Die Klimaaktivistin Greta Thunberg war die Tage im Hambacher Forst. Dort haben (Zehn-)Tausende gegen die weitere Abholzung eines Waldes gekämpft, gegen die Fortsetzung des Braunkohleabbaus und mit ihren Kämpfen immerhin einen Stopp der Rodungsarbeiten erwirkt. Greta Thunberg kam also zu Besuch und es hätte genug Gründe gegeben, noch einmal daran zu erinnern, mit welchem Irrsinn und welcher Brutalität daran festgehalten wird, die Profite des Energiekonzerns RWE zu bedienen. Das wäre also eine gute Gelegenheit gewesen, am Ort des Geschehens Revue passieren zu lassen, wie ernst man es in diesem Lande mit der „Energiewende“ meint. Eine solche Berichterstattung würde auch der Presse gut zu Gesicht stehen. Von Wolf Wetzel.
Stattdessen hat sie bei dem Besuch von Greta Thunberg im Hambacher Forst nur eines entdeckt: Etwas ganz Schlimmes, etwas, was gar nicht geht und worüber man sich endlich so richtig aufregen und gar nicht mehr einkriegen kann. Im Kreise der BesucherInnen befand sich doch tatsächlich eine Aktivistin, die ihr Gesicht vermummt hatte. Sofort wusste man, worauf es bei dieser Begegnung ankommt:
„Vermummte führt Klima-Kids durch besetzten Wald“
(BILD vom 14.8.2019)
„Greta Thunberg: Wirbel wegen Foto mit Vermummten – Vater äußert sich rigoros.“
(Merkur vom 14.8.2019)
In großer Freiheit hat es also das Gros der Presse einmal mehr geschafft, das eigentliche Thema, den zum Greifen nahen Irrsinn der Klima- und Wirtschaftspolitik der Großen Koalition zum Verschwinden zu bringen. Das Bild mit Greta und der Vermummten lieferte die Munition und zahlreiche Politiker, die mit diesem Irrsinn groß und wohlhabend wurden, luden damit ihre Revolver und schossen wild um sich. Auf einmal wussten sie ganz sicher, wo wir hier leben, was sich gehört und was hier nichts zu suchen hat. So wusste der NRW-Innenminister Reul gegenüber Bild zu berichten:
„Wir leben in Deutschland aber zum Glück nicht in einer Diktatur, sondern in einem demokratischen Rechtsstaat. Bei uns gibt es wirklich keinen Grund, sein Gesicht zu vermummen – es sei denn, man hat etwas zu verbergen.“
Auch Joachim Lenders, der Vize-Chef der deutschen Polizeigewerkschaft, beteiligte sich an der Standortbestimmung: „Man lebe ‚nicht in einem autoritären Regime wie in Russland oder der Türkei.‘ Im Gegensatz zu diesen Ländern würden in Deutschland politische Aktivisten nicht unrechtmäßig verfolgt.‘ (Merkur vom 1.8.2018)
Baden-Württembergs Innenminister und CDU-Bundesvize Strobl sekundierte sogleich:
„Wer für etwas einstehen möchte, sollte das nur für solche Dinge tun, für die er mit seinem echten Namen, seiner echten Identität, mit seinem Gesicht einstehen kann.“
Da wollte auch der FDP-Vize und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki mit Erleuchtung nicht sparen:
„In einer offenen Gesellschaft, die auf Transparenz ausgerichtet ist, begegnen wir uns mit offenem Visier. Vermummung hat jedenfalls in Deutschland nichts mit Freiheit zu tun.“
Man möchte ihnen allesamt zurufen: Dann leben wir eben nicht mehr in einem Rechtsstaat. Denn es ist doch mittlerweile zur Routine geworden, dass man Polizeibeamte fast nur noch vermummt zu Gesicht bekommt, gerade wenn es um Einsätze geht, in denen „Übergriffe“ durchaus einmal (oder auch mehrmals) vorkommen und eine Strafverfolgung in der Regel dadurch verhindert wird.
Und was hat es mit den jetzt so vehement eingeklagten „echten Namen“, mit dem Ruf nach „echten Identitäten“ auf sich? Seit Jahren werden wir im NSU-1.0- bis NSU-2.0-Komplex mit Aliasnamen, mit Decknamen und vermummten Akteuren konfrontiert, die als V-Leute oder V-Mann-Führer agieren. Die seit Jahren erhobene Forderung, Gesicht zu zeigen und eine sichere Überprüfung der Identität zu ermöglichen, wird genau von jenen blockiert und verhindert, die nun plötzlich erkennen, dass Vermummung „nichts mit Freiheit“ zu tun hat!
Die Demaskierung der Gesichtswahrer
Erfreulich und besonders zu würdigen sind in diesem Kontext die Bemerkungen des baden-württembergischen Datenschutzbeauftragten Stefan Brink. Auf Twitter widersprach der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit den aufgebrachten Politikern:
„Nicht die Vermummung bedarf der Legitimation, sondern die Demaskierung. In einer idealen Welt kann jeder sein Gesicht zeigen – in unserer gibt es viele gute Gründe, das nicht zu tun. Leider.“
Daraufhin ereilte auch ihn die Kritiklawine.
„Die Frage ist nicht, ob wir uns vermummen“, sagte er auf Nachfrage. „Sondern ob jemand von uns verlangen kann, dass wir unser Gesicht zeigen. Die Antwort heißt ganz eindeutig nein.“ Man könne als freier Bürger selbst entscheiden, wo man sein Gesicht zeige und wo es Gründe gebe, das lieber nicht zu tun – etwa, wenn Ärger mit dem Arbeitgeber droht. „Sich zu vermummen und zu verhüllen, ist ein Schutz in dem Fall.“
Nur in einem ganz schmalen Bereich von Demonstrationen gebe es ein Vermummungsverbot, sagte Brink. „Aber wir dürfen uns vermummen, wenn wir in der Fußgängerzone einkaufen gehen und wir dürfen uns auch im Internet vermummen“. (Streit um vermummte Aktivistin bei Thunberg-Besuch, ND vom 13.8.2019)
Und dann spielte er den Ball noch einmal zurück in die Reihe der ach so Transparenten:
„Diejenigen, die nun dafür starke Worte finden, dass Bürger mit offenem Antlitz antreten, sind dieselben, die gegen die Kennzeichnungspflicht der Polizei eintreten.“
Ab 500.000 Euro ist Vermummung ein profitables Geschäftsmodell
Es gehört seit Jahrzehnten zum Geschäftsmodell fast jeder Bank und fast jeder Investmentfirma, ihren (super-)reichen Kunden anzubieten, ihr Geld zu anonymisieren und so vor jedem Zugriff zu schützen. Die Praktiken der Vermummung für dieses Geschäftsmodell sind einfach und werden seit Jahrzehnten – ohne jeden Verfolgungsdruck – verfeinert.
Die schlichteste Variante sind „Nummernkonten“, die die wahre Identität des Kontoinhabers verschleiern. Nur die Bank kennt den echten Namen des Kontoinhabers und gibt diesen gegenüber niemandem preis. Das nennt man dann Bankgeheimnis und feiert es. Die Schweizer Banken sind auf diese Weise sehr, sehr reich und beliebt geworden – unter den Reichen.
Aber es gibt auch aufwendige Konstruktionen, für die wohlhabende Kunden gerne auch ordentlich bezahlen. Man gründet eine Stiftung und verschachtelt das Geld der Kunden so lange, bis es keine Möglichkeit mehr gibt, die „Gönner“ namentlich zu ermitteln. Obwohl es allgemein bekannt ist, dass an diesem anonymisierten Geld nicht selten Blut klebt, Geld, das mit Verbrechen verdient wurde, ist der Ruf nach einem „Vermummungsverbot“ so laut wie der Ruf einer Taubstummen.
Gesicht zeigen. Wie lächerlich ist dieser Aufruf doch, wenn ihn jene machen, die bis zum heutigen Tag dafür sorgen, dass wirkliche Verbrechen schwer bis gar nicht verfolgt werden (können).
Titelbild: Screenshot Twitter