Worum geht es im Fall des Wikileaks-Gründers Julian Assange? Es geht nicht um die Person Assange, „es geht um die Institution Wikileaks, es geht um die unabhängige Publikation von Informationen, es geht um die Wahrheit über Kriegsverbrechen, Korruption und Kriminalität der Herrschenden.“ Das sagt der Autor Mathias Bröckers im NachDenkSeiten-Interview. Bröckers ist der Auffassung, dass Wikileaks „eine neue Dimension für investigativen Journalismus eröffnet“ hat und Assange selbstverständlich als Journalist zu betrachten ist. Von den mehr als 1,5 Millionen Dokumenten, die Wikileaks veröffentlicht habe, sei nicht eins eine Fälschung gewesen. „Das spricht im Zeitalter von Fake-News für die herausragende Qualität dieser publizistischen Institution.“ Das Interview führte Marcus Klöckner.
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Zwischenbemerkung von Moritz Müller: Heute begeht Julian Assange seinen 48. Geburtstag im Londoner Belmarsh-Gefängnis. Wir wissen nicht wirklich, wie er dies tun wird, da er dort im Land der Magna Carta und des am längsten amtierenden Staatsoberhauptes weiterhin quasi in Isolationshaft gehalten wird, inmitten von Schwerverbrechern. Man kann nur hoffen, dass die für heute geplante Anwesenheit zahlreicher Unterstützer vor dem Gefängnis zu ihm durchdringt und ihn in seiner zermürbenden Situation nährt. Die NachDenkSeiten wünschen Julian Assange am heutigen Tag alles Gute und hoffen, dass er seinen nächsten Geburtstag, anders als die letzten neun, in Freiheit und im Kreise seiner Familie verbringen wird! Auch an anderen Orten sind heute Veranstaltungen für Julian Assange geplant.
Lesetipp: Bröckers, Mathias: Don’t kill the messenger. Freiheit für Julian Assange. Mit einem Beitrag von Caitlin Johnstone. Westend Verlag. Frankfurt am Main. 2. Juli 2019. 8,50 Euro.
Herr Bröckers, Sie bezeichnen Julian Assange als „Freiwild“. Warum?
Weil die Verfolgung Julian Assanges mit einem ordentlichen rechtstaatlichen Verfahren wenig bis nichts zu tun hat. Schon 2008 wurde im Pentagon eine Task-Force mit dem Ziel eingerichtet, Wikileaks und seinen Gründer unglaubwürdig zu machen und zum Schweigen zu bringen. Mit juristischen Mitteln war das schwer möglich, deshalb schlug Hillary Clinton 2016 bei einem Brainstorming vor: “Können wir den Kerl nicht einfach ‘drohnen’ ?” Sie konnte sich, darauf angesprochen, nicht erinnern, das gesagt zu haben, und wenn, dann sei es ein Scherz gewesen. Ihre Chefplanerin Ann-Marie Slaughter (sic) aber mailte anschließend ein Memo dieser Besprechung über „legal and non-legal strategies“ gegen Wikileaks. Die Vereinigten Staaten versuchten also mit allen Mitteln, Julian Assange mundtot zu machen und hatten ihn nicht nur im Scherz zum Abschuss freigegeben. Und sie übten ganz offensichtlich auf Teile der Justiz in Schweden und in Großbritannien ganz erheblichen Druck aus, deren Aktivitäten in den letzten Jahren man nur mit zwei zugedrückten Augen nicht als Rechtsbeugung sehen kann.
Dann kam der 3. Juni 2019.
An dem Tag hat ein schwedisches Gericht festgestellt, dass die Vorwürfe gegen Julian Assange wegen einvernehmlichem, aber ungeschütztem Sex mit zwei Frauen nicht für einen Haftbefehl ausreichen.
2012 sah das anders aus.
Richtig, kaum hatte er 2012 das Land verlassen – nachdem er in Schweden zu diesen Vorwürfen vernommen worden war und die Oberstaatsanwältin ihm beschieden hatte, dass seiner Ausreise nach London nichts mehr im Wege steht – erging aus Schweden eine „red notice“, ein internationaler Haftbefehl und ein Auslieferungsgesuch. Assange stellte sich der britischen Polizei und wurde während der Entscheidung über die Auslieferung mit Hausarrest und einer elektronischen Fußfessel belegt.
Dann ging es durch die Instanzen.
Seine Anwälte klagten durch drei Instanzen gegen die Auslieferung, weil der Antrag nicht von einem schwedischen Gericht, sondern von der Staatsanwaltschaft gestellt worden war. Doch der britische Supreme Court entschied, dem Antrag stattzugeben: zwar dürfe nach EU-Auslieferungsrecht nur eine „judicial authority“, also ein Gericht, eine Auslieferung beantragen, wenn man aber die französische Übersetzung – „autorité judicial“ – heranzöge, dürften das auch Staatsanwälte, lautete das Urteil. Dass Julian Assange angesichts derartiger Rechtsverdrehungen in die ecuadorianische Botschaft flüchtete, weil er das Vertrauen in ein faires Verfahren verloren hatte und befürchtete, von Schweden an die USA weitergereicht zu werden, ist absolut nachvollziehbar. Dass er jetzt wegen eines Meldevergehens zu 50 Wochen in einem Hochsicherheitsgefängnis verurteilt wurde, zeigt ebenfalls, dass seine Verfolgung nur noch scheinbar dem Buchstaben des Gesetzes angemessen ist. Assange ist kein Krimineller, sondern ein politischer Gefangener.
Für alle Leser, die sich mit Assange noch nicht so richtig auseinandergesetzt haben: Können Sie uns etwas zu seiner Biografie sagen? Und: Wie wurde er überhaupt zum Chef von Wikileaks?
Julian Assange ist Australier und hat sich mit 14 Jahren auf dem „Commodore 64“ das Hacken selbst beigebracht. Wenige Jahre später war er mit zwei Freunden in der Lage, sich zu zahlreichen Rechnern von Universitäten, Banken, Behörden und Militär Zugang zu verschaffen und sich dort umzusehen. Irgendwann wurden die jugendlichen Hacker erwischt und Julian Assange als Kopf der „Bande“ angeklagt. Nach einem sich lange hinziehenden Verfahren bekannte er sich am Ende schuldig und wurde 1996 zu einer Geldstrafe von 2000 australischen Dollar verurteilt. Das Gericht begründete die milde Strafe damit, dass Assange nicht zum Zwecke persönlicher Bereicherung, sondern aus „intellektueller Neugier“ gehandelt habe.
2007 ging es dann mit Wikileaks los. Was würden Sie als die gewichtigsten Veröffentlichungen der Plattform bezeichnen?
Weltberühmt und berüchtigt wurde Wikileaks nach der Veröffentlichung des Videos „Collateral Murder“, das die Ermordung von einer Gruppe von sechszehn Zivilisten, inklusive Kindern, und zwei Reuters-Journaliste durch einen US-Kampfhubschrauber im Irak zeigt. Ein Verbrechen, für das bis dato niemand verantwortlich gemacht wurde – außer Julian Assange, der die Weltöffentlichkeit darüber informiert hat.
Das war 2010.
Aber schon 2007 hat Wikileaks die Standard Operating Procedures for Camp Delta, das Handbuch für Soldaten von Gefangenen in Guantanamo Bay, veröffentlicht, wodurch unter anderem ans Licht kam, dass Gefangene vor dem Komitee des Roten Kreuz versteckt wurden und sich unter den Gefangenen auch fünfzehnjährige Kinder befinden.
Was hat Wikileaks noch veröffentlicht?
2010 und 2011 werden geheime Militärdokumente aus den Kriegen in Afghanistan und Irak publiziert, die belegen, dass die Zahl der Ziviltoten weitaus höher ist, als offiziell zugegeben wird. 2015 veröffentlicht Wikileaks das geheime »Investment-Kapitel« der TPP-Verträge, das supra-nationale Gerichtshöfe vorschlägt, bei denen multinationale Konzerne Länder verklagen können. 2016 dann die Emails von Mitarbeitern des Democratic National Congress (DNC), aus denen hervorgeht, wie die Parteizentrale Hillary Clinton in den Vorwahlen bevorteilte, obwohl Bernie Sanders bessere Aussicht auf einen Wahlsieg hatte. Die ebenfalls publizierten Emails von John Podesta zeigten unter anderem, wie Wallstreet-Banker die Mitglieder des Obama-Kabinetts ausgesucht haben. Im März 2017 wird »Vault 7« veröffentlicht, tausende interne CIA-Dokumente, die unter anderem über verdeckte Hacking-Programme und Spionagesoftware berichten, mit denen Mobiltelefone und Auto-Computer angegriffen werden können.
Das sind, neben den 2010/11 veröffentlichten 250.000 diplomatischen Depeschen des US-Außenministeriums, die vielleicht wichtigsten Wikileaks-Publikationen, die die USA betreffen. Aber es wurden in diesen Jahren auch viele Materialien aus anderen Ländern publiziert – von Korruption in Kenia, über den Bankenskandal in Island, der zur Inhaftierung zahlreicher Banker führte, bis zu den „Spy Files“ über die Überwachung in Russland.
Wikileaks wurden immer mehr Unterlagen zugespielt. Die Mitarbeiter konnten die Informationen selbst nicht mehr bewältigen, haben sich dann große Medien als Kooperationspartner gesucht. War das ein Fehler?
Im Nachhinein betrachtet würde ich sagen, dass es ein Fehler war. Aber was sollte Assange sonst tun? Einfach nur die vielen Dokumente zu publizieren, die Whistleblower auf Wikileaks hinterlegt hatten, machte wenig Sinn und erzeugte kaum Wirkung. Sie mussten in einen Kontext gestellt werden, was nur Fachleute können, die sich in den jeweiligen Ländern oder Zusammenhängen auskennen. Aber Wikileaks hatte sich mit der mächtigsten Instanz dieser Erde, der amerikanischen Kriegsmaschine, angelegt und konnte nicht einfach Stellenanzeigen aufgeben, ohne befürchten zu müssen, umgehend von Spitzeln und Agenten unterwandert zu werden. Und so blieb Assange und seinen wenigen Vertrauten eigentlich gar nichts anderes übrig, als sich an die großen Medien zu wenden. Bevor Wikileaks die diplomatischen Depeschen selbst publizierte, wurden sie dem „Guardian“ und der „New York Times“ zur Verfügung gestellt. Hier prallten dann zwei Welten aufeinander: Wikileaks mit seinem radikalen Transparenzprinzip, grundsätzlich alle Dokumente unbearbeitet zu veröffentlichen und nur die Namen völlig unbeteiligter Zivilpersonen zu schwärzen – und die Großmedien in ihrer Funktion als Schleusenwärter und Gatekeeper.
Unter den Materialien, die Wikileaks an den Guardian weitergab, waren auch Depeschen über die Kriminalität in Bulgarien. Wie ist der Guardian damit umgegangen?
Der „Guardian“ hat nur einen Bruchteil publiziert, ohne auf die Kürzungen hinzuweisen und sämtliche Namen weggelassen, unter Berufung auf das Risiko von presserechtlichen Klagen. In der Depesche berichtet der US-Botschafter sehr ausführlich nach Hause, von welchen organisierten Kriminellen die bulgarischen Behörden und die Regierung unterwandert sind – er benennt die Personen und ihre Geschäfte und Unternehmen. In den „Guardian“-Auszügen des Dokuments wird dann nur ein einziger Name genannt und die Passagen sind so zusammenstellt, als ob die berichtete Kriminalität und Unterwanderung allein auf diesen russischen Oligarchen zurückgeht. Das ist nur eines von vielen Beispielen, das den Widerspruch zwischen Wikileaks-Transparenz und Medien-Spin gut verdeutlicht. Und auch zeigt, dass die Berufung auf „Presserecht“ und „journalistische Verantwortung“ nur vorgeschoben ist und wie in diesem Fall zwar für Bulgaren, aber nicht für Russen gilt.
Wie bewerten Sie den Umgang der großen Medien mit den Informationen, die von Wikileaks kamen?
Das kann man am besten bewerten, wenn man sich den Umgang der Großmedien mit Whistleblower-Material anschaut, das nicht von Wikileaks kam – wie das ganze Material von Edward Snowden, von dem nur Bruchteile bekannt geworden sind. Er hatte es „The Intercept“ anvertraut, von wo jetzt gerade mitgeteilt wurde, dass für eine weitere Sichtung und Bearbeitung leider das Geld fehlt – dieser Laden wird von dem ebay-Milliardär Pierre Omidyar finanziert. Von den „Panama Papers“ wurden nur 2% publiziert – von einer Gruppe internationaler Medien unter Beteiligung der „Süddeutschen Zeitung“. Dass Wikileaks alle 250.000 diplomatischen Kabel unbearbeitet veröffentlichte, führte dann dazu, dass sich die Medien von Assange distanzierten; auch intern gab es Konflikte. Aber wie das Beispiel zeigt: nur das radikale Wikileaks-Prinzip, nach Überprüfung der Dokumente auf ihre Echtheit alles zu publizieren, garantiert einem Whistleblower, dass sein Material auch wirklich an die Öffentlichkeit kommt.
Welche Bedeutung hat Assange mit seiner Plattform für den investigativen Journalismus?
Wikileaks hat eine neue Dimension für investigativen Journalismus eröffnet, der de facto ja kaum noch stattfindet, da die Presse als „vierte Säule“ und Wachhund der Demokratie weitgehend zu einem Schoßhund der Mächtigen geworden ist. Chelsea (damals noch: Bradley) Manning hatte die Dokumente über die Kriegsverbrechen in Irak und Afghanistan ja zuerst der New York Times und der Washington Post angeboten, erst als diese nicht interessiert waren, wandte er sich an Wikileaks. Julian Assange hat mit dieser Plattform eine Möglichkeit geschaffen, die Whistleblowern Anonymität sichert, also mit technischen, kryptographischen Mitteln einen 100-prozentigen Quellenschutz garantiert, wie er Journalisten rechtlich ohnehin zusteht – und mit dem Transparenz-Prinzip auch sichergestellt, dass die übermittelten Materialien auch publiziert werden. Von den mehr als 1,5 Millionen Dokumenten, die Wikileaks veröffentlichte, hat sich kein einziges als Fälschung erwiesen. Das spricht im Zeitalter von Fake-News für die herausragende Qualität dieser publizistischen Institution – kein anderes unserer sogenannten Qualitätsmedien kann sich in Sachen Faktentreue und Wahrheitsgehalt mit Wikileaks messen.
Mittlerweile wird in der Berichterstattung der Medien Assange als eine ziemlich kontroverse Person dargestellt. Was ist Ihre Einschätzung?
Die wunderbare Caitlin Johnstone – ‚rogue journalist’ und Bloggerin in Julian Assanges Heimatland Australien – hat einen Artikel ausgearbeitet, in dem sie auf die zahlreichen Verleumdungen Julian Assanges eingeht und sie Punkt für Punkt widerlegt. Wie schon gesagt, wird seit mehr als zehn Jahren von Seiten der Vereinigten Staaten daran gearbeitet, den Ruf von Wikileaks und die Glaubwürdigkeit seines Gründers zu zerstören. Und das mit Erfolg, denn kaum fällt der Name, kommt meist sofort das große „Ja aber…“, gefolgt von Begriffen wie „Vergewaltiger“, „Trump-Fan“, „Putin-Agent“ usw.
Caitlin Johnstone hat 29 dieser Verleumdungen genauer betrachtet …
… und widerlegt! Es ist eine Schmierenkampagne sondergleichen, die dazu geführt hat, das Julian Assange als „kontroverse Person“ in den Medien dargestellt wird. Der Grund für alle diese Diffamierungen ist, vom Kern der Sache abzulenken.
Was ist denn der Kern?
Es geht bei der Verfolgung und Anklage gegen Julian Assange nicht um seine Person, es geht um die Institution Wikileaks, es geht um die unabhängige Publikation von Informationen, es geht um die Wahrheit über Kriegsverbrechen, Korruption und Kriminalität der Herrschenden.
Auch wenn Sie kein Anwalt sind, was meinen Sie: Wie viel Substanz haben die rechtlichen Vorwürfe gegen Assange?
Die Anklageschrift aus den USA umfasst 18 Punkte. Einer davon ist, dass er Chelsea Manning angestiftet und geholfen haben soll, „Collateral Murder“ und anderes Material von den Militärservern herunterzuladen. Chelsea Manning wurde nach der Begnadigung durch Präsident Obama jetzt zum zweiten Mal in Beugehaft genommen, um eine Zeugenaussage gegen Assange zu erzwingen. Sie weigert sich weiter, der Vorladung zu folgen und muss dafür eine Strafe von 500 Dollar pro Tag zahlen.
Eine Menge Geld.
Das sind Daumenschrauben. Sie erinnern an die Methoden der mittelalterlichen Inquisition – und zeigen, wie wenig die US-Justiz gegen Julian Assange letztlich in der Hand hat. Die anderen 17 Anklagepunkte betreffen allein die publizistischen Aktivitäten von Wikileaks, die Veröffentlichungen von als geheim eingestuften Dokumenten, was nach dem „Espionage Act“ von 1917 angeklagt ist. Es ist das erste Mal, dass ein Journalist nach diesem Gesetz angeklagt wird und die Staatsanwaltschaft des Court of Virgina fordert für Assange insgesamt 175 Jahre Haft. Rechtlich geht das nur, indem man den Angeklagten als „feindlichen Spion“ einstuft. Weil er aber in keiner Weise spioniert, sondern nur publiziert hat, steht diese Anklage meiner Einschätzung nach auf sehr tönernen Füßen.
Es wird immer gesagt, Assange sei kein Journalist. Wie sehen Sie das?
Das wird von seinen Verfolgern immer wieder behauptet, Außenminister Pompeo nannte Wikileaks einen „feindlichen Geheimdienst“, denn nur wenn man Assange den Status eines Publizisten abspricht, kann man eine solche Anklage konstruieren. Dass Assange Wikileaks einmal ironisch als „Geheimdienst des Volkes“ bezeichnet hat, nimmt die Anklageschrift gleich im ersten Satz allen Ernstes auf. Dass Wikileaks das genaue Gegenteil eines Geheimdiensts ist, weil alle gesammelten Informationen der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden – derlei Subtilitäten sind den US-Anklägern offensichtlich entgangen. Sie verwenden die Definition, um aus Assange einen feindlichen Spion zu basteln und seine Aktivitäten von publizistischem, journalistischem Tun zu entfernen. Das ist notwendig, denn sonst müssten alle die Verleger und Journalisten von der New York Times abwärts, die Wikileaks-Material publiziert haben, ebenfalls als feindliche Spione angeklagt werden. Deshalb hatten die Juristen der Obama-Regierung der Anti-Wikileaks-Taskforce noch geraten, auf eine solche Anklage zu verzichten, weil davon der Verfassungsgrundsatz der Pressefreiheit berührt ist. Die Regierung Trump hat diese Bedenken nun fallengelassen und versucht, einen Präzedenzfall zu schaffen.
Warum ist die Frage, ob Assange als Journalist zu betrachten ist oder nicht, von Relevanz?
Wenn diese Anklage zu einer Auslieferung und Verurteilung Julian Assanges führt, kann künftig jeder verfolgt werden, der für das US-Imperium unangenehme Wahrheiten veröffentlicht. Es geht bei diesem Fall nicht um irgendeinen Freak, der Geheimdokumente ins Internet gestellt hat, es geht um einen Präzedenzfall, der die Grundlage demokratischer Verfassungen, die Pressefreiheit, außer Kraft setzt.
Was würde denn eine Auslieferung oder gar eine Verurteilung aufgrund dieser Anklage bedeuten?
Dann heißt das nichts anderes, als dass fortan jeder Publizist und jeder Verlag überall auf der Welt zur Loyalität gegenüber den Vereinigten Staaten und zur Verschwiegenheit gegenüber ihren Staatsgeheimnissen verpflichtet ist. Und dass als „Journalist“ nur noch gilt, wer von der künftigen „Reichsschrifttumskammer 2.0“ in Washington nicht als »feindlicher Spion« eingestuft und mit internationalem Haftbefehl zur sofortigen Auslieferung ausgeschrieben wird.
Edward Snowden hat gesagt: „Wenn das Aufdecken von Verbrechen wie ein Verbrechen behandelt wird, werden wir von Verbrechern regiert“ – der Ausgang des Verfahrens gegen Assange wird zeigen, ob wir definitiv schon so weit sind. Nils Melzer, der Sonderberichterstatter für Folter vom Hochkommissariat der Menschenrechte der Vereinten Nationen, der Julian Assange im Gefängnis mit zwei medizinischen Experten besuchen konnte, spricht von „psychologischer Folter“, der Assange seit Jahren ausgesetzt sei und die sofort beendet werden müsse. Er hat fast 10 Kilo abgenommen und befindet sich derzeit im Krankenhaus des Gefängnisses. Diese Torturen werden von der Öffentlichkeit nur hingenommen, weil Julian Assange der Status als Journalist abgesprochen wird. Stellen Sie sich vor, in Russland oder in China säße ein Kollege, der Dokumente über Kriegsverbrechen und Korruption veröffentlicht hat, wegen Verstoß gegen Meldeauflagen in Isolationshaft und das UN-Kommissariat konstatiert in einem Gutachten „Folter“. Was wäre da international in den Nachrichten los, was gäbe es für einen Alarm von Amnesty International, Reporter ohne Grenzen und aus der Politik ? Als der Springer-Journalist Deniz Yücel in der Türkei in Haft genommen wurde, war das monatelang ein Thema, von „taz“ über FAZ bis „Tagesschau“ bis hin zum Bundespräsidialamt.
Was fällt Ihnen an der Berichterstattung hierzulande zu Assange auf?
Eben dieses penetrante, ignorante Schweigen. Bei dem ich aber nicht weiß, ob es allein aus Unterwürfigkeit gegenüber dem US-Imperium stattfindet oder weil die Branche einfach den Schuss nicht gehört und noch gar nicht gecheckt hat, dass von diesem Fall jede Journalistin, jeder Journalist, jeder Verlag, jede Webseite, alle, die „irgendwas mit Medien“ machen, betroffen sind. Und zwar nicht irgendwie, sondern im Kern. Wer Journalismus noch nicht als Teil einer internationalen Unterhaltungsindustrie versteht, sondern so, wie er in der Verfassung definiert und mit besonderen Rechten ausgestattet ist – als Wachhund und Kontrolleur der Mächtigen, der für den eigentlichen Souverän – das Volk – Transparenz und Öffentlichkeit herstellt – muss verhindern, dass mit der Verurteilung von Julian Assange ein Präzedenzfall geschaffen wird. Deshalb muss immer wieder klargestellt werden: Wikileaks hat keine Verbrechen begangen, sondern Verbrechen aufgedeckt! Julian Assange ist kein Spion, sondern Journalist und Publizist! Er darf nicht an die Vereinigten Staaten ausgeliefert und verurteilt werden, denn seine Tätigkeit ist von allen europäischen Verfassungen geschützt. Seine Verfolgung ist ein massiver Angriff auf die Pressefreiheit. Die Bundesregierung und die EU-Institutionen in Brüssel sind aufgerufen, dies klarzustellen und Julian Assange Asyl zu gewähren. Und wenn ich dort irgendetwas zu sagen hätte, würde ich ihn als Datenschutz- und Whistleblower-Beauftragten einstellen und ihn zusammen mit Chelsea Manning umgehend für den Friedensnobelpreis 2019 nominieren.
Titelbild: Elena Rostunova/shutterstock.com