Tragischer Tod eines Epoche-prägenden russischen Journalisten. Von Ulrich Heyden, Moskau.
Der russische Fernseh- und Radiojournalist Sergej Dorenko wagte viel Kritik an russischen Politikern und Zuständen, verkaufte sich aber nicht an die Putin-Gegner. Am 9. Mai 2019 starb der 59 Jahre alte Journalist nach einem Motorradunfall.
Am 9. Mai 2019 kam der bekannte russische Radio- und Fernsehjournalist Sergej Dorenko ums Leben, als er die Kontrolle über sein Motorrad verlor. Das Fahrzeug schlitterte in hohem Tempo auf die Gegenfahrbahn und stieß dann gegen eine Straßenbegrenzung.
Nach ersten Untersuchungen war die Aorta des Journalisten geplatzt, weshalb er die Kontrolle über das Motorrad verlor. Der Journalist starb im Krankenhaus. Hinweise auf einen politischen Hintergrund des Todes gibt es nicht. Die Ehefrau des Toten erklärte, dass bei ihrem Mann 2016 eine Aorta-Schwäche festgestellt wurde, die Ärzte aber nicht zu einer Operation geraten hätten.
Karrierebruch nach U-Boot-Reportage
Der mit seinem Motorrad auf tragische Weise Verunglückte prägte die russische Medienlandschaft vor allem in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre. Zum Karrierebruch kam es nach dem Untergang des russischen Atom-U-Bootes Kursk im August 2000, bei dem alle Besatzungsmitglieder starben. Dorenko fuhr nach dem Unglück mit seinem Kamerateam in den Norden Russlands, in die kleine Stadt Bidjajewo, wo das U-Boot Kursk seinen Heimathafen hatte.
In seiner Reportage für den damals wichtigsten Fernsehkanal, ORT, beschrieb der Journalist schonungslos das ärmliche Leben der U-Boot-Fahrer und ihrer Familien. Eine Kernthese der Reportage war, dass das russische Verteidigungsministerium nicht rechtzeitig etwas zur Rettung der Besatzung unternommen hatte. Diese Kritik wurde damals auch massiv von deutschen Medien vorgetragen.
Russlands gerade neugewählter Präsident, Wladimir Putin, der damals nach Bidjajewo gefahren war, um den Angehörigen der toten Marine-Soldaten Rede und Antwort zu stehen, nahm die russische Militärführung damals in Schutz.
Nach der Veröffentlichung der Reportage am 2. September 2000 musste Dorenko den Fernsehkanal ORT verlassen. Hauptaktionär des Kanals war damals der Oligarch Boris Beresowski, der Wladimir Putin zunächst unterstützte, sich dann aber mit ihm überwarf und nach London emigrierte.
Chef der russischen Eisenbahn der Korruption bezichtigt und Prozess verloren
Dorenko, der sich in 1990er Jahren schon mehrmals einen neuen Job suchen musste, fand eine Stelle beim liberalen Radio Echo Moskwy, wo er seit 2004 ein Morgen-Programm moderierte. Doch der Journalist wechselte erneut. 2008 wurde er Chefredakteur beim Radio-Sender Russkaja Sluschba Nowostej. 2013 verließ Dorenko den Sender, nachdem der damalige Leiter der russischen Eisenbahn, Wladimir Jakunin, eine Klage gegen den Journalisten eingeleitet hatte. Anlass der Klage war, dass Dorenko den Eisenbahn-Chef in einer Sendung der Korruption bezichtigt hatte. Dorenko verlor den Prozess. Er musste 1.000 Euro Strafe zahlen und seine Behauptung widerrufen.
2014 gründete Dorenko den Radiosender „Goworit Moskwa“, wo er Chefredakteur wurde. „Goworit Moskwa“ ist einer der wenigen russischen Radiosender, in denen Interviews gesendet und die Hörer live mit Kommentaren zugeschaltet werden. Der Autor dieser Zeilen wurde selbst mehrmals zu Interviews eingeladen und war immer erstaunt über die offene Diskussions-Atmosphäre, die in den Sendungen herrschte. „Goworit Moskwa“ gehört dem Öl- und Medien-Unternehmer Michail Guzerijew, der aus der Kaukasusrepublik Inguschetien stammt. Der Sender hat tagsüber 360.000 Hörer.
Ein Kind der Perestroika
Das Leben von Dorenko ist typisch für viele derjenigen Journalisten, denen sich mit der Perestroika in den 1980er Jahren ganz neue journalistische Möglichkeiten eröffneten.
Der am 9. Mai tödlich Verunglückte wurde in Kertsch auf der Krim geboren. 1982 beendete er in Moskau an der Universität für Völkerfreundschaft ein Dolmetscher-Studium für Spanisch und Portugiesisch. Während seiner Studentenzeit war er als Dolmetscher in Afrika und Lateinamerika tätig.
Dorenko leitete in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre das politisch-analytische Programm „Wremja“. Als das Land 1998/99 mit einer Finanzkrise und terroristischen Attacken tschetschenischer Fundamentalisten immer mehr an Stabilität verlor, war es Dorenko, der sich in seinen Sendungen für ein Durchgreifen des Staates aussprach.
Der Journalist berichtete positiv über den neuen Ministerpräsidenten Wladimir Putin und geißelte dessen Vorgänger Jewgeni Primakow, der sich nach Meinung des Journalisten als Chef der russischen Auslandsspionage, als Außenminister und Ministerpräsident nicht energisch genug gegen die USA und ihren Krieg in Jugoslawien und im Irak durchgesetzt habe.
Als Dorenko dann auch noch den Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow wegen seines großen Immobilienbesitzes ins Visier nahm, bekam Dorenko von den liberalen Medien den Spitznamen „Tele-Killer“.
Bei den Zuhörern war der Journalist beliebt für seine oft ungehobelte Sprache und seine patriotische Grundeinstellung. Dorenko hatte etwas Volkstümliches, denn er griff immer wieder Politiker an und musste mehrmals seinen Arbeitgeber wechseln. Die Russen lieben solche Leute, insbesondere wenn sie die Fähigkeit haben, nach einem Rauswurf wieder aufzustehen und weiterzumachen.
Kritik am Oberhaupt Tschetscheniens
Dorenko hatte zwar 1999 seinen Posten beim wichtigsten Fernsehkanal Russlands verloren, aber er trat in den letzten Jahren mehrmals mit kritischen Wortmeldungen im Fernsehen auf. So stellte er Putin im April 2018 bei einer live übertragenen Bürgersprechstunde, die Frage, wie es komme, dass der russische Staat gewaltverherrlichende Äußerungen seiner Vertreter nicht ahnde. Gemeint waren Drohungen des Oberhauptes der Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, der russische Oppositionelle als „Volksfeinde“ bezeichnet hatte.
In seiner ruhig vorgetragenen Erwiderung erinnerte Putin daran, dass Russland Tschetschenien Dank Ramsan Kadyrow und dessem Vater zurückgewonnen habe. Er hoffe, dass Kadyrow erkenne, welche Verantwortung er vor Tschetschenien und vor Russland trage. Mit „äußersten Methoden“ könne man in Russland keine Stabilität herstellen.
„Die Russen haben ein stark entwickeltes Gerechtigkeitsgefühl“
Dorenko entwickelte sich in den letzten Jahren immer mehr zum zynischen Kritiker. Als er dem bekannten Video-Blogger „Wdud“ letztes Jahr ein langes Interview (fünf Millionen Clicks) gab, erklärte er, Russland sei eine “feudale Gesellschaft”. Die Russen hätten ein stark entwickeltes Gerechtigkeitsgefühl, aber eine Zivilgesellschaft hätten die Russen nie kennengelernt. “Russen sind wie heldenhafte Kinder. Wenn sie zufällig ein Feuerzeug in die Hand bekommen, können sie die Hütte anstecken, wenn man ihnen aber ein gutes Mittagessen macht, können sie auch heldenhaft Granaten unter einen Panzer werfen.”
Das war natürlich nicht wörtlich gemeint. Es war nur eine Überspitzung, mit welcher der Journalist versuchte, die Mentalität im Land zu beschreiben.
Dorenko hat nie westliche Journalistenpreise bekommen. Er wurde in westlichen Medien kaum erwähnt, im Gegensatz zu vielen anderen russischen Journalisten, die dafür eintraten, Russland nach westlichen Rezepten zu „modernisieren“ und am besten gleich auch noch Putin zu stürzen.
Der tragisch mit seinem Motorrad verunglückte Journalist passt in keine Schublade. 2003 trat er in die KPRF ein, verließ die Partei aber 2012 wieder.
Beerdigung verschoben
Die Beerdigung des Journalisten war für den 12. Mai 2019 geplant, wurde aber auf unbestimmte Zeit verschoben, weil die beiden Töchter des Journalisten aus erster Ehe eine zweite medizinische Untersuchung beantragt hatten. Auf einem Moskauer Friedhof kam es zu einem Streit der Töchter aus erster Ehe mit der zweiten Frau von Dorenko. Die russischen Medien griffen diesen Familien-Zwist begierig auf und spekulierten über mögliche finanzielle Interessen der Töchter aus erster Ehe. Diese wollten eine Vergiftung ihres Vaters nicht ausschließen.
Der bekannte linke Video-Blogger Maksim Schewtschenko meinte in seinem Nachruf, Sergej Dorenko sei Jemand gewesen, der die nachsowjetische Epoche entscheidend mitgeprägt habe. Mit dem Tod des Journalisten sei ein wichtiger Kritiker verloren gegangen. „Ohne ihn wird das Leben einförmiger“.