Vor allem im linken politischen Spektrum hält sich die Begeisterung für eine effektivere Lenkung unseres Konsumverhaltens zum Wohle von Umwelt und Klima in Grenzen. Schnell fängt man sich den Vorwurf ein, eine abgehobene „Luxusdebatte“ zu führen. Höhere Preise und höhere Verbrauchssteuern würden vor allem die Ärmsten unserer Gesellschaft treffen und „denen da oben“ nicht wehtun. So verständlich dieses Argument ist, so falsch ist der gesamte Argumentationsansatz. Soziale Teilhabe und effektive Umwelt- und Klimapolitik sind schließlich keine unvereinbaren Zielkonflikte, sondern müssen ganz im Gegenteil Hand in Hand gehen. Denn nur, wenn sich möglichst viele Menschen einen ökologisch und ethisch vertretbaren Konsum leisten können, ist ein Umsteuern überhaupt möglich. Ein Debattenbeitrag von Jens Berger.
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Es ist ja richtig. Mit 424 Euro Hartz-IV-Regelsatz oder einer Minirente auf Grundsicherungsniveau kommt man nicht weit im Biomarkt und wer mit dem PKW zum Arbeitsplatz pendeln muss, ist oft schon heute am Ende seiner finanziellen Leistungsfähigkeit. Schon Brecht wusste, dass „zuerst das Fressen und erst danach die Moral kommt“. Im Umfeld der Gelbwestenproteste hieß es daher auch sehr treffend: „Die Eliten reden vom Ende der Welt, aber wir, wir reden vom Ende des Monats.“ Vor allem, wenn man selbst zur Schicht derer gehört, die ihre sozioökonomische Sorglosigkeit auf dem Rücken der unteren Schichten stützt, ist es unfair, Verzicht bei eben jenen einzufordern, die heute schon die gesamte Last tragen.
Die gesamte Debatte rund um die politisch gewollte Steuerung unseres Verhaltens und unseres Konsums nur auf die Ober- und die Unterschicht zu reduzieren, ist jedoch auch zu einfach und wird häufig auch genau von denen ins Spiel gebracht, die umwelt- und klimafreundliche oder ethische Verhaltensweisen ohnehin lieber bei den Anderen einfordern – vor allem, wenn damit Aufwand oder gar finanzielle Nachteile verbunden sind. Es sind ja beileibe nicht nur Hartz-IV-Empfänger, die beim Discounter Billigfleisch zum Dumpingpreis kaufen und die Zahl der Niedriglohnempfänger, die mit ihrem alten Spritschlucker die Umwelt verpesten, weil sie sich kein modernes umweltfreundlicheres Auto leisten können, ist ungleich geringer als die Zahl derer, die sich zwar ein umweltfreundliches Auto leisten könnten, dies aber nicht wollen. So wichtig es ist, die soziale Vereinbarkeit der Umwelt- und Klimapolitik im Auge zu behalten, so falsch wäre es, wegen der sozialen Schieflage auf eine Lenkung des Verhaltens und des Konsums zu verzichten. Und nebenbei: Dies wäre auch das erste Mal, dass die Politik überhaupt auf die „sozial Schwachen“ Rücksicht nähme – ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Ziel einer progressiven Politik muss es daher auch sein, die soziale Schieflage abzubauen und gleichzeitig unser Verhalten und unseren Konsum umwelt- und klimapolitisch und wenn möglich auch ethisch zu steuern. Denn die besten Vorsätze nutzen oft nichts, wenn schädliches Verhalten vom Markt derart belohnt wird, wie es heute ja der Fall ist. Wenn heute auf den Färöer-Inseln die tiefgefrorene Lammkeule aus Neuseeland preiswerter ist als das Fleisch der heimischen Schafe, ist dies ein gesellschaftliches Marktversagen historischen Ausmaßes. Solange externe Kosten nicht in den Verbraucherpreis eingehen, werden in einer Marktwirtschaft Produkte aus industrieller Massenfertigung immer zu einem günstigeren Preis angeboten werden als Produkte, die umweltfreundlich, nachhaltig und zu fairen Löhnen hergestellt wurden.
Gesellschaftlich akzeptiert wird eine derartige Steuerung aber natürlich nur, wenn sie dabei nicht gleichzeitig ganze Bevölkerungsschichten ausgrenzt und die Zeche für die angestrebte Nachhaltigkeit bezahlen lässt. Daher sollte man aus progressiver Sicht Ideen wie eine CO2-Steuer oder höhere Mineralölsteuern auch nie isoliert betrachten oder gar diskutieren. Denn wenn man die Soziale Frage außen vorlässt, wäre eine Erhöhung der Kosten für Energie und Mobilität natürlich ungerecht und würde die Menschen ganz nebenbei auch in die Arme der AfD treiben, die sich auf diesem Feld ja schon erfolgreich positioniert hat. In der Öffentlichkeit werden Themen wie Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Ökologie schon heute vermehrt als „Luxusthemen“ einer abgehobenen elitären Schicht wahrgenommen. Das ist fatal.
Eine gesellschaftlich sinnvolle Lenkung des Verhaltens und des Konsums über die Steuer- und Abgabenpolitik darf daher auch stets nur ein Bestandteil eines umfassenden Gesamtpakets sein, bei dem der Abbau der sozialen Schieflage im Zentrum steht und somit eine „conditio sine qua non“ ist. Dies ist wohlgemerkt momentan bei der Politik der etablierten Parteien nicht der Fall. Auch die Grünen, die gerne unser Verhalten und unseren Konsum durchaus sinnvoll steuern würden, formulieren diese Forderung stets isoliert und ignorieren die Soziale Frage dabei.
Ökologisch und ethisch sinnvolles Verhalten darf schließlich kein Luxus sein. Im Gegenteil. In einer „besseren Welt“ sollte ökologisch und ethisch sinnloses Verhalten ein Luxus sein, den sich nicht jeder leisten können soll. Darauf sollten wir hinarbeiten, auch wenn dies alles momentan noch eine Vision ist, die in weiter Ferne liegt. Vor allem für die Linkspartei wäre die Vision eines Gesamtpakets ein wichtiger Schritt, der auch helfen könnte, die heutigen Gräben zu überwinden. Denn die Soziale und die ökologische Frage sind keine konkurrierenden Ziele, sondern zwei Seiten einer Münze. Die Soziale Frage ist kein Argument gegen eine ambitionierte Umwelt- und Klimapolitik, sondern deren zentraler Bestandteil.
Titelbild: New Africa/shutterstock.com