Stefan Selke, geboren 1967, studierte Luft- und Raumfahrttechnik. Nach einem zweijährigen Aufenthalt in Brasilien studierte er von 1993 bis 1998 Soziologie, Philosophie, Anthropo-Geografie und portugiesische Literatur- und Sprachwissenschaften und promovierte anschließend in Fach Soziologie. Nach Lehrtätigkeiten an der Fachhochschule Villingen-Schwenningen, der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe und der Universität Karlsruhe übernahm er eine Professur mit dem Lehrgebiet Soziologie und gesellschaftlicher Wandel an der Hochschule Furtwangen. Die Schwerpunkte seiner Arbeit liegen in der Analyse sozialen, kulturellen, medialen und technischen Wandels. Ein Punkt dieser Arbeit stellt dabei die kritische Begleitung der Tafelbewegung dar.
Gastbeiträge von Stefan Selke
Datenschutz, made by A. Merkel
Wer sich (wie ich) immer wieder mit schleichendem Wandel beschäftigt, findet selten verlässliche „Daten“ für seine Thesen. Unsere kulturelleren Orientierungsrahmen (die sog. „shifting baselines“) ändern sich üblicherweise still und langsam, meist unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Daher betrachtete ich es als einen großen Glückfall, dass ausgerechnet Angela Merkel als Kronzeugin für diese Form des gesellschaftlichen Wandels zitierfähig wurde.
Auf einer Autofahrt von Stuttgart in den Schwarzwald hörte ich im Radio einen Auszug aus ihrer Rede anlässlich der Eröffnung des „Zentrums für Forschung und Vorausentwicklung der Robert Bosch GmbH“ („Bosch-Campus“). Vielleicht war dies einer der Fälle, in denen ein sich selbst steuerndes Auto ein echter Sicherheitszugewinn gewesen wäre. Denn ein Satz dieser Rede irritierte mich massiv. Ich dachte nur: Was passiert hier gerade vor unser aller Augen? Endlich einmal wurde der Wandel unsere Referenzrahmens sichtbar. Von Stefan Selke[*].
Auch Erbarmen geht nicht ohne Coca Cola – Nun engagiert sich der Getränkekonzern auch in der Armutsökonomie der „Tafeln“
Angesichts eines Werbeplakats im öffentlichen Raum stellt sich mir die Frage, ob es eher gut oder schlecht ist, wenn die eigenen Thesen von der Wirklichkeit überholt werden. Es handelt sich dabei um eine Anzeige von Coca Cola Deutschland in einer Zeitschrift, auf dem die Unterstützung der „Tafeln“ erklärt wird, zu denen der Konzern nun eine „stolze Partnerschaft“ aufgenommen hat.
Tafeln? Das sind doch die inzwischen als äußerst ambivalent eingeschätzten „Lebensmittelretter“, die bundesweit immer mehr arme Hartz-IV-Empfänger, Langzeitarbeitslose, Rentner und mancherorts sogar Studierende versorgen. Regelmäßig werden die Tafeln kritisiert, weil sie dazu beitragen, das Problem der Armut zu entpolitisieren. Armut, so der Kern der Kritik, entwickele sich durch die stetige Präsenz der Almosensysteme in diesem Land von einem politischen Skandal zu einer gesellschaftlich arrangierten Bedürftigkeit. Und innerhalb der sich immer weiter ausdifferenzierenden neuen Armutsarrangements lassen sich auch Gewinne erwirtschaften. Armutsökonomie bedeutet, dass Armut zur (ver)handelbaren Ware wird. Von Stefan Selke[*].