der Nichtnotifizierung unanwendbaren nationalen Regelung“.
Zehn Millionen für nichts
„Fehlinvestiert“ hat die deutsche Verlegergilde schon allerhand. Wie das Webportal „Golem“ in der Vorwoche berichtete, soll die Verwertungsgesellschaft VG Media bereits „rund zehn Millionen Euro“ für Anwälte und Gerichte in die Hand genommen haben, um das LSR juristisch durchzusetzen. Die VG Media vertritt über drei Dutzend Medienhäuser, darunter Axel Springer, Burda, Funke, Madsack und DuMont, und verlangt als Ausgleich für die vermeintlich widerrechtliche Verwendung von Presseinhalten allein von Google rückwirkend 1,24 Milliarden Euro für die Jahre 2013 bis 2018.
Bisher hat der US-Konzern allerdings noch keinen Cent herausgerückt und noch jedes der fraglichen Verfahren für sich entschieden. So befand etwa zu Jahresanfang 2016 das Landgericht Berlin, das Prinzip einer Suchmaschine sei eine „Win-win-Situation“, von der alle Beteiligten profitierten, auch die Verleger. Das Berliner Gericht war es auch, das im Mai 2017 den EuGH anrief, um klären zu lassen, ob Deutschland bei der Gesetzgebung die Notifizierungspflicht verletzt hat. Der Vorsitzende Richter war genau dieser Auffassung und nahm dann auch kein Blatt vor den Mund: „Das ist ein sehr schlecht gemachtes Gesetz, das viele Fragen aufwirft.“
Eine davon ist die, wer bei all dem die Federführung innehatte. Tatsächlich war das Gesetz im Frühjahr 2013 im Schweinsgalopp durch alle Instanzen geboxt worden. Die Zeit drängte, da ein halbes Jahr später die Bundestagswahl anstand und wenig dafür sprach, dass Schwarz-Gelb danach würde weiterregieren können. Die Liberalen flogen schließlich sogar ganz aus dem Bundestag, wohl auch eine späte Abrechnung der Wähler mit der „Mövenpick-Partei“. Zur Erinnerung: Nach großzügigen Wahlkampfspenden eines führenden Hoteliers hatten die Freidemokraten nach der Regierungsübernahme Ende 2009 eilends ein Gesetz ins Werk gesetzt, das die Beherbergungsbranche mit einem reduzierten Mehrwertsteuersatz beglückte.
Springers „Gesetzgebung“
Von ähnlichem Kaliber ist das Leistungsschutzrecht. Neben den Autobossen hat im Berliner Regierungsviertel keiner mehr zu bestimmen als die großen deutschen Verlagshäuser. Sie unterhalten engste Verbindungen ins Kanzleramt, üben mit ihrer Medienmacht immensen Einfluss auf die etablierten Parteien und den politischen Tagesbetrieb aus. Und wenn nötig, schreiben sie sich ihre Gesetze einfach selbst. Mit dem Boom des Internets ist ihr Stern jedoch am Sinken. Die Verleger machen zwar weiterhin riesige Profite, aber eben nicht mehr den Reibach, wie sie es von der prädigitalen Ära gewohnt waren. Deshalb basteln sie seit längerem eifrig an einer Legende: Die erzählt davon, dass sie als Gralshüter von Demokratie, Meinungsfreiheit und -vielfalt unverzichtbar sind und einen heroischen Krieg gegen Fake News und alle möglichen Agitatoren, Manipulatoren und Finsterlinge aus dem digitalen Orkus führen.
Das ist zwar Quatsch, weil Bürgerverblendung bekanntlich das Haupthandwerk von „Bild-Zeitung“, „Spiegel“ und Co. ist. Aber trotzdem zieht die Masche und weckt beim politischen Personal heftige Beschützerinstinkte. Zum Beispiel fand so in den Koalitionsvertrag der amtierenden schwarz-roten Regierung buchstäblich über Nacht der Plan Eingang, Zeitungsboten mit einer Rentenkürzung zu belegen, indem man den Verlagen zwei Drittel der Beiträge erlässt. Als Ideengeber hatte sich wenige Wochen zuvor Mathias Döpfner, Springer-Vorstandschef und Präsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), mit einem Neujahrsgruß geoutet. Dabei forderte er, die Zeitungszustellung müsse „durch geeignete Maßnahmen für die Verlage finanzierbar bleiben. Die neue Bundesregierung muss zügig über entsprechende Sicherungsmaßnahmen entscheiden.“
„Zügig“ haben Union und SPD in diesem Fall nicht pariert, weil die Planspiele medial für Unruhe sorgten. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben und gerade auf den letzten Metern einer Legislatur machen Regierungen gerne Nägel mit Köpfen, um Versprochenes am Ende doch noch einzulösen. Genauso verfuhr man seinerzeit beim Leistungsschutzrecht. Weil es schnell gehen musste, die Verleger mit den Hufen scharrten, eine Prüfung durch Brüssel aber Zeit gekostet hätte und eine Genehmigung nicht absehbar war, nahm man den Holzhammer zur Hand und prügelte das Vorhaben durch die Gesetzgebung. Und lieferte den Zeitungsmachern genau das Geschenk, das sie haben wollten: Eine Handhabe, um ein Stück vom Kuchen der Internetgiganten abzukriegen.
Alte und neue Meinungsmacher
Keine Frage: Google, Facebook und andere Emporkömmlinge der Internetwirtschaft gehören mit ihrer obszönen Finanz- und Meinungsmacht in die Schranken gewiesen. Das müsste damit losgehen, sie angemessen zu besteuern, und damit weitergehen, den Handel mit Nutzerdaten politisch zu reglementieren. Aber ganz bestimmt ist der Demokratie und der Meinungsvielfalt nicht damit gedient, die alten Meinungsführer und -macher gegen die neuen in Stellung zu bringen, indem man sie an deren Gewinnen teilhaben lässt. Zumal die deutschen Verlage auf Google, im speziellen den Dienst Google News, existenziell angewiesen sind. Ohne die dort verlinkten Snippets griffen massenhaft potenzielle Leser nicht mehr auf die Netzportale von Tageszeitungen und Magazinen zu, was die werbetreibende Industrie mit Liebes-, sprich Auftragsentzug bestrafen würde.
Wer am längeren Hebel sitzt, zeigt der Fall Spanien. Dort hat Google seinen Nachrichtendienst zum Jahresende 2014 einfach geschlossen, weil qua Gesetz Lizenzen für Verweise auf aktuelle Pressemeldungen fällig wurden. In der Folge sollen die Nutzerzahlen verschiedener Netzanbieter massiv eingebrochen sein. Dasselbe drohte der Konzern für Deutschland an, sollte dem Beispiel gefolgt werden. Alternativ könnten auch klagende Unternehmen aus den Trefferlisten gestrichen werden. Aus Angst, damit „weg vom Fenster zu sein“, hatten im August 2014 etliche Verlage innerhalb der VG Media dem US-Konzern eine „Gratiseinwilligung“ zur weiteren Verwendung von Textauszügen erteilt.
Sogar das Gesetz selbst wurde im Interesse des Silicon-Valley-Magnaten entschärft. Darin heißt es zwar: „Der Hersteller eines Presseerzeugnisses (Presseverleger) hat das ausschließliche Recht, das Presseerzeugnis oder Teile hiervon zu gewerblichen Zwecken öffentlich zugänglich zu machen.“ Allerdings folgt dann die gravierende Einschränkung, „es sei denn, es handelt sich um einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte“. Der Passus wurde erst später – ob auf Druck der Internetwirtschaft oder aus besserer Einsicht der Verleger – ins Reglement aufgenommen. Dabei waren es ursprünglich besagte Snippets, gegen die sie mit ihrem Vorstoß vorgehen wollten.
Blamage mit Ansage
Auf eine konkrete Größenordnung statthafter Textausschnitte legt sich das Gesetz jedoch nicht fest – ein echter Gummiparagraph. Über dessen Auslegung wurde seither tüchtig vor Gericht gestritten. Während VG Media maximal sieben Wörter für tragbar hält, gibt es Verlage, die nur drei Worte dulden wollen. Google dagegen hantiert mit einer Obergrenze an Zeichen. Jerzy Montag von den Grünen hatte all das kommen sehen. Damals, kurz vor dem finalen Parlamentsbeschluss, befand er über das Gesetz: „Wenn es so kommt, hat es keinen Inhalt.“« Und Lars Klingbeil, damals noch Netzpolitiker der SPD, prophezeite eine „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Rechtsanwälte“.
Aber Besserung ist selbst nach dem EuGH-Schlussstrich nicht in Sicht. Der EU-Rat hat im April eine Urheberrechtsrichtlinie mit einem Leistungsschutzrecht nach deutschem Vorbild auf den Weg gebracht. Dieses wartet darauf, in nationales Recht umgesetzt zu werden. VG Media hat bereits angekündigt, auf dieser Grundlage weiter gegen Google prozessieren zu wollen. Und wenn das auch nicht klappt, winkt ja immer noch eine Kompensation durch den deutschen Steuerzahler. Im Jahresbericht der Gesellschaft von 2017 hieß mit Blick auf die jetzt erfolgte Absage aus Luxemburg: „Die VG Media hat gegenüber Aufsichtsrat und Rechteinhabern auf die Notwendigkeit von Vorkehrungen für den Fall des Eintritts eines solchen Szenarios hingewiesen. Die VG Media unterstützt ihre Rechteinhaber dabei, sich auch auf einen solchen Fall vorzubereiten.“
„Vorbereitet“ war man auch bei Schwarz-Gelb. „Golem“ zitierte aus einem Schreiben von damals aus dem Büro des Kulturstaatsbeauftragten: „Ich verstehe, dass hinter der gewählten Auslegung der Richtlinie der politische Wunsch nach möglichst schneller Verabschiedung des Leistungsschutzrechts steht. (…) Auf die Gefahr einer späteren Blamage durch die Nichtanwendbarkeit des Gesetzes sollte BMJ (Bundesministerium der Justiz, d. R.) aber hingewiesen werden.“
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