Leserbriefe zu „Massenproteste in Hong Kong – zwei Dokumente zur Debatte“

Ein Artikel von:

Nachfolgend finden Sie einige Leserbriefe zu obigem Beitrag. Einmal mehr zeigt sich, wie vielschichtig unsere gegenwärtigen Probleme bzw. Aufgabenstellungen sind und es ist gut, auch Einblicke aus der Nähe zu bekommen, in Leserbriefen genauso wie in unseren Artikeln, auch wenn es dann manchmal zu recht unterschiedlichen Schlüssen kommt. Zusammengestellt von Moritz Müller.

1. Leserbrief

Grüß Gott,

leider dürfte das mit der Annahme von unreifen Kindern nicht unberechtigt sein. Unsere Leitmedien schüren mit beachtlichem Erfolg Hass gegen Putin, wenn auch nicht mit ein paar Twittern. George Soros hat seine Hände im Spiel, wenn die Bürger auf die Straße gehen und einen Regierungssturz haben wollen, ebenso die USA. Die Demonstrationen in Syrien haben einen berechtigten Kern gehabt – und was ist daraus geworden? Die Liste lässt sich fortsetzten. Die Bürger, die sich leicht aufhetzen lassen, sind überall. Teile und herrsche. Ein Riss durch Ethnien, Religionen, Reichtum-Armut, verschiedenen Bevölkerungsschichten, Parteien – nichts ist einfacher, als die Bürger gegeneinander aufzuhetzen. Die Absicht dahinter ist immer „heilig” oder zumindest demokratisch, niemals machtpolitisch oder interessensabhängig. Gerade die Berichte der NachDenkSeiten zeigen das doch Tag für Tag.

Beste Grüße
Ilse Bleier


2. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Berger und Herr Wenzel,

ein regelmäßiger Leser Ihrer Nachdenkseiten hat mir diesen Link zugeschickt, weil er weiß, daß ich mich für China und somit für HK interessiere. das liegt daran, daß ich seit 1999 viel mit China zu tun hatte (ich war interessanterweise zufällig Mitglied der Wirtschaftsdelegation, die Schröder 2001 auf einer Reise nach CHina begleitet hat), seit 2005 über 13 Jahre in ShenZhen gelebt und gearbeitet habe, seit meiner Rückkehr nach Deutschland immer noch regelmäßig für längere Zeit dorthin reise.

Ich war überrascht, in Deutschland so eine differenzierte Darlegung der Situation zu lesen, wie Sie sie erarbeitet haben, Danke und Glückwunsch, es hat mich gefreut, einmal etwas anderes als die bisher üblichen Vereinfachungen und Verdrehungen / Vernebelungen zu lesen.

Bitte gestatten Sie mir dennoch ein paar Bemerkungen (siehe Anlage).

Anmerkungen zu nachdenkseiten.de/?p=54247

Massenproteste in Hong Kong – zwei Dokumente zur Debatte:

Ich mache mir natürlich auch meine Gedanken, schon lange, denn weil etliche meiner damaligen Kunden (Auslandsinvestitionen, Töchter von US- oder EU-Firmen) ihren Hauptsitz Asien in HK haben, kenne ich etliche HK-Leute, die in mainland China arbeiten; zu den in Ihrem (sehr lesenswerten!) Artikel genanten Gründen komme einige hinzu:

  • die HK-Bürger haben immer auf die mainlander herablassend heruntergeschaut (und tun dies immer noch); sie waren und sind nach ihrer Ansicht “etwas Besseres”;
  • die US- oder EU-Firmen-Angestellten aus HK verdien(t)en, obwohl sie definitiv die gleiche Arbeit machten wie ihre Kollegen aus Shenzhen, das Dreifache;
  • so hat die Arroganz der HKer gegenüber den Mainlandern und das dreifache Gehalt verursacht, daß die Mainlander nicht gerade Mitleid haben mit den HKern;
  • die HK-Bürger lebten und leben (schauen Sie mal, was sie für Flaggen schwenken!) in der irrigen Annahme, daß sie auf ursprünglich britischem Land wohnen und China sie “annektiert” hat; das Schwenken der britischen(und sogar der US-!) Flaggen ist eine schwere Beleidigung für jeden Chinesen;
  • HK hat sich nicht zu einem reichen Ort entwickelt, weil die Hker so überdurchschnittlich fleißig und erfolgreich gewesen wären oder weil die Briten ihnen das ermöglicht hätten, nein: sondern weil seit damals, als die Briten HK okkupierten (denn das ist es ja gewesen! Opiumkrieg ist der Hintergrund, dazu unten nochmal ein Gedanke), China praktisch nur über HK handeln konnte, erst recht nach dem 2. Weltkrieg, nach Ende des Bürgerkriegs; HK war also schon immer vom Mainland abhängig;
  • als HK nach China ZURÜCKkam, gab es die südostasiatische Bankenkrise, mit HK mittendrin; wer hat sie gerettet? China / BeiJing! hat das irgend ein HKer denen gedankt, oder denken sie da noch dran?
    NEIN! (Chinesen wissen das aber, und das ist der Grund, warum ich das weiß, weil ich sehr viel mit Chinesen Kontakt hatte und habe, ich spreche auch Chinesisch)
  • HK hat nur 3 wirtschaftliche Standbeine: Handel (Hafen, wovon ShenZhen als nun weltweit 4.-größter Hafen einen Großteil weggenommen hat und noch mehr wegnehmen könnte, was China nicht zuläßt), Tourismus (Ausländer und Mainlander, wobei letztere gern ihr Geld dort lassen sollen, aber bitte selbst nicht kommen sollen, „diese Primitivos“) und Finanzen (dafür braucht man HK bald auch nicht mehr, denn ShangHai und ShenZhen haben sich ebenfalls zu internationalen Handelsplätzen entwickelt und werden es in Zukunft noch mehr tun, auch mit neuen liberaleren Regeln; in ShangHai und in Shenzhen wurden neue Experimentierzonen für künftige Reformen eröffnet);
  • als Nachbar von ShenZhen, das inzwischen 3-mal soviele Einwohner hat und auch im Bruttosozialprodukt HK längst überflügelt hat (ich weiß nicht, um welchen Faktor) und wirtschaftlich auf vielen satt gesunden Beinen steht (HighTech und middle-Tech), kann HK den jungen HKern, die “alle” arrogant sind und z.B. nur extrem ungern Mandarin lernen und es meistens schlecht sprechen, nicht viel bieten; nun kommt eine neue Angst dazu: unter Führung von ShenZhen werden sich die Städte am Perlflußdelta (u.a. DongGuan, GuangZhou, ZhongShan und ZhuHai) zu einer Riesenstadt zusammenschließen, HK und Macau sollen assoziiert werden; da wird HK nur eine Nebenrolle spielen, und das gefällt denengar nicht!

Alles in allem also zusätzlich zu den überwiegend richtigen Gedanken in den beiden Artikeln in dem Link: es sind wirtschaftliche Gründe (mangelnde Perspektive) und mangelhafte historische Kenntnisse gepaart mit vollkommen unangebrachter Arroganz, was die Proteste verursacht hat.

P.S.: Opiumkriege – warum gab es diese Kriege, die China damals verloren hatte und weshalb HK an die Briten gegeben wurde? Weil die Briten sauer waren, daß China ihnen verbieten wollte, die eigenen Chinesen mit Opium vollzuräuchern, die Chinesen unterbanden die Schmuggelei, weil sie nicht durch Opium weiter geschwächt werden wollten; das ist das gleiche, wie wenn sich z. B. Kolumbien heute das Recht herausnehmen würde, die USA zu überfallen1, weil die USA der Drogenmafia das Recht abspricht, die USA mit Drogen zu fluten … die Briten meinten damals, sie hätten das Recht, China zu vergiften, und als China aufmuckte, haben sie deren Truppen zusammengeschossen und sich HK einverleibt.

Nicht einverstanden bin ich mit einigen wenigen Aussagen, z.B.

„Südchina und auch HK sind eine Billiglohnregion geworden“

in HK wird kaum noch produziert, schon lange nicht mehr, geschweige denn billig, in Südchina (ShenZhen ist der Mittelpunkt davon!) gibt es immer weniger Billigproduktion, in SZ kaum noch, das, was es von Billigproduktion noch in China gibt (und nicht nach Vietnam o.ä. verlagert wurde), ist überwiegend in zentrale und westliche Regionen abgewandert

„Die Anziehungskraft Chinas als sozialistisches Modell dürfte aber für die Arbeiterschaft von HK kaum attraktiv sein. Insbesondere deshalb nicht, weil es den Arbeitern in der VR China kaum besser geht als in HK, die Wanderarbeiter in und aus China, die vermehrt auf der Suche nach Einkommen in die Region kommen, gehören zu den ärmsten Menschen in ganz China.“

falsch;

  1. es gibt so gut wie keine Arbeiterschaft in HK, außer Transport-, Hafen- und Lagerarbeitern, ok, und Bauarbeitern;
  2. die Arbeiter in China verdienen immer mehr, weshalb Billigproduktion abwandert
  3. Wanderarbeiter sind natürlich keine privilegierte Schicht unter den Menschen in China, aber wirklich arm sind sie auch nicht, sie schicken massiv Geld nach Hause (Zentral- und Westchina) – DORT sind die Leute noch arm! (ich habe diese Gegenden besucht, sie sind auch aufstrebend, aber es gibt dort noch sehr viel Armut); die Wanderarbeiter, die ich sehr viel in Shenzhen gesehen habe, hatten vergleichsweise ordentliche Wohn- und sehr akzeptable Arbeitsbedingungen, sie sind keineswegs Lumpenproletariat.

Freundliche Grüße! Dr. B. Weßling

P.S.: aus meinen Webseiten unten können Sie erkennen, was ich mache und warum / wie ich in China lebte.

bernhard-wessling.com
researchgate.net/profile/Bernhard_Wessling2


3. Leserbrief

Hallo,
 
Tolle, differenzierte, nüchterne Einschätzung. Ich selber stehe zwischen den Stühlen, weiß nicht, welche Position ich einnehmen soll. Die sozialen Zustände geben allen Grund für Protest. ABER… Ich hab gerade folgenden Artikel auf jungewelt gelesen:
 
jungewelt.de/artikel/361150.hongkong-h%C3%A4ngt-sich-ab.html
 
Da geht es um einen Yale-Studenten mit auffälligen Kontakten zu den üblichen Verdächtigen aus den USA, den zumindest die Junge Welt als einen der Anführer betrachtet.
 
Und dann muss man einfach mal weiter denken. Natürlich ist es so, dass niemand der üblichen Verdächtigen will (vor allem das Kapital aus den USA nicht), dass da auf einmal die Arbeiter die Regierung machen. Man muss aber auch wissen, wie die USA agieren, wie sie z.B. bei den Farbenrevolutionen agiert haben. Ich glaube durchaus oder kann es mir vorstellen, dass in den Ländern des sog. “arabischen Frühlings” erst Menschen mit ernsthaften Anliegen auf die Straße gegangen sind. Von Syrien weiß ich es. Bloß, dass diese Proteste so nach und nach von Leuten gekapert wurden, die zu 100 % Prozent die US-Agenda verfolgen (bing.com/images/search?q=isis+mccain). Auch da lag es mit Sicherheit nicht im Interesse der USA, dass dort auf einmal soziale Bewegungen einen Durchbruch erlangen. Deswegen ist es ja auch von so großer Bedeutung, dass sie sowohl lenkend als auch einheizend etc. auf jegliche Strömung einwirken können, sowie auch einfach nur über sämtliche Strömungen und Entwicklungen bestens informiert sind, mithilfe ihrer (a)sozialen Netzwerke. Ihre Strategie passt sich freilich örtlichen Gegebenheiten an (in Deutschland kommen für Unruhe eben Nazis am Besten in Frage).
 
Also man darf nicht den Fehler machen und den Protest der Straße mit jenen Zielen möglicher Drahtzieher gleichzusetzen. Dass das ein wenig abebbt oder es mal Anzeichen gibt, dass das Ganze doch eine andere Wendung nimmt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die USA immer mit einer vortrefflichen Inszenierung gearbeitet haben. Es kann unterschiedliche Gründe haben, wie z.B. dass es schlicht Verhandlungsmasse ist, so nach dem Motto “wenn Ihr nicht macht, was wir wollen, dann seht Ihr ja, wozu wir in der Lage sind, sprich was passiert”. Es kann auch mal sein, dass innerhalb der Protestbewegung einige Kräfte kaltgestellt werden müssen oder Entwicklungen stattfinden, die anderen Akteuren nicht passen, weil sie dann doch zu substanziell, zu sachorientiert sind und somit echte Ziele erreichen könnten.
 
Die Schwierigkeit ist freilich: welche Schlüsse zieht man am Ende trotzdem daraus. Da können ja einzelne Akteure falsche Absichten verfolgen. Das schmälert ja nicht unbedingt die Zustimmung zu etwaigen Protestgründen selbst. Was ich im Grunde am Schlimmsten dabei finde, ist, dass man möglicherweise bald gar nicht mehr sachorientiert auf die Straße gehen kann, weil es Akteure gibt, die das mit ihrer Agenda unterminieren und in eine ganz andere, ganz falsche Richtung schieben. Nicht zuletzt muss man vll. sagen, dass da aufrichtigen Menschen einfach vor einen falschen Karren gespannt werden.
 
Viele Grüße
R.A.


4. Leserbrief

Sehr geehrte liebe NachDenkSeiten!

Herzlichen Dank für Ihre Einordnung der „Proteste“ in Hongkong.

Es ist wider einmal hochinteressant, wie der WWG-Mainstream-Narrativ damit so gar nicht umzugehen weiß, weil da irgendetwas nicht in sein Weltbild paßt, z.B. hier: sueddeutsche.de/politik/hongkong-china-protest-kp-1.4567022?utm_source=pocket-newtab

Alle „Despotien“ zerbrechen, weil ALLE MENSCHEN auf der Welt rein gar nichts heißersehnter wollen als den totalen privatwirtschaftlichen Finanzkapitalismus, der ohne jede humanistische Regel, ohne jede ethische Verhaltensbremse und ohne jede gesellschaftliche Kontrollinstanz die Erde verwüstet, die Menschheit versklavt, sich über jede Fairneß hinwegsetzt, alles Vermögen von unten nach oben umverteilt, einer winzigen alten „Elite“ schamlos jede Macht zuschanzt etc. etc.

Wie man ja jetzt wieder sieht, wo Miilionen aufstehen, um das Joch der maoistischen Tyrannei, des pöhsen „Kommunismus“… – ach nee, Moment: WO veranstalten sie gerade den nächsten Maidan/Tahrir oder was auch immer? Das geht ja gar nicht gegen das pöhse Peking und gegen die pöhse KPC – das geht ja gegen die Heilige DEMOKRATIE und freie Fiat-HK-$ basierte Marktwirtschaft! Oje oje oje, Süddeutsche… Watt nu‘? Wie verklickern wir unseren zeitunglesenden Mittelständlern in der BRD denn jetzt bloß, daß Huawei das schlechthin Böse und die „Neue Seidenstraße“ eine Erfindung des Satans ist? Daß Autobahnen und Bahnstrecken in Afrika oder Flugplätze in McPomm widerwärtige kolonialistische Anmaßungen und Entrechtungen der Einheimischen darstellen? Und daß „die gelbe Gefahr“ immer noch am Jangtse sitzt und nicht auf den Köpfen von Trump und Johnson?

Herzlichst,
Ihr M.J.


5. Leserbrief

Lieber Herr Müller und Kollegen,
 
was Marco Wenzel da zu Hongkong geschrieben hat, ist ausgezeichnet (wünschte, ich wäre auch so fleißig).
 
Da ich ihn wahrscheinlich nicht persönlich kenne, aber wohl hier in Bangkok “um die Ecke” wohne, wäre ich Ihnen dankbar, ihm meinen Kommentar/Lob zu übermitteln.

Ich arbeite schon sein längerem mit/über Hongkong, jedoch nicht für Medien, halte mich daher für halbwegs kompetent, den Stoff zu beurteilen.
 
Mit Dank und tropischen Grüßen,
H. Rudolf
 
P.S.: Falls Sie oder Ihre Mitmenschen auch in einer Mietwohnung leben, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass u.a. Heizung- und Wasser- Verbrauch von der bekannten Service-Firma ISTA und ihren Mitarbeitern erfasst wird. Auch deren Geräte werden aktuell von mechanischen auf (W-Lan) elektronische fern-Ablesung umgestellt.
 
Der Bezug zu Hongkong? Ganz einfach: Li ka-shing, der reichste Mann Hongkongs (sein Sohn ist Boss der Handelskammer), hat die Fa. ISTA vor einiger Zeit komplett aufgekauft.

Mein Kommentar: alle reden von Huawei, Li ka-shing macht das diskreter. Die gute Nachricht: er ist wirklich kein Freund Pekings und wird unsere Daten bestimmt nicht dorthin verkaufen.


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