Das vom brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro am vergangenen 28. August erlassene Brandverbot für die nächsten 60 Tage wurde mittlerweile wieder von ihm zurückgenommen und abgeschwächt. Das Verbot erstreckte sich zunächst auf das gesamte brasilianische Territorium, wurde jedoch wenige Tage später auf die Bundesstaaten des Amazonas-Beckens begrenzt. Wo das Feuer sich trotzdem weiter durch den Regenwald frisst. Allein am 1. September wurden von internationalen Satelliten 980 neue Brandherde geortet. Als sei es ein makabrer Witz, während die Flammen loderten, gab das brasilianische Umweltministerium eine 34-prozentige Etatkürzung für die Brandbekämpfung im Jahr 2020 bekannt. Von Frederico Füllgraf.
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Erstes Signal dafür, dass Bolsonaro bald eine radikale Amazonien-Wende mit den USA einläuten könnte, war die Ablehnung des vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron auf dem jüngsten G7-Gipfel angebotenen 20-Millionen-Dollar-ad-hoc-Hilfspakets zur Bekämpfung der Amazonas-Brände durch die Donald-Trump-Regierung. Garrett Marquis, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats (NSC), erklärte, die USA hätten keiner gemeinsamen G7-Initiative zugestimmt, seien jedoch bereit, Brasilien bei der Brandbekämpfung zu helfen, und zwar „am besten in Abstimmung mit der brasilianischen Regierung“. Im Schulterschluss mit dem Bolsonaro-Regime forderten die USA, dass die brasilianische Regierung an den Konsultationen mit der G7-Gruppe beteiligt werde.
In einem Kommentar zum G7-Gipfel – dem Russland im G8-Format bis 2014 angehörte – schlug seinerseits der russische Präsident Wladimir Putin eine Erweiterung der G7-Gruppe um die Türkei, Indien und China vor, ohne dabei Brasilien zu erwähnen; was als Hinweis auf die vom Bolsonaro-Regime erzeugten Risse und Entfremdungen in der internationalen Szene, inklusive im Kreis der BRICS-Staaten, gewertet wird.
Bolsonaros Geschenk an die USA
Unterdessen landeten auch Korrespondenten und Sonderreporter verschiedener deutscher Leitmedien auf dem Boden des niedergebrannten Regenwalds. Spiegel-Korrespondent Jens Glüsing (“Man kann dem Wald beim Sterben zusehen“) bestätigte nahezu vollauf die Hinweise des jüngsten NachDenkSeiten-Artikels auf die destruktive, teils mörderische Rolle des Agrobusiness in Amazonien. “In Brasiliens Amazonasgebiet herrscht ein brutaler Krieg um nutzbares Land, um die letzten Edelholz-Vorkommen. Kleinbauern können sich nur behaupten, wenn sie gegen die Großgrund-Mafia aufrüsten. Gibt es einen Ausweg?”, beklagt Glüsing.
Mit verständlichem Fokus auf das jüngst unterzeichnete, jedoch wegen der Amazonienbrände umstrittene und bedrohte Freihandelsabkommen mit der EU haben deutsche Medien bisher noch nicht die andere Karte, nämlich Bolsonaros verstecktes As im Ärmel im Amazonien-Gerangel, erkannt, geschweige denn untersucht. Der diesjährige Umfang der Brände soll kein Zufall, sondern mit der Zerschlagung von Brasiliens Umweltaufsichtsbehörden offenbar die erste Stufe eines politischen Plans gewesen sein.
Die zweite Stufe des Plans nahm Bolsonaro allerdings im vergangenen April in einem Interview mit dem Radiosender Jovem Pan vorweg, in dem er ab Minute 11:42 bestätigte, er habe während seines Anfang April stattgefundenen Besuchs in Washington US-Präsident Donald Trump die „partnerschaftliche Exploration Amazoniens“ angeboten. Von Freudscher Fehlleistung verraten oder angetrieben von seinen üblichen Phantastereien hatte der ehemalige Abgeordnete Bolsonaro in einem anderen Interview vom Februar 2016 indes behauptet, „Amazonien gehört uns nicht!“.
„Indianer-Reservate behindern Brasilien“: der programmierte Eklat zwischen Bolsonaro und Papst Franziskus
Wohl eher als Provokation zu verstehen, überraschte das Eingeständnis, denn es stammte von einem ehemaligen Heeresoffizier, dessen Waffengattung seit Jahrzehnten genau das Gegenteil predigt, nämlich die Bedrohung der brasilianischen Souveränität über 2/3 des größten Regenwald-Bioms der Erde. Je nach politischer Konjunkturlage malten Offiziere der brasilianischen Streitkräfte, vor allem während der Militärdiktatur (1964-1985), wiederholt das Gespenst an die Wand, Amazonien werde von „ausländischer Gier und Enteignung bedroht“; eine Legende, deren Brüche und Widersprüche auch die britische BBC unlängst beschäftigte.
Doch Jahrzehnte später hat sich das Wahnbild gewandelt. Statt multinationaler Konzerne, Banken und fremder Regierungen sehen einflussreiche Militärs nun die ausgedehnten Indianer-Reservate, ausländische Umwelt-Organisationen, die katholische Kirche und selbst die staatliche Indianer-Schutzbehörde (Funai) als die feindlichen Protagonisten. Indianische Territorien (“Terras Indígenas“) bilden nach Buchstaben und Geist der demokratischen Verfassung Brasiliens von 1988 ein unveräußerliches Erbe. Das Indianerland gehört pro forma dem brasilianischen Staat, doch ist es unverletzlich, nicht verhandelbar und soll dauerhaft von der indigenen Bevölkerung bewohnt, für ihre produktiven Tätigkeiten sowie für die Erhaltung der natürlichen Ressourcen genutzt werden, die – per definitionem – „für ihr Wohlbefinden sowie für ihre physische und kulturelle Fortpflanzung nach ihren Verwendungen, Bräuchen und Traditionen erforderlich und unverzichtbar sind“.
Die Gesamtfläche des Indianerlandes änderte sich in den vergangenen Jahrzehnten nach jeder Neubemessung und betrug 2009 rund 1,17 Millionen Km² oder 13,8 Prozent des gesamten brasilianischen Territoriums, auf denen knapp 850.000 Indigene leben. Für die Großgrundbesitzer ist dieses Zahlenverhältnis eine Zumutung, für die Militärs gar eine „Verschwörung“. Generäle, wie Eduardo Villas Boas, unterstellen, viele Reservate seien auf Regenwaldböden bewilligt worden, die immense Rohstoffvorkommen beherbergen, und würden somit die Indianer zu „naiven Handlangern“ von Privatunternehmen machen. In Wahrheit dient die Verschwörungstheorie der Verheimlichung des genauen Gegenteils, wie sich zeigen wird.
Bolsonaro schlussfolgerte daraus, die indigenen Reservate – zumeist Ahnen-Erbgrund – „versuchen Brasilien das Leben unmöglich zu machen“, und verspricht seit seiner Präsidentschaftskandidatur, einen Großteil der Reservate abzuschaffen. „So wie es aussieht, werden wir Amazonien verlieren”, erklärte er im Interview mit Radio Jovem Pan und gab den Verschwörungstheorien seiner uniformierten Kollegen noch eins drauf: Die Vereinten Nationen würden mit den indigenen Völkern die Möglichkeit diskutieren, neue Länder in Amazonien zu gründen und von Brasilien zu trennen (sic!).
Die amazonischen Fake News des Bolsonaro-Regimes setzen auf Konfrontationskurs mit dem Vatikan. Der Eklat könnte in wenigen Wochen in Rom zünden, wohin Papst Franziskus vom 6. bis 27. Oktober eine Tagung der Amazonas-Synode einberufen hat, die von Bolsonaro sofort als „subversiv“ verschrien wurde. Unter der Devise “Amazonien: Neue Wege für die Kirche und für eine integrale Ökologie” werden 250 Bischöfe und Kardinäle aus aller Welt, Fachberater, Wissenschaftler, Umwelt-NGOs, Vertreter der amazonischen Völker sowie anderer Glaubensgemeinschaften und Führer sozialer Bewegungen Amazoniens drei Wochen lang Entwicklungs- und Erhaltungs-Alternativen zum gegenwärtigen Zerstörungstrieb des mit dem Weltmarkt verzahnten, aggressiven Agrobusiness diskutieren und beschließen.
Die Synode wurde im Oktober 2017 vom Papst einberufen und wird seitdem von Repam (Pan-Amazonisches Kirchliches Netzwerk) vorbereitet. Die Organisation wird von dem brasilianischen Kardinal Claudio Hummes, einem Vertrauensmann des Papstes und Freund des inhaftierten Ex-Präsidenten Lula, geleitet. Außer Brasilien umfasst das Netzwerk Organisationen, Bewegungen, Diözesen und Initiativen der katholischen Kirche in Kolumbien, Peru, Venezuela, Ecuador, Bolivien, Britisch-Guayana, Französisch-Guayana und Suriname; also Länder, die die gesamtamazonische Staatengemeinschaft bilden.
Für das Netzwerk und den Papst muss der Regenwald als vielfältige Dimension der indigenen Territorien und Völker und als Erbe der Menschheit angesehen werden. Dieser Ansatz wird von Bolsonaro und dem brasilianischen Militär als Affront gewertet. Die Militärs ließen verlauten, sie würden die Tagung bereits im Vorbereitungsstadium „überwachen“. Selbstverständlich darf ein Frontalzusammenstoß der Amazonien-Agenda ihrer Bewohner und der progressiven Kirche mit der apokalyptischen Freibeuterei des Bolsonarismus erwartet werden, der nach der Rückkehr der Indigenen und der sozialen Bewegungen aus Rom keine Repression scheuen wird.
Von Orellana bis Donald Trump: die kapitalistische Internationalisierung Amazoniens
Der paranoid anmutende, eifersüchtige Besitzanspruch brasilianischer Geopolitiker auf Amazonien darf unter anderem davon abgeleitet werden, dass zwei Drittel des Bioms erst im 18. Jahrhundert von der portugiesischen Kolonialmacht einverleibt wurden und seitdem als brasilianisch gelten. Davor gehörte das gigantische Gebiet zu Spanien. Es dehnte sich vom Pazifik zum Atlantik aus und umfasste den größten Teil Ecuadors und Perus, die Südspitze Kolumbiens, die Nordspitze Boliviens und den östlichen Ausläufer in Brasilien.
Der deutsche Kaiser Karl V. – zugleich auch Spaniens König Karl I. – machte 1529 aus Amazonien das Vize-Königreich Nueva Castilla und seinem Kapitän zur See, Francisco Orellana, ist überhaupt die Entdeckung des Amazonas-Stroms mit dessen voller Bereisung – von den Andenhängen bis zum Atlantik – zu verdanken.
Juristische Grundlage für die spanische Possession bildete der Vertrag von Tordesilhas vom Juni 1494, womit Spanien sich nicht den Löwen-, sondern den Elefantenteil Südamerikas unter die Krallen der Krone riss und Portugal mit der heutigen, nordost- bis südostbrasilianischen Atlantikküste abservierte. Der Vertrag wurde wohlgemerkt in Vorahnung unbekannter Territorien und neuer Entdeckungen südlich der Karibik unterzeichnet. Zwei lange Jahrhunderte vergingen nach der „Entdeckung“ Brasiliens im Jahr 1500, bis die Portugiesen und ihre brasilianischen Nachkommen den Marsch gen Nordwest antraten und Spanien das heutige Zentralbrasilien und Amazonien abnahmen.
Danach, insbesondere nach der brasilianischen Unabhängigkeit (1822), döste Amazonien ein weiteres Jahrhundert in einer neuen Regenwald-Siesta. Dann entdeckten Kopfjäger und Indianer-Versklaver die Hevea brasiliensis – den Kautschukbaum – errichteten im Dschungel eines der menschenfeindlichsten Imperien, das dem Reich der Finsternis an Grausamkeit nicht nachstand und vom irischen Diplomaten in britischem Dienst und Joseph-Conrad-Freund Roger Casement untersucht wurde. Vor Casements Putumayo-Ermittlungen bevölkerte bereits um 1870 eine gewaltsame Besetzung Amazoniens gar die Phantasie US-amerikanischer Ranchbesitzer, die ihre Plantagen samt afrikanischen Sklaven nach Amazonien ausdehnen und das Territorium den USA einverleiben wollten.
Die Ausbeutung des größten geschlossenen Regenwalds des Planeten durch US-Unternehmen findet allerdings seit knapp 100 Jahren statt. Sie begann 1927 mit dem gescheiterten Fordlândia-Experiment im Bundesstaat Pará. Mit der Anlage gigantischer Kautschuk-Plantagen und einer Dschungelstadt wollte Henry Ford die Versorgung seiner Detroiter Automobilfabrik mit Gummireifen sicherstellen. Mit dem Überfall einer Parasitenart auf den für Monokultur völlig ungeeigneten Hevea-Baum scheiterte das Projekt auf erbärmliche Weise und wurde von Fords Sohn rund zwanzig Jahre später eingestellt und stillschweigend veräußert.
Weitere zwanzig Jahre später nutzte der US-Milliardär Daniel Ludwig die Gunst der Stunde und erwarb 1967, während der Militärdiktatur, ein Gebiet zwischen den Bundesstaaten Pará und Amapá mit der Ausdehnung des US-Bundesstaats Connecticut, also rund 14.500 Km2 groß. Ziel war die Errichtung eines monumentalen landwirtschaftlichen Projekts und Ludwig rangierte damals als der größte Grundbesitzer in der westlichen Welt.
Die Pracht des Jari war indes von Chaos durchsetzt. Die Region verfügte über keinerlei Infrastruktur und erforderte den Bau von Häfen, Eisenbahnen und 9.000 Straßenkilometern. Doch noch einmal plante ein sturer US-Amerikaner wider die Gesetze der Natur. Ludwig träumte von einem „Aufforstungsprojekt“ mit schnell wachsenden Gmelina-Bäumen, um mit dem Export den weltweit wachsenden Bedarf an Zellstoff zu decken. Zu den Ludwig-Visionen gehörten ferner Bergbau, Viehzucht und Landwirtschaftsprojekte, die sehr bald Umweltschützer auf den Plan riefen.
Ein thermoelektrisches Kraftwerk und die Zellstofffabrik wurden von Japan über einen 25.000 Kilometer langen Seeweg, der 53 Tage beanspruchte, mit Schleppern an die Amazonasmündung herantransportiert. Auf dem Gelände entstand eine Stadt namens Monte Dourado mit 30.000 Einwohnern sowie ein Krankenhaus und Schulen. Die Zellstofffabrik und Ausrüstungen verschlangen rund 860 Millionen US-Dollar – insgesamt ein gigantischer Schuss in den Ofen, denn 1982 gab Ludwig das Projekt ergebnislos auf. An den Verhandlungen war der starke Mann des Militärregimes, General Golbery do Couto e Silva, beteiligt.
Ludwigs Kapitulation erklärte sich aus massivem Widerstand gegen eine befürchtete Verwüstung des Amazonas-Regenwaldes und seine Auswirkungen. Die Befürchtung gipfelte 1979 in einer parlamentarischen Untersuchungskommission, deren erstaunlicher Abschlussbericht keine direkten Hinweise auf Regenwald-Zerstörung enthält. Wahrscheinlich, weil die brasilianische Orsa-Gruppe, die Jari erwarb, sich keines Umwelt-Passivs schuldig machen wollte und sich seit 2004 vom umstrittenen Forest Stewardship Council zertifizieren lässt.
Fern der Amazonas-Mündung in den Atlantik stieg in den Jahren des Soja-Booms im westlichen Rondônia allerdings wieder ein US-Konzern zum rangersten Protagonisten des „brasilianischen“ Agrobusiness´ auf: Cargill. Über den mächtigen US-Konzern schrieb der ehemalige demokratische Abgeordnete Henry A. Waxman:
„Die Menschen, die krank wurden oder an Cargills vergiftetem Fleisch gestorben sind, die (illegal) arbeitenden Kinder, die den von Cargill für die Weltschokolade verkauften Kakao anbauen, die Amerikaner des Mittleren Westens, die Wasser trinken, das von Cargill verschmutzt wurde, die Ureinwohner, die durch die Abholzung von Wäldern vertrieben wurden, Cargills Tierfutter anzubauen und die Durchschnittsverbraucher, die aufgrund von Cargills finanziellem Unrecht mehr dafür bezahlten, Lebensmittel auf den Tisch zu stellen – sie alle spürten die Auswirkungen dieses Giganten der Agrarindustrie. Ihr Leben ist schlimmer, weil sie mit Cargill Kontakt bekamen.“
Das schert Donald Trumps Lobbyisten wenig. Das US-amerikanische Internet-Magazin The Intercept berichtete auf dem Höhepunkt der Amazonas-Brände:
„Ein Fünftel des Amazonas ist in den letzten 50 Jahren zerstört worden. Eine weitere Industrialisierung des Regenwaldes könnte ein weiteres Fünftel zerstören, ein Verlust, der für das globale Ökosystem katastrophal wäre.
Die Katastrophe ist größtenteils auf Interessen zurückzuführen, die darauf abzielen, den größten Regenwald der Welt zu öffnen, um Platz für Viehzucht, Bergbau und exportorientierte Agrarindustrie zu schaffen. Vertrauliche Dokumente enthüllen, dass diese Interessen in den USA von republikanischen Pro-Trump-Lobbyisten gefördert werden, die Gespräche mit der brasilianischen Regierung aufgenommen haben, um Unternehmensinvestitionen im Amazonasgebiet zu fördern“.
Zu den Begünstigten gehört der mehr als umstrittene Blackstone-Hedgefonds-Konzern, der über US-amerikanische Mutterkirchen seit Jahren in Brasilien ein ausgedehntes Netzwerk fanatischer evangelikaler Sekten finanziert, das vor Amazonien nicht Halt machte. Das wäre Bolsonaros Geschenk.
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