Soziale Herkunft bestimmt Schulart
Oder: Wie sich dank der Mehrgliedrigkeit und inneren Beschaffenheit des Schulsystems soziale Ungleichheit reproduziert. Von Jens Wernicke
Bildungsreservenausschöpfung als Standortfaktor
„Nach Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte soll jeder – unabhängig von Alter, Geschlecht und sozialer Herkunft – Zugang zu Bildung haben. Vergleichsstudien wie PISA oder IGLU zeigen jedoch, dass Bildungserfolg und Bildungsbeteiligung von der sozialen Herkunft der Kinder abhängen.“
So beginnt die Zusammenfassung einer aktuellen Sonderauswertung der Ergebnisse des Mikrozensus zum „Sozioökonomischen Status von Schülerinnen und Schülern 2008 [PDF – 208KB]“, die in Ausgabe 2/20101[1] der Schriftenreihe „Wirtschaft und Statistik“ (S. 138 – 149) des Statistischen Bundesamtes veröffentlicht wurde. Die Studie der Sozialwissenschaftlerin Daniela Nold geht von der Prämisse aus, dass das „Ausschöpfen von Bildungsreserven von großer Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft“ sei, da, „Innovation und Fortschritt entscheidende Faktoren der Wettbewerbsfähigkeit“ (S. 138) seien[2]. So reden zwar oft auch die Regierungen hierzulande, gleichzeitig wird üblicherweise aber behauptet, dass ein Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und dem Besuch einer Schulart eigentlich nicht bestünde und es jedenfalls keine entsprechenden empirischen Daten gäbe bzw. geben könne[3].
Die amtliche Repräsentativstatistik Mikrozensus bestätigt die soziale Selektivität des Bildungssystems
Anders die Autorin dieses Textes. Ihr Fazit lautet:
„Die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen dem sozioökonomischen Status der Schülerinnen und Schüler und der Art der besuchten Schule zeigt deutliche Abhängigkeiten und bestätigt die vorab dargelegten Thesen und Erkenntnisse anderer Studien über soziale Disparitäten im Bildungswesen. (…) Während Realschulen und Berufsschulen eher ausgeglichene Anteile an Schülerinnen und Schülern aus allen sozialen Schichten aufweisen, sind große Unterschiede vor allem zwischen Hauptschulen sowie Einrichtungen des Übergangssystems einerseits und Gymnasien andererseits zu beobachten. Ähnliche Muster finden sich auch bei der Betrachtung des Migrationshintergrundes. Die durchgeführten Analysen zeigen deutlich, dass die Art der besuchten Schule vom sozioökonomischen Hintergrund sowie vom Migrationshintergrund der Schülerinnen und Schüler abhängt und dass sich die soziale Zusammensetzung der Schülerschaft zwischen den unterschiedlichen Schularten deutlich unterscheidet. […] Soziale Ungleichheiten reproduzieren sich über Generationen hinweg und die Humanressourcen der Gesellschaft werden nicht in optimaler Weise entwickelt und genutzt“ (S. 148 f.).”
Bezogen auf das gesamte Bundesgebiet stellt die Autorin fest, dass bundesweit 24 Prozent der Schülerinnen und Schüler an Grundschulen aus finanziell armen Verhältnissen stammen; an Hauptschulen liegt diese Quote bei knapp 37 Prozent und an Gymnasien bei nur 16,2 Prozent (Tabelle 8, S. 146). Es bildet sich also in der Mikrozensus-Sonderauswertung Folgendes ab: Hauptschulen besuchen überdurchschnittlich viele Kinder aus armen Elternhäusern, an Gymnasien sind diese Kinder hingegen stark unterrepräsentiert.
Die Chancen der einen…
Exemplarisch ergibt eine Detailauswertung für das Bundesland Hessen, die dem Autor vorliegt, dabei folgendes Bild:
Schülerinnen und Schüler, deren Eltern einen Volks- oder Hauptschulabschluss haben, machen 20,4 Prozent der Gesamtheit hessischer Schülerinnen und Schüler aus. Während sich dieser Anteil in der Grundschule mit 18,2 Prozent der dortigen Schülerinnen und Schüler noch widerspiegelt, ändert sich dies nach der Grundschule massiv: Sage und schreibe 40,7 Prozent der Hauptschülerinnen und Hauptschüler sowie gerade einmal 9,2 Prozent der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten haben Eltern mit Volks- respektive Hauptschulabschluss. Kinder, deren Eltern einen Volks- bzw. Hauptschulabschluss haben, besuchen also doppelt so häufig eine Hauptschule und nur halb so häufig ein Gymnasium wie es ihrem Anteil an der Gesamtheit entspricht.
…sind das Spiegelbild der Chancen der anderen
Kinder, deren Eltern über Fachhochschul- oder Hochschulabschluss verfügen, machen 39,6 Prozent an der Gesamtheit der Schülerinnen und Schüler aus; ihr Anteil an den der Grundschülerinnen und Grundschüler liegt bei 44,1 Prozent. Der Anteil auch dieser Gruppe der Kinder in der Grundschule entspricht also in etwa ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung. Auch hier ändert sich nach der Grundschule das Bild jedoch schlagartig: 59 Prozent der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten und nur 12 Prozent der Hauptschülerinnen und Hauptschüler haben Eltern mit diesem Bildungshintergrund. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder von Eltern mit einem Hochschulabschluss ein Gymnasium besuchen, liegt also etwa fünfzig Prozent über Durchschnitt, während die Wahrscheinlichkeit, dass diese Kinder auf die Hauptschule gehen, bei nur etwa einem Drittel des Durchschnitts liegt.
Kinder mit armer bzw. „bildungsferner“ Herkunft gehen in Hessen also etwa sechsmal so wahrscheinlich auf eine Hauptschule wie solche aus einem Akademikerhaushalt und letztere dreimal so wahrscheinlich aufs Gymnasium wie erstere.
Während aus der bundesweiten Gesamtheit von Schülerinnen und Schülern 9,1 Prozent der sozialen Risikogruppe (beide Elternteile oder Alleinerziehende: erwerbslos oder Nichterwerbsperson), 12,4 der kulturellen Risikogruppe (beide Elternteile oder Alleinerziehende: höchster schulischer und/oder beruflicher Abschluss unter ISCED 3) und 23,6 Prozent der ökonomischen Risikogruppe (weniger als 60 Prozent des Familienäquivalenzeinkommens) angehören, sind es an Hauptschulen alsdann 15,6 Prozent der Schülerinnen und Schüler, die der sozialen, 26,9 Prozent, die der kulturellen, und 37 Prozent, die der ökonomischen Risikogruppe angehören.
Hessen steht weit schlechter da als der Bundesdurchschnitt: Ganze 21,7 Prozent aller hessischen Hauptschüler werden der Gruppe mit einem hohen sozialen Risiko, 35 Prozent der Gruppe mit einem hohen kulturelles und 45,4 Prozent der Gruppe mit einem hohen materielles Risiko qua Lebens- und Familiensituation zugerechnet. Die armen, sozial und kulturell benachteiligten Kinder und Jugendlichen werden zwar deutschlandweit „in die Hauptschulen kanalisiert“. Das Land Hessen ist hierbei aber deutlich „effizienter“ als der Bundesdurchschnitt.
Konservativ-liberale Erklärung ist „Klassenrassismus“
Wenn solche Befunde seitens der herrschenden Politik oder vorherrschenden Wissenschaftsansätze überhaupt zur Kenntnis genommen werden, so endet an dieser Stelle üblicherweise bereits die „Analyse“. Die soziale Aufteilung der Bildungschancen für Kinder und Jugendliche wird in der Regel als „naturwüchsig“ weil genetisch bzw. biologisch determiniert interpretiert und gerechtfertigt. Das Erklärungsmuster lautet dann: Dumme Eltern kriegen eben dumme Kinder, kluge Eltern hingegen kluge – qua „Begabung“, die sich vererbt. Schluss. Nicht nur, aber auch der FDP-Politiker Daniel Bahr brachte diese spezielle Lesart sozialer Ungleichheit einmal auf den Punkt[4], indem er sagte: “In Deutschland kriegen [schlicht] die Falschen die Kinder”.
Die soziale Aufteilung, welche das Bildungssystem qua Form und Funktionalität de facto erst generiert, werden also einfach mittels des Denkmusters von „Eignung“ und „Begabung“ erklärt – und damit gleichzeitig legitimiert. Soziale Selektion, strukturelle Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen mit nicht-„bürgerlicher“ Herkunft, aus ärmeren Verhältnissen, mit anderem kulturellen Hintergrund – all das gibt es für solche Leute oftmals nicht.
Schuld an der Ungleichheit im vermeintlich „begabungsgerechten“ mehrgliedrigen Schulsystem sind dann die Benachteiligten selbst: Sie sind zu dumm oder unbegabt und daher für ihr Scheitern am Bildungsaufstieg selber schuld – das war`s.
Der französische Soziologe Pierre Bourdieu spricht diesbezüglich zu Recht von einer Art »Klassenrassismus« […], der es den Herrschenden seit Jahrhunderten ermöglicht, sich selbst bar jeder Grundlage als Wesen höherer Art und Wertigkeit zu begreifen und die von ihnen Beherrschten als ›dummes Pack‹ anzusehen“[5]: Statt sich selbst als Nutznießer einer willkürlichen gesellschaftlichen Ordnung zu begreifen, die sie qua Struktur wie Inhalt stets aufs Neue privilegiert, inszenieren sie sich als qua Geburt und Leistung „Besondere“ und legitimieren hierdurch auch und vor allem die soziale und materielle Deklassierung der „restlichen“ Bevölkerung, welche die breite Mehrheit ausmacht.
Kritik der Begabungsideologie als notwendige Voraussetzung für gesellschaftliche und bildungspolitische Erneuerung
In der durchaus gängigen Alltagsvorstellung und jenen wissenschaftlichen Lehren, die solche Alltagsvorstellungen bedienen, ist “Begabung” dabei eine nicht weiter rückführbare natürliche, also angeborene Disposition, die zur Entäußerung besonderer Leistungen auf dem Feld dieser Begabung befähigt. Im Unterschied zu Leistungen, die auf der Beobachtungsebene liegen, ist “Begabung” ein Konstrukt, das zur Erklärung von beobachteten Leistungen herangezogen wird. Begabung ist also nicht etwas, das man beobachten kann, sondern etwas, mit dem man Beobachtetes deutet, interpretiert, erklärt.
Das Zirkuläre dieses Denkens liegt darin, dass von einer bestimmten Leistung unvermittelt auf eine bestimmte Begabung geschlossen wird, diese Begabung aber wiederum als Ursache der Leistung genommen wird. Andersherum: Den Begabungsbegriff zu problematisieren, schließt keineswegs notwendig ein, Leistungsunterschiede zu leugnen. Problematisiert werden damit allein die wissenschaftliche Dignität und die gesellschaftliche Funktionalität einer biologisch-genetischen Erklärung von Leistungsunterschieden. Die Funktion dieser Erklärung besteht in der Naturalisierung von Unterschieden und der damit erleichterten Sortierung von Individuen. Deswegen ist dieses Denken auch so reaktionär wie unwissenschaftlich: Mit einem Rückgriff auf Begabungsunterschiede wird jedes wissenschaftliche Weiterfragen nach Gründen von Leistungsunterschieden aufgrund einer dogmatischen, d.h. selbst nicht wissenschaftlich begründbaren , Vorentscheidung abgeschnitten.
Allen Untersuchungen zum Trotz ist es dabei bis heute nicht gelungen, “Begabung” unabhängig von beobachtbaren Leistungen bzw. Leistungsunterschieden empirisch zu verifizieren. Über eine diesbezügliche menschliche Naturgrundlage lassen sich deshalb nur gattungsallgemeine Aussagen machen.
Insofern enthält die Aussage Charles Bukowskis, der gesagt haben soll: “Die meisten Menschen werden als Genies geboren, aber als Idioten beerdigt”, eine wissenschaftlich fruchtbarere und gesellschaftlich fortschrittlichere Fragestellung als das, was bildungspolitisch von vielen Liberalen und Konservativen derweil zur Verteidigung des dreigliedrigen Schulsystems in Stellung gebracht wird. Sie stellt aber zugleich auch eine pointierte Kritik des skizzierten „klassenrassistischen“ Bildungsverständnisses dar: Mittels der Struktur des Schulsystems wird einem großen Teil der Kinder und Jugendlichen ihr Potential, ihre Neugier, ihre Chance auf Erwerb weitgehender, qualitativ höherwertiger Bildung, im Sinne Bukowskis also ihre „Genie“ genommen bzw. die Entwicklung desselben unmöglich gemacht – und den dann „Abgehängten“ später vorgeworfen, sie selbst trügen hierfür die Verantwortung.
Das Ganze ist das Unwahre
Tatsächlich jedoch gilt, was Bourdieu in seinem geistreichen Buch „Wie die Kultur zum Bauern kommt“ (S. 39) so pointiert formuliert:
“Von unten bis ganz nach oben funktioniert das Schulsystem, als bestünde seine Funktion nicht darin auszubilden, sondern zu eliminieren. Besser: in dem Maß, wie es eliminiert, gelingt es ihm, die Verlierer davon zu überzeugen, dass sie selbst für ihre Eliminierung verantwortlich sind. Indem das Schulsystem alle Schüler, wie ungleich sie auch in Wirklichkeit sein mögen, in ihren Rechten und Pflichten gleich behandelt, sanktioniert es faktisch die ursprüngliche Ungleichheit gegenüber der Kultur. Die formale Gleichheit, die die pädagogische Praxis bestimmt, dient in Wirklichkeit als Verschleierung und Rechtfertigung der Gleichgültigkeit gegenüber der wirklichen Ungleichheit in Bezug auf den Unterricht und der im Unterricht vermittelten oder, genauer gesagt, verlangten Kultur.“
Dass die formale Struktur des dreigliedrigen Schulsystems für eine sozial selektive Verteilung der Schülerinnen und Schüler auf Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien sorgt ist hierbei allerdings nur ein Teil des Problems. Das „Ganze“ jedoch, im Sinne Adornos das Unwahre, gilt es immer wieder herauszuarbeiten, zu betonen und kritisieren: Es ist die Ideologie vom „nationalen Wettbewerbsstaat“ und seiner Logik, die Kinder und Jugendliche nur noch als Produktivkräfte und deren Wissen als Standortvorteile im internationalen Wettbewerb zu klassifizieren. Diese Ideologie bedient sich „klassenrassistischen“ Vorurteilen von einer biologischen, genetischen und/oder natürlichen Determiniertheit der Verteilung vermeintlicher Dummheit und Klugheit im Lande, die de facto wiederum nur die Verteilung von Armut und Reichtum auf viele bzw. wenige legitimiert.
Dass Kinder armer Herkunft in der Regel keine gesellschaftlich anerkannten „Genies“ werden, liegt gerade nicht an deren mangelnder Motivation (wie dies bspw. Initiativen wie „Teach First“ oder in Teilen auch „Arbeiterkind“ suggerieren und kolportieren), und auch nicht an einer natürlichen „Begabung“ oder „Eignung“, sondern vor allem daran daran, dass die Oberen in einer pyramidenförmig organisierten Gesellschaft ihren gesellschaftlichen Rang und den ihres Nachwuchses verteidigen und die mit ihrer sozialen Stellung verbundenen Privilegien niemals freiwillig zur Disposition stellen oder einem wirklichen Leistungswettbewerb aussetzen wollen. Insofern sind auch die meisten aktuellen Debatten über „Reformen“ des Bildungswesens kritisch zu sehen, wenn diese nicht zumindest auch die „Leistungen“ der im Bestehenden Bildungs(un)wesen Erfolgreichen, aus denen sich in der Regel eben die Eliten in Wirtschaft und Politik rekrutieren, problematisieren. Will sagen: Die Entscheider im Lande, sind die, die sich in der Regel für etwas „Bessres“ weil „leistungsfähiger“ halten; solange dieses Denken nicht in Frage gestellt wird, reproduziert sich die soziale Selektivität und Entmündigung, also der „Klassenrassismus“ im Sinne Bourdieus immer wieder aufs Neue.
So „kommt es [dann dazu], dass – für die spezifischen kulturellen Erbschaften einzelner gesellschaftlicher Klassen oft blind – die politischen Kämpfe zwischen mutmaßlich ‚linken’ (egalitären) und ‚rechten’ (marktliberal-konservativen) Kräften bildungspolitisch zwar auf Verschiedenes abzuzielen meinen, in ihrer unfaire Bedingungen reproduzierenden und konservierenden Wirkung jedoch nur zwei Seiten einer Medaille sind: Die Infragestellung bspw. der universitären Hierarchien mit dem Argument der Demokratisierung und die Verteidigung eben dieser mit dem Argument der Qualität der Lehre, bilden de facto ein Kräftepaar, das in Bezug auf das, was das Wesentliche am Bildungssystem ist – nämlich die Produktions- und Vermittlungsweisen von Wissen und Wissenschaft – den Status quo zementiert. Die – ‚politische’ – Frage ist schlicht falsch gestellt, der Kampf wird auf dem falschen Felde geführt. Oder um es anders auszudrücken: Wo die fundamentale gesellschaftliche Funktion des Bildungswesens die Verteilung einer Vielzahl von Arbeitskräften auf stets nur wenige hohe, einige mittlere und endlos viele niedere gesellschaftliche Positionen ist, fruchten rein formal daherkommende Forderungen nach ‚sozialer Öffnung’ der [Schulen und] Hochschulen, wie sie [seit ehedem] von Studierendenverbänden [allzu oft] erhoben werden, wenig. Denn selbst wenn man dieselben für doppelt so viele Kinder aus der beherrschten Klasse öffnete, würden diese ob des dort gültigen Systems kultureller Blindheit und Benachteiligung in der Regel doch (nur wieder) zu Verlierern gemacht.“ [6]
Um nicht missverstanden zu werden: Die Öffnung des Bildungssystems ist eine zentrale Voraussetzung, wenn die Segmentierung der Gesellschaft überwunden werden soll. Sie ist jedoch keineswegs hinreichend Durchlässigkeit und Chancengleichzeit herzustellen, da die sozioökonomische Verteilung von Macht und Einkommen eben nicht an Schulen und Hochschulen entschieden wird, wie man uns immer wieder weiszumachen versucht.
Oder, wie Bourdieu es in „Die feinen Unterschiede“ formuliert:
„Das Auseinanderklaffen zwischen den vom Bildungssystem genährten Hoffnungen und Erwartungen auf der einen, den Chancen, die es in Wirklichkeit anbietet, auf der anderen Seite, ist in einer Phase der Inflation von Titeln ein strukturelles Faktum, das graduell verschieden je nach Seltenheitsgrad der Titel und ihrer sozialen Herkunft alle Angehörigen einer Schulgeneration in Mitleidenschaft zieht. Die bloße Tatsache, im weiterführenden Schulwesen Fuß gefaßt zu haben, läßt die neu aufgerückten Klassen von diesem [fälschlicherweise] erwarten, was es früher, als sie noch praktisch ausgeschlossen waren, tatsächlich auch erfüllte.“
Danksagung: Viele Gedanken und Impulse zur Kritik am Begabungsbegriff sind Artikeln und Schriften von Prof. Dr. Morus Markard[7] entnommen, der dem geneigten Leser und der geneigten Leserin unbedingt zur Lektüre weiterempfohlen wird.
[«2] Der „nationale Wettbewerbsstaat“ – vgl. unter anderem: Nadir.de [PDF – 726KB] – sowie ein Verständnis von Bildung als „Humankapital“ – vgl. unter anderem: Studis-online – lassen lauthals grüßen.
[«3] vgl. hierzu insbesondere Starweb.hessen.de [PDF – 1.6MB] sowie die Landtagsdebatte zum Thema, im Internet veröffentlicht unter: Starweb.hessen.de [PDF – 1.3MB]. In dieser vertritt bspw. Alexander Bauer (CDU) zum Thema einer Großen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. im Hessischen Landtag bezüglich unter anderem der „Verteilung von Armut auf Schulformen in Hessen“ (Frage 21) – die Landesregierung antwortet: „Bezüglich der Verteilung von Armut und Schulformen in Hessen liegen, soweit bekannt, keine (amtlichen) statistischen Auswertungen vor.“ – folgende Position zum Thema: „Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Sich mit Anträgen oder Anfragen der linken Partei zu beschäftigen, hat immer seinen eigenen Reiz. Freunde einfacher Weltbilder werden dort stets bestens bedient. Auch die vorliegende Große Anfrage zur Lernmittelfreiheit zeigt die Ideologie der Antragsteller. Erstaunlich ist z.B. immer wieder, mit den Vorstellungen der LINKEN hinsichtlich Datenerhebung des Staates konfrontiert zu werden. Meine Damen und Herren der LINKEN, zur Erledigung Ihres Anliegens bedarf es eines Meldewesens, das dafür sorgt, dass jede von Lehrkräften erstellte und an Schüler verteilte Kopie, jedes von Schülerseite zu führende Arbeitsbuch für den Fremdsprachenunterricht, jeder im Kunstunterricht oder zu Hause verwendete Pinsel erfasst werden, eines Meldewesens, das dafür sorgt, dass jede Leihgebühr der Schulbibliotheken, die in die Zuständigkeit der Schulträger fallen, nach Wiesbaden weitergemeldet wird. Meine Damen und Herren, das existiert nicht, und das wird mit uns auch nicht existieren. […] Auf solche Ideen kann man nur kommen, wenn man sich ein vor 20 Jahren zu Grabe getragenes Staatswesen zum Vorbild nimmt. In Ihrer Rechnung kommt die Freiheit nicht vor, und deshalb geht Ihre Rechnung auch nicht auf.“ Mario Döweling (FDP) formuliert es anders: „Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss schon sagen: So oft wie bei der Lektüre dieser beiden Anfragen habe ich selten den Kopf schütteln müssen und mir selten solche Anmerkungen machen müssen. Kollege Merz hat es ganz feinsinnig ausgedrückt: Sie gehen hier von einer gewissen Prämisse aus – sagte er –, die Ihren Fragen zugrunde liegt. […] Zum einen kann die Landesregierung diese Daten gar nicht vorrätig haben; zum anderen sollten Sie vielleicht einmal eine andere Adresse fragen. Es wurde schon angesprochen: Vielleicht wäre eine Schulträgerabfrage der richtige Weg. Wenn Sie sich beklagen, die Landesregierung antworte darauf nicht, so kann das wirklich nicht der richtige Weg sein.“
[«4] Tagesschau