In wenigen Tagen wird das Europaparlament gewählt und von der von Politik und Medien prognostizierten massiven Einmischung Russlands in den Wahlkampf ist nicht viel zu spüren. Doch wer meint, dass die Verschwörungstheorien nun verstummen, die sinistere Machenschaften „des Kremls“ für komplexe Ereignisse wie den Brexit, die Wahl Trumps oder die Erfolge der AfD verantwortlich machen wollen, musste sich diese Woche einmal mehr eines Besseren belehren lassen. Ein kontrafaktischer Bericht der New York Times über die angebliche russische Einmischung in den Europawahlkampf brachte es sogar bis zur offiziellen Warnmeldung der EU-Kommission und wurde unter anderem von SPIEGEL Online, FAZ und dem Deutschlandfunk 1:1 weitergegeben. Beweise? Fehlanzeige. Indizien? Fehlanzeige. Und selbst die angeführten Belege sind bei näherer Betrachtung an Lächerlichkeit kaum zu unterbieten. Von Jens Berger.
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Sind Sie durch die endlosen Fake News und Desinformationskampagnen im Vorfeld der Europawahl auch schon vollkommen verunsichert und wissen nun gar nicht mehr, wem Sie Ihre Stimme geben sollen? Dies ist es zumindest, was Leser der New York Times zur Zeit über Deutschland denken müssen. Dort werden doch tatsächlich zwei lokale Berliner Antifa-Gruppen als Keimzelle der subversiven Einflussnahme Russlands angeführt. Antifa? Hieß es bislang nicht, Russlands politischer Arm in Deutschland sei die AfD? Richtig. Aber laut New York Times ist ja genau dies die perfide Taktik. Russland unterstützt ganz einfach beide Seiten und erfreut sich dann an der „Destabilisierung des Westens“. Dies mag man mit viel Fantasie und wenig Sachkenntnis im mittleren Westen der USA ja sogar glauben. Dass aber deutsche Medien diese Meldungen nachplappern, ist schon ziemlich seltsam. Oder gibt es unter Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, jemanden, der die Antifa Westberlin oder die Antifa Nordost kennt oder gar tatsächlich glaubt, dass deren Aktivitäten das Zeug hätten, die Europawahlen in welcher Form auch immer zu beeinflussen?
Es ist aber nicht nur die fehlende logische Basis. Noch seltsamer ist, dass diese Verschwörungstheorie offenbar auch vollkommen losgelöst von jeglichen Evidenzen daherkommt. Selbst nach mehrmaligem Lesen ist mir immer noch nicht wirklich klar, worin die Querverbindung zwischen den beiden Antifa-Gruppen und Russland nun eigentlich bestehen soll. Die New York Times führt an, dass die Internetseiten der beiden Gruppen „auf einem Server gehostet sind, von dem aus russische Hacker das DNC attackiert haben“ und mit derselben „Mailadresse“ registriert worden seien. Doch diese „Querverbindung“ ist bei näherer Betrachtung vielmehr ein grobes Gemisch von Falschinformationen, technischem Unverständnis und sehr, sehr viel Fantasie.
Fakten, Fakten, Fakten
Richtig ist, dass die beiden Antifa-Seiten auf demselben Server gehostet sind. Dieser Server steht in Malaysia und gehört dem Unternehmen Shinjiru, das neben den beiden Antifa-Gruppen noch rund 40.000 weitere Kunden aus der gesamten Welt hat. Shinjiru scheint einer der Anbieter zu sein, die es mit der Privatsphäre sehr genau und mit der Sicherheit dafür aber nicht ganz so genau nehmen. Dabei ist es in der unteren Preisklasse weltweit vollkommen normal, dass sich zahlreiche Kunden mit verschiedenen Domains einen Rechner teilen. Der Rechner, auf dem die beiden Antifa-Seiten gespeichert sind, beherbergt zur Zeit auch verschiedene Shop-Seiten für gefälschte Uhren und Sonnenbrillen unbekannter Herkunft, einen ukrainischen Anbieter für gefälschte Pässe und eine stolze Liste mit „passiven“ Phishing-Domains, also gefälschten Internetseiten, die Nutzern vorgaukeln, offizielle Seiten zu sein, und deren Nutzernamen und Passwörter abgreifen sollen. Es ist sehr gut möglich, dass einer der 40.000 meist anonymen Kunden von Shinjiru die niedrigen Sicherheitsstandards dieser Firma auch dafür ausgenutzt hat, um auf dem Server eine Phishing-Domain zu betreiben, die am DNC-Hack beteiligt war. Die Schlussfolgerung, dass einer dieser Betreiber irgendetwas mit den beiden Antifa-Gruppen zu tun haben könnte, ist jedoch geradezu abenteuerlich. Wer kennt schon die anderen Kunden eines Webhosters? Die beiden Antifa-Seiten sind übrigens bereits seit 2013 bzw. 2015 eingetragene Kunden des Unternehmens – auch das passt hinten und vorne nicht zur Verschwörungstheorie der New York Times.
Und wie sieht es mit der „Mailadresse“ aus? Schließlich wäre es ja schon verdächtig, wenn die beiden Antifa-Seiten und „zwei russische Webseiten zum Stehlen persönlicher Informationen“ mit ein und derselben Mailadresse gebucht wurden. Dem ist aber nicht so. Sämtliche Seiten wurden vielmehr über anonyme Registrierdienste angemeldet – eine international vollkommen übliche Praxis, die verhindert, dass der Betreiber eine Domain mit seiner persönlichen Adresse registrieren muss. Klar, wer gefälschte Uhren und Pässe vertickt oder sein Geld mit dem Ausspähen fremder Passwörter verdient, hat kein gesteigertes Interesse daran, dass Gott und die Welt über eine simple Abfrage feststellen können, wer hinter den benutzten Internetadressen steht. Und das trifft offenbar auch auf die Antifa zu, die sich ja ebenfalls im permanenten Zwist mit dem Verfassungsschutz und im Dauerkonflikt mit gewaltbereiten Nazis befindet. Auch hier ist es verständlich, dass die Betreiber nicht wollen, dass jeder Skinhead die Privatadresse der Betreiber herausbekommt. Daher nutzt man derartige anonyme Registrierdienste. Falsch ist übrigens die Aussage, dass es sich um dieselbe Adresse handeln würde. Die beiden Antifa-Seiten wurden über zwei verschiedene anonyme Dienste eingetragen – einer übrigens aus den USA, der andere ist auf den Bahamas registriert. Es ist natürlich sehr wahrscheinlich, dass auch russische Phisher oder Hacker diese Dienste nutzen. Einen kausalen Zusammenhang zwischen der Nutzung eines Registrierdienstes und einer wie auch immer gearteten russischen Beeinflussung zu unterstellen, ist jedoch ebenfalls vollkommen abenteuerlich. Das ist vergleichbar mit der „Logik“, dass Angela Merkel eine russische Agentin sein muss, da sie ihre Post von DHL zugestellt bekommt, zu deren Kunden auch die russische Botschaft in Berlin zählt.
Und das war es auch schon, was von der New York Times als „Faktenlage“ für die angebliche Beeinflussung der Europawahlen durch zwei Antifa-Gruppen präsentiert wird. Beide Gruppen haben weder online noch offline irgendetwas unternommen, um die Wahlen zu beeinflussen oder gar das Land zu destabilisieren. Es gibt weder Beweise noch Indizien für eine Querverbindung dieser beiden Gruppen und Russland. Die gesamte Story ist von vorne bis hinten eine groteske Verschwörungstheorie ohne Anknüpfungspunkte an reale Geschehnisse.
Dennoch wird dieser Unsinn von der angeblich so seriösen New York Times gedruckt. Dennoch übernehmen die angeblich so seriösen Medien SPIEGEL Online, FAZ und Deutschlandfunk diesen Unsinn 1:1. Und als sei dies noch nicht schlimm genug, greift auch die EU-Kommission diese Verschwörungstheorien vollkommen unkritisch auf und verleiht ihnen damit sogar noch einen „offiziellen Stempel“. Es ist wirklich zum Haare raufen.
Andrej Hunko von der Linkspartei kommentiert dies via Facbook sehr treffend …
Diese regelmäßigen Kampagnen tragen selbst alle Anzeichen einer Verschwörungstheorie. Trump, Brexit, Rechtspopulisten, Krisenhaftigkeit der EU – alles soll auf das Wirken einer finsteren Macht zurückgeführt werden. Mit den gesellschaftlichen Ursachen dieser Phänomene braucht man sich dann nicht mehr auseinander zu setzen. Was hängen bleibt, ist ein Gefühl der Bedrohung in der Bevölkerung von außen – das dann wieder genutzt werden kann, etwa für die nächste Aufrüstungsrunde.
Dem ist leider nichts hinzuzufügen.
Titelbild: GlebSStock/shutterstock.com