Die Solidarität westlicher Medien mit dem russischen Journalisten Iwan Golunow ist zu begrüßen. Vergleicht man diesen Aufwand jedoch mit dem dröhnenden Schweigen zu Julian Assange, so ist dieser Kontrast skandalös und nur ideologisch zu erklären. Von Tobias Riegel.
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Die Freilassung des russischen Journalisten Iwan Golunow ist rundum zu begrüßen. Auch die große Anteilnahme westlicher Medien an dem Fall ist prinzipiell positiv. Bedenklich wird die breite Berichterstattung zugunsten eines bedrängten pro-westlichen Journalisten erst, wenn man diesen Aufwand mit der ausbleibenden Solidarität vergleicht, die Julian Assange von seinen medialen „Kollegen“ erfährt.
Die Unterscheidung nach Freund und Feind beschädigt Solidaritäts-Aktionen
Hier wird nicht unbesehen von Person und Ideologie Unterstützung geboten, das macht der Vergleich Assange/Golunow deutlich: Wer wie Julian Assange journalistisch das eigene (westliche) Bett beschmutzt, sollte auf die Hilfe großer westlicher Medien nicht bauen – auch wenn diese Medien auf den Leistungen von Assange ihre größten Stories der jüngeren Vergangenheit aufgebaut haben, wie die NachDenkSeiten hier beschrieben haben.
„Viele Medien verdanken mutigen Akteuren wie Julian Assange die größten Storys der letzten Jahrzehnte. Medien wie „Spiegel“, „Guardian“ oder „New York Times“ haben Assange und Edward Snowden jedoch erst für ihren Ruhm benutzt, dann teils als „Staatsfeinde“ diffamiert und sie weitgehend – in ihren jeweiligen Asylen in London und Moskau – medial begraben.“
Die Ungleichbehandlung zwischen Assange und Golunow und die vorgenommene ideologische Unterscheidung nach Freund und Feind entwertet teilweise auch Solidaritäts-Aktionen wie die nun erlebte: Der Verdacht, hier solle einmal mehr die Floskel von der Pressefreiheit gegen die russischen „Machthaber“ instrumentalisiert werden, droht den sehr positiven Akt der Solidarität zu beflecken.
Golunow kann nichts für die westliche Instrumentalisierung
Für diese mutmaßliche Instrumentalisierung kann der bedrängte Journalist Golunow nichts – er ist bei dem Vorgang Spielball beider Seiten: Die russischen Offiziellen wollten ihn mutmaßlich zunächst einschüchtern, können sich nun aber (nach der „Begnadigung“) positiv als einsichtig präsentieren. Geklärt werden muss noch, von wem genau die Verhaftung ausging. Die russlandkritischen Medien im Westen dagegen fanden in der Causa Golunow eine Vorlage, um das gewohnte Feuerwerk an moralisch aufgeladenen und heuchlerischen Phrasen von der Pressefreiheit und dem „Kampf der Zivilgesellschaft“ in Russland abzubrennen. Für beide Handlungen kann und darf man Golunow nicht verantwortlich machen.
Hintergrund: Wenige Tage nach seiner Festnahme und nach einer Welle internationalen Protests ist der russische Journalist Iwan Golunow am Dienstag aus seinem Hausarrest entlassen worden. Alle Anschuldigungen gegen ihn werden laut Innenminister Wladimir Kolokolzew mangels Beweisen fallengelassen. Es gebe keinen Hinweis auf eine Straftat des 36-Jährigen. Ein angeblicher Fund von Drogen bei Golunow wurde in westlichen Medien weithin als inszeniert bezeichnet: Damit habe der für seine Artikel über Korruption bekannte Journalist mundtot gemacht werden sollen. Es bestehen auch Vorwürfe, die Polizei hätte Golunow misshandelt. Der Journalist hatte auf seinem Internetportal „Medusa“ etwa beklagt, dass sich Polizei und Geheimdienstler im Beerdigungsgeschäft bereicherten.
Die angesprochene Heuchelei vieler westlicher Medien setzte sich auch nach Golunows Freilassung fort, nämlich bei der Berichterstattung über einen nicht genehmigten Protestmarsch und die dort unweigerlich folgenden Festnahmen. Von der großen Toleranz, die deutsche Medien den Teilnehmern einer verbotenen Demonstration in Russland entgegenbringen, können deutsche Demonstranten nur träumen. Damit sollen polizeiliche Überreaktionen nicht geleugnet werden, die müssen scharf verfolgt werden. Zur überraschenden Entwicklung des Falls Golunow und der (tatsächlichen?) Rolle des Kreml gibt es inzwischen diverse Theorien, etwa hier oder hier.
Sind russische Gerichte pauschal korrupt?
Der Vorgang um Golunow wirft wie auch der Fall des Regisseurs Oleg Senzow allgemeine Fragen auf zur Beurteilung von Gerichtsurteilen in fremden Ländern durch westliche Medien. Sind russische Gerichte prinzipiell korrupt und kreml-hörig? Ist also jeder in Russland verurteilte Mensch automatisch ein Justizopfer? Dürfen westliche Medien darum pauschal und unabhängig von eventuellen Beweislagen Solidarität mit jenen „Justizopfern“ üben, wie es in zahlreichen Fällen der jüngeren Vergangenheit der Fall war (der aktuelle und scheinbar eindeutige Fall soll hier ausgenommen sein)? Können theoretisch auch Putin-Kritiker straffällig werden – und wenn ja: Wie trennt man diese „echten“ von den „fabrizierten“ Fällen, wenn nach westlicher Darstellung doch das gesamte russische Justizsystem eine einzige Manipulations-Maschine im Dienste „des Kreml“ ist? Und wie sind Interventionen der russischen Regierung in Gerichtsverfahren zu beurteilen: Eigentlich müssten diese Einmischungen in westlichen Medien verurteilt werden – in den Fällen Golunow und auch „Pussy Riot“ wurden sie jedoch weitgehend begrüßt.
Und wenn man schon bereit ist, in einer unhaltbar pauschalen Form den Gerichten anderer Länder die Legitimation abzusprechen – wie steht es dann um die Justizsysteme in Großbritannien, in den USA und in Schweden, also jenen Ländern, in denen Julian Assange juristisch nachgestellt wird?
Die Darlings der westlichen Medienkonzerne
Iwan Golunow ist nicht die erste Person, an der sich das Messen mit zweierlei Maß bezüglich Julian Assange durch westliche Medienkonzerne festmachen lässt. Ein anderes Beispiel ist die große Unterstützung für den „Welt“-Reporter Deniz Yücel: Während Assanges Schicksal weitgehend totgeschwiegen wird, bewegt der pro-westliche Journalist der „Welt“ aus dem Axel Springer Verlag „bis heute die Herzen der westlichen Kollegen“, wie die NachDenkSeiten hier beschrieben haben.
Bizarre Ausmaße hatte auch etwa die westliche Solidaritäts-Kampagne mit dem russischen „Künstler“-Kollektiv „Pussy Riot“ angenommen, wie Jens Berger in diesem Artikel beschreibt.
Die russische und die westliche Propaganda
In den russischen Staatsmedien wird der Vorgang um Golunow nicht verschwiegen. So berichtete etwa „RT“ live vom Gerichtsverfahren und von den folgenden Demonstrationen oder führte ein Interview mit Golunows Anwalt. Wie weit im direkten Vergleich die westlichen Aufwendungen für Propaganda über jenen Russlands liegen, haben die NachDenkSeiten hier beschrieben:
„Russlands Werkzeug im nicht zu bestreitenden Info-Krieg ist sein Auslandsmedium Rossiya Segodnya mit den beiden Sparten RT und Sputnik. Das Jahresbudget von RT lag 2016 laut offiziellen russischen Angaben bei rund 300 Millionen US-Dollar, also unter dem von DW. Man muss zusätzlich beachten, dass DW im Zweifels- oder „Bündnis“-Fall eine ideologische Symbiose mit anderen westlichen Staatsmedien wie der britischen BBC (Budget: 524 Millionen Euro), dem französischen RFI (Budget: 380 Millionen Euro) und US-amerikanischen Kanälen wie Voice Of America, Radio Liberty oder Radio Swoboda (für Osteuropa) eingeht.
Gemeinsam mit DW bringt diese „Medien-NATO“ weit über eine Milliarde Euro für weitgehend im Gleichklang befindliche Auslandspropaganda von den guten Kriegen des Westens und der unentschuldbaren „Annexion“ der Krim auf die Waage. Flankiert werden diese Staatsorgane durch zahllose ins gleiche Horn stoßende Privatmedien sowie (halb-)private bzw. (halb-)staatliche Nachrichtenagenturen wie Reuters, dpa, AP und AFP.“
Mit diesem Hinweis soll russische Propaganda weder geleugnet noch über Gebühr verteidigt werden – es soll aber verdeutlicht werden, dass die westlichen Bürger um ein Vielfaches mehr von US-Propaganda betroffen sind als von russischer Meinungsmache.
Die vorgetäuschte Naivität gegenüber der westliche Medienlandschaft
Diesem Befund von der (die westlichen Bürger) dominierenden West-Propaganda können westliche Repräsentanten nur (vorgetäuschte) Naivität entgegensetzen. Ein Paradebeispiel für diese Rollenverteilung lieferte gerade die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer ausgerechnet bei einem Treffen der „Atlantik-Brücke“, wie sie aktuell auf Facebook mitteilt:
„Nur mit einer starken transatlantischen Partnerschaft können wir gegenüber China und Russland selbstbewusster auftreten. Der entscheidende Unterschied zwischen den USA und Russland ist, dass Journalisten in den USA ihre Arbeit unbeeinträchtigt machen können.“
Die Arbeitsverweigerung der Medien fällt auf sie selber zurück
Dieser Sichtweise auf die westliche Medienlandschaft muss man einen aktuellen Artikel von Norbert Häring entgegensetzen:
Julian Assange wurde jahrelang mitten in Europa psychisch gefoltert (nach Aussagen des UN-Menschenrechtsbeauftragen), und soll lebenslänglich ins Gefängnis, weil er es wagte, uns über Kriegsverbrechen der US-Armee zu informieren. In Frankreich werden Journalisten und Zeitungen vom Geheimdienst drangsaliert. In Australien durchsucht die Polizei Redkationsgebäude und das Haus einer Journalistin, u.a. wegen Berichten über Fehlverhalten australischer Truppen. Und in Deutschland soll der Geheimdienst nun das Recht bekommen, sich in Computer von Journalisten zu hacken, um deren Quellen für unliebsame Veröffentlichungen zu enttarnen.
Jetzt rächt sich für die etablierten Medien, dass sie die zunehmende Zensur der sozialen Medien unter dem Deckmantel der Bekämpfung von Hasssrede und Fake News nur halbherzig und die infame Verfolgung von Julian Assage gar nicht anprangerten und bekämpften.
Titelbild: Alexandros Michailidis / Shutterstock
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