Die Forderungen nach einer Erneuerung der Linkspartei-Spitze werden lauter. So kam gerade eine solche, gute Erklärung aus Sachsen. Siehe unten. Tobias Riegel hatte heute schon angemahnt, dass die Wahlschlappe Folgen haben muss. Das geht nicht nur die Linkspartei selbst an. Wir alle brauchen ein fortschrittliches Gegengewicht zum sogenannten bürgerlichen Lager, zu dem nach Meinung von AfD-Vertretern die AfD und CDU/CSU gehören. Albrecht Müller.
Die Linkspartei ist nicht nur für das städtische Klientel da, sondern auch für Arbeiter, Angestellte und Handwerker, für die Menschen auf dem Land und in den Kleinstädten, auch für solche, die sich von Zuwanderung bedroht und sich von den Regierenden in Berlin und Dresden und anderen Landeshauptstädten verlassen fühlen.
Die Lage des fortschrittlichen Lagers ist so ernst, dass eine Vereinigung von SPD und Linkspartei ernsthaft erwogen werden muss. Oder es muss etwas Neues her.
Das kann nötig sein, weil die beiden Parteien SPD und Linkspartei verkrustet und leider bei der wichtigen Frage von Krieg und Frieden auch schon ferngesteuert sind.
Die Lage ist wirklich ernst: In Sachsen haben beide Parteien zusammen gerade mal 19,1 % der Zweitstimmen erreicht, in Brandenburg 36,9 %. D. h.: es muss eine neue Strategie und es müssen neue Personen her. Andernfalls fällt das fortschrittliche Lager in Deutschland auf lange Zeit aus, vielleicht für immer.
Es folgt die Erklärung von Vertreterinnen und Vertretern Landesweiter Zusammenschlüsse der sächsischen LINKEN zum Ausgang der Landtagswahlen in Sachsen:
„Die Erneuerung der Partei ist unumgänglich – Zeit zum Handeln“
Erklärung von Vertreterinnen und Vertretern Landesweiter Zusammenschlüsse der sächsischen LINKEN zum Ausgang der Landtagswahlen in Sachsen am 1. September 2019
Bereits im Nachgang der Europa- und Kommunalwahlen vom 26. Mai 2019 haben wir in unserer Erklärung „Tür öffnen für kritische Parteidebatte in der LINKEN“ vor den dramatischen Folgen der bisherigen Strategie der Parteiführung auf Landes- und auf Bundesebene gewarnt. Eine Debatte über unsere Kritik fand auf dem sächsischen Landesparteitag am 22. Juni 2019 leider nicht statt.
Der Ausgang der Landtagswahl am 1. September ist katastrophal. Die Partei verlor in Sachsen prozentual fast die Hälfte ihrer Wählerinnen und Wähler. In zentralen Altersgruppen (25-34, 35-44, 45-59) sind wir ebenso nur einstellig wie bei Arbeitern. Nahezu durchweg einstellig sind auch die Wahlergebnisse jenseits der drei Großstädte.
Zum niederschmetternden Wahlergebnis trug auch ein Wahlkampf bei, der von gravierenden Fehlern geprägt war: das Spitzenpersonal übte sich in Sandkastenspielen und bot wiederholt einer Regierungspartei, die für die Verbrechen der Treuhand, Massenarbeitslosigkeit, Niedriglohnpolitik und vorprogrammierte Massenarmut im Alter mitverantwortlich ist, eine Tolerierung an. Plakate wurden so gestaltet, dass sie nur für ein Publikum interessant sind, das Spaß an Sprachspielen hat; „Normalbürger“, die nur einfach, kurz und klar wissen wollen, wofür wir landespolitisch stehen, wurden so nicht erreicht. In der Frage der Schaffung gleichwertiger Arbeitsplätze für die beschäftigten der Braunkohleförderung wurde ständig laviert. Die Friedensproblematik wurde dort, wo sie Menschen real und konkret betrifft, v.a. entlang der Transitrouten der NATO-Truppentransporte durch Sachsen, nicht aufgegriffen. Dafür versuchte sich eine Kandidatin der LINKEN im MDR in Zahlen-Esoterik.
Die Kommentierung zum Wahlausgang durch die Landespitze ist bislang substanzlos, frei von selbstkritischer Reflexion und wird der Dramatik der Lage nicht gerecht: das Wahlergebnis zeugt von einer existenziellen Krise der LINKEN, deren Dimension über Sachsen weit hinausreicht.
Das Wahlergebnis ist jedoch darüber hinaus vor allem das Resultat eines jahrelangen innerparteilichen Prozesses, in dessen Folge u.a. fachpolitische Kompetenz bei landespolitischen Schwerpunktthemen, berufliche Verankerung in der Gesellschaft und strömungsübergreifender Pluralismus eine immer geringere Rolle spielten. Politikziele der sozialen Gerechtigkeit wurden zugunsten von postmateriellen Zielen bestimmter städtischer Klientels vernachlässigt. Die AfD konnte auch dadurch die ostdeutsche Interessenvertretung für sich reklamieren. Die vielbeschworene Kampagne im ländlichen Raum brachte nicht die erhofften Resultate, stattdessen war gerade hier die AfD besonders erfolgreich – auch auf Kosten unserer bisherigen Wählerschaft. Es ist offenkundig, dass dazu kulturelle Entfremdungsprozesse der LINKEN gegenüber lohnabhängig Beschäftigten, sozial Benachteiligten und Unterprivilegierten beigetragen haben; das ist nicht nur angesichts einer drohenden großen Wirtschaftskrise eine gefährliche Entwicklung.
Die sächsische LINKE muss jetzt aufwachen und sich grundlegend erneuern. Der anstehende Landesparteitag am 16. November 2019 und die im Herbst geplanten Kreis- und Stadtparteitage müssen dabei eine Schlüsselrolle spielen und ein klares Signal für die inhaltliche, strategische und personelle Neuausrichtung setzen. Wir fordern ebenfalls eine Vorverlegung des kommenden Bundesparteitags. Wir erwarten darüber hinaus, dass unsere Vorschläge aus der o.g. Erklärung endlich diskutiert werden: dazu zählt die Stärkung der innerparteilichen Demokratie sowie die Rückbesinnung der LINKEN auf die Politik einer klassenbasierten Interessenvertretung der Lohnabhängigen.
Es ist höchste Zeit, der Linkspartei wieder ein konsequent linkes Profil zu geben.
Unterzeichnende Sprecherinnen und Sprecher:
- Ralf Becker, Sprecher LAG Hartz IV Sachsen
- Gabi Eichner, Sozialistische Linke Sachsen
- Thomas Kachel, LAG Frieden und Internationale Politik Sachsen
- Dr. Volker Külow, Liebknecht-Kreis Sachsen
- Prof. Ekkehard Lieberam, Marxistisches Forum Sachsen
- Thomas Michaelis, LAG Betrieb & Gewerkschaft
Weitere Unterzeichnerinnen und Unterzeichner:
- Heiderose Gläß, Vorsitzende Ortsverband Löbau
- Kathrin Kosche, LAG Hartz IV Sachsen
- Marianne Küng-Vildebrand, Mitglied der LAG B&G
- Dr. Helga Lemme, Mitglied LAG FIP
- Felix Muster, Mitglied Sozialistische Linke Sachsen
- Franziska Riekewald, Mitglied des Parteivorstandes
- Nico Rudolph, Mitglied des Stadtvorstands Chemnitz
- Jochen Siegel, Marxistisches Forum Sachsen
- Lars Stöckner, Sozialistische Linke Sachsen
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