Robert Habeck und der Schutz der Handelswege – von welchen deutschen Schiffen ist hier eigentlich die Rede?

Robert Habeck und der Schutz der Handelswege – von welchen deutschen Schiffen ist hier eigentlich die Rede?

Robert Habeck und der Schutz der Handelswege – von welchen deutschen Schiffen ist hier eigentlich die Rede?

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Am Wochenende stimmte nun auch der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck in den bellizistischen Katzenjammer ein, dass Deutschland die Handelswege „seiner“ Schiffe im Persischen Golf im Zweifel auch militärisch sichern müsse. Ähnlich lautende Forderungen gab es zuvor auch vom BDI. Dies ist problematisch, da das internationale Seerecht eine solche „Schutzmission“ ohne völkerrechtliches Mandat gar nicht vorsieht. Hinzu kommt ein Punkt, den vor allem die deutschen Reeder gerne bagatellisieren – die „deutsche Schiffe“, um die es hier geht, sind völkerrechtlich gar nicht „deutsch“. Dies ist eine Folge der Ausflaggungspraxis. Wer die Flagge wechselt, um Steuern zu sparen und seine Mitarbeiter besser ausbeuten zu können, hat auch das Recht verspielt, diplomatischen oder gar militärischen Schutz zu verlangen. Robert Habeck scheint dies anders zu sehen. Von Jens Berger.

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Die „deutsche Handelsflotte“ umfasst zur Zeit 2.051 Schiffe, von denen jedoch nur 305 auch wirklich unter deutscher Flagge fahren. 1.746 Schiffe deutscher Reeder fahren unter fremder Flagge. Besonders beliebt sind die Flaggen Antiguas und Liberias, die 554 bzw. 506 Schiffe deutscher Reeder schmücken. In Antigua oder Liberia muss übrigens kein deutscher Reeder vorstellig werden, um seine Schiffe auszuflaggen. Das Schifffahrtsregister Antiguas ist im niedersächsischen Oldenburg beheimatet, das liberianische Schifffahrtsregister residiert in Reston, im US-Staat Virginia. In Zeiten des Internets und global agierender Anwaltskanzleien gehört das Ausflaggen zum tagtäglichen Geschäft großer Reedereien. Dennoch ist dieser Trend vergleichsweise jung.

Der Hauptgrund für die Ausflaggung ist die im Seehandel oft komplizierte Ermittlung und Zuordnung der wirtschaftlichen Gewinne. Schiffe sind qua Gesetz Territorium des Staates, unter deren Flagge sie fahren und müssten zumindest theoretisch auch in diesem Staat Steuern auf die erzielten Gewinne abführen. In der Praxis verhinderten jedoch die deutschen Finanzämter lange diese „Scheingeschäfte“. Der Startschuss für das große Ausflaggen deutscher Handelsschiffe fiel im Jahre 1999. Damals gab die rot-grüne Bundesregierung den Lobbyforderungen der Reeder nach, indem sie die Tonnagesteuer einführte. Bei der Tonnagesteuer entfällt die Besteuerung auf die tatsächlichen Gewinne aus dem Reedereigeschäft und wird durch eine – lächerlich geringe – Pauschalsteuer ersetzt, die sich auf die Tonnage der Schiffe bezieht. De facto stellt dies eine massive Steuersubvention für die Reeder und vor allem für die vermögenden Investoren dar, die sich über geschlossene Fonds an Schiffen beteiligen und deren Gewinne dank der rot-grünen Steuerreform nahezu steuerfrei sind.

Neben der weitestgehenden Steuerbefreiung ist das Unterlaufen deutscher oder europäischer Sicherheits- und Arbeitsstandards ein Hauptmotiv für die Ausflaggung. Das fängt bei der Rentenversicherung und der Krankenversicherung an, geht beim Urlaubsanspruch und den Sozialleistungen weiter und endet bei berufsgenossenschaftlichen und arbeitsrechtlichen Regelungen. Für einen Seemann auf einem deutschen Schiff unter liberianischer Flagge gelten die Gesetze und Vorschriften Liberias.

Völkerrechtlich ist die in Deutschland so populäre Ausflaggung jedoch ein einziger Graubereich. Auch wenn die Ausflaggung deutscher Schiffe gängige Praxis ist, so heißt dies nicht, dass sie damit auch legal ist. Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen sieht vor, dass jedes Schiff in dem Staat registriert sein muss, von dessen Hoheitsgebiet aus es betrieben wird. Um die offensichtliche Verletzung des Seevölkerrechts zu umgehen, nutzen die Reeder mit tatkräftiger Unterstützung des Bundesverkehrsministeriums eine „Gesetzeslücke“, die aus Zeiten stammt, in denen es den deutschen Reedern tatsächlich nicht gut ging. Paragraph 7 des Flaggenrechtsgesetzes gestattet eine auf maximal zwei Jahre befristete Ausflaggung, wenn das Schiff an einen ausländischen Betreiber verliehen wird. Diese “Bareboat-Charter” war jedoch als Ausnahmeregelung für wirtschaftlich angeschlagene Reedereien gedacht. Aus der Ausnahme wurde jedoch die Regel – obgleich es den deutschen Reedereien wirtschaftlich prächtig geht, wurde in den letzten Jahren kein einziger diesbezüglicher Antrag abgelehnt. Interessanterweise interpretieren die deutschen Finanzämter die „Bareboat-Charter“ bei der Einkommensteuererklärung deutscher Seeleute gänzlich anders. Die sind nämlich nicht in Antigua oder Liberia, sondern in Deutschland steuerpflichtig, da die Finanzbehörden hier die „Bareboat-Charter“ als „offensichtliches Scheingeschäft“ einordnen. Man kennt es ja: quod licet Iovi, non licet bovi.

Besonders interessant wird die Ausflaggung völkerrechtlich, wenn es zu Problemen kommt. Dies wurde abermals deutlich, als zwei Tanker vor wenigen Wochen im Golf von Oman unter dubiosen Umständen angegriffen wurden. Zwar sprachen die Medien gleich von einem deutschen und einem norwegischen Schiff. Doch so einfach stellt sich die Situation keinesfalls dar. Die angegriffene Kokuka Courageous gehört einer Briefkastenfirma aus Panama City, fährt unter der Flagge Panamas und wird im Auftrag der japanischen Reederei Kokuka Sangyo von einem deutschen Schiffsmanagement-Dienstleister über seine Tochter aus Singapur betrieben. Die Front Altair gehört einer Briefkastenfirma aus Liberia, die wiederum einer Holding aus Zypern gehört, an der der norwegische „Tankerkönig“ Fredriksen 51% der Anteile hält. Betrieben wird die Altair von Frederiksens Reederei Frontline, die ihren Sitz auf den Bermudas hat, und fährt unter der Flagge der Marschallinseln. Welche Nationalität haben diese beiden Schiffe? Völkerrechtlich zählt hier ausschließlich die Flagge. Es wurden also zwei Schiffe aus Panama und den Marschallinseln angegriffen und nur diese beiden Staaten können als Betroffene völkerrechtlich auf den Plan treten.

Ähnlich ist die Gemengelage bei der aktuellen Debatte um „deutsche Handelsschiffe“, die durch eine „Schutzmission“ im Persischen Golf geschützt werden sollen. Aus Regierungskreisen werden hier vor allem die Schiffe der Hapag-Lloyd genannt, die regelmäßig die Straße von Hormus passieren. Hierbei geht es speziell um die Schiffe der ehemaligen United Arab Shipping Company, die 2017 mit der Hapag-Lloyd fusionierte. Jedoch handelt es sich bei den UASC-Schiffen der Hapag-Lloyd nicht um „deutsche Handelsschiffe“. Die UASC-Schiffe fahren allesamt entweder – wie beispielsweise die Al Nefud – unter der Flagge Maltas oder – wie beispielsweise die Al Rawdah – unter der Flagge der Marshallinseln. Für eine „Schutzmission“ wäre also nicht die Bundesregierung, sondern die Regierungen Maltas und der Marshallinseln zuständig. Deutschland ist in diesem Kontext tatsächlich nur ein unbeteiligter Drittstaat, der völkerrechtlich kein Mandat hat, mit militärischen Mitteln eine wie auch immer geartete „Schutzmission“ vorzunehmen.

Eigentlich müssten die deutschen Lobbyisten daher auch in Liberia, Antigua, den Marshallinseln oder Malta vorsprechen. Aber warum in die Ferne schweifen, wenn der Grüne liegt so nah? Dass Grüne wie Robert Habeck völkerrechtliche Fragen konsequent ausblenden, gehört zur tristen Realität, an die man sich schon gewöhnt hat. Das konkrete Beispiel zeigt jedoch auch, dass Habeck und Co. nicht nur die Erosion des Völkerrechts, sondern auch die Logik des Neoliberalismus schon lange akzeptiert haben. Wenn Reeder und Inhaber ihre Renditen auf dem Rücken ihrer Mitarbeiter und zu Lasten des Steuerzahlers maximieren wollen und dafür ihre Schiffe ausflaggen, haben sie auch jeden Anspruch auf Schutz durch den deutschen Staat verloren. Wer sich aus Gewinnstreben aus der Solidargemeinschaft ausklinkt, der muss auch mit den Folgen leben. Wenn Robert Habeck diese simplen Regeln verdrängt hat, hat er offenbar die immanente Logik der Neoliberalismus schon tief verinnerlicht.

Titelbild: 360b/shutterstock.com

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