Gestern ging in Hessen die erste „Elektroautobahn“ ans Netz, wie es lokale Medien großspurig verkündeten. Die Idee hinter dem Pilotprojekt – LKW sollen durch Oberleitungen Strom beziehen und so auch ohne teure schwere Akkutechnik mit Elektromotoren ausgerüstet und klimaneutral unterwegs sein können. Güterverkehr auf großen Verkehrstraßen mit elektrischen Oberleitungen? Das gibt es doch schon. Richtig, das Ganze nennt sich Güterschienenverkehr. Anstatt die Güter auf die – schon elektrifizierte – Schiene zu bringen, plant man offenbar lieber, die Autobahnen für Milliardensummen zu elektrifizieren. Das ist ökologisch und ökonomisch eine Sackgasse und läuft vor allem dem obersten Ziel, Verkehr nicht zu verlagern, sondern zu vermeiden, vollkommen zuwider. Von Jens Berger.
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Selbst hessische Berufspendler werden wohl – wenn überhaupt – nur sehr selten das Vergnügen haben, die Zukunft des Güterfernverkehrs einmal live und in natura beobachten zu können. Auf dem beidseitig jeweils nur fünf Kilometer langen Testabschnitt der A5 zwischen Langen/Möhrfelden und Weiterstadt können schließlich nur fünf Testfahrzeuge mit Pantografen auf dem Dach Strom abnehmen. Die Technik stellen Siemens und Scania. Finanziert wird das Projekt übrigens nicht vom Bundesverkehrsministerium, sondern vom Bundesumweltministerium. Parallel zum Feldversuch auf der A5 startet in diesem Jahr noch ein ähnlich überschaubares Testprojekt auf der A1 bei Lübeck, wo man die Anbindung an einen Seehafen testen will und auf der B452 in Baden-Württemberg, wo man die Tauglichkeit des Systems bei Ortsdurchfahrten probt. Die Versuche sind erst einmal auf drei Jahre angesetzt. Die Projektbeteiligten schwärmen jedoch bereits von einer Elektrifizierung großer Teile des Güterfernverkehrs und Deutschland schwimmt nicht alleine auf der Welle. Schweden ist Vorreiter für derartige Elektro-Highways. Dort gibt es schon konkrete Planungen für die Elektrifizierung von 2.000 Kilometern Straßennetz. Neben dem schwedischen LKW-Hersteller Scania ist auch Volvo bei den Projekten mit an Bord.
Es ist natürlich legitim, dass Unternehmen wie Siemens, Scania oder Volvo auf der Klimawelle surfen und damit Geld verdienen wollen. Erstaunlicher ist schon, dass die Politik dieses Spiel mitmacht. Denn schon ein grober Blick auf die ökologischen und ökonomischen Rahmendaten dieser Technik lässt ernsthafte Zweifel aufkeimen.
Man kann einen 40-Tonner natürlich nicht mit einem Kleinwagen vergleichen. Um die für LKW nötigen Reichweiten mit Elektroantrieb und der Akkutechnik hinzubekommen, die bei PKW erfolgreich im Einsatz ist, wären tonnenschwere Akkus vonnöten. Das Gewicht würde steigen, der Anschaffungspreis sich massiv erhöhen und gleichzeitig müssten Ladevolumen und vor allem die wichtige Nutzlast sinken. Ein von Daimler für den US-Markt projektierter „Langstrecken“-Elektrotruck bringt es beispielsweise unter „Testbedingungen“ gerade mal auf 400 Kilometer Reichweite. Voll beladen sind im echten Einsatz 250 Kilometer wohl realistischer. Ein LKW, der auf der Strecke Hamburg-München viermal aufgeladen werden muss, dürfte in einer Branche, die ihren Fuhrpark schon wegen ein paar Euro Unterschied beim Stundenlohn nach Osteuropa auslagert, jedoch indiskutabel sein.
Daher kommen bei den aktuellen Pilotprojekten auch sogenannte Hybrid-LKW zum Einsatz. Die besitzen neben dem normalen Dieselmotor noch einen kleineren Elektromotor und Akkus, die mit „stolzen“ 10 Kilometer Reichweite angegeben sind. Der Elektromotor ist übrigens so schwach, dass der Strom aus der Oberleitung bei Steigungen nicht einmal ausreicht – dann muss trotz Oberleitung der Diesel übernehmen.
Ob und in wieweit derlei Faktoren in die „Ökobilanz“ einfließen, ist unbekannt. Jedoch bereits die offiziellen Zahlen sind sehr ernüchternd. Selbst wenn man den Strommix 2025 aus der optimistischen Kalkulation der Bundesregierung als Basis nimmt, würde sich der CO2-Ausstoß pro Kilometer durch die Oberleitungen im Vergleich zu einem traditionellen Diesel-LKW lediglich von 1050 Gramm auf 850 Gramm reduzieren. Nun müsste man freilich noch berechnen, wie viele Tausend Kilometer ein solcher LKW unter Stromantrieb fahren müsste, bis überhaupt der Mehraufwand an CO2 für die Produktion ausgeglichen ist und wie sehr die mehreren Tonnen Gewicht für die Zusatztechnik die Klimaeffizienz bei der Fahrt mit dem Dieselmotor verschlechtern. Wahrscheinlich wäre das Ergebnis unter Einbeziehung all dieser Faktoren sogar negativ. Nur langfristig sähen die Prognose bei einem komplett emissionsfreien Strommix etwas besser aus – aber so lange die Politik sich noch nicht einmal beim Kohleausstieg einig ist, sollte man die Realität nicht durch Schönwetterprognosen mit vielen Unbekannten schönrechnen.
Was bei der Bewertung noch fehlt, ist die ökonomische Seite. Hier verweisen die Systementwickler gerne darauf, dass der höhere Anschaffungspreis sich langfristig durch niedrigere Betriebskosten ausgleichen und am Ende die Nutzung der Oberleitung für die Spediteure sogar ein Kostenvorteil wäre. Diese Rechnung würde jedoch jedem Milchmädchen die Schamesröte ins Gesicht treiben. Denn während man ganz selbstverständlich bei den Dieselkosten die Steuern mit einrechnet, lässt man den Steueranteil beim Strompreis einfach raus und ergänzt die „Sparprognose“ dann mit dem Nebensatz, dass die realen Einsparungen von der Besteuerung des Stroms abhängen. Oder um es geraderaus zu sagen: Ein Kostenvorteil auf betriebswirtschaftlicher Ebene käme nur dann zustande, wenn der Staat den Strompreis für die projektierten Elektro-Highways massiv steuerlich subventionieren würde. Dies wäre dann jedoch ökonomisch und ökologisch eine Eselei – vor allem dann, wenn die LKW mit schmutzigem Braunkohlestrom angetrieben werden.
Volkswirtschaftlich sind Oberleitungen nicht nur eine Eselei, sondern ein komplettes Desaster. Rechnet man zu den bekannten Kosten für die Infrastruktur noch die Kosten für Umwelt- und Gesundheitsschäden und Unfallkosten hinzu, kommt man auf die Summe von 27 Milliarden Euro pro Jahr, der Staatseinnahmen aus dem Straßenverkehr in Höhe von 14 Milliarden Euro entgegenstehen. Schon heute subventioniert der Staat also den Güterverkehr mit dem LKW massiv. Würde man dazu noch den volkswirtschaftlichen Schaden hinzurechnen, der der Wirtschaft tagein tagaus durch die unzähligen unproduktiven Stunden entsteht, die Mitarbeiter im Stau stehen, kommt man schnell auf eine gigantische Summe. Und die Staugefahr dürfte durch Oberleitungen sicher nicht sinken, sondern eher noch steigen.
Dabei liegt die Alternative doch auf der Hand! Der Schienengüterverkehr liegt schon beim heutigen Strommix beim CO2-Ausstoß rund 40% unter dem Güterverkehr auf der Straße. Er ist also heute schon da, wo die Befürworter einer Elektrifizierung der Autobahnen mit fragwürdigen Rechnungen in ferner Zukunft erst hinwollen. Das Schönste an der Sache: Es muss da auch gar nichts mehr erfunden und entwickelt werden. Schließlich ist der Güterverkehr auf der Schiene ein etabliertes System, das gut funktioniert und wenn auch sicher nicht klimaneutral, so doch wesentlich umweltfreundlicher als der Güterverkehr auf der Straße ist. Runter von der Straße, rauf auf die Schiene – so simpel könnte ein Konzept zur Reduktion der Klimagase aussehen, das zudem Millionen staugestressten Autofahrern gefallen dürfte. Über die LKW-Maut und den Trassenpreis für den Schienenverkehr hat der Staat hier sogar ein denkbar gut geeignetes Steuermittel. Würde der Bund die LKW-Maut massiv erhöhen und gleichzeitig die Investitionen in den Schienenverkehr und insbesondere auch in den Güterverkehr auf der Schiene hochfahren, wäre der Rest nur noch Formsache.
Ohnehin sollte die Zielvorgabe eher sein, den Gütertransport insgesamt zurückzufahren und nicht „nur“ von einem umweltschädlichen Transportmittel auf ein weniger umweltschädliches Transportmittel zu verlagern.
Doch genau dies geschieht nicht und noch nicht einmal ein Wechsel von der Straße auf die Schiene ist zu erkennen. Seit Jahren geht der Anteil des Güterverkehrs auf der Schiene sogar zurück. Die Investitionen in den Schienenverkehr sind zwar in den letzten Jahren massiv von 49 Euro pro Kopf im Jahr 2014 auf aktuell 69 Euro ordentlich gestiegen, liegen jedoch immer noch weit, weit unter den Zahlen anderer Länder wie Niederlande (128 Euro pro Kopf), Dänemark (160 Euro), Großbritannien (165 Euro), Schweden (183 Euro), Österreich (187 Euro) oder gar der Schweiz, die mit 362 Euro pro Kopf mehr als fünfmal so viel Geld in die Schiene investiert. Hier hat Deutschland Aufholbedarf. Anstatt die Autobahnen mit sinnlosen und kontraproduktiven Stromleitungen zu „Smart Roads“ umzugestalten, wäre es in jeglicher Hinsicht smarter, mehr Geld in die Schiene zu stecken. Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg. Sogar das Staatsunternehmen Deutsche Bahn erzielt aktuell mit seiner Schienengüterverkehrssparte DB Cargo nur einen Drittel des Umsatzes seiner LKW- und Seefrachttochter DB Schenker. Deutlicher kann eine falsche Weichenstellung kaum ausfallen.
Jedoch stehen die Chancen gut, dass uns die Elektrifizierung der Autobahnen sogar erspart bleibt. Und zwar nicht, weil sich die Vernunft in der Politik durchsetzen würde. Nein, sondern weil die Automobillobby selbst von der Idee nicht gerade begeistert ist. Hersteller wie Daimler ärgert es nämlich, dass die Hybride für die Oberleitungen sich nicht so gut auf den Flottenverbrauch anrechnen lassen. Daher setzen die Schwaben lieber auf tonnenschwere Akkutechnik. Willkommen im real existierenden Europa.
Titelbild: Hessen Mobil