Trump, Afghanistan und der falsche Fokus

Trump, Afghanistan und der falsche Fokus

Trump, Afghanistan und der falsche Fokus

Emran Feroz
Ein Artikel von Emran Feroz

Mittlerweile vergeht so gut wie kein Tag, an dem Donald Trump nicht etwas Skurriles, Obszönes oder Verrücktes von sich gibt. Dies war auch vor Kurzem der Fall, als der US-Präsident in einem Interview meinte, den Afghanistan-Krieg „innerhalb von zehn Tagen“ beenden zu können. „Ich will nicht zehn Millionen Menschen töten“, so Trump. Viele Beobachter empörten sich zu Recht über diese Aussage. Doch gleichzeitig lag – wie gewohnt – der Fokus auf Trumps Person und nicht auf der grundsätzlichen Frage, warum der Westen in Afghanistan überhaupt Krieg führt. Von Emran Feroz.

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Es war fast schon klar, dass das Treffen zwischen Pakistans neuem Premierminister Imran Khan und US-Präsident Donald Trump im Oval Office nicht ohne eine Art von Zwischenfall stattfinden wird. Ebenso offensichtlich war die Tatsache, dass Khan und Trump sich über Afghanistan unterhalten würden – immerhin handelt es sich bei der Atommacht Pakistan nicht nur um irgendeinen Nachbarstaat. Seit Jahren wird dem pakistanischen Geheimdienst ISI vorgeworfen, die aufständischen Taliban-Kämpfer zu unterstützen, und spätestens seit der Tötung Osama bin Ladens im pakistanischen Abottabad fragen sich nicht wenige Sicherheitsexperten, ob man 2001 womöglich im falschen Land interveniert hat.

Wie dem auch sei, letzten Endes kam es dann doch zu jenem Zwischenfall, als Trump meinte, den Afghanistan-Krieg beenden zu können, indem er das Land einfach von der Landkarte tilge. Demnach wäre das ganze Problem in wortwörtlich „zehn Tagen“ gelöst. Diesen Weg will Trump allerdings nicht gehen. Er wolle nicht, wie er selbst betonte, zehn Millionen Menschen töten.

Natürlich ließ man diesen Satz nicht lange im Raum stehen. Man empörte und echauffierte sich darüber – von Washington bis nach Kabul. Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Jason Lyall war etwa schockiert über Trumps Äußerungen und fragte sich auf Twitter, warum dieser überhaupt die „Auslöschung eines Verbündeten“ vorschlage. Natürlich, der Fokus sollte selbstverständlich darauf gerichtet sein, dass es sich bei Afghanistan – oder um genauer zu sein: bei der Kabuler Regierung – um einen US-Verbündeten handelt. Nach der Logik des Imperiums gehört es sich dann ganz und gar nicht, einen solchen Verbündeten einfach zu vernichten.

Doch auch der „Verbündete“ reagierte wütend. Zahlreiche twitter- und facebookaffine Regierungsmitglieder, deren Gehälter in US-Dollar ausgezahlt werden, zeigten sich vermeintlich patriotisch und wütend. „Was fällt eigentlich diesem Trump ein?“, fragten sich viele. Die Kabuler Regierung verlangte nach Trumps Kommentaren gar eine Klärung. „Die afghanische Nation hat und wird auch niemals einer fremden Macht ihr Schicksal überlassen“, hieß es in einem Statement. Das klingt von Seiten der Regierung, die ohne US-Unterstützung wohl innerhalb von wenigen Tagen fallen würde, äußerst unglaubwürdig.

Besonders ironisch war dabei die Tatsache, dass ebenjene Kabuler Eliten sich in problematischen Narrativen und Argumentationen verstrickten. Zum einen zeigte man sich stolz auf die afghanische Nation, die sich noch nie von fremden Invasoren erobern ließ und auch einen Trump die Leviten lesen würde. Zum anderen wollte man nicht einsehen, dass ebenjene Männer, die heute die Invasoren – sprich, NATO- und US-Soldaten – bekämpfen, niemand Geringeres sind als die Taliban, also die erklärten Feinde der Kabuler Regierung.

Trump ist bereits der Schrecken in Afghanistan

Wer in Anbetracht von Trumps Aussagen meint, dass der US-Präsident zum Glück gnädig ist und seine genozidalen Gedanken nicht in die Tat umsetzen will, der irrt sich ohnehin gewaltig. Trotz der Tatsache, dass die Trump-Administration Friedensgespräche mit den Taliban eingeleitet hat, sollte Folgendes klar sein: Amerikanische Kriegsverbrechen am Hindukusch haben seit der Machtübernahme Trumps einen Höhepunkt erreicht. Dies wurde bereits im ersten Amtsjahr Trumps deutlich. Im April 2017 warf das US-Militär ihre größte nicht-nukleare Bombe, die euphemistisch genannte „Mutter aller Bomben“ (MOAD), über den Distrikt Achin in der ostafghanischen Provinz Nangarhar ab. Wie viele Menschen durch den Abwurf getötet wurden, ist bis heute nicht bekannt. Ebenso wenig weiß man etwas über ihre Identitäten. Die US-Administration sowie die Kabuler Regierung sprachen – wie gewohnt – von „getöteten Terroristen“.

Doch als ich im Mai desselben Jahres in Nangarhar unterwegs war, offenbarte sich ein anderes Bild. Zahlreiche Einwohner meinten, dass das angebliche Ziel in Achin, die afghanische IS-Zelle, bereits vor dem Abwurf das Weite gesucht hätte. Die Opfer waren demnach hauptsächlich Zivilisten, die der Weltöffentlichkeit verborgen blieben, da kurz nach der Detonation das gesamte Gebiet von US-Soldaten abgesperrt wurde. Für die Menschen, mit denen ich damals sprach, war klar, dass Afghanistan, ihre Heimat, lediglich zu einem Waffentestgelände der USA verkommen sei. Wen diese Waffen tagtäglich töten, sei uninteressant.

Eine weitere Errungenschaft Trumps im selben Jahr war die massive Erhöhung von Luft- und Drohnen-Angriffen. In dieser Hinsicht hatte er seinen Amtsvorgänger Barack Obama, den einstigen „Herrn der Drohnen“, innerhalb kürzester Zeit abgelöst. Der Höhepunkt des Luftterrors wurde 2018 erreicht. Im vergangenen Jahr hat das US-Militär nämlich so viele Bomben auf Afghanistan abgeworfen wie noch nie zuvor. Insgesamt wurden über 7.300 Bomben in zwölf Monaten abgeworfen, was vor allem in den ländlichen Gebieten zu zahlreichen zivilen Opfern geführt hat.

Dieser „Trend“ wird auch in diesem Jahr fortgesetzt. Der vor Kurzem veröffentlichte Halbjahresbericht von UNAMA zu zivilen Opfern im Land machte abermals deutlich, dass die Mehrheit der „Kollateralschäden“ nicht durch Taliban oder IS verursacht werden, sondern durch das US-Militär und die afghanische Armee. Die UN betont diesbezüglich regelmäßig, dass die Zunahme ziviler Opfer durch Luftangriffe massiv zugenommen hat. Insgesamt wurden zwischen Januar und Juni mindestens 3.812 Zivilisten verletzt oder getötet.

Wofür eigentlich?

In Anbetracht all der neuen Entwicklungen, Zahlen und Fakten vergisst man manchmal womöglich tatsächlich die Frage zu stellen, warum in Afghanistan überhaupt Krieg geführt wird. Die Anschläge des 11. Septembers 2001 liegen nun fast achtzehn Jahre zurück. Amerikaner, etwa damalige Kleinkinder, sind mittlerweile erwachsen und kämpfen auch an der Front, während eine weitere Generation von Afghanen nichts anderes kennt als den Krieg. All dies geschah, weil neunzehn Männer, darunter 15 saudische Staatsbürger, das World Trade Center sowie das Pentagon angriffen. Kein einziger Täter war ein Afghane und doch müssen Millionen für Afghanen bis heute für ein Verbrechen bezahlen, das sie nicht begangen haben. Dies betrifft, bei zahlreicher, berechtigter Kritik in sehr vielen Fragen, auch die Taliban, die nach den Anschlägen sogar bereit waren, Osama bin Laden auszuliefern, was vom damaligen US-Präsidenten Bush abgelehnt wurde. Ein Umstand, der bis heute gerne verdrängt und vergessen wird.

Heute, im Jahr 2019, sind die Vereinigten Staaten samt Verbündeter weiterhin in einen Krieg verstrickt, der sich zum längsten entwickelt hat, den sie je geführt haben. Die grünen Täler der Provinzen Kunar, Nangarhar oder Nuristan sind zu den Todesfallen amerikanischer Soldaten geworden. Über sie wurden mittlerweile zahlreiche Bücher geschrieben und Filme gedreht. Führende US-Militärs haben in den letzten Monaten und Jahren immer wieder betont, dass man die „rural areas“, also das ländliche Afghanistan, nicht erobern könne. Und jene, die 2001 und noch bis vor Kurzem als „Terroristen“ gebrandmarkt wurden, sprich, die Taliban, sitzen mit den Amerikanern am Verhandlungstisch – auf gleicher Augenhöhe. 2001 wurden sie aus Kabul verjagt, doch nun sind sie sogar so frech, ihre Teilnahme an den Friedensgesprächen Washington in Rechnung zu stellen, während ihren Feldkommandanten immer mehr der Geduldsfaden zu reißen droht. „Warum sollen wir verhandeln? Wir sind auf dem Siegeszug.“, hört man in deren Reihen immer lauter.

Wenn all dies keine Niederlage ist, was dann? Doch was man daraus lernt, wird sich noch zeigen.

Titelbild: Getmilitaryphotos/shutterstock.com

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