Die herbstlichen Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern drohen Umfragen zufolge zu einem Achtungserfolg der AfD zu werden. Doch anstatt sich mit den Gründen für die offensichtliche Unzufriedenheit mit der Politik der etablierten Parteien auseinanderzusetzen, zu denen im Osten auch die Linke gehört, übt sich der politisch-mediale Sektor schon jetzt einmal in vorzeitiger Wählerbeschimpfung. Anja Meier giftet in der taz über die „verächtliche Haltung“ der Ostdeutschen, die trotz unserer „schönen Steuermilliarden“ ihrer „kommoden Diktatur nachtrauern“, und Mark Schieritz fordert in der ZEIT sogar, man solle „den Osten ignorieren“ und sich auch ansonsten nicht von „abgehängten Regionen“ irgendwelche Themen aufzwingen lassen. Derlei triefende Arroganz und Ignoranz sagt einiges über das Demokratieverständnis der Hauptstadtjournalisten aus und ist schlussendlich die beste Werbung, die die AfD sich vorstellen kann. Von Jens Berger.
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Wähler ist nicht gleich Wähler, Unzufriedenheit ist nicht gleich Unzufriedenheit. Als bei den Europawahlen 20 Prozent der Wähler ihr Kreuz bei den Grünen machten, war dies sicher auch eine Folge der Unzufriedenheit mit der Umwelt- und Klimapolitik der Regierungsparteien. Könnten Sie sich aber vorstellen, dass die ZEIT einen Leitartikel abdruckt, in dem einer ihrer Redakteure die Politik aufruft, diese „Grünfinken“ aus den „urbanen Regionen“ zu ignorieren, da die Politik sich nicht von einer Minderheit, die Nichtwähler einbezogen ja gerade mal 10 Prozent der Bevölkerung entspricht, irgendwelche Themen aufzwingen lassen darf? Sicher nicht, denn Unzufriedenheit, die dazu führt, dass junge, urbane Akademiker die Grünen wählen, ist offenbar „gute Unzufriedenheit“, während Unzufriedenheit, die dazu führt, dass alte, meist ärmere Menschen auf dem Land die AfD wählen, eine „schlechte Unzufriedenheit“ ist. Klar, wenn man selbst ein junger, urbaner Akademiker ist, der in Harvard und an der London School of Economics Volkswirtschaft studiert hat und bei der elitär-linksliberalen ZEIT über Wirtschaftspolitik schreibt, kann man das so sehen – zumindest dann, wenn man sich selbst und seine Bubble für den Nabel der Welt hält.
Und genau das ist das Problem mit dem Hauptstadtjournalismus. Elitäre Schnösel schreiben darüber, wie elitäre Schnösel die Welt sehen und was sie sich von der Politik wünschen. Demokratie ist in diesem Selbstverständnis dann die hohe Kunst, den Rest des Volkes alle vier oder fünf Jahre sein Kreuzchen bei der „richtigen“ Partei machen zu lassen. Was richtig oder falsch ist, entscheiden natürlich die Vordenker in den Redaktionsstuben. Was wissen denn René aus Sachsen und Mandy aus Brandenburg schon von echter Politik?
Keine Frage, die AfD ist eine fürchterliche Partei mit fürchterlichen Forderungen und es ist wirklich fürchterlich, dass sie auch und vor allem im Osten so viele Anhänger hat. Nun sind die Ostdeutschen aber nicht blöder als die Westdeutschen und es gibt ja durchaus „nachvollziehbare“ Gründe für ihr Wahlverhalten. Erst diese Woche veröffentlichte das Ifo-Institut eine Studie, aus der hervorgeht, dass der ländliche Raum im Osten „ausblutet“ und die Einwohnerzahl der Landstriche, die früher mal zur DDR gehörten, heute so niedrig wie zuletzt 1905 ist. Ganze Regionen sind also verelendet und ihrer Jugend sowie jeglicher Hoffnung beraubt. Dass die Menschen in diesen Regionen dafür die etablierten Parteien in Haftung nehmen, ist verständlich. Dass sie „aus Protest“ nun die AfD wählen, ist zwar in der Außenbetrachtung dumm, da die AfD ja keine politischen Positionen hat, die den ostdeutschen Regionen und ihren Bewohnern in irgendeiner Form weiterhelfen könnten; aber Protest entzieht sich nun mal der rationalen Betrachtung. Protest richtet sich nicht für, sondern gegen etwas. Und wenn Schnösel-Journalisten ihr Näschen rümpfen und innerlich hoffen, dass diese alten Ostdeutschen doch vom Wolf gefressen werden, wenn sie derart dumme Wahlentscheidungen treffen, ist dies ein klarer Punktsieg für die AfD.
Denn die AfD wird ja nicht gewählt, weil sie so tolle programmatische Inhalte hat. Die Punks der 80er demonstrierten ihre Ablehnung des „Schweinesystems“ durch Irokesenschnitt, Piercings oder Ratten als Begleittiere … damit konnte man das „Establishment“ damals halt noch schocken. Heute gibt sich das Establishment übertolerant und reagiert seinerseits vor allem auf Intoleranz intolerant. Wer „gegen Ausländer“, „gegen Schwule“ oder komplett anachronistisch „für den Diesel“ und „gegen Klimahysterie“ ist, ist daher wohl der Punk von heute und treibt das Establishment zur Weißglut. So gesehen gibt es bei den arroganten Besserwessi-Kommentaren in taz und ZEIT genau zwei Gewinner – zum Einen die urban-liberale Blase des politisch-medialen Sektors, die sich ins Fäustchen lacht, weil sie es „den blöden Ossis“ mal wieder so richtig gezeigt hat, und die AfD, der dank der offen demonstrierten Arroganz und Ignoranz von „denen da oben“ sicher noch mehr Unzufriedene die Tore einrennen. Toll gemacht!
Das Ganze ist auch beileibe keine Ost-West-Frage. Murat aus Dortmund und Max aus Bitburg haben ja ganz ähnliche Probleme wie René aus Frankfurt/Oder und wählen ebenfalls häufig die AfD, um gegen wen oder was auch immer zu demonstrieren. Aus ähnlichen Gründen hat übrigens auch Joe aus Iowa Trump gewählt und Pete aus Newcastle für den Brexit gestimmt. Abgehängte verstehen den Wahlzettel oft als Schraubenschlüssel, den sie „dem System“ ins Getriebe werfen, um maximalen Schaden anzurichten.
Wie wäre es denn zur Abwechslung mal damit, „den Osten“ oder besser „die Abgehängten“ nicht zu ignorieren, sondern ernstzunehmen und eine Politik zu propagieren, die aus abgehängten Regionen Regionen mit Zukunft macht? Alles Andere führt in einer auch noch so undemokratischen Demokratie nur dazu, dass aus Protest mittel- bis langfristig eine Mehrheit wird. Probleme einfach zu ignorieren, ist nie eine gute Idee. Probleme beseitigt man, indem man nicht die Symptome, sondern die Ursachen bekämpft. Nehmt die Menschen ernst, gebt ihnen Würde, ein Einkommen, von dem man leben kann, und vor allem Zukunft. Dann wählen sie auch nicht mehr die AfD. Oder ist das jetzt zu einfach?
Titelbild: Tihana Bajich/shutterstock.com