Die Bertelsmann Stiftung ist dafür bekannt, unter dem Deckmantel der wissenschaftlichen Objektivität Studien zu erstellen, die stets zu dem Ergebnis kommen, dass staatliche oder öffentliche Aufgaben im Sinne der Allgemeinheit privatisiert werden sollten. So kann es auch nicht wirklich verwundern, dass eine aktuelle Studie dieser Stiftung mit fragwürdigen Mitteln den radikalen Abbau meist öffentlicher Kliniken empfiehlt. Nur 600 der heute 1.600 Krankenhäuser sollen diesen Kahlschlag überleben. Eine steile These, die man kritisch hinterfragen müsste. Bemerkenswert ist jedoch, dass die ARD die Veröffentlichung der Studie mit einer unglaublich einseitigen „Dokumentation“ begleitet, die dann auch noch zur besten Sendezeit um 20.15 ausgestrahlt wird. Das ist Kampagnenjournalismus in seiner schlimmsten Form. Von Jens Berger.
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Zur Rolle der Bertelsmann Stiftung lesen Sie bitte auch: Wolfgang Lieb – „Die Rolle der Bertelsmann Stiftung beim Abbau des Sozialstaates und der Demokratie oder: Wenn ein Konzern Politik stiftet – zum gemeinen Nutzen?“.
Für ihre aktuelle Krankenhausstudie hat das IGES Institut im Auftrag der Bertelsmann Stiftung alle Register gezogen, um mit vermeintlich neutralen Berechnungen zum gewünschten Ergebnis zu kommen. Dies fängt bereits beim Untersuchungsraum an. So haben die Macher der Studie die Konzentration und Zentralisierung der Krankenhauslandschaft am konkreten Beispiel der Metropolregion Köln-Leverkusen untersucht – einer Region mit 2,2 Millionen Einwohnern, von denen jedoch die Hälfte in der Stadt Köln lebt und in der es keinen nennenswerten „ländlichen Raum“ gibt, in dem die Entfernung zur nächsten größeren Stadt problematisch ist. So sind natürlich auch die „Zielmodelle“ für die Erreichbarkeit der Kliniken einzuhalten. Im ländlichen Raum der großen Flächenländer sind diese Vorgaben jedoch bereits heute in der Praxis kaum einzuhalten und es ist auch nicht ersichtlich, wie man eine flächendeckende Grundversorgung gewährleisten will, wenn man in der Fläche das Versorgungsnetz ausdünnt.
Die zeitliche und räumliche Entfernung ist jedoch beileibe nicht „nur“ eine medizinische, sondern auch eine soziale Frage. Schließlich entfällt der Großteil der Krankenhausaufenthalte ja nicht auf hochspezialisierte Behandlungsfälle, die von der Bertelsmann Stiftung gerne thematisiert werden, sondern auf geriatrische Behandlungsfälle, die vor allem im ländlichen Raum mit seinem hohen Altersdurchschnitt von zentraler Bedeutung sind. Wie stellen sich die Macher der Studie eigentlich konkret vor, wie Angehörige von geriatrischen oder gar gerontopsychiatrischen Patienten regelmäßige Besuche organisieren sollen, wenn das nächste Krankenhaus mit öffentlichen Verkehrsmitteln eine halbe Tagesreise entfernt ist? Anstatt solche „Regelfälle“ auch nur zu erörtern, fokussiert man sich auf sehr spezielle Eingriffe, die jedoch quantitativ gar keine nennenswerte Rolle spielen und lässt dabei die soziale und die sozioökonomische Komponente komplett unter den Tisch fallen.
Stattdessen werden in der ARD-Dokumentation Patienten mit Bauchspeicheldrüsenkrebs und einer Hüftprothesenrevision als „Beispiele“ vor die Kamera gezerrt, um zu belegen, dass die Ärzte in den kleinen ländlichen Krankenhäusern ohnehin überfordert und nicht sonderlich qualifiziert sind. Tauglich sind diese Beispiele jedoch nicht. In solchen Fällen hätte vielmehr der behandelnde Allgemein- oder Facharzt die Patienten zuvor darauf hinweisen müssen, dass es bei derlei Eingriffen einen großen Qualitätsunterschied zwischen ländlichen Krankenhäusern, in denen derartige Eingriffe selten durchgeführt werden, und Fachkliniken gibt, in denen so etwas alltägliche Arbeit ist. Denn die Grundannahme der Studie, die besagt, dass spezialisierte Einrichtungen qualitativ bessere Ergebnisse liefern als Krankenhäuser der Mindest- oder Grundversorgung, steht ja nicht ernsthaft zur Debatte.
Und hier wird es sowohl in der Studie als auch in der ARD-Dokumentation richtig ärgerlich. Es wird gerade so getan, als seien diese Entwicklungen neu und die Ideen der Studie so fürchterlich originell. So geht die Zahl der Krankenhäuser seit den 1960ern kontinuierlich zurück und spätestens mit der Einführung des Krankenhaus-Kostendämpfungsgesetzes von 1981 unterteilt der Gesetzgeber die Funktionen der Krankenhäuser auch klar in verschiedene Versorgungsstufen. Je nach Bundesland wird zwischen Grund-, Regel-, Zentral- und Maximalversorgung unterschieden. Die Dokumentation erweckt jedoch den falschen Eindruck, dass zur Zeit in jeder „Milchkanne“ Eingriffe vorgenommen werden, die man aus Qualitätsgründen besser in einem Fach- oder Universitätsklinikum vornehmen sollte. Solche Einzelfälle mag es ja geben, aber sie sind beileibe nicht die Regel, aus der man dann auch noch derart radikale Schlüsse ziehen kann.
Interessanter wäre doch die Frage, wie man das jetzige System verbessern kann, ohne gleichzeitig die flächendeckende Versorgung zu gefährden. Natürlich liegt das Grundübel der gesamten Debatte in der ökonomischen Orientierung der Krankenhäuser. Nicht das Wohl des Patienten, sondern die Maximierung der Rendite ist das oberste unternehmerische Ziel von Krankenhäusern. Da kann es dann auch schon mal vorkommen, dass Chirurgen eines ländlichen Krankenhauses, deren Abteilung unter den hausinternen Umsatzvorgaben liegt, eine Operation selbst durchführen, für die sie objektiv gar nicht ausreichend qualifiziert sind. Die Rückabwicklung der Privatisierung des Krankenhaussektors wäre daher die naheliegende Antwort auf die Fragen und Probleme, die in der Studie und der Dokumentation aufgeworfen werden.
Aber auch ohne die „Systemfrage“ im Krankenhaussektor zu stellen, gäbe es zahlreiche Alternativen zum Kahlschlag. Natürlich macht es weder medizinisch noch ökonomisch Sinn, hoch spezialisierte Eingriffe in jedem Krankenhaus der Grund- oder Regelversorgung durchführen zu wollen. Es macht aber medizinisch und ökonomisch auch keinen Sinn, Standardeingriffe, wie die Versorgung von Knochenbrüchen, die Entfernung des Blinddarms oder der Gallensteine oder aber die stationäre Behandlung geriatrischer oder gerontopsychiatrischer Fälle nun auf ein Krankenhaus der Zentral- oder gar Maximalversorgung auszugliedern.
Hier muss auch die Frage aufgeworfen werden, wie Bertelsmann und Co. sich eine Realisierung der eigenen Vorschläge eigentlich vorstellen. Als gutes Beispiel wird in der Studie und der Dokumentation Dänemark genannt. Das ist interessant, denn in Dänemark sind alle größeren Krankenhäuser im Besitz der Kommunen oder des Zentralstaats und werden zu mehr als drei Vierteln aus Steuermitteln finanziert. Dänemark lässt sich die Neuordnung seines Krankenhaussystems rund sechs Milliarden Euro kosten. Umgerechnet auf das größere Deutschland wären dies fast achtzig Milliarden Euro. Hier werden also Äpfel mit Birnen verglichen und dann auch noch gezielt einige Rosinen aus dem Gesamtpaket gepickt. Das ist unseriös.
Doch keiner dieser kritischen Einwände kommt in der ARD-Dokumentation vor. Stattdessen wird ein Skript abgespult, das eher den Charakter eines Werbefilms hat. Da findet im hypermodernen privaten Fachklinikum die Patientenbesprechung vor der OP dann natürlich mit dem medizinischen Chef des Klinikums und nicht wie in der tristen Realität mit einem Arzt im Praktikum statt. Das alles hat mit der Realität so viel zu tun wie ein Werbespot von Coca Cola mit fettleibigen Kindern.
So lässt die gesamte Dokumentation dann auch jegliche kritische Distanz vermissen. Echte Kritiker kommen gar nicht zu Wort, Argumente, die gegen die Aussagen der Studie sprechen, kommen – wenn überhaupt – nur am Rande vor. Und die möglichen Profiteure eines Kahlschlags werden gar nicht ernst genannt. Dabei ist die Information, dass es vor allem die privaten Krankenhauskonzerne sind, die auf diese Art und Weise unrentable Häuser, zu deren Betrieb sie jedoch zur Zeit oft vertraglich verpflichtet sind, und die kommunale Konkurrenz loswerden wollen.
Stattdessen stützt man die Kernaussage der Studie durch die sehr selektive Auswahl von Fallbeispielen, die zwar die Botschaft der Bertelsmann Stiftung stützen, aber alles andere als repräsentativ sind. Bemerkenswert ist auch das Timing der Dokumentation, die zur Prime Time am Erscheinungstag der Studie, eingerahmt in den üblichen Presserummel, sehr prominent platziert wurde. So bekam die irrige Botschaft der Bertelsmann Stiftung die größtmögliche Aufmerksamkeit. Dafür gibt es eigentlich nur ein Wort: Kampagnenjournalismus.
Titelbild: xmee/shutterstock.com