Grünen-Politiker Habeck und die Verschleierung der Realität

Grünen-Politiker Habeck und die Verschleierung der Realität

Grünen-Politiker Habeck und die Verschleierung der Realität

Ein Artikel von Marcus Klöckner

Ursachen für die Probleme unserer Zeit benennen, Verantwortliche ans Licht zerren: Das ist das, was man von einem Politiker erwarten darf, der gerade als möglicher Kanzler im Gespräch ist. Der Grünen-Politiker Robert Habeck ist beliebt und viele Medien sind an dem Hype nicht unbeteiligt. Doch vor kurzem hat der Co-Parteichef der Grünen an prominenter Stelle einen Satz gesagt, der den kritischen Beobachter fragen lässt: Unterscheidet sich Habeck, auch wenn er sich augenscheinlich von anderen Politikern abhebt, doch gar nicht so sehr vom Rest der politischen Akteure? Von Marcus Klöckner.

Mit Sprache kennt sich Habeck aus. Erst im vergangenen Jahr hat er ein Buch veröffentlicht, in dessem Untertitel es heißt: „Warum unsere Demokratie eine offene und vielfältige Sprache braucht“. In der Vorstellung des Buches ist zu lesen, „dass die Frage, wie wir sprechen, entscheidend ist für die Gestaltungskraft unserer Demokratie.“ Und weiter: „Dass Sprache – nicht nur in der Politik – den Unterschied macht.“ Das klingt vernünftig – und weckt Hoffnungen. Ist Habeck etwa einer jener allenfalls nur selten existierenden Politiker, die eine Sprache verwenden, die Realität nicht verschleiert, sondern so konkret es überhaupt nur geht, Missstände und Verantwortliche benennt?

Nun, vergangene Woche hat der Politiker der Wochenzeitung DIE ZEIT ein Interview gegeben (hinter einer Bezahlschranke), in dem ein Satz vorkom, der tief blicken lässt.

Es geht um folgende Stelle…

DIE ZEIT: Herr Habeck, die Volksparteien taumeln, die große Koalition ist am Ende. Was schlagen Sie vor, um die Krise zu überwinden?
Robert Habeck: Was wir erleben, ist eine Erosion des Vertrauens in politische Handlungsfähigkeit. Den ganzen Tag hören wir, die Klimakrise ist die Bedrohung unseres Jahrhunderts, Amazon, Google und Facebook zahlen in Europa kaum Steuern, es gibt zu viel Nitrat auf den Feldern, die Mieten explodieren. Menschen erwarten, dass entsprechend gehandelt wird.
ZEIT: Brauchte es dafür nicht eine neue Regierung?
Habeck: Es wäre aus meiner Sicht falsch, jetzt das Spiel der Krise mitzuspielen, auch nicht als Oppositionspolitiker. Der Grund für die Krise ist das Misstrauen der Menschen, dass Politik, wie wir sie kennen, angesichts globaler Umschwünge das Gebot der Fairness nicht mehr durchsetzen kann. Und solange dieses Misstrauen schwelt, ist es schwer, Begeisterung für Demokratie herzustellen. Deshalb gilt, dass auch die Opposition sich verantwortungsvoll verhält, dass sie inhaltliche Vorschläge macht, aber nicht herumzündelt.

Folgender Satz ist bemerkenswert:

„Der Grund für die Krise ist das Misstrauen der Menschen, dass Politik, wie wir sie kennen, angesichts globaler Umschwünge das Gebot der Fairness nicht mehr durchsetzen kann.“

Er ist ein Musterbeispiel einer Aussage, die vorgibt „Gründe“ und „Ursachen“ aufzuzeigen, aber dabei das genaue Gegenteil macht. Diese Aussage zeigt nicht auf, sie verschleiert. Zunächst: Die sinntragenden Formulierungen „globale Umschwünge“ und „Gebot der Fairness“ sind so vage, dass, wollte man ernsthaft freilegen, was damit gemeint ist, man gleich versuchen könnte, einen Pudding an die Wand zu nageln. Wir können hier die typische Sprache eines Politikers identifizieren, die vordergründig, also bei oberflächlicher Betrachtung so gefällig ist, dass wahrscheinlich viele Leser kaum über die Aussagen stolpern dürften. Ist es etwa nicht so? Leben wir etwa nicht in einer Zeit „globaler Umschwünge“ (jeder Leser kann diese Formulierung selbst mit einem Vorstellungsbild aufladen)? Sind wir Bürger gegenüber der Politik nicht tatsächlich misstrauisch, weil wir befürchten, dass ein „Gebot der Fairness“ (auch bei dieser Formulierung hat jeder vermutlich ein eigenes Bild im Kopf) nicht durchgesetzt wird? Was genau passiert in diesem Satz?

Die schwammige Formulierung „globale Umschwünge“ erzeugt eine Art Nebelwand. Sie verdeckt den Blick auf die Tatsache, dass konkret handelnde Akteure, Institutionen und Interessengruppen durch ihre Weichenstellungen oder Nichtweichenstellungen zu bestimmten Entwicklungen beigetragen haben oder diese gar erst erzeugen.

Wie so oft in der Sprache der Politik (aber auch der Journalisten) werden die tatsächlich handelnden Akteure unsichtbar gemacht und ein abstraktes sprachliches Gebilde (die Globalisierung, der Markt usw. usf.) zum ‚Leben‘ erweckt, dem man dann (bequemerweise) alle Schuld zuschieben kann (vgl.: „Mit Sprache Herrschaft verschleiern und verklären“) . Um es abzukürzen: Übernimmt man diese Perspektive, dann begibt man sich auf die Ebene eines Phantomkampfes. Wie soll man auch „globale Umschwünge“ ‚bekämpfen‘ oder ‚in den Griff‘ kriegen. Sie sind nichts weiter als eine schattenhafte Formulierung. Warum sagt man als Politiker, der ernsthaft eine andere Politik als die vorherrschende praktizieren möchte, nicht einen Satz wie: Keine „globalen Umschwünge“ sind schuld daran, dass Menschen ihr Vertrauen in die Politik verloren haben, sondern wir Politiker oder genauer: Teile meiner eigenen politischen Klasse sind diejenigen, die durch Arroganz, Inkompetenz, Machtgeilheit und katastrophale Entscheidungen zur Krise der Parteien beigetragen haben.

So in etwa könnte ein Politiker reden, der tatsächlich vorhat, an die grundlegenden Ursachen ranzugehen.

Gewiss: Man muss nicht jeden Satz eines Politikers in einem Interview auf die Goldwaage legen. Wir wissen auch an der Stelle nicht, ob Habeck diesen Satz tatsächlich so gesagt hat oder ob er erst im Laufe des Autorisierungsprozesses Eingang in das Interview gefunden hat (was es nicht besser machen würde). Nur: Gerade bei einem Politiker, der so beliebt ist und den Medien so hypen, sollte man genauer schauen und auf die Sprache achten. Und so ein Satz darf einen ruhig hellhörig werden lassen.

Von den Aussagen Habecks ist es nicht weit zur Medienkritik. Aufgabe von Journalisten wäre es, auf solche scheinbar unverdächtigen Sätze zu achten und nachzuhaken. Doch genau das passiert nicht. Und der Grund ist offensichtlich: Zumindest ein Teil der Journalisten nimmt die politische und soziale Realität ähnlich wahr wie so manche Politiker, die sie interviewen und sehen in derlei Aussagen wie den hier zitierten offensichtlich keinerlei Problem.

Vom kritischen Journalismus ist wieder einmal keine Spur, aber, immerhin: Stattdessen rücken Löcher in Habecks Socken, die eine Alphajournalistin bei einer Bahnfahrt mit dem Politiker entdeckt hat, in den Vordergrund (hier ihre Rechtfertigung).

Hier eine Sprache, die verschleiert, da Journalisten, die auf Nebensächlichkeiten fokussieren. Nein, so können die Gründe für die großen Krisen unserer Zeit und das „Taumeln“ der großen Koalition nicht freigelegt werden. So werden die Ursachen verschüttet.

Titelbild: StudioRoehl/shutterstock.com

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