Rente mit 67 aussetzen! Rentenzugangsalter: Auch eine Herausforderung für die EU
Die Bundesregierung ist verpflichtet, in diesem Jahr zu prüfen, ob die arbeitsmarkt- und gesundheitlichen Voraussetzungen zur Anhebung des gesetzlichen Rentenalters von 65 auf 67 Jahre ab dem Jahr 2012 bis 2029 überhaupt vorliegen. Dabei gibt es kaum ein sozialpolitisches Thema, das die Menschen ähnlich stark bewegt: 80 Prozent der Bundesbürger lehnen die Rente mit 67 ab. Dafür haben sie gute Gründe: Über 60- Jährige sind nur zu einem Drittel überhaupt noch erwerbstätig; Arbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit älterer Arbeitnehmer sind überdurchschnittlich hoch; für die heute über 50-Jährigen und die nachkommenden Generationen – vor allem in den neuen Bundesländern – wird das Schicksal der Armutsrenten dramatisch steigen. Eine Anhebung des gesetzlichen Rentenalters unter diesen Bedingungen auf 67 bedeutet für die große Mehrheit der älteren Arbeitnehmer: unwürdige Arbeitsbedingungen, längere Zeit in Hartz IV, noch höhere Abschläge bei den Altersrenten und damit wachsende Altersarmut. Von Ursula Engelen-Kefer
Gründe für die Anhebung der Rente mit 67 sind wenig überzeugend
Wenig überzeugend sind Argumente, zu dieser pauschalen Anhebung der Altersgrenze auf 67 gebe es keine Alternative. Ansonsten würden die Kosten und damit die Belastung der Beitragszahler zu stark steigen, wird behauptet. Die Rente mit 67 – mit der Ausnahme für Arbeitnehmer mit 45 beitragspflichtigen Beschäftigungsjahren, die mit 65 in die Rente ohne Abschläge gehen können – bringt pro Jahr eine Entlastung der Beiträge um etwa 0,5 Prozent. Dies sind ungefähr 4 Mrd. Euro. Dies ist gerade einmal ein Drittel der hohen steuerlichen Subventionen für die private Zusatzrente pro Jahr, die vor allem von den „Besserverdienenden“ in Anspruch genommen wird. Diese steuerlichen Mittel wären sozial und wirtschaftlich besser eingesetzt, wenn damit die Aussetzung der Rente mit 67 ab 2012 finanziert würde. Dies würde der großen Mehrzahl der zukünftigen Rentner zugute kommen.
Die weltweite Finanz-, Wirtschafts- und Beschäftigungskrise ist noch längst nicht überwunden. Erwartet wird ein weiterer Anstieg der Arbeitslosigkeit. Besonders betroffen davon sind jüngere und ältere Arbeitnehmer. Die schwierige Lage auf dem Arbeitsmarkt wird verschärft durch die 2007 von der Großen Koalition beschlossene stufenweise Anhebung des Rentenzugangsalters von 65 auf 67 Jahre bereits ab dem Jahr 2012 bis zum Jahr 2029. Befürchtet werden zu Recht für die Jüngeren und Älteren weitere Nachteile bei der Beschäftigung und höhere Arbeitslosigkeit.
Auch in der Rentenpolitik übt Deutschland Druck auf seine Nachbarn aus
Für viele Arbeitnehmer in Europa – auch in der Bundesrepublik – kann es daher nur noch wie Hohn klingen, wenn der französische Arbeitsminister jetzt die Rente mit 70 propagiert. Damit soll das sich bis zum Jahre 2050 aufbauende Defizit in der französischen Rentenversicherung von über 100 Mrd. Euro abgebaut und die Kreditwürdigkeit Frankreichs gerettet werden.
In Frankreich gibt es dagegen erheblichen Widerstand: Dies komme einem politischen Selbstmord gleich. Bisher war keine Regierung in der Lage, den Franzosen ihre Rente mit 60 im öffentlichen Dienst zu nehmen. Die Regierung in Griechenland, die wegen der Überschuldung ihres Landes mit dem Rücken zur Wand steht, ist mit massiven Protesten ihrer Bürger konfrontiert, da sie die Anhebung des Rentenalters von derzeit sogar nur 37 Versicherungsjahren bzw. unter bestimmten Voraussetzungen ab 55 Jahren als wesentlichen Teil ihres Sparprogramms durchsetzen will.
Es stellt sich mithin die Frage: Führt die Entwicklung in der Europäischen Union dazu, dass immer mehr Regierungen gezwungen werden, sich über den Willen der großen Mehrheit in der Bevölkerung hinwegzusetzen und das Rentenalter anzuheben.
Dabei ist natürlich ein Unterschied danach zu machen, welches Ausgangsniveau des Rentenalters in den verschiedenen Ländern besteht – ob der Renteneintritt bei 55, 60 oder 65 Jahren liegt. Sind auf längere Sicht überhaupt derartige Unterschiede beim gesetzlichen Rentenzugangsalter in einem einheitlichen Wirtschafts- und Währungsraum und zusammenwachsenden politischen Europa durchzuhalten?
Diese Fragen haben an Dringlichkeit gewonnen, da die EU mit ihrem finanziellen Hilfspaket für Griechenland – entgegen bisherigen vertraglichen Regelungen – auf dem Wege ist, in die Haushaltspolitik der Mitgliedsländer stärker einzugreifen.
Es stellt sich dabei das Problem: Können nationale Steuerzahler verpflichtet werden, als Ausfallbürgen einzutreten, wenn einzelne Mitgliedsländer der EU sich überschulden, wozu u.a. auch ein niedrigeres Rentenalter beitragen kann. Dies alles läuft auf die Kernfrage hinaus: Bedingt die Wirtschafts- und Währungsunion nicht eine schnellere Angleichung der Wirtschafts- und Sozialpolitik und damit auch der gesetzlichen Rentenversicherung mit ihrem jeweiligen Renteneintrittsalter. Und natürlich die Gretchenfrage, die viele Menschen auch in der Bundesrepublik bei der anstehenden Erhöhung des Rentenzugangsalters auf 67, umtreibt: Welches Niveau soll für die gesetzlichen Altersrenten und das gesetzliche Renteneintrittsalter gelten? Das sind grundlegende Fragen für das oft postulierte, aber bisher kaum ausgefüllte „Soziale Europa“.
Auf diese Fragen gibt es keine eindeutige Antwort. Wenn dies schon auf nationaler Ebene erheblich umstritten ist, gilt dies noch viel mehr für die EU der 27 Mitgliedsländer mit großen Unterschieden in der Wirtschaftskraft sowie der Sozialen Sicherung. Es wäre jedoch schon viel gewonnen, wenn in allen Mitgliedsländern die erforderlichen eigenen Abwägungen getroffen würden und die notwendige Transparenz (auch der Detailregelungen) in der EU hergestellt würde. Erst auf dieser Basis dürfte dann eine politische Koordinierung stattfinden. Dabei wäre es bereits ein wesentlicher Schritt, wenn die Mitgliedsländer der EU bereit und in der Lage wären, im Sinne eines sozialeren Europas bei zukünftigen Reformen der gesetzlichen Rentenversicherung und des gesetzlichen Rentenalters nicht nur an einem Strang zu ziehen, sondern dies auch noch in die gleiche Richtung. Mehr ist in absehbarer Zeit bei den gravierenden Unterschieden und dem auch im gerade verabschiedeten Vertrag von Lissabon verankerten vorherrschenden Prinzip der „Subsidiarität“ auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Danach müssen zunächst die jeweils kleineren administrativen und staatlichen Einheiten ihre Probleme selbst lösen, bevor die EU eingreifen dürfte. Also muss auch jeder Mitgliedsstaat in der EU zunächst selbst seine Alterssicherung zukunftsfest machen. Dazu gehören in erster Linie: die Stärkung der solidarischen gesetzlichen Altersvorsorgesysteme, ein armutsfestes Niveau der Rentenleistungen und – im Zusammenhang damit stehend – natürlich auch das Rentenzugangsalter.
Rente mit 67 aussetzen
Wie schon erwähnt, ist die Bundesregierung verpflichtet, in diesem Jahr zu prüfen, ob die arbeitsmarkt- und gesundheitlichen Voraussetzungen zur Anhebung des gesetzlichen Rentenalters von 65 auf 67 Jahre ab dem Jahr 2012 bis 2029 überhaupt vorliegen. Die Ablehnung in der Bevölkerung und einige zwingende Gründe für ein Aussetzen der Rente mit 67 habe ich schon genannt.
Zusätzlich ist zu berücksichtigen: Die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit für Arbeitnehmer mit 45 beitragspflichtigen Beschäftigungsjahren auch in Zukunft mit 65 Jahren in die abschlagsfreie Rente gehen zu können, wird in Zukunft von immer weniger Arbeitnehmern in Anspruch genommen werden können. Die Gründe sind: die hohe Arbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit mit Minibeiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung sowie die prekäre Beschäftigung mit niedrigen Löhnen und unterbrochenen Sozialversicherungsbeiträgen. Frauen mit zum großen Teil unterbrochenen Erwerbsbiographien etwa wegen der Kindererziehung und somit geringen Beitragsjahren werden von dieser Ausnahmeregelung kaum profitieren, müssen jedoch mit ihren Beiträgen und Steuern zu deren Finanzierung beitragen.
Die Höhe des Rentenzugangsalters muss im Zusammenhang mit dem Arbeitsmarkt sowie dem gesamten Sozial- und Rentensystem gesehen werden. Zudem müssen die Rentenleistungen einerseits und die Beitragslasten für die Erwerbstätigen andererseits im wirtschaftlichen, sozialen und politisch akzeptierten Gleichgewicht gehalten werden.
Die gesetzliche Altersrente – wie im Übrigen das gesamte System der gesetzlichen umlagefinanzierten Sozialversicherung – basiert auf dem gesellschaftlich akzeptierten Generationenvertrag mit einem Solidarausgleich zwischen den Stärkeren und Schwächeren auf Seiten der Beitragszahler und Rentner.
Dieses gesetzliche Solidarsystem finanziert etwa 80 Prozent der gesamten Rentenleistungen in Deutschland. Bei einem Bevölkerungsanteil der Rentner von 25 Prozent mit steigender Tendenz auf ein Drittel 2030 wird die soziale, wirtschaftliche und politische Brisanz der Heraufsetzung des gesetzlichen Rentenalters deutlich.
Um dieses Solidarsystem zukunftsfähig zu machen und zu halten, muss es kontinuierlich an die Veränderungen in Demographie, aber vor allem auch an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die allgemeinen Lebensverhältnisse angepasst werden
- Zum Ausgleich der demographisch bedingten Veränderungen – Zunahme der Zahl der Rentner pro Beitragszahler – sind schon mit der großen Rentenreform 1989 – in Kraft getreten 1991- bereits erhebliche Anpassungen durch die Absenkung des Rentenniveaus und damit sowohl der Rentenleistungen wie auch der Beitragsbelastung vorgenommen worden.
- Dabei ist auch das tatsächliche Rentenzugangsalter durch Abbau der Möglichkeiten des vorzeitigen Eintritts in den Ruhestand – insbesondere für Frauen und Arbeitslose – mehrfach erhöht worden. Dabei ging es vor allem darum, das erheblich niedrigere faktische Rentenzugangsalter (lange Zeit etwa 60 Jahre) an das gesetzliche Rentenalter von 65 Jahren anzunähern. Dies ist auch durchgesetzt worden. Derzeit wird das durchschnittliche Rentenzugangsalter mit etwa 63 Jahren angegeben.
- Allerdings heißt das nicht, dass die Arbeitnehmer mit 63 Jahren aus dem Erwerbsleben in den Ruhestand gehen. Bei einer Erwerbsquote der über 60-Jährigen von im Durchschnitt etwa einem Drittel bedeutet dies: Ältere Arbeitnehmer müssen in zunehmendem Maße aus der Langzeitarbeitslosigkeit oder mit Erwerbsminderung in die Rente gehen.
- Analysen der noch erwerbstätigen älteren Arbeitnehmer zeigen hohe Anteile in prekärer Beschäftigung mit niedrigen bzw. Armutseinkommen: geringfügige Beschäftigung, Leiharbeit, Niedriglohnsektoren, prekäre Selbständigkeit. Beim Übergang von Langzeitarbeitslosigkeit in die Rente – im Osten Deutschlands besonders stark für die heute über 45-Jährigen ausgeprägt – heißt dies demnächst (ab dem Jahre 2020 Renten unterhalb der Grundsicherung – also Armutsrenten).
- Verstärkt wird dies durch die mehrfachen massiven Absenkungen des Rentenniveaus ab 2001 – vor allem durch die sog. Riesterrente, also der Einführung der privaten kapitalgedeckten Zusatzrente bei gleichzeitigem Abbau der gesetzlichen Altersrente. Während vor allem jüngere besser Verdienende von der staatlichen Förderung der Riesterrente profitieren, müssen die geringer Verdienenden die Absenkungen bei der gesetzlichen Altersrente hinnehmen und dazu noch zu der steuerlichen Förderung der kapitalgedeckten Altersrente beitragen.
- Wenn jetzt das gesetzliche Rentenalter von 65 auf 67 Jahre heraufgesetzt wird, bedeutet dies einen weiteren Abbau der Rentenleistungen. Bereits heute muss ein Arbeitnehmer für jedes Jahr, das er vor dem 65.Lebensjahr in Rente geht, einen Abschlag von 3,6 Prozent hinnehmen. Geht er mit dem 60sten Lebensjahr sind dies bereits 18 Prozent. Auch beim Eintritt in die Rente mit 63 Jahren sind dies immerhin 7,2 Prozent. Wird das gesetzliche Rentenalter auf 67 angehoben, erhöhen sich die Abschläge um nochmals zwei Jahre, d.h. 7,2 Prozent.
- Alle Untersuchungen zeigen, dass Arbeitnehmer in gering qualifizierten Beschäftigungsverhältnissen mit oft hohen gesundheitlichen Belastungen und niedrigen Löhnen im Durchschnitt eine geringere Lebenserwartung haben. Nachweisbar ist auch ein enger Zusammenhang zwischen Langzeitarbeitslosigkeit und länger andauernder Krankheit. Diese Menschen sind von einer Anhebung des gesetzlichen Rentenalters in doppelter Weise benachteiligt: zum einen werden sie noch höhere Abschläge von ihren niedrigen Renten hinnehmen müssen; zum anderen werden sie weniger Jahre für den Bezug der in ihrem oft harten und entbehrungsreichen Arbeitsleben erworbenen Rentenleistungen haben.
Da die Begründung für die Einführung der Heraufsetzung der gesetzlichen Altersgrenze auf 67 Jahre ab 2012 (siehe oben) alles andere als überzeugend ist, ist die Rente mit 67 auszusetzen, zumindest so lange bis tatsächlich die arbeitsmarkt- und gesundheitlichen Voraussetzungen vorliegen, die die derzeit zu erwartenden gravierenden Folgen ausschließen. Solange dies nicht der Fall ist, muss das gesetzliche Rentenzugangsalter bei 65 Jahren bleiben.
Mehr Flexibilität beim Rentenzugang – für wen?
Mit dem „Lissabon Prozess“ in der Europäischen Union (EU)aus dem Jahr 2000 sollen Wirtschaftswachstum, Bildung, Wissenschaft und Forschung sowie Beschäftigung in Europa erheblich gestärkt werden. Die Zauberformel dazu lautet: „Flexicurity“. Gemeint ist damit die Kombination von mehr Flexibilität der Arbeitnehmer bei gleichzeitiger sozialer Sicherheit (im Sprachgebrauch der EU: Sozialer Schutz und Zusammenhalt).
In der Bundesrepublik ist im Gegensatz zur Forderung nach der Wahrung sozialer Sicherheit die Flexibilität beim Übergang aus dem Erwerbsleben in den Ruhestand erheblich eingeschränkt worden. Für die Begrenzung des vorzeitigen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben gibt es gute Gründe: rigorose Unternehmenspolitik zur Verjüngung der Belegschaften; Herausdrängen älterer Arbeitnehmer aus dem Erwerbsleben, ohne dass genügend neue Beschäftigung für jüngere Arbeitnehmer geschaffen wird; Verlagerung der damit verbundenen Kosten auf die Sozialversicherung und insbesondere die gesetzliche Rentenversicherung. Diesen „Mitnahmeeffekten“ auf Unternehmerseite musste ein Riegel vorgeschoben werden.
Höchst problematisch ist allerdings die „Rigorosität“ dieser Einschränkungen und vor allem die pauschale Heraufsetzung des Rentenzugangsalters von 65 auf 67 Jahre. Diese trifft alle Arbeitnehmer gleichermaßen – unabhängig von ihrer arbeitsmäßigen Belastung und damit gesundheitlichen Verfassung, unabhängig auch von der Verfügbarkeit geeigneter Arbeitsplätze mit alternsgerechten Arbeitsbedingungen oder geeigneter Möglichkeiten zum „lebenslangen Lernen“ und damit der notwendigen Anpassung ihrer Qualifikationen. Unberücksichtigt blieb auch die Gefährdung und Betroffenheit der Arbeitnehmer von Arbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit, von Niedriglöhnen, prekärer Beschäftigung und Armut bei Arbeit.
Gerade bei diesen für die meisten Menschen existenziell wichtigen Entscheidungen für den Übergang in die Rente ist sicherlich mehr Flexibilität notwendig. Diese Flexibilität muss sich allerdings an den Bedürfnissen und Möglichkeiten der Arbeitnehmer ausrichten – etwa bezüglich ihrer Gesundheit, geeigneter Arbeitsplätze mit menschenwürdigen Arbeitsbedingungen sowie den finanziellen Möglichkeiten. Unabdingbare Voraussetzungen einer Heraufsetzung der Altersgrenze wären: die Verfügbarkeit ausreichender Arbeitsplätze sowie die Schaffung alters- und alternsgerechter Arbeitsbedingungen. Ohne das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist dieser Weg nicht verantwortbar: die Heraufsetzung würde alleine auf dem Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen – mit noch höheren Abschlägen von den im Niveau weiter dramatisch absinkenden Altersrenten.
Derzeit liegen die vom Gesetzgeber geforderten Voraussetzungen weder bei den Arbeitsplätzen und den Arbeitsbedingungen noch den gesundheitlichen Voraussetzungen für eine derartige Anhebung des gesetzlichen Rentenalters vor.
Schaffung alters- und alternsgerechter Arbeitsbedingungen
Zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für ältere Arbeitnehmer müssen zunächst alle diskriminierenden gesetzlichen Regelungen, die einer existenzsichernden Beschäftigung entgegen stehen, aufgehoben werden. Dazu gehört zuallererst die Abschaffung der Möglichkeit für Arbeitgeber, Arbeitnehmer ab einem Alter von 50 Jahren nur noch befristet zu beschäftigen. Die Folge ist eine Zunahme prekärer Beschäftigung mit niedrigen Löhnen und einem hohen Risiko der Entlassungen und Arbeitslosigkeit für ältere Arbeitnehmer.
Hingegen müssten Arbeitgeber durch die Politik in die Pflicht genommen werden, ihren Beitrag zu besseren Beschäftigung älter werdender Arbeitnehmer zu leisten. Dies liegt auch im Eigeninteresse der Wirtschaft, da infolge der demographischen Veränderungen in Zukunft weniger jüngere Arbeitnehmer zu Verfügung stehen und daher die Potentiale der älter werdenden Belegschaften besser genutzt werden müssen. Politik und Gesetzgeber müssten den Arbeitgebern einen verpflichtenden Rahmen vorgeben – etwa für umfassende Analysen der Personalstrukturen in der erforderlichen Tiefe, für die Anpassung der Arbeitsbedingungen an die Leistungsfähigkeit mit zunehmendem Lebensalter, für flexiblere Modelle der Arbeitszeitgestaltung unter Berücksichtigung der älter werden Mitarbeiter, für die Ermöglichung von Lebenszeit-Arbeitskonten mit ausreichendem Insolvenzschutz, für ausreichende Angebote des lebenslangen Lernens ohne Altersbegrenzung nach oben sowie unter Einbeziehung aller Qualifikationsebenen, für regelmäßige Analysen der Gefährdungen von Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz und ausreichenden Vorkehrungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz, für rechtzeitige Umsetzungen bei besonders belastenden Arbeitsbedingungen – z.B. bei Schicht- und Nachtarbeit, bei Hitze, Kälte, Lärm oder hohen sonstigen körperlichen und psychische sowie nervliche Belastungen.
Bei der Konkretisierung und praktischen Umsetzung müssen die Tarifparteien – Arbeitgeber, Betriebsleitungen, Gewerkschaften, Betriebs- und Personalräte sowie die betroffenen Arbeitnehmer selbst – mitwirken. Aufgabe des Staates ist die ständige Überwachung mit quantitativ und qualitativ ausreichendem Personal. Die vorhandenen Projekte zur Forschung und zum praktischen Erfahrungsaustausch sind hilfreich, aber bei weitem nicht ausreichend, ein derartiges flächendeckendes „Age Management“ durchzusetzen.
Altersteilzeit und Teilrente
Politik und Gesetzgeber sind gefordert, einen gesetzlichen Rahmen für einen flexiblen Übergang aus dem Erwerbsleben in den Ruhestand zu ermöglichen. Hierzu sind die Altersteilzeit- und Teilrentenregelungen zu verändern und zusammenzuführen. Hierbei muss die Flexibilität erhöht werden. So müssen Arbeitnehmern ab dem 60sten Lebensjahr die Möglichkeit haben, die Arbeitszeit flexibel zu reduzieren und gleichzeitig ausreichend flexible Teilrentenmodelle in Anspruch nehmen zu können. Diese Teilrenten dürfen nicht mit Abschlägen versehen werden, wenn Arbeitnehmer bis zum 65. Lebensjahr arbeiten und/oder 45 beitragspflichtige Beschäftigungsjahre aufweisen. Um die daraus resultierenden Benachteiligungen von Frauen zu verringern, müssen ihnen erheblich höhere Zeiten für die Betreuung von Kindern und sonstigen Angehörigen in der gesetzlichen Rentenversicherung gut geschrieben werden.
Die Regelungen der Altersteilzeit sind dabei von dem derzeit üblichen Blockmodell – zwei bis drei Jahre Arbeit mit verringertem Einkommen und danach die gleiche Zeit arbeitsfreie Zeit – zu einem gleitenden Ausstieg aus dem Erwerbsleben umzugestalten. Zum Beispiel könnte die finanzielle Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit (BA), wenn ein Auszubildender oder Arbeitsloser in die frei werdende Stelle eingesetzt wird, an die Bedingung eines gleitenden Übergangs gebunden wird. Darüber hinaus ist sicherzustellen, dass derartige Altersteilzeitmodelle auch in kleineren Betrieben verfügbar gemacht werden – gegebenenfalls durch öffentliche finanzielle Förderung.
Schließlich sind auch die Bedingungen und Leistungen der Erwerbsminderungsrenten zu verbessern, um den unterschiedlichen Belastungen im Erwerbsleben sowie gesundheitlichen Einschränkungen Rechnung zu tragen. Dabei müssen die derzeit gültigen Abschläge bei vorzeitiger Inanspruchnahme bis zu 10,8 Prozent abgeschafft werden. Erwerbsminderung ist ein schweres Schicksal und vom einzelnen Arbeitnehmer nicht selbst zu beeinflussen. Deshalb darf er auch nicht durch Abschläge bestraft werden.
Hier lohnt sich übrigens durchaus ein Blick über die nationalen Grenzen und die Orientierung an anderen Vorbildern:
Besonders wirksam sind gesetzliche Regulierungen, die Betriebe und Arbeitgeber zur Anpassung der Arbeitsbedingungen an die Veränderungen und Minderungen der Arbeitsleistungen älterer und/oder gesundheitlich eingeschränkter Arbeitnehmer verpflichten: In Finnland gibt es ein gesetzlich institutionalisiertes „Age Management“ mit der institutionellen Verankerung in den Betrieben. In den Niederlanden sind Betriebe verpflichtet, gesundheitlich eingeschränkte Arbeitnehmer für zwei Jahre weiter zu beschäftigen und in dieser Zeit eine Anpassung der Arbeitsbedingungen an ihre reduzierte Leistungsfähigkeit vorzunehmen. Eine ähnliche gesetzliche Verpflichtung der Betriebe soll in Zukunft auch für die Einstellung Langzeitarbeitsloser und der Anpassung der Arbeitsbedingungen an ihre Leistungsfähigkeit eingeführt werden.