Auf den ersten Blick klingt die Forderung der kommissarischen SPD-Chefin Manuela Schwesig ja richtig: Wer seinen Kindern keinen Unterhalt zahlt, muss vom Staat an die Kandare genommen werden – zur Not auch mit unkonventionellen Mitteln wie einem Führerscheinentzug. Doch je mehr man ins Thema eintaucht, desto mehr verliert Schwesigs Vorstoß an Substanz und würde schlussendlich vor allem Geringverdiener treffen, denen man mit einem Führerscheinentzug die ökonomische Grundlage entziehen würde, was ganz sicher auch nicht im Interesse der Kinder ist. Populismus ist beileibe kein Alleinstellungsmerkmal der politischen Ränder. Von Jens Berger.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Wenn ein Elternteil, der getrennt vom alleinerziehenden Partner lebt, den Unterhaltsverpflichtungen für das gemeinsame Kind nicht nachkommt, besteht der gesetzliche Anspruch, sich die säumigen Unterhaltszahlungen vom Jugendamt als Unterhaltsvorschuss vorstrecken zu lassen. Der Vorteil für Kinder und Alleinerziehende: Sobald das Jugendamt in Vorleistung gegangen ist, schuldet der säumige Elternteil nicht mehr seinem Kind, sondern dem Staat die vorgeschossene Summe. Der Staat holt sich das Geld dann über einen vollstreckbaren Titel vom säumigen Unterhaltspflichtigen zurück. So zumindest die Theorie.
Die Zahlen des Bundesfamilienministeriums zu diesem Thema sind in der Tat erschreckend. Seit der Ausweitung des Anspruchs auf Unterhaltsvorschuss vor zwei Jahren ist die Zahl der Kinder, denen der Staat die Unterhaltsleistungen eines säumigen Elternteils vorstreckt, auf über 800.000 gestiegen. Dies entspricht einer Verdoppelung der Fälle binnen zwei Jahren bzw. in der Summe zwei Milliarden Euro pro Jahr. Es wäre jedoch voreilig, dies – wie es Frau Schwesig zwischen den Zeilen zelebriert – auf die mangelnde Zahlungsmoral der Unterhaltspflichtigen zu schieben. Hauptverantwortlich sind vielmehr zwei ganz andere Effekte.
Nebenwirkungen der Niedriglohnpolitik
Zum einen hat die Gesetzesnovelle selbst die Zahl der Berechtigten massiv ausgeweitet. Seit der Neuerung sind auch die Unterhaltszahlungen für Kinder zwischen 12 und 17 Jahren vorschussberechtigt und die vormalige Begrenzung des Vorschusses auf sechs Jahre fiel ebenfalls weg. Die deutliche Ausweitung der Berechtigten war also durchaus politisch gewollt.
Zum anderen ist jedoch auch die Hartz-IV-Gesetzgebung maßgeblich für die hohen Zahlen verantwortlich. Da der Unterhaltsvorschuss im Juristendeutsch eine vorrangige Leistung ist, sind alleinerziehende Bezieher von SGB-II-Leistungen gesetzlich verpflichtet, einen Unterhaltsvorschuss zu beantragen. Das trifft auf fast 40% der alleinerziehenden Haushalte in Deutschland zu – das entspricht 625.000 Fällen. Das Besondere an diesen Fällen: Da der Unterhaltsvorschuss eine vorrangige Leistung ist, wird er von den Ämtern auch mit anderen Leistungen wie Hartz IV, Kinderzuschlag, Wohngeld und Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket 1:1 verrechnet. Für die Kinder und die Alleinerziehenden ändert sich hier in der Summe also oft nichts. Das Einzige, was sich ändert, ist, dass der Staat sich auf diesem Umweg einen Teil der ausgezahlten Leistungen vom säumigen Elternteil zurückholen kann. Für die Alleinerziehenden bleibt so nur die vage Hoffnung auf einen Job, der so gut bezahlt ist, dass ihnen der Ausstieg aus dem SGB-II-System gelingt. Die Bundesregierung kommentiert dies folgendermaßen …
Infolge der Anrechnung aller vorrangigen Ansprüche, also auch des Unterhaltsvorschusses, auf Leistungen nach dem SGB II, sind diese für die Leistungsberechtigten auf den ersten Blick nur bedingt von wirtschaftlicher Bedeutung. Dies ändert sich jedoch, wenn es den Alleinerziehenden gelingt, den Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu beenden.
Die Meisten können (und müssen) schlicht nicht zahlen
Für die Alleinerziehenden und die betroffenen Kinder ist die Frage, ob und woher der Staat sich den ausgezahlten Vorschuss zurückholt, zweitrangig. Dies sieht für den säumigen Unterhaltspflichtigen – meist handelt es sich hierbei um den Kindsvater – naturgemäß anders aus. Aber auch hier greift Schwesigs Unterstellung nicht, es handele sich um Personen, die sich vor ihren Pflichten drücken wollen. Die relevanten Zahlen dazu stammen interessanterweise vom Bundesfamilienministerium, dessen Chefin Franziska Giffey hier dennoch mit Schwesig voll auf einer Linie ist.
Schaut man sich Zahlen an, erkennt man sehr schnell, dass der Großteil des Vorschusses schlicht zur Zeit nicht zurückgefordert werden kann, da die Forderungen aufgrund der wirtschaftlich prekären Situation der Schuldner gestundet werden. Der zweite große Block besteht aus den Fällen, die vorschriftsgemäß zurückgezahlt wurden oder werden. Lediglich vier Prozent der Fälle sind unklar in der Definition und umfassen die Gruppe von säumigen Unterhaltszahlern, die Schwesig mit ihrem Vorstoß nun in die Knie zwingen will.
Es ist ohnehin fraglich, wen Schwesig genau mit dem angedrohten Führerscheinentzug sanktionieren will. Schließlich stellt die Verletzung der Unterhaltspflicht eine Straftat nach §170 StGB dar, die mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren sanktioniert werden kann. Die Gelder, die der Staat vorschießt, sind zudem bei Säumigkeit mit einem pfändbaren Titel versehen, der dem Gläubiger ein breites Spektrum von Sach-, Konten- und Lohnpfändungen bis zur Erzwingungshaft eröffnet. Zudem sind Schulden aus Unterhaltsforderungen sogar von der Restschuldbefreiung im Rahmen der Privatinsolvenz ausgenommen. Nach der Wohlverhaltensphase von sieben Jahren steht der Staat also immer noch in Person des Gerichtsvollziehers auf der Türschwelle und fordert seinen Vorschuss samt Verzugszinsen ein. Die weitreichenden Möglichkeiten bestehen nicht nur in der Theorie, sie werden auch in der Praxis vollstreckt. Es ist also ein großes Rätsel, was Frau Schwesig bei diesem harten Sanktionskatalog überhaupt noch verschärfen will und warum sie ausgerechnet den Führerscheinentzug hier ins Spiel bringt.
Populismus
Die Idee eines Führerscheinentzugs für säumige Unterhaltspflichtige geht auf einen Vorstoß des damaligen Justizministers Heiko Maas zurück, der damals bereits die „Sprachregelung“ für dieses Projekt vorgab. Demnach ginge es um „Fälle, etwa bei sehr wohlhabenden Straftätern, bei denen eine Geldstrafe keine Wirkung erzielt“. Das hört das Volk natürlich gerne. Wie viele säumige wohlhabende Straftäter es aber überhaupt gibt, die sich weder von einer Lohn- oder Sachpfändung noch von einer Erzwingungshaft oder einer angedrohten Freiheitsstrafe beeindrucken lassen und stattdessen bei einem drohenden Führerscheinentzug plötzlich zahlungswillig werden sollen, ließ jedoch Maas genau so offen wie seine Genossinnen Giffey und Schwesig, die mit diesem Vorstoß Schlagzeilen machen. Hierzu sei auch angemerkt, dass die gesamte Forderung ohnehin eine Luftnummer ist, da die Möglichkeit, Fahrverbote bei derartigen Straftaten zu verhängen, bereits seit August 2017 besteht, aber – sicherlich auch wegen verfassungsrechtlicher Bedenken – von den Gerichten noch nie ausgesprochen wurde. Ohnehin handelt es sich hier um den Ermessensspielraum der mit den Fällen betrauten Richter und nicht um den Ermessensspielraum der Politik. Man fordert hier also Maßnahmen, die gar nicht im eigenen Handlungsspielraum liegen. Das ist Populismus.
Neue Sanktionierungsmaßnahmen
Wohin die Initiative eigentlich zielt, zeigt ein Nebensatz in einem juristischen Kommentar zum Thema auf haufe.de. Dort wird die eigentliche Motivation der Forderung mit der Idee beschrieben, nicht zahlungsfähige Schuldner dazu zu bringen, „sich in einen leistungsfähigen Zustand zu versetzen, also zu arbeiten.“ Es geht also vor allem darum, die Geringverdiener, Aufstocker und Hartz-IV-Bezieher, deren pfändbares Einkommen zur Zeit unter der Pfändungsfreigrenze liegt, dazu zu „motivieren“, einen besser bezahlten Job oder einen Zweitjob anzunehmen. Und wenn die Schuldner diesem Wunsch nicht nachkommen, soll der Staat, der hier ja aufgrund der schuldrechtlichen Bestimmungen materiell nicht mehr sanktionieren kann, über den Umweg des Führerscheinentzugs die Daumenschrauben anziehen.
Doch wem ist damit geholfen, wenn einem materiell schwachen Schuldner mit dem Führerscheinentzug die ökonomische Basis entzogen wird? Gerade im ländlichen Raum ist der Führerschein meist eine Grundvoraussetzung, um am Arbeitsleben teilnehmen zu können. Wer hier sinnlos sanktioniert, zerstört letztlich nur die Reste der in diesen Fällen ohnehin prekären Basis der Schuldner und sorgt dafür, dass die Betroffenen bis an ihr Lebensende unter der Pfändungsgrenze dahinvegetieren müssen. Das hilft weder dem Staat noch den Kindern oder den Alleinerziehenden.
Es gibt bessere Alternativen
Dabei wirft die gesamte Problematik doch ganz andere Fragen auf. Warum schafft der Staat es oft nicht, säumige Schuldner zur Kasse zu bitten? Die Antwort ist klar: Da nicht nur viele Alleinerziehende, sondern auch deren ehemalige Partner in wirtschaftlich prekären Verhältnissen leben und bei ihnen schlicht nichts zu holen ist. Was helfen würde, wären ordentlich bezahlte Jobs.
Ein anderes Problem ist die Vollstreckung der Titel. Da das Personal fehlt, schaffen es die zuständigen Landkreise schon heute nicht, die ausstehenden Fälle fristgemäß zu bearbeiten. Das betrifft auf der einen Seite das Inkasso der gezahlten Vorschüsse, aber auf der anderen Seite genau so die Anträge der Alleinerziehenden auf Zahlungsvorschuss. Und hier sind vor allem die Alleinerziehenden und die Kinder die Leidtragenden, da sie die Leistungen, die ihnen zustehen, nicht schnell genug abrufen können.
Wer diese Probleme aus dem Weg räumen will, muss daher vor allem auf personeller Ebene nachbessern. Wenn der Staat die nötigen Stellen in den Jugendämtern und bei den Vollzugsbehörden schafft, wäre dies eine wirkungsvolle Medizin. Das will oder kann die SPD nicht, huldigt sie doch immer noch der schwarzen Null. Ablenkmanöver der populistischen Sorte sollen offenbar davon ablenken. Maas, Giffey, Schwesig und Co. sind bereits derart in den Denkstrukturen der Agenda-2010-Logik festgefahren, dass von ihnen offenbar auch keine Lösungen für die alltäglichen Probleme der Politik mehr zu erwarten sind. Statt progressiver Problemlösungen gibt es nur noch populistische Luftnummern auf BILD-Niveau.
Titelbild: Photographee.eu/shutterstock.com