Wer versucht, genaue Zahlen über das Ausmaß des Beraterunwesens in den Bundesministerien zu erhalten, beißt schnell auf Granit. Der Linken-Abgeordnete Matthias Höhn hat nachgefragt und ihm wurde mitgeteilt, dass im ersten Halbjahr 2019 178 Mio. Euro für “externe Berater” ausgegeben wurden. Doch das ist nur die oberste Spitze des Eisbergs. Zum einen ist der Begriff “externe Beratung” sehr vage, zum anderen beinhaltet diese Zahl weder das besonders beraterfreundliche Bundesverteidigungsministerium noch das Bundeskanzleramt. Dass die Vergabepraxis oft rechtlich fragwürdig ist und die horrenden Kosten der Beratung meist in keinem Verhältnis zum Ergebnis stehen, wird mittlerweile selbst von SPIEGEL und Co. angekreidet. Das Problem geht jedoch viel tiefer. Interessenkonflikte sind bei einer externen Beratung vorprogrammiert und generell muss auch die Frage erlaubt sein, ob es überhaupt zielführend sein kann, den Staat nach Regeln zu optimieren, die für renditeorientierte Unternehmen erdacht wurden. Von Jens Berger.
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Um das Problem mit der externen Beratung auf einen Punkt zu bringen, lohnt sich ein Blick auf die EU. Die lässt sich bei Steuer- und Zollfragen in steter Regelmäßigkeit von den sogenannten “Big Four” der Branche beraten – das sind die vier amerikanischen Beraterfirmen Deloitte, EY (Ernst & Young), PricewaterhouseCoopers (PwC) und KPMG, die gemeinsam weltweit 800.000 Angestellte haben und 120 Milliarden Euro Umsatz machen. Es gibt wohl nur wenige große international tätige Unternehmen, bei denen keine dieser vier großen Beraterfirmen in irgendeiner Form tätig ist. Und das ist natürlich ein vorprogrammierter Interessenkonflikt, wie man ihn sich nicht plastischer ausmalen kann. PwC war beispielsweise im Auftrag des für Steuern und die Zollunion zuständigen EU-Kommissars Pierre Moscovici an den Konzepten zur Besteuerung international tätiger Konzerne in der EU beteiligt. Gleichzeitig berät PwC jedoch auch Amazon und andere steuerrechtlich „kreative“ Großkonzerne in Steuerfragen und unterhält in Luxemburg eine Abteilung mit 460 Spezialisten, die ausschließlich große Konzerne bei der “Steueroptimierung” in der EU beraten. Man gelangt also im Auftrag der EU an Herrschaftswissen, gibt dieses Wissen an die Privatwirtschaft weiter und kassiert dafür auch noch von beiden Seiten. Aber würde eine Bank einen Sicherheitsberater engagieren, von dem bekannt ist, dass er den größten Teil seines Umsatzes mit Beratertätigkeiten für die Mafia erzielt? Ganz sicher nicht. Die EU tut genau dies.
Derlei drastische Interessenkonflikte sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Und es geht dabei nicht nur um abstrakte Fälle. So waren sämtliche Beraterfirmen, die an den Steuerhinterziehungsmodellen “Luxemburg Leaks“, “Panama Leaks” und “CumEx” beteiligt waren, in irgendeiner Form auch als Berater öffentlicher Stellen tätig. Unter Ursula von der Leyen arbeiteten sogar alle vier großen Beraterfirmen im Verteidigungsministerium parallel an verschiedenen Projekten. PwC und die internationale Kanzlei Freshfields haben für das Bundesverkehrsministerium den desaströsen Toll-Collect-Vertrag mitgeschrieben. Ursprünglich sollten Freshfields und Co. dafür 8,2 Millionen Euro Honorar erhalten – am bisherigen Ende des Prozesses waren es samt der anhängigen Kosten für die Rechtsstreitigkeiten 244 Millionen Euro. Nun könnte man ja sagen, so etwas kann einmal passieren, nur sollte man dann auch die Konsequenzen ziehen. Genau das passiert jedoch nicht. Bei der Pkw-Maut waren wieder genau die Berater mit an Bord (u.a. PwC), die schon zuvor die LKW-Maut so gnadenlos in den Sand gesetzt hatten. Um diesen Wahnsinn zu verdeutlichen, hilft vielleicht ein Beispiel aus dem Alltag: Würden Sie einen Handwerker beauftragen, der bei ihrem letzten Auftrag derart gnadenlos gestümpert hat, dass sie vor Gericht gehen und immense Zusatzkosten tragen mussten? Ganz sicher nicht.
Ein Hauptgrund dafür, dass auch heute noch die Angestellten des Staates in einem besonderen Beamtenverhältnis tätig sind, ist es, Interessenkonflikte möglichst zu verhindern. Wer heute die Regeln aufstellt, darf morgen nicht die Seiten wechseln und potentiellen Regelbrechern die Hintertüren zeigen. Genau dieses Prinzip wird jedoch durch die Beauftragung externer Berater außer Kraft gesetzt. Mehr noch – externen Beratern geht es natürlich vor allem um die Renditeziele ihres Arbeitgebers und nicht um das öffentliche Wohl. Wenn also beispielsweise das Bundesfinanzministerium sich bei Detailfragen der Finanzmarktregulierung von genau den Kanzleien und Beraterfirmen beraten lässt, die auf der anderen Seite mit einem ganzen Heer von Spezialisten satte Profite damit machen, diese Regulierung auszuhebeln, ist dies nicht nur außerordentlich dumm, sondern auch mit dem Amtseid nicht zu vereinbaren.
Ein weiteres viel tieferliegendes Problem des Beraterunwesens ist die ideologische Unterwanderung des Staatswesens. Die Angestellten der Beratungsfirmen sind – leicht prosaisch ausgedrückt – die ideologischen Elitesoldaten des neoliberalen Systems. Wer bei den Big Four anheuert, hat das neoliberale Mantra von den Segnungen freier Märkte und einer marktkonformen Politik verinnerlicht. Die Mechanismen, Algorithmen und Scoring-Modelle, mit denen die Beraterfirmen arbeiten und vermeintlich „objektive“ Bewertungskriterien entwerfen, sind gnadenlos subjektiv und stammen in der Regel aus dem Controlling, einem Teilbereich der Betriebswirtschaftslehre. Hier geht es um Ziele, die auf betrieblicher Ebene für die Kapitalseite ja auch erstrebenswert sind. Wenn die Berater in den Ministerien tätig sind, geht es jedoch nicht darum, ein Unternehmen nach den Regeln des Controllings und der Marktlogik auf Renditemaximierung zu trimmen, sondern um eine hoheitliche Aufgabe, die das Allgemeinwohl maximieren soll. Und hier liegt nicht nur ein Interessen-, sondern sogar in vielen Fällen ein massiver Zielkonflikt vor.
Wenn man ein Ministerium wie ein privatwirtschaftliches Unternehmen versteht, geht es vor allem darum, die definierten Projekte möglichst kostengünstig innerhalb des Budgetrahmens und just in time umzusetzen. Dass dies gerade in den Ministerien so gut wie nie gelingt, ist ein anderes Thema und daran sind die Berater wohl auch nicht unschuldig – so schafft man schließlich Nachfrage nach der eigenen Dienstleistung. Wie dem auch sei, die Arbeit eines Ministeriums darf aber doch nicht daran gemessen werden, wie schlank und effizient dieses Ministerium aufgestellt ist, sondern welche Auswirkungen die Arbeit auf das Allgemeinwohl hat. Und je mehr Dienstleistungen aus der öffentlichen – im Idealfall allgemeinwohlorientierten – auf die private – stets renditeorientierte – Ebene ausgelagert werden, desto tiefer frisst sich die neoliberale Ideologie in unser Gemeinwesen. Dieser Nebenaspekt taucht jedoch erstaunlicherweise in fast keiner Kritik am Beraterunwesen in den klassischen Medien auf. Wenn es um den Neoliberalismus geht, sind die Medien offenbar blind.
Man sollte sich jedoch auch davor hüten, externe Beratung generell zu verteufeln und als Einfallstor neoliberalen Denkens zu sehen. Sicherlich gibt es auch zahlreiche Fälle, bei denen die Beratung durch externe Fachleute sehr sinnvoll sein kann. Dies sollte jedoch die Ausnahme und nicht die Regel sein und vor allem transparent und demokratisch vonstatten gehen. Der Vergabeautomatismus, der auf EU-Ebene und in einigen Ministerien bereits Einzug gehalten hat, sollte möglichst schnell unterbunden werden. Um das gesamte Problem überhaupt fassen zu können, wäre dafür zunächst erstmal eine belastbare Aufstellung nötig. Doch bereits daran hapert es.
So ergab eine Anfrage des Linken-Abgeordneten Matthias Höhn im Frühjahr, dass die Bundesregierung in den letzten fünf Jahren 716 Millionen Euro für externe Berater ausgegeben hätte. Die Grünen hakten nach und formulierten die Frage um. Nun waren es schon mehr als 722 Millionen Euro, die nur im Jahr 2017 für externe Berater ausgegeben wurden – eine Verfünffachung der Summe. Und selbst das ist nicht einmal die ganze Wahrheit, da das Verteidigungsministerium die gewünschten Zahlen angeblich innerhalb der gesetzten Frist nicht liefern konnte und daher nicht berücksichtigt wurde. Das hat Methode. Auch bei den aktuellen Zahlen von Matthias Höhn bleibt das Verteidigungsministerium mit der gleichen Begründung außen vor. Wenn man die kursierenden Zahlen des Bendlerblocks berücksichtigt, käme man auf jeden Fall auf eine Zahl von über einer Milliarde Euro pro Jahr.
Wie viele Beamte könnte man für eine Milliarde Euro einstellen? 15.000? Würde die Bundesregierung das ganze Geld nicht für qualitativ fragwürdige, wettbewerbsrechtlich problematische und ideologisch kontraproduktive externe Beratung ausgeben, könnte sie große Teile des eingekauften Know-hows in den eigenen Ministerien aufbauen und dort Entscheidungen herbeiführen, die nicht der Renditemaximierung privatwirtschaftlicher Firmen, sondern der Mehrung des Allgemeinwohls dienen. Doch wahrscheinlich bräuchte die Regierung eine teure Beratung, um diese simple Botschaft mitzubekommen. Und ein Berater, der unsinnige Beratung kritisiert, ist so etwas wie ein Frosch, der einen Sumpf trockenlegen will.
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