Es tut sich was in unserem Gesundheitswesen, schon lange, in kleinen, unmerklichen Schritten und immer in die gleiche beunruhigende Richtung: Es ist die Verwandlung der Humanmedizin in einen profitorientierten Industriezweig – auf Kosten der Patienten und des Allgemeinwohls. In das Gesundheitswesen hat unsere Gesellschaft bislang einen Teil ihres Reichtums investiert, zum Wohle aller. Nun wird das Gesundheitswesen zur Quelle neuen Reichtums für Investoren. Auf Basis seiner 40-jährigen Berufserfahrung als Chirurg hat Bernd Hontschik mit seinem Buch „Erkranken schadet Ihrer Gesundheit“ einen erschütternden Blick auf das Gesundheitswesen geliefert. Ein Auszug.
Was ist eigentlich so schlimm daran, wenn sich neuerdings immer mehr private Investoren im Gesundheitswesen tummeln? Innovative Konzepte, viel neues Geld und junge Nachwuchskräfte, die frischen Wind in die verkrusteten Strukturen bringen, das kann eigentlich nicht schaden. Es ist doch wirklich beeindruckend, wie beispielsweise private Klinikkonzerne den kommunalen Krankenhäusern immer wieder vormachen, wie man schwarze Zahlen schreibt, kaum dass sie die defizitären Einrichtungen übernommen haben. Gut, sie treten aus den Tarifverträgen aus und zwingen das Personal in sogenannte Notlagentarifverträge. Ja, sie sparen an Personalkosten und streichen Stellen, wo immer es geht. Und, ach, sie schließen defizitäre Abteilungen und kümmern sich nicht darum, ob medizinischer Bedarf für deren Leistungen besteht. Aber dafür renovieren sie die maroden Klinikbauten und stellen neue, moderne Funktionsgebäude daneben. Sie optimieren die Behandlungsabläufe, und die Zufriedenheit ihrer Kunden steht obenan – behaupten sie jedenfalls.
Das Gesundheitswesen hat sich gewandelt. Es ist eine Gesundheitsbranche entstanden. Die Gesundheitswirtschaft ist ein einträgliches Geschäft. Das beste Geschäft macht dabei schon immer die Pharmaindustrie. Da gibt es keine weißen Westen. Kein Wucher, keine Manipulation von Wissenschaft, keine Korruption gibt es, die sich die Pharmaindustrie noch nicht hat zuschulden kommen lassen. Das ist so allgemein bekannt, dass es eigentlich keine Erwähnung mehr wert ist.
Wäre da nicht Goldman Sachs. Sie erinnern sich: Goldman Sachs ist eine US-amerikanische Bank mit Hauptsitz in New York. Investmentbanking und Wertpapierhandel ist eigentlich ihr Hauptgeschäft, aber dabei hat die Bank es nicht belassen. Goldman Sachs hat Griechenland beim Betrügen geholfen, um der Euro-Zone beitreten zu können. Goldman Sachs soll Software-Diebstahl und Wertpapierbetrug begangen haben.
Goldman Sachs stellt die einflussreichsten Wirtschaftsberater von Donald Trump. Der EZB-Chef Mario Draghi war Vizepräsident von Goldman Sachs. Keine andere Bank hat so viele »Termine« bei der Bundesregierung wie Goldman Sachs. Und der bisherige Deutschland-Chef von Goldman Sachs wurde prompt beamteter Staatssekretär im Bundesfinanzministerium von Olaf Scholz.
Und nun hat Goldman Sachs seine Expertise einer Marktuntersuchung für die Pharmaindustrie zur Verfügung gestellt. Und was kommt dabei heraus, wenn Investmentbanker sich mit Gesundheit beschäftigen? Der interne Bericht mit der Überschrift »Die Genom-Revolution« nimmt als Beispiel ein Medikament gegen Hepatitis C, das mit Hilfe der Gentechnik entwickelt worden ist und »schon nach einer einzigen Anwendung Heilung bringen kann«. Und hier haben wir das Problem: Mit den Hepatitis-C-Medikamenten konnte 2015 ein weltweiter Umsatz von 12,5 Milliarden Dollar erzielt werden, aber schon 2018 waren es nur noch weniger als vier Milliarden. Denn das Medikament gegen Hepatitis C hat Heilungsraten von etwa 90 Prozent, wodurch der Pool von zu behandelnden Patienten immer kleiner wird, was wiederum die Neuinfektionen immer weiter reduziert. Also sinkt der Umsatz und somit auch der Gewinn. Das ist zwar ein Meilenstein in der Behandlung der Hepatitis, ein großartiger Erfolg für die betroffenen Patient*innen und ein enormer Wert für die Gesellschaft, gleichzeitig aber »eine große Herausforderung für die Entwickler der Gentechnik in der Medizin, die nach einem nachhaltigen Cash Flow streben«, sagt Goldman Sachs. Mit anderen Worten: ein miserables Geschäftsmodell. Von der Entwicklung solcher Medikamente sollte man Abstand nehmen, sagt Goldman Sachs. Stattdessen sollten sich die Auftraggeber lieber auf Medikamente konzentrieren, bei denen die Patientenzahl stabil, vielleicht sogar ansteigend sei, also beispielsweise auf Krebsmedikamente. Dann bliebe das Geschäft auch weiterhin gewinnbringend.
Und damit ist jetzt wohl allen klar, was so schlimm daran ist, wenn private Investoren das Gesundheitswesen übernehmen. Goldman Sachs sei Dank.
Bernd Hontschik: „Erkranken schadet Ihrer Gesundheit“, 160 Seiten, Westend Verlag 2019