Noch im Februar hatte Linken-Chef Bernd Riexinger ein „zweistelliges Ergebnis“ als Zielvorgabe für die Europawahlen ausgegeben. Doch aus den anvisierten Zugewinnen wurde nichts. Im Gegenteil – die Linkspartei musste bei den gestrigen Wahlen sogar eine herbe Schlappe einstecken und erzielte mit nur 5,4% ihr historisch schlechtestes Ergebnis. Diese Niederlage war vorhersehbar und geht voll auf das Konto des Führungsduos Kipping und Riexinger, die erstmals den gesamten Wahlkampf alleine bestimmten und mit ihrer Strategie, sich neben den Grünen im linksliberalen Lager zu positionieren, gnadenlos Baden gingen. Wer wählt schon die Kopie, wenn er auch das Original wählen kann? Nun bleibt abzuwarten, wie die Partei auf das Scheitern ihrer Führung reagiert. Von Jens Berger.
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Um das Versagen der Strategie von Kipping und Riexinger zu verdeutlichen, lohnt sich ein Blick auf den Wahlbezirk Berlin Friedrichshain-Kreuzberg. Dieser hippe, junge Bezirk im Zentrum Berlins entspricht so ziemlich genau der anvisierten neuen Zielgruppe der beiden Parteivorsitzenden. Hier leben die urbanen proeuropäischen Jungwähler, denen identitätspolitische Themen wichtiger sind als die soziale Frage. Bei den letzten beiden Bundestagswahlen konnte die Linke hier auch mit 25,1% 2013 bzw. 28,6% 2017 starke Ergebnisse erzielen.
Gestern stürzte sie jedoch auf 15,9% ab, während die Grünen mit 40,3% ein Traumergebnis erzielten. Bemerkenswert ist vor allem, dass Sonneborns PARTEI, die bei den Wahlen unter enttäuschten Linken als eine Art Protestpartei fingierte, hier mit 8,9% eines ihrer stärksten Ergebnisse erzielte. Bei den Erstwählern liegt die Linke mit enttäuschenden 8% sogar bundesweit hinter der PARTEI, die hier 9% holen konnte. Wenn die Strategie des Parteivorstands sogar im Zentrum der anvisierten Zielgruppe derart krachend scheitert, ist dies nicht weniger als eine Katastrophe. Im Vergleich zur Bundestagswahl musste die Linke fast eine Million Stimmen an die Nichtwähler abgeben, weitere 570.000 ehemalige Wähler wanderten zu „den Anderen“ ab – hier dürfte sicher die PARTEI der größte Nutznießer sein. Und was ist aus dem Plan geworden, den Grünen Wähler abspenstig zu machen? Gar nichts. Netto wanderten vielmehr 610.000 Wähler von der Linken zu den Grünen. Diese Katastrophe kam jedoch mit Ansage. Als das Duo Kipping und Riexinger im November sein Europawahlprogramm vorstellte, schrieben die NachDenkSeiten bereits …
Man muss kein Prophet sein, um zu erahnen, dass diese Strategie auf eine grandiose Wahlschlappe hinausläuft. Es ist traurig mit anzusehen, wie die Partei durch falsche Entscheidungen des Parteivorstands mehr und mehr in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwindet.
Wir hatten bereits damals analysiert, dass der Parteivorstand die Partei mit seinem Fokus auf die Klientel der Grünen und dem Abschleifen grundsätzlicher Kritik an den EU-Verträgen und den wirtschaftsliberalen Strukturen der EU überflüssig macht. Programmatisch hat sich die Linke seitdem als nicht klar umrissene Kopie der Grünen verkauft und es auf Teufel komm raus vermieden, inhaltliche Unterschiede zu den Grünen herauszustellen oder die Grünen gar zu attackieren. Dass eine solche Strategie gar nicht aufgehen kann, war von vornherein klar und ist dennoch unerklärlich, da die Linke mit ihren Kernkompetenzen eigentlich hätte punkten müssen.
Immerhin waren die Themen „Soziale Sicherheit“ und „Friedenssicherung“ hinter dem Thema „Klima- und Umweltschutz“ Umfragen zufolge die zweit- bzw. drittwichtigsten Kriterien für die Wahlentscheidung. Die Linke hat jedoch weitestgehend versäumt, den Wählern zu sagen, dass sie ihre ehemaligen Kernkompetenzen noch ernst nimmt. Das ist kein Wunder, führte die Partei doch einen dahinplätschernden Wahlkampf mit lahmer Kampagne, ohne Überraschungen, ohne Biss und ohne Provokation. Kipping und Riexinger haben hier als Verantwortliche für den gesamten Wahlkampf versagt. Als Sympathisant der Partei und ihrer Kernforderungen hätte man sich förmlich gewünscht, dass irgendwann noch mal ein rhetorisch auftrumpfender Oskar Lafontaine, eine blitzgescheite Sahra Wagenknecht oder ein kämpferischer Fabio De Masi Akzente setzen könnten – deren Hilfe war jedoch vom Parteivorstand nicht erwünscht und es kam, wie es kommen musste.
Im September droht derweil bereits das nächste „Wahlingrad“ für Kipping und Riexinger. Dann wird nämlich in Brandenburg und Sachsen gewählt – genau den beiden Bundesländern, die bei den Europawahlen mehrheitlich die AfD wählten. Kipping und Riexinger haben nun gezeigt, dass sie keine bundesweiten Wahlen gewinnen können und sogar bei ihrer anvisierten Klientel keinen Fuß auf den Boden bekommen. In beiden Ländern holte die Linke gestern nur rund 12% und lag damit rund sieben Prozentpunkte unter den Landtagswahlen 2014. Natürlich sind Landtagswahlen etwas anderes als Europawahlen, aber ohne einen deutlichen Strategiewechsel dürften auch die kommenden Landtagswahlen für die Linkspartei ein Desaster werden. Nun haben Kipping und Riexinger gezeigt, dass sie keine Wahlen gewinnen können und es ist an den Gremien, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen.
BILD: Screenshot Die Linke/YouTube