Vor den Landtagswahlen: Das Kaninchen und die Schlange

Vor den Landtagswahlen: Das Kaninchen und die Schlange

Vor den Landtagswahlen: Das Kaninchen und die Schlange

Tobias Riegel
Ein Artikel von: Tobias Riegel

Vor den Landtagswahlen wird medial zur „Rettung der Volksparteien“ geblasen. Die reale rechte Gefahr wird genutzt, um die Verantwortung etablierter Redakteure, Lobbyisten und Politiker für die aktuellen gesellschaftlichen Gräben zu kaschieren. Soziale Vorstöße werden derweil diffamiert und sollen durch eine moralische und folgenlose Symbolpolitik ersetzt werden. Von Tobias Riegel.

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Anlässlich der Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg am kommenden Sonntag wird man aktuell Zeuge eines bekannten Mechanismus: Jene politischen und medialen Akteure, die zuallererst für die aktuellen gesellschaftlichen Gräben verantwortlich sind, gefallen sich in der Rolle der Mahnenden vor Spannungen, die aus eben jenen Gräben entstanden sind. Zu den Folgen der Politik der vergangenen Jahrzehnte zählt auch der Rechtsruck, der nun in Form des (scheinbaren) Kontrastes als Beleg für die „Weltoffenheit“ der etablierten Parteien herhalten muss. Es ist das Prinzip „Haltet den Dieb“ in Reinform. Gleichzeitig sollen soziale Maßnahmen, die diese Spannungen mildern könnten, abgewehrt werden – Stichwörter: Vermögensteuer oder Mietendeckel.

Als Verantwortliche für die aktuellen gesellschaftlichen Spaltungen sind zuallererst Redakteure großer Medien, Wirtschaftslobbyisten sowie CDU-Politiker zu nennen. Auch die SPD hat sich versündigt: im Zuge der in den letzten Jahrzehnten erlebten Vereinigungs-Kriminalität, der Arroganz gegenüber Ostdeutschen und der gefährlichen und staatsfeindlichen wirtschaftsliberalen Stoßrichtung für Gesamtdeutschland. Doch die Sozialdemokraten versuchen aktuell – wenigstens verbal – wieder eine real sozialpolitische Note in der gesellschaftlichen Debatte zu etablieren, immerhin in Form von Nadelstichen. Die Versuche der Partei, aus der selbstgemachten neoliberalen Sackgasse zu entfliehen, sollten mit distanziertem Wohlwollen begleitet werden. Ob diese SPD-Vorstöße – etwa zur Vermögensteuer – wie so oft bei der SPD in eine große Enttäuschung münden, bleibt noch abzuwarten: Die Sozialdemokraten haben für diese Sorge einerseits reichlich Anlass geliefert. Es ist aber andererseits schon ein Verdienst, dass überhaupt wieder Vokabeln wie „Reichensteuer“ oder „Mietendeckel“ in die Debatte eingeführt werden. Zum bodenlosen politischen und moralischen Absturz der Grünen ist vorerst alles gesagt, die FDP kann ohnehin als abgeschlossener Fall bezeichnet werden.

Sozialpolitik wird diffamiert, Symbolpolitik wird eingefordert

Die jüngsten sozialpolitischen Pläne von SPD oder LINKEN werden in der aktuellen Meinungsmache der großen Medien vor den Wahlen mit Wut zurückgewiesen, wie die NachDenkSeiten aktuell hier oder hier beschrieben haben – diese Zurückweisung sozialer Vorstöße erklingt vor allem von jener Seite, die angesichts der rechten Gefahr fordert, dass die Bürger „endlich aus der Komfortzone“ heraustreten und symbolisch und moralisch aktiv werden. Konkrete soziale Maßnahmen werden durch diese Haltung diffamiert, während gleichzeitig eine folgenlose Symbolik zum Allheilmittel gegen Rechts erklärt wird. Zudem wird die Wahl einer „Volkspartei“ zu einem geradezu humanistischen Akt des Widerstands gegen diese rechte Gefahr verklärt. Die Wahl der CDU als eine der Hauptverursacherinnen des gesellschaftlichen Status Quo (einschließlich der rechten Gefahr) soll nach dieser verqueren Darstellung das Rezept sein, diesem Status Quo positiv zu begegnen. Wie falsch diese Hoffnung ist, haben die NachDenkSeiten aktuell hier anlässlich eines Interviews mit CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer beschrieben.

Und so wird das Wahlvolk aktuell einmal mehr zum Kaninchen degradiert, das man vor die Schlange der rechten Gefahr platziert – damit es vor Angst das Denken einstellt und die „Volksparteien“ stützt – anstatt etwa die LINKE zu wählen. Aber die Linkspartei, die eigentlich die natürliche Adresse der Benachteiligten wäre, kann nicht angemessen profitieren: Dafür gibt es auch eine Reihe innerparteilicher Gründe, etwa der zynische und selbstzerstörerische Umgang der Parteiführung mit Sahra Wagenknecht und die Vernachlässigung wichtiger Politikfelder. Eine tiefere Analyse der teils selbstverschuldeten LINKEN-Tragödie hat kürzlich Jens Berger etwa hier verfasst.

Die „Wunderheilung der Volksparteien“

Die mediale Stoßrichtung zur Rettung der Volksparteien angesichts der rechten Gefahr zeigt in den (stets mit größter Vorsicht zu genießenden) Umfragen (hier oder hier) anscheinend tatsächlich Wirkung: So freut sich der „Spiegel“ aktuell, dass die ehemaligen Volksparteien „plötzlich wieder vorn“ seien. Andere Medien bejubeln gar eine „Wunderheilung der Volksparteien“.

Niemand kann sich den Erfolg der AfD wünschen. Aber könnte man als Gegensatz dazu denn einen Sieg etwa der sächsischen CDU tatsächlich als Triumph „der Demokratie“ verbuchen? Schließlich hat diese Partei, wie gesagt, durch unsoziale, wirtschaftsliberale und staatsfeindliche Politik erst die Voraussetzungen für den Rechtsruck geschaffen. Ähnliche Versuche von gesellschaftlichen Brandstiftern, sich hinterher als die Feuerwehr darzustellen, konnten bereits vor der EU-Wahl beobachtet werden, wie die NachDenkSeiten hier beschrieben haben.

Die rechte Gefahr ist real

Die rechte Gefahr ist real: Sie ist höchst bedrohlich und sie darf nicht kleingeredet werden. Doch wie begegnet man ihr erfolgversprechend: Mit (zum Beispiel durch eine Reichensteuer finanzierten) sozialen „Wohltaten“, die im Übrigen nicht als „Wahlgeschenke“ diffamiert werden dürfen? Oder mit wohlfeilen moralischen Appellen einer „Volkspartei“ an die Bürger, sich auf der Straße jenen Rechten entgegenzustellen, die auch durch die eigene unsoziale Politik erst produziert worden sind?


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Titelbild: Volodymyr Burdiak / Shutterstock

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