Am Dienstag fand in Berlin die Hauptversammlung von Europas größtem Automobilkonzern, der Volkswagen AG, statt. Dabei war auch Winfried Wolf, der sich für die NachDenkSeiten seine Gedanken zur Hauptversammlung, zur Volkswagen AG und deren neue Fokussierung auf die Elektromobilität gemacht hat. Im Anhang zu Winfried Wolfs Bericht finden Sie auch die Rede, die Wolf als „kritischer Aktionär“ auf der Hauptversammlung gehalten hat.
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Dienstag, der 14. Mai; Berlin Messegelände. Eine Sirene ertönt. Mehr als 50 Personen fallen wie tot um. Ein gelbes Absperrband mit dem Schriftzug „climate crime scene“ wird gespannt. Die Spurensicherung eilt herbei. Es bestätigt sich der Verdacht: Tod durch Klimazerstörung und Feinstaubbelastung. Der Täter: Eine mörderische Autoindustrie, angeführt von VW. Unter dem Motto „Volkswagen tötet“ hatte ein Bündnis aus den Umweltverbänden Ethecon, Extinction Rebellion, Robin Wood, Fridays for Future und Gegenstrom das „die-in“ durchgeführt. Protestiert wurde gegen die von den Autokonzernen mitverursachte Klimakrise und gegen den Abgasskandal. Aber auch gegen die autoritäre Politik, die VW in seinem Werk in Puebla, Mexiko, betreibt. Und gegen die Zusammenarbeit von VW mit der neuen rechtsextremen brasilianischen Regierung, womit sie wiederum anknüpft an die unselige Partnerschaft von VW de Brasil mit der Militärdiktatur in diesem Land im Zeitraum 1964 bis 1985.
Die gelungene Protestaktion fand in den Medien einigen Widerhall. Die vielen hundert Kleinaktionäre, die an den Protestierenden vorbei zur Hauptversammlung der Volkswagen Aktiengesellschaft strebten, interessierten sich eher nicht für die Proteste. Auf der Hauptversammlung wollten Vertreter der Stiftung Ethecon dem VW-Konzern zusammen mit dem Dachverband der Kritischen Aktionäre den „Black Planet Award“ überreichen. Dieser Negativpreis für den Ruin des Planeten – ein großer, mit schwarzer Farbe beschmutzter Globus – wurde jedoch, wie auch die Flugblätter von Ethecon, bereits am Eingang von VW-Security-Leuten beschlagnahmt. Man wollte den Aktionären dann doch nicht zu viel Transparenz zumuten. Allerdings hatten Aktivistinnen und Aktivisten eine aufblasbare Kopie des Black Planet Award in die Halle hineinschmuggeln können. Die Übergabe fand schlussendlich dann doch noch statt.
Die Hauptversammlung des VW-Konzerns selbst war in der Außenwirkung von der behaupteten Neuausrichtung des Konzerns auf „Elektromobilität“ bestimmt. VW-Chef Herbert Diess erklärte in seiner Eröffnungsrede, diese Wende sei „alternativlos“. Sie sei eine Entscheidung „für weniger CO-2 im Verkehr“. Wie absurd das ist, belegte bereits die Show auf der Hauptversammlung selbst. Im Tiefgeschoss des Konferenzzentrums CityCube wurde von VW bzw. von jeder VW-Tochter jeweils ein Modell vorgestellt – bei allen Pkw-Marken (VW, Skoda, SEAT, Bentley, Bugatti, Lamborghini und Porsche) waren dies jeweils SUVs (mit Benzin- oder Diesel-Motoren). Die Kleinaktionäre näherten sich den Modellen andächtig. Einige von ihnen kletterten in einzelne Modelle hinein oder reichten auch mal ihre Kids hoch zu einem gigantischen Scania-Truck. Immer wieder huschten dann VW-Mitarbeiter herbei, um mit sauberem Tuch den Lack neu auf Hochglanz zu polieren. Bei den in der Halle präsentierten neuen Pkw-Modellen liegen die offiziellen CO-2-Werte in der Nähe von 200 Gramm je Kilometer. Das ist mehr als das Doppelte des ab 2020 gültigen EU-Grenzwerts. Die Testwerte, die unabhängige Motorsport-Blätter ermitteln, liegen in der Regel nochmals deutlich höher. Die VW-Tochter SEAT hat 2018 eine neue Marke mit der Bezeichnung CUPRA geschaffen. Sie tritt in der Werbung und im öffentlichen Auftritt autonom auf – ohne Verweis auf (oder ein Logo von) SEAT bzw. VW. Laut Geschäftsbericht „spricht CUPRA vor allem Autoliebhaber an und steht für Einzigartigkeit, Hochwertigkeit und Leistung.“ So das neue Cupra-Modell Ateca. Die Eigenwerbung betont exakt das Gegenteil von Verantwortung; gefeiert wird Egozentrik: „Wir bauen ein Auto für Deinen ganz eigenen Weg. Setz Dir Ziele. Keine Grenzen. Cupra Ateca. Create your own path“. Die CO-2-Werte des Ateca liegen offiziell bei 166 g/km; laut Fahrbericht in AutoBild (vom 11.1. 2019) sind es 198 g/km.
Im Geschäftsbericht wird auf Seite 7 darüber berichtet, dass man „70 neue Modelle unserer Marken“ im abgelaufenen Jahr auf die Straße gebracht habe. Damit habe man „Wert geschaffen“. Namentlich genannt werden die Modelle „Touareg, T-Roc, Skoda Kodiaq und Karoq, SEAT Arona und Audi Q8“. Auch hier handelt es sich nur um schwergewichtige SUVs mit zum Teil extrem hohen CO-2-Werten.
Kommt dann die Wende ab 2020? Diess schreibt im Geschäftsbericht: „Bis 2025 bringen wir 50 neue Elektromodelle auf die Straße. Jedes vierte Auto in unserem Angebot soll dann ein Stromer sein.“ Das heißt jedoch zugleich: Die überwiegende Mehrheit der neuen Modelle sind auch im Zeitraum 2020 bis 2025 Pkw mit traditionellem Antrieb. Wobei „Angebot“ mit neuen E-Pkw-Modellen nicht identisch ist mit dem Verkauf derselben. Im Jahr 2025 wird beim Verkauf lediglich ein E-Pkw-Anteil von rund 20 Prozent angepeilt.
Das gilt auch für China. Diess wurde auf der Hauptversammlung selbst mehrmals, so auch von mir, gefragt, ob VW denn die 10-Prozent-Quote für Elektroautos, die in China bereits seit dem 1. Januar 2019 gilt, einhalten könne. Diess antwortete ausweichend. Für 2020 erwarte man, rund 400.000 Elektro-Pkw in China produzieren und absetzen zu können. Das wären knapp 10 Prozent der 2018 in China verkauften VW-Pkw. Im Umkehrschluss läuft das darauf hinaus, dass 2019 diese Marge, die bereits vor zwei Jahren angekündigt wurde, nicht eingehalten wird. Und dass entsprechende Strafgelder fällig werden. Diese sind jedoch von der Konzernführung fest eingeplant. Sie mindern die enormen Profite, die VW in China erzielt, nur unwesentlich. Laut VW-Geschäftsbericht 2018 bereitet sich „VW darauf vor, […] im Jahr 2025 rund 1,5 Millionen New Energy Vehicles in China ausliefern zu können.“ (S.44). Das wäre beim erwarteten Wachstum des gesamten Absatzes weniger als ein Drittel des gesamten VW-Absatzes im genannten Jahr.
Damit ist exakt das umschrieben, was ich in anderen Beiträgen, so auf den NachDenkSeiten, schrieb: Selbst VW als selbst ernannter Vorreiter der Elektromobilität versteht die E-Autos als eine Ergänzung, als ein Obendrauf, zum normalen Angebot. Und als Bestandteil einer in sich stringenten Strategie, insgesamt die Pkw-Dichte weiter zu erhöhen – vor allem mit immer mehr Stadtautos.
Wobei in Europa alle Elektromodelle, die entwickelt werden, bei einem Preis von 30.000 Euro und einem Gewicht von knapp zwei Tonnen beginnen. Eine der Protestreden auf der Hauptversammlung hielt die Fridays-for-Future-Schülerin Clara Maver. Sie kritisierte darin zu Recht, dass diese Form der VW-Elektromobilität dadurch charakterisiert sei, dass „die Autos immer größer und immer schwerer“ würden. Der Geschäftsführer der Stiftung Ethecon, Niklas Hoves, ging noch einen Schritt weiter: „Nach dem Dieselskandal kann jetzt noch ein Kobaltskandal kommen. Denn die für die Batterien nötigen Rohstoffe sorgen für eine genauso schlechte Klimabilanz. Anstatt noch mehr Autos zu bauen, fordern wir den radikalen Ausbau des öffentlichen Verkehrs.“ Wolfgang Lohbeck, der seit vielen Jahren als Experte für die Greenpeace – eine Umweltorganisation, die „eigentlich“ stark auf E-Pkw setzt – aktiv ist, unterstrich diese Kritiken im Interview mit der Süddeutschen Zeitung (15.5.) wie folgt: „Die Ausschließlichkeit auf die E-Mobilität zu setzen, halte ich für falsch. Das Urproblem ist das Gewicht; die Masse muss runter. […] Auch Ökostrom ist weder ´sauber´ noch umsonst.“ Im Übrigen ließen sich „nach dem Stand der Technik heute kleine, leichte Wagen mit real 1,5 Litern Benzin oder Diesel durch die Stadt bewegen, das würde 30 bis 40 Gramm CO-2 entsprechen. Und außerdem ginge das viel schneller als das Warten auf Elektromobilität.“
In eine vergleichbare Richtung argumentierte auf der Hauptversammlung ein Aktionär. Er berichtete, er fahre seit vielen Jahren ein Audi-Modell, das inzwischen mehr als 350.000 km auf dem Buckel habe und über die gesamte Zeit hinweg auf einen durchschnittlichen Verbrauch von weniger als 4 Liter komme. Doch das interessierte die VW-Vorstandsmitglieder und VW-Aufsichtsräte auf dem Podium nicht. Denn Autos, die man jahrzehntelang fährt und die wenig Sprit verbrauchen, bringen keinen Profit.
Dass ein kriminelles Vorgehen und eine auf Egozentrik abzielende Unternehmenspolitik sich durchaus in hohen Profiten auszahlen können, verdeutlichte eben diese Hauptversammlung. Bislang, so teilte der VW-Vorstand mit, habe man „rund 30 Milliarden Euro“ für die „Bewältigung“ des Abgasskandals aufgewandt. Das entspricht drei kompletten Jahresgewinnen. Dennoch lag der Jahresgewinn 2018 mit 12,153 Milliarden Euro (nach Steuern) auf Rekordniveau. Dabei wird der Abgasskandal im Geschäftsbericht weiterhin nicht als solcher bezeichnet. Hier ist lediglich die Rede von einer „Dieselproblematik“ (S.92ff). Betont wird, dass VW „nur nach US-amerikanischem Recht unzulässige Veränderungen von Teilen der [Motoren-] Software“ vorgenommen hätte. Betont wird des weiteren, dass „kein Vorstandsmitglied“, also auch nicht Ex-VW-Chef Martin Winterkorn! – zu diesem Zeitpunkt [als die US-Behörden den Skandal aufdeckten; W.W.] […] Kenntnis von der Entwicklung und Implementierung dieser Softwarefunktionen“ hatten.
Gegenüber der Öffentlichkeit in Deutschland wird suggeriert: Es handelte sich um eine Art Kavaliersdelikt. Offensichtlich sind die Lungen der Menschen in Deutschland und im übrigen Europa wesentlich stabiler als diejenigen in den USA. Schließlich verkehren hierzulande Modelle aus dem VW-Konzern, die VW in Nordamerika wegen massiver Beeinträchtigung der menschlichen Gesundheit aus dem Verkehr ziehen musste.
Ein Kavaliersdelikt? Im selben Geschäftsbericht kann man – wenn auch im Kleingedruckten auf Seite 177 – lesen, dass VW ein „Schuldanerkenntnis im Hinblick auf drei nach US-amerikanischen Bundesrecht strafbare Handlungen“ zugestimmt hat“. Dabei geht es erstens um „Verschwörung zur Begehung von Betrug“, zweitens um „Behinderung der Justiz“ und drittens um die „Verwendung von Falschaussagen zur Einfuhr von Fahrzeugen in die USA“.
Die Beschuldigungen, mit denen die VW-Tochter Audi in Südkorea konfrontiert wird, unterstreichen noch deutlicher die kriminelle Energie, mit der VW handelte. Hier gilt als belegt, dass VW/Audi bei den nach Südkorea exportierten Audi-Modellen „die Kilometerzähler zurückdrehten“, dass die „Fahrgestellnummern gefälscht“ und die „Testprotokolle der Abgas- und Verbrauchsmessungen gezielt manipuliert“ wurden (Handelsblatt vom 21. April 2019). Diess behauptete auf der Hauptversammlung, man kooperiere überall mit den Untersuchungsbehörden; VW stehe „zu seiner Verantwortung“. Das liest sich im Handelsblatt wie folgt: „Als ein Gericht in Seoul Johannes Thammer [dem Audi-Landeschef in Südkorea; W.W.] den Prozess machen wollte, reiste der Audi-Chef aus Südkorea aus. Warum? […] Audi äußert sich nicht. Sprecher De Graeve sagt lediglich, das Unternehmen habe Thammer aufgefordert, mit den koreanischen Behörden zu kooperieren. Allerdings: ´Herr Thammer hat uns mitgeteilt, dass er nicht reise- und verhandlungsfähig ist.´ Zu einem Gerichtstermin im März in Seoul erschien er nicht.“ (23. April 2019)
In den USA darf VW seit Juni 2017 nur noch unter der Kontrolle eines „unabhängigen Compliance Auditors“, dem Rechtsanwalt Larry Thompson, agieren. VW-Chef Diess stellte dies in seiner Eröffnungsrede auf der Hauptversammlung als eine Art konstruktive Hilfe dar, um bei VW „transparente Verhältnisse“ zu schaffen. Das Handelsblatt schreibt dann allerdings unverblümt, dass es sich hier um einen „US-Aufseher“ handeln würde, dass Thompson „bis ins Frühjahr 2020 planmäßig über VW wachen“ würde, dass auch eine „Verlängerung des Mandats“ denkbar sei – und dass „allein VW für die Kosten für die Arbeit von Thompson und seinem Team“ aufzukommen habe, die „bei Dutzenden Millionen Dollar im Jahr“ liegen dürften (Handelsblatt vom 22. März 2019).
Gab es in der Geschichte der Weltbranche Auto jemals eine vergleichbare Demütigung eines Autokonzerns durch eine „fremde“ Staatsmacht? Ja, wenn auch nur ein einziges Mal! Wobei es auch damals VW betroffen und kriminelle Aktivitäten des VW-Top-Managements im Spiel waren: Mitte der 1990er Jahre musste VW am Ende der Affäre um den abgeworbenen General-Motors-Spitzenmanager José Ignacio López klein beigeben und einem demütigenden Schuldeingeständnis zustimmen.[1] Zu diesem Zeitpunkt war Ferdinand Piech VW-Chef und für den López-Skandal verantwortlich. Als VW Anfang der Nuller Jahre in den USA die Kampagne „Clean Diesel“ startete, die sich heute als Ausgangspunkt von Dieselgate erweist, war Piech immer noch VW-Chef bzw. ab 2002 VW-Aufsichtsratschef. Jedoch, siehe oben: Er und alle anderen Top-Manager bei VW hatten „keine Kenntnis von der Entwicklung und Implementierung“ der Betrugssoftware. Auch wenn der langjährige VW-Herrscher Ferdinand Piech sich nach dem Auffliegen von Dieselgate aus dem operativen Geschäft (und teilweise auch als Großaktionär) zurückgezogen hat, dürfte Hans Michel Piech, der auf der Hauptversammlung am vergangenen Dienstag als Aufsichtsrat präsent war, die Interessen der Familie Piech wahren.[2]
Im Übrigen ist es mit der Transparenz beim Thema Dieselskandal nicht weit her. Das Thema wird konzernintern in einem „Sonderausschuss Dieselmotoren“ behandelt, wobei den Vorsitz in diesem Ausschuss Wolfgang Porsche, also ein Vertreter des VW-Großaktionärs Porsche, innehat. Der umfassende Bericht zum VW-Dieselskandal in den USA, den der Monitor Thompson am 30. März 2018 vorlegte, wird, so steht es im VW-Geschäftsbericht 2018, „nicht veröffentlicht“.
Am Ende der VW-Hauptversammlung war mit der Bestätigung der Spitzenpositionen im Konzern klar: Im VW-Konzern wird eine Mannschaft um Diess und Pötsch, die aufs Engste mit dem Dieselskandal verbunden ist, den alten Weg fortsetzen. Und dieser Weg heißt: allein der Profit zählt. In den Worten von Diess: „Ebit macht frei“ (siehe meine Rede auf der Hauptversammlung).
Titelbild: Volkswagen AG
Anhang: Winfrieds Wolfs Rede auf der VW-Hauptversammlung am 14. Mai 2019
Uiguren, Ebit und der „Clean-Diesel“-Betrug
Die Herren auf dem Podium sitzen erhöht – sie wähnen sich gewissermaßen auf hohem Ross mit vielen Pferdestärken. Und natürlich wollen sie aus dieser Höhe am liebsten nach vorne schauen – auf noch größere Gewinne, vor allem auf solche mit e-mobility. Ich erlaube mir jedoch drei Blicke zu drei Ereignissen zurück, wobei ich jeweils drei Fragen – also insgesamt neun Fragen – stelle.[3]
1. Abschaltvorrichtungen an Motoren aus dem VW-Konzern
Es gibt weiter diese krasse Diskrepanz: In den USA zahlte VW mehr als 25 Milliarden US-Dollar Strafgelder und Entschädigungen im Rahmen des Diesel-Skandals. Dort gesteht der Konzern auch ein, bewusst gegen geltendes Recht verstoßen zu haben. Das heißt, der Konzern leistet Buße und geht im Büßergewand. Doch dort, wo der VW-Konzern seine Heimat hat, präsentiert sich das Unternehmen wie ein Unschuldiger.
Dabei gehört das Personal, das hier oben thront, zu einem größeren Teil zum System Winterkorn-Piech. Ausgerechnet ein Hans-Dieter Pötsch wurde im November 2015 zum Aufsichtsratschef gekürt – auf das maßgebliche Betreiben der Eignerfamilien Porsche und Piech. Pötsch war in der gesamten heißen Zeit des „Clean-Diesel-Betrugs“ von Januar 2003 bis Oktober 2015 im VW-Konzern Teil der Winterkorn-Führung.
Es ist grotesk, wenn Manager aus dem Mittelbau als Verantwortliche für den Diesel-Skandal ihren Kopf hinhalten müssen und teilweise zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt wurden – so der Manager Oliver S. von VW of America – und gleichzeitig Herr Pötsch als Winterkorn- und Piech-Vertrauter an die Spitze des Aufsichtsrats befördert wird.
Meine ersten drei Fragen lauten:
Erstens, gerichtet an Herrn Pötsch: Stimmen Sie der Einschätzung des Journalisten Claas Tatje in der Wochenzeitung „Die Zeit“ zu, wonach Sie „ein ganz entscheidendes Rad im Getriebe der Maschine des damaligen Vorstandschefs Martin Winterkorn“ waren – und damit als Aufsichtsratschef, der ja den Abgas-Skandal aufarbeiten muss, eigentlich eine ziemliche Fehlbesetzung sind? [4]
Zweitens, gerichtet an die Herren Pötsch und Herbert Diess: Halten Sie weiter die Behauptung aufrecht, von den betrügerischen Abschaltvorrichtungen nichts gewusst zu haben, obgleich Herr Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) bereits im Februar 2011 beim Kraftfahrzeugbundesamt vorstellig wurde und darüber informierte, dass es im Motor EA 189 im VW Passat Euro 6 eine solche manipulative Vorrichtung gab?
Drittens, erneut an die beiden Herren gerichtet: Falls Sie nun als Schutzbehauptung vorbringen, Sie hätten die Bedeutung der Deutschen Umwelthilfe damals noch nicht erkannt, zitiere ich hilfsweise das Blatt Autobild vom 14. Februar 2014. Dort konnten 350.000 Leser zur Kenntnis nehmen, dass – ich zitiere – inzwischen „Steuergeräte [in den Motoren] erkennen, wenn eine Messfahrt vorliegt“, dass dann diese „Motoren sparen“, was sie jedoch „nur auf dem Prüfstand [tun], wenn wenig Leistung gefordert wird.“
Während also Herr Resch Sie vier Jahre vor Dieselgate über den Abgasbetrug in Ihrem Konzern informierte, war das Zitat aus AutoBild immerhin in diesem Blatt mit Massenauflage rund eineinhalb Jahre vor dem öffentlichen Aufploppen von Dieselgate zu finden.
Meine Frage kann auch verkürzt lauten wie folgt: „Wenn Sie, die Herren Diess und Pötsch, schon Herrn Resch nicht wahrnehmen, lesen Sie wenigstens Autobild?“
Zum Komplex China
Der aktuelle VW-Chef Herbert Diess wurde im April 2019 im Rahmen der Schanghaier Automesse danach gefragt, ob er Kenntnis zur Lage der Uiguren habe. Also zur Verfolgung und zur Inhaftierung von Hunderttausenden Uiguren in Internierungslagern. Sie, Herr Diess, haben auf diese Frage des BBC-Reporters Robin Brant geantwortet mit „Ich kann das nicht beurteilen“. Und: Sie wüssten –„nicht, was mit der Frage gemeint“ sei. Angesichts der Tatsache, dass VW ein Werk in der Provinz Xinjiang, dem Zentrum des Uiguren-Gebiets, errichtet hat, meine drei Fragen, die alle an Herrn Diess gerichtet sind:
Erstens: Hat VW das genannte Werk in der Provinz Xinjiang als Gefälligkeit gegenüber der chinesischen Führung errichtet und ist das VW-Engagement damit, wie die Vertreter der Uiguren im Exil dies sehen, ein Teil der Befriedungs- und Unterdrückungsstrategie der Führung in Peking?
Zweitens: Hat die 180-Grad-Wende von VW pro Elektro-Pkw damit zu tun, dass China für den VW-Konzern der mit Abstand wichtigste Absatzmarkt ist, dass dort seit dem 1. Januar 2019 die 10-Prozent-Pkw-Quote gilt? Geht es also gar nicht ums Klima und CO-2, sondern schlicht nur um China und den Profit?
Drittens: Können Sie annähernd sagen, wie viele Elektroautos VW im laufenden Jahr 2019 in China produzieren respektive verkaufen wird, wie nahe Sie dabei an die abverlangte 10-Prozent-Quote kommen? Nach meiner Rechnung müssten Sie im laufenden Jahr 400.000 E-Pkw in China verkaufen, wozu Sie nicht die Kapazitäten haben dürften.[5] Anders gefragt: Wie hoch sind die Strafgelder – die „credits“, die Sie 2019 in China dafür zahlen müssen, dass Sie diese 10-Pozent-Quote deutlich verfehlen?
Zum Komplex Ebit
Herr Herbert Diess sagte am 12. März 2019 nach der VW-Bilanzpressekonferenz und im Rahmen der traditionellen Information für die VW-Führungscrew „Ebit macht frei“. Das sagten Sie, Herr Diess, in Ihrer Rede gleich mehrmals. Es ist absolut klar, dass Ihnen, Herr Diess, das nicht so herausgerutscht ist, dass Sie das gezielt und bewusst so formuliert haben.
Sie wussten natürlich auch, dass damit der Bezug hergestellt wird zu dem höhnischen Spruch, der über dem Eingangstor zum KZ Auschwitz angebracht war: „Arbeit macht frei“. Viele unter den Managern, die Ihre Rede hörten, verstanden dies und waren fassungslos über Ihren Zynismus. Auch die Reaktionen in Blättern wie „Wall Street Journal“ und „Financial Times“ waren für VW vernichtend.
Dazu meine letzten drei Fragen:
Erstens. Ist Ihnen, Herr Diess, klar, dass nicht nur diese Ihre Aussage unsäglich war, sondern dass auch Ihre so genannte Entschuldigung keine Entschuldung ist? Sie plapperten über eine „sehr unglückliche Wortwahl“ und Sie sagten dann wörtlich: „Sollte ich damit unbeabsichtigt Gefühle verletzt haben, tut mir das außerordentlich leid.“
Ich stelle hier fest: Sie haben nicht „unbeabsichtigt Gefühle verletzt“. Sie nahmen mit erkennbarer Absicht die Gefühle der Nachkommen der Auschwitz-Opfer ins Visier und Sie verhöhnten diese Menschen.
Zweitens. Ist Ihnen, Herr Diess, bewusst, dass es hier nicht nur den Bezug zu dem eher fernen Ort Auschwitz gibt, sondern dass genau dort, wo Sie an diesem 12. März 2019 sprachen, in Wolfsburg, dem vormaligen Fallersleben, viele Tausend Zwangsarbeiter für VW der systematischen Vernichtung durch Arbeit ausgesetzt waren? Dass Prof. Dr. Ferdinand Porsche, der Unternehmensführer des VW-Werks in der Nazi-Zeit, persönlich aktiv war, um Zwangsarbeiter aus dem KZ Auschwitz für VW zu gewinnen und dass der Lagerkommandant des KZ Auschwitz, Rudolf Höß, sich positiv über die diesbezügliche gute Zusammenarbeit zwischen der KZ-Lagerleitung in Auschwitz und Ferdinand Porsche als Werkschef bei VW Fallersleben äußerte.[6]
Womit ich bei der letzten Frage bin, die sich an den Aufsichtsratsvorsitzenden Pötsch und an den Aufsichtsrat und Sozialdemokraten Stefan Weil als Vertreter des Großaktionärs, des Landes Niedersachsen, richtet: Sind die skandalösen Äußerungen von Herrn Herbert Diess nicht ein Grund, diesen umgehend aus seiner Position als VW-Chef zu entfernen?
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
[«1] Im Sommer 1993 hatte der VW-Konzern ein halbes Dutzend Top-Manager von GM und der damaligen GM-Tochter Opel abgeworben. Deren Spitzenmann war José Ignacio López, der sich selbst und seine spanisch-baskische Truppe als „Krieger“ bezeichnete. Diese Wirtschaftskrieger hatten bei ihrem Wechsel zu VW „kistenweise geheime GM-Unterlagen“ mitgenommen (Stern 50/1996). Der „Wirtschaftskrieg“ eskalierte. López und Top-Vertreter von VW mussten jahrelang US-Boden meiden, um nicht eine Verhaftung zu riskieren. Am Ende stand die Kapitulation von VW: López wurde zum Verlassen des VW-Konzerns gezwungen. VW musste für eine Milliarde US-Dollar Bauteile von GM beziehen. Ein einziger Mann aus der López-Truppe hatte sich im Konzern halten können: Francisco Javier Garcia Sanz, im Vorstand verantwortlich für „Beschaffung“. Er schied am 12. April 2019 aus der Konzernleitung aus.
[«2] 52,2 Prozent der Stimmrechte (und 30,8 Prozent des gezeichneten Kapitals) des VW-Konzerns werden von der Porsche Automobil Holding kontrolliert. Diese Holding wiederum befindet sich mehrheitlich im Eigentum der Familien Porsche und Piech. Diese Familien wiederum hatten in den Gründungsjahren von VW in der Zeit der NS-Diktatur führende Funktionen inne. Siehe die Rede von Winfried Wolf auf der Hauptversammlung.
[«3] Direkt vor meiner Rede – ich stand bereits am Pult vor dem Mikrofon – wurde vom Versammlungsleiter und zugleich Aufsichtsratsvorsitzendem, Hans Dieter Pötsch, die Redezeit von 10 Minuten auf 5 Minuten gekürzt. Entsprechend sprach ich – nach einer kurzen Einleitung, die weitgehend dem ersten Abschnitt im wiedergegebenen Text entspricht, dann nur zu den Punkten 2 = China und 3 = „Ebit macht frei“. Im Folgenden wird als Dokumentation die gesamte (geplante) Rede wiedergegeben, also einschließlich des ersten Punktes zu „Dieselgate“.
Generell erfolgten die Redezeitkürzungen extrem willkürlich bzw. latent politisch gezielt. Direkt nach den langatmigen Einleitungen von Pötsch (für den Aufsichtsrat) und Diess (als VW-Chef), die zusammen mehr als 1,5 Stunden dauerten, durften die ersten vier Redner ohne jegliches Zeitlimit reden – es waren ausschließlich Vertreter von Kleinaktionären; deren Reden nahmen teilweise mehr als 20 Minuten in Anspruch. Es folgte dann eine Kürzung auf 10 Minuten, als die ersten politischen Wortbeiträge „drohten“ (und dann auch stattfanden). Und dann gab es die erwähnte Kürzung direkt vor meinem Beitrag. Weitere 4-5 Beiträge nach mir wurde die Redezeit dann noch auf 3 Minuten gekürzt.
[«4] In: Zeit-online vom 29. August 2018
[«5] Die „Volkswagen Group China“ lieferte 2018 in China 4.207.000 Kraftfahrzeuge aus. Diese Zahl beinhaltet auch die Importe. Die Produktion von VW-Modellen in China selbst lag dabei bei 4.116.000 Einheiten. Die 10%-Quote bedeutet also, dass VW 2019 auch im Fall einer (möglichen; sich aktuell abzeichnenden) Stagnation gut 400.000 Elektro-Fahrzeuge ausliefern muss. Dafür hat VW zumindest im laufenden Jahr nicht die Kapazitäten, weswegen Strafgelder – „credits“ – fällig werden. Angaben zum Absatz in China nach: „Mit Tempo in Richtung Zukunft“, Geschäftsbericht Volkswagen 2018, S.45.
[«6] In dem Werk „Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich“, verfasst von Hans Mommsen mit Manfred Grieger (Düsseldorf 1996), sind auf mehr als 1000 Seiten viele wichtige Fakten festgehalten, die den engen Zusammenhang zwischen VW-Werk, NS-Führung, Kriegsproduktion und nicht zuletzt dem Einsatz von vielen Zehntausenden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern dokumentieren. Allerdings wird in diesem Zusammenhang die persönliche Verantwortung von Prof. Ferdinand Porsche („Unternehmensführer“) und Dr. Anton Piech /“stellvertretender Unternehmensführer“) – deren Enkel und Urenkel heute wieder die entscheidenden Großaktionäre bei VW respektive Porsche sind – weitgehend ausgeblendet. Es war Otto Köhler, der in einer anderen Veröffentlichung zu VW das gezielte Verschweigen der Verantwortung der Familien Porsche und Piech für NS-Gräuel und VW-Zwangsarbeit publik machte. So heißt es auf Seite 908 im zitierten offiziellen Werk zu VW: „Porsche nutzte persönliche Querverbindungen, um bevorzugt Arbeitskräfte zu bekommen“. Damit war jedoch erstens die Zusammenarbeit von Ferdinand Porsche mit Rudolf Höß, dem Lagerkommandanten von Auschwitz, und das Anfordern von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern gemeint. Siehe: Otto Köhler, Das Volkswagenprojekt, Porsche und der Nationalsozialismus, in: Stefan Krull (Hrsg.), Volksburg – Wolfswagen. 75 Jahre Stadt des „KdF-Wagen“ / Wolfsburg, Hannover 2013, S.103f.