Teil 2: Nelson Rockefeller und die Anfänge
Wie in Teil I dieser Artikelserie dargestellt, dient die sogenannte „Theologie der Prosperität“ weltweit als pseudo-religiöse Heilslehre und Tatort der Bereicherung selbsternannter, betrügerischer Bischöfe wie dem Brasilianer Edir Macedo. Ein Bericht von Frederico Füllgraf.
Ein ähnlicher Fall ist der des US-amerikanischen Fernseh-Predigers und Multimillionärs Pat Robertson. Einige der vernichtendsten Vorwürfe gegen ihn stammen von ehemaligen Freiwilligen von „Operation Blessing“. Sie beschreiben, wie Mitte der 1990er Jahre Notverpflegungsflüge zur Rettung von Flüchtlingen in Ruanda hunderte von Kilometern von ihrer Flugroute abwichen, um in Wahrheit Ausrüstungen für eine Diamantenabbau-Konzession des Tele-Evangelisten zu landen. Ein Dokumentarfilm behauptete, Robertson habe Millionen Dollar von Spendengeldern auf Kosten der ruandischen Flüchtlinge veruntreut.
Szenenwechsel nach Chile. Hier ermitteln seit 2018 die Staatsanwaltschaft und die Steuerbehörde gegen den 76-jährigen Bischof Eduardo Durán Castro. „Was bedeuten könnte, dass das Imperium, das er mit Spenden der Gläubigen und einer ungewöhnlichen Güteranhäufung errichtete, schwere Rückschläge erleiden könnte“, kommentierte die Internet-Zeitung El Mostrador.
Das Besitz-Portfolio des Bischofs umfasst 12 Immobilien, 9 kommerzielle Parkanlagen – mit 1,02 Millionen Euro Gewinn im Jahr – das Ferntransportunternehmen Jotabeche, Beteiligungen an der Bergbaufirma Indesc und mindestens 6 Luxuslimousinen; Besitztümer im Gesamtwert mehrerer Millionen Euro. Doch die Korruption ist in auffallendem Maße gepaart mit zunehmend rechtsradikaler Militanz und Einwirkung auf die Innen- und Außenpolitik ihrer Länder.
Rechtsradikaler Protagonismus
So empfahl Pat Robertson bereits im Jahr 2005 einen Mordanschlag auf den damaligen Präsidenten Venezuelas, Hugo Chávez. Vierzehn Jahre später rief er im April 2019 mit einem „höllischen Raketenangriff“ zur Eliminierung von Chávez‘ Nachfolger Nicolás Maduro auf. „Wenn er meint, dass wir ihn zu ermorden versuchen, sollten wir das wirklich tun. Es ist kommt viel billiger als die Ausrufung eines Krieges. Und ich glaube nicht, dass die Öllieferungen aufhören werden”, drohte der zynische Tele-Evangelist.
Jackson Jaques, evangelikaler Pastor im südbrasilianischen Porto Alegre, warnte bereits 2014 seine Kirchenbesucher davor, die damals wieder kandidierende Präsidentin Dilma Rousseff zu wählen. Seiner Ansicht nach begingen Christen, die die Arbeiterpartei (PT) wählen, „Verrat am Evangelium“. Als „Argument“ führte Jaques eine angebliche Allianz Brasiliens mit totalitären Ländern an und nannte als Beispiel Beziehungen zur mittlerweile aufgelösten Guerilla-Bewegung FARC sowie zu den Regierungen Venezuelas und Kubas, die angeblich „Evangelikale gewaltsam verfolgen“. Mit ihrer Wahl einer Partei, die die Regierung der Castro-Brüder offen unterstütze, würden Christen direkt dazu beitragen, „ein Regime aufrechtzuerhalten, das die kubanischen Brüder jagt und tötet“ – verbreitete Jaques eine abstruse Verschwörungstheorie.
Die heute rund 180 von insgesamt 513 Parlamentariern zählende „Evangelische Fraktion“ in der brasilianischen Abgeordnetenkammer stimmte im April 2016 vollzählig für die illegale Absetzung von Präsidentin Dilma Rousseff. Zur Begründung beriefen sich die Evangelikalen 59 Mal auf den „Willen“ und den „Segen Gottes“.
Bischof Durán Castro bildet keine Ausnahme. In einem im September 2017 ausnahmsweise in der evangelischen Kathedrale von Santiago de Chile stattgefundenen, feierlichen Tedeum beschimpften Sprechchöre seiner Anhänger, wegen ihrer Politik zur Entkriminalisierung der Abtreibung und Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe, die amtierende Präsidentin Michelle Bachelet als „Mörderin“. Doch Bischof Emiliano Soto, Vorsitzender des erweiterten Bündnisses evangelischer Gemeinden Chiles, unterstellte eine kalkulierte Kampagne und erklärte, „das war ein vorher abgekartetes Spiel”.
Die neo-evangelikalen Kirchen bedrohen die Demokratie in Lateinamerika, warnte der Journalist José Ospina-Valencia wenige Wochen nach der Wahl Jair Bolsonaros in einem mehrfach verbreiteten Kommentar für die Deutsche Welle.
„Paradoxerweise“, bemerkte Ospina-Valencia, „obwohl die kulturelle und wirtschaftliche Weiterentwicklung der Gesellschaften (Lateinamerikas) im Großen und Ganzen mit liberalen und protestantischen Prinzipien im Einklang stand – also, dass ´die Gedanken frei sind´ – richten sich die Angriffe der neopentekostalen Bewegung jedoch radikal gegen das Prinzip der freien Meinungsbildung. Die Radikalisierung gegen die Fortschritte offener Gesellschaften – wie die Abschaffung der Todesstrafe, das Selbstbestimmungsrecht der Frauen oder der Respekt gegenüber Minderheiten – geht soweit, dass diese Fortschritte als ´Gender-Ideologie zur Zerstörung von Familie und der Untergrabung der Moral´ verleumdet und diffamiert wird.“
Obwohl die rechtsradikale Militanz von Sozial- und Religionswissenschaften und Medien als neuzeitliches Phänomen wahrgenommen wird, ist sie der Auswuchs einer vor mehr als einem halben Jahrhundert ausgestreuten Saat.
Der Rockefeller-Report
Als Vizepräsident Richard Nixons unternahm Nelson Rockefeller 1969 eine jener US-amerikanischen Good-Will-Propaganda-Tourneen durch mehrere lateinamerikanische Länder. In seinem anschließenden Reisebericht empfahl er der US-Regierung, dem CIA und anderen Behörden Förderungs-Richtlinien zur Expansion fundamentalistischer, evangelikaler Sekten mit dem Ziel, das Ansehen der katholischen Kirche in Lateinamerika zu untergraben und politische Spaltung zu provozieren. In seinem Bericht diagnostizierte der New Yorker Milliardär und Erbe des Standard-Oil- und First-National-City-Bank-Imperiums, der Katholizismus habe sich zum „gefährlichen Zentrum potenzieller Revolution” entwickelt, sodass es dringend erforderlich sei, lateinamerikanische Katholiken von „anderen Formen von Christentum” zu überzeugen.
Hintergrund von Rockefellers Alarmaufruf bildeten die entscheidenden Tagungen der lateinamerikanischen Bischofskonferenz (CELAM) in Medellín und Puebla, auf denen die offizielle Kirche ihre sogenannte „bevorzugte Option für die Armen“ beschloss und der mittlere Klerus – angeführt von PhDs wie dem Brasilianer Leonardo Boff oder dem Peruaner Gustavo Gutiérrez Merino – die Theologie der Befreiung ausrief.
In seinen Bericht ließ Rockefeller allerdings auch Pläne der familieneigenen The Rockefeller Foundation einsickern, wie zum Beispiel die „Kontrolle der Weltbevölkerung“ durch massive Geburtenkontrolle in Entwicklungsländern und jenes totalitäre, Orwellsche Szenario vom Chip-Implantat in Menschen zur vollständigen Kontrolle über Wirtschaft und Weltpolitik.
Für die Bekämpfung der katholischen Kirche empfahl die Stiftung die Förderung von Missionen der Mormonen, der Zeugen Jehovas und der sogenannten Vereinigungskirche, auch bekannt als Moon-(“Mond“-)Sekte. Mit ausgeprägtem antikommunistischen Charakter wurde der Sekten-Export nach Lateinamerika direkt von Präsident Nixon während seiner Amtszeit unterstützt. Parallel dazu finanzierten CIA und das von Henry Kissinger geleitete State Department auch die medialen und militärischen Vorbereitungen für den blutigen Putsch vom September 1973 gegen die demokratisch gewählte Regierung Salvador Allende in Chile.
Der US-Kongress spielte eifrig mit. Der erste wirksame Schritt war ein parlamentarischer Beschluss zur massiven und sukzessiven Entsendung von Missionen der Mormonen und der Bereitstellung von Dollar-Millionen für den Bau mormonischer Tempel in ganz Lateinamerika zur schrittweisen Austrocknung des Kirchengangs der Katholiken.
In einem Interview von 1978 beargwöhnte Bischof Sergio Méndez Arceo im mexikanischen Cuernavaca, dass US-Analysten „auffallend mit den Pfaden beschäftigt zu sein schienen, die die Kirche einschlägt”. Als erstes Beispiel nannte er die Diskussion des Rockefeller-Berichts über die Medellín-Konferenz von 1968, auf der die lateinamerikanischen Bischöfe zu dem Schluss kamen, dass innere wie auswärtige Gesellschaftsstrukturen die Mehrheit der Lateinamerikaner durch „institutionalisierte Gewalt” unterdrückten. Laut Penny Lemoux warnte Rockefeller die US-amerikanische Geschäftswelt vor der anti-imperialistischen Natur der Medellín-Dokumente. Die US-Journalistin wies in ihrer Untersuchung des Berichts darauf hin, dass der Einwand Rockefellers, die katholische Kirche sei „anfällig für subversive Unterwanderung”, die Grundlage für die Politik der USA gegenüber der Kirche in Lateinamerika in den 1970er Jahren bildete.
Der brasilianische Publizist Julio Severo erinnerte unlängst in einem Artikel daran, dass Rockefeller auch Ghostwriter des berüchtigten NSSM-200-Kissinger-Berichts war – ein vertrauliches Dokument der US-Regierung aus dem Jahr 1974, das sich mit dem „Ressourcen-Erhalt fremder Nationen für die US-Interessen“ und dem damit gekoppelten Bevölkerungsabbau als Mittelpunkt befasste. Der Zweck der anvisierten Geburtenkontrolle bestand darin, die Opposition gegen die Interessen der USA in diesen Ländern zu schwächen.
Der von Severo zitierte links-katholische US-amerikanische Blogger Mike Rivage-Seul erinnerte allerdings in seinem Artikel, „die Regierung Ronald Reagan befolgte den Rat Rockefellers und reagierte sowohl mit ideologischer als auch mit militärischer Intervention. Rivage-Seul zufolge bestand eine Vereinbarung zwischen Ronald Reagan und Papst Johannes Paul II. Reagan versprach im Kampf gegen den Kommunismus in Polen zu helfen, im Gegenzug versprach der Papst über die US-amerikanische Offensive gegen die sogenannten „linken Katholiken“ in Lateinamerika zu schweigen. Die päpstliche Zusammenarbeit geschah auch durch die schrittweise Ersetzung befreiungstheologisch orientierter Bischöfe durch konservative Würdenträger. Doch auch drei Jahrzehnte später war die Zahl der katholischen Bischöfe, die sich für die Befreiungstheologie einsetzten, enorm. Die Auswechslungen reichten nicht aus.
Theresa Keeley, Historikerin an der University Louisville, schlussfolgert in ihrem bereits zitierten Essay Medellín Is “Fantastic”: Drafts of the 1969 Rockefeller Report on the Catholic Church, dass im darauffolgenden Jahrzehnt Ronald Reagans militärisches Vorgehen in Mittelamerika auffällige Ähnlichkeiten mit den Empfehlungen des Rockefeller-Berichts erkennen ließ. Kritiker stellten Verbindungen zwischen dem Bericht und dem Santa-Fe-Dokument der lateinamerikanischen Bischöfe her, in dem die Berater des Präsidentschafts-Kandidaten Reagan behaupteten, dass „marxistisch-leninistische Kräfte die Kirche als politische Waffe gegen Privateigentum und produktiven Kapitalismus benutzt und die Gemeinden mit Ideen infiltriert haben, die wenig christlich, umso mehr kommunistische Ideologie waren“.
Mit der damit gekoppelten Feststellung Rockefellers, „die katholische Kirche hat aufgehört, ein Verbündeter zu sein, dem die USA vertrauen können”, holten US-Regierung und der deep State schließlich zum Vernichtungsschlag gegen die Befreiungstheologie aus – nämlich mit der Verbreitung protestantischer Kirchen und konservativer Sekten in gesamt Lateinamerika.
Jair Bolsonaro, der seit dem 1. Januar amtierende brasilianische Präsident, war bis vor wenigen Jahren Katholik. Seine dritte Ehefrau holte ihn jedoch in ihre Baptisten-Kirche US-amerikanischen Ursprungs. Ohne die massive Stimmabgabe der Evangelikalen hätte der rechtsradikale Ex-Hauptmann niemals die Präsidentschaftswahlen von 2018 gewonnen. Als Anerkennung für die evangelikale Unterstützung ernannte Bolsonaro die Anwältin und Pastorin Damares Alves von der brasilianischen Niederlassung der US-amerikanischen Foursquare-Sekte vom “Vierecks-Evangelium” zur Familien-Ministerin.
Verantwortlich für den Schutz der Menschenrechte, der Frauen und den Abbau der Rassendiskriminierung in der Regierung Bolsonaro, verbreitet die Dame seit fünf Monaten anstatt aktiver Gesellschaftspolitik vielmehr Plattitüden bis demenzielle Visionen.
Alves geriet in die Schlagzeilen, als sie während eines evangelischen Gottesdienstes erzählte, den leibhaftigen Jesus auf einem Guava-Strauch sitzend gesehen zu haben, der ihren Gedanken lauschte und sie besänftigte. Von kritischen Medien als psychotischer Sprung übers Kuckucksnest oder als absichtliche Täuschung der armen Gläubigen bezeichnet, gilt Damares Alves inzwischen als Inkarnation des grotesken Brasilien, jedoch auch als Metapher evangelikaler Massenverblödung.
Titelbild: Richard Nixon Foundation