“Regime Change is fashion” – Die Putschversuche als mediale Inszenierungen des Barrikadenhelden Juan Guaidó
Ton und Rhythmus der einleitenden Musikuntermalung sind zugleich anregend und cool, sie verkünden spannende Handlung oder ein „geiles” Produkt. Die Kamera gleitet in Großaufnahme über sich faltende Hände eines behaarten Männerarms. Aus vernebelter Einstellung dringt nun mit Sekunden kurzer Tiefenschärfe das Antlitz des lächelnden Protagonisten in den Mittelpunkt. Eine Hand rückt ein schmuckvolles Armband auf seinem linken Arm zurecht, ein Fotograf geht mit seiner Kamera in Stellung. Von Frederico Füllgraf.
Der zunächst hemdsärmelige Protagonist wird in verschiedenen Posen, nun aber mit sichtlich aufgesetztem Lächeln abgelichtet; er bindet eine Krawatte auf das schneeweiße, vermutlich gestärkte Hemd, er sitzt vor einem Beleuchtungs-Schirm, seine Arme schlüpfen in ein modegeschneidertes Sakko. Sein kritischer Blick prüft, ob es auch richtig sitzt.
Sodann zeigt die Leinwand eines Notebooks das Zwischenprodukt: „Der Typ ist fotogen!”. Die nächsten Einstellungen sagen: „Der Typ ist ein Sieger!“. Die Schlusseinstellung mit dem nun sinnlich drein lächelnden Hauptdarsteller wagt gar, Frauenherzen zu verführen: „Seht ihn Euch an, den sexy Helden!“.
Die Foto-Session des in Mexiko lebenden venezolanischen Fotografen Ram Martínez fand im zum improvisierten Studio umfunktionierten Büro der rechtsradikalen Partei Voluntad Popular (Volkswille) in Caracas‘ großbürgerlichem Bezirk Altamira statt. Sie bebilderte die Titelgeschichte der am vergangenen 29. April erschienenen Mexiko-Ausgabe des US-amerikanischen Herrenmagazins GQ (Gentlemen´s Quarterly).
Apropos: Altamira ist jener begrünte Glitzerbezirk von Caracas‘ oberen Zehntausend, ihrer Einkaufszentren, ihrer Aufmärsche gegen den Chavismus, der Guarimbas (Straßensperren) und ihrer vermummten und bewaffneten Gewalttäter, von der Mehrheit der westlichen Medien „Zivilisten“ genannt. „Brave Citoyens“ wie jene, die in den vergangenen Jahren mehrere Regierungsanhänger mit Benzin übergossen und welche am lebendigen Leibe verbrannten, oder jene, die am 30. April von einem gepanzerten Polizeiwagen überfahren wurden, nachdem dieser mit Molotow-Cocktails angriffen und anschließend in Brand gesteckt wurde.
„Die Studio-Atmosphäre war heiter, denn dies war die Ausstrahlung Guaidós. Jeder von uns sehnte sich nach dieser wertvollen Gelegenheit, sodass wir jede Sekunde ausnutzten, um die Essenz, das Wesen des Präsidenten zu erfassen“, schrieb Martínez in einer GQ-Behind-The-Scenes-Chronik über die Guaidó-Fotos, die als Illustrationen für das von GQ bestellte Interview des venezolanischen Journalisten Luis Carlos Díaz dienten.
Díaz, der hauptamtlich als oppositioneller Menschenrechts-Aktivist tätig ist, war Anfang März 2019 vorübergehend vom venezolanischen Geheimdienst Sebin inhaftiert worden, nachdem Diosdado Cabello, Präsident der Verfassungsgebenden Versammlung, ihn der Sabotage beschuldigt hatte, die angeblich für die wochenlangen Stromausfälle verantwortlich gewesen sein soll.
Mit rund einer Million Auflage ist GQ ein seit 1931 monatlich erscheinendes, mehrsprachiges Männer-Unterhaltungsmagazin der New Yorker Verlagsgruppe Condé Nast, die u.a. die renommierten Zeitschriften Vanity Fair und Vogue herausgibt. GQ ist für Polemik und Provokation bekannt. So behauptete zum Beispiel die Ausgabe vom September 2009 in der Scott-Anderson-Reportage “None Dare Call It Conspiracy”, nicht etwa tschetschenische Terroristen, sondern der russische Geheimdienst FSB habe nach Angaben von Oberst Mikhail Trepashkin und mit Wissen Wladimir Putins Dutzende von Bombenanschlägen auf Appartements verübt, die hunderte von Menschen getötet hätten.
„Kampf um den Thron”, notfalls „ein Staatsstreich“
„Seit dem 5. Januar sagen wir, dass es eine verfassungsrechtliche Möglichkeit gibt, das Vakuum in der Präsidentschaft auszufüllen. Es ist wie in der Fabel, in der einer ´den Thron beanspruchen´ muss. Wir haben eine ähnliche Situation, nämlich einen verantwortlichen Präsidenten, der die volle Ausübung der Befugnisse der Exekutive zur Lösung der Probleme der Venezolaner fordert“, erklärt Foto-Held Guaidó im GQ-Interview mit peinlichem, jedoch kraftvollem Narrativ einer Thronfolge-Intrige, das den Mode-Macho-Fotos den entsprechenden Anspruch verleiht.
Herrisch, apodiktisch sieht sich der Held von einem erfundenen „Machtvakuum“ auserlesen, ergo von einer nebulösen Macht zur Staatsführung legitimiert. „Wir übernehmen in diesem Übergang die Kontrolle über einige Landeseigentümer im Ausland (man lese: der PDVSA-Citgo-Konzern in den USA), ernennen diplomatische Vertreter und bereiten einen Notplan für Venezuela vor” – einfach so. Punkt.
Wie er sich die Überwindung der venezolanischen Krise vorstelle, umschreibt der Foto-Held so: „Wir können eine ausgehandelte Wahl haben, einen einmaligen Übergang wie die Junta aus Zivilisten und Militärs von 1958, also eine Demokratie oder eine erzwungene Lösung mit internationaler Hilfe durchsetzen. Das kann mit einem Staatsstreich oder durch den Druck einer internationalen Koalition erreicht werden. Wir müssen alle Optionen, … auch den Druck von der Straße, offenhalten“.
Eine Puppe aus den Denkfabriken des Regime Change
Fünfmal kündigte die Opposition die „Endoffensive” gegen Präsident Nicolás Maduro an, mindestens dreimal prophezeite Guaidó seinen Sturz, doch kein einziges Mal löste der jahrelang von den USA ausgebildete Brandleger sein Versprechen ein.
Guaidós Brandstifter-Karriere steht außer Zweifel. Obwohl Guaidó scheinbar aus dem Nichts in Erscheinung trat, „war er tatsächlich das Ergebnis von mehr als einem Jahrzehnt sorgfältiger Vorbereitung durch die Elite-Fabriken, die dem Regimewechsel der Regierung der USA gewidmet waren“, schlussfolgert die akribische Recherche „The Making of Juan Guaidó: US Regime-Change Laboratory Created Venezuela´s Coup Leader“ der US-Journalisten Dan Cohen und Max Blumenthal, die am 4. Februar 2019 in deutscher Version der NachDenkSeiten mit dem Titel „Juan Guaidó: Ein Staatschef aus dem Regime-Change-Labor“ erschien.
Cohen und Blumenthal bestätigten einen weitverbreiteten Eindruck. Dass nämlich „vor dem schicksalhaften 22. Januar (2019) nicht einmal jeder fünfte Venezolaner jemals von Juan Guaidó gehört hatte.” Noch vor wenigen Monaten war der 35-Jährige ein obskurer Charakter in einer rechtsextremen politischen Randgruppe, die eng mit grausamen Straßenkämpfen in Verbindung gebracht wurde. Selbst in seiner eigenen Partei hatte Guaidó nur einen mittleren Status in der oppositionsdominierten Nationalversammlung, die nun nach der venezolanischen Verfassung verächtlich gemacht wird”, schrieben die Autoren.
Von den internationalen Medien als das Gesicht des demokratischen Wiederaufbaus verkauft, machte Guaidó in Wirklichkeit „Karriere in der brutalsten Gruppierung von Venezuelas radikalster Oppositionspartei und stand an der Spitze mehrerer Destabilisierungskampagnen. Seine Partei war in Venezuela weithin diskreditiert und wird teilweise für die Fragmentierung der stark geschwächten Opposition verantwortlich gemacht“, heißt es in der Untersuchung.
„Diese radikalen Führer bleiben bei Umfragen unter 20 Prozent“, schrieb Luis Vicente León, der führende Meinungsforscher Venezuelas, über Guaidós Partei, die von Leopoldo López gegründete und eingangs erwähnte Voluntad Popular. Laut Léon ist die Partei bei der Mehrheit der Bevölkerung isoliert, denn die Mehrheit der Venezolaner „will keinen Krieg. Was sie will, sind Lösungen.”
Doch genau aus diesem Grund sei Guaidó von Washington ausgewählt worden, schlussfolgern Cohen und Blumenthal. „Niemand erwartet von ihm, dass er Venezuela zur Demokratie führt, sondern dass er das Land destabilisiert, weil es zwei Jahrzehnte lang ein Bollwerk des Widerstands gegen die US-Hegemonie war. Sein merkwürdiger Aufstieg bildet den Höhepunkt eines zwei Jahrzehnte dauernden Projekts zur Zerschlagung eines stabilen sozialistischen Experiments”.
„Tot mehr wert als lebendig …“
Der venezolanische Oppositionelle ist für die nähere Zukunft eine Art tragische Figur”, weil er zu Massenprotesten aufruft und niemand erscheint, erklärt Daniel McAdams, Geschäftsführer des Ron Paul Institute in den USA. „Dieser arme Junge (Guaidó) wurde getäuscht, der Präsident der USA hat ihn als Fassade benutzt”, sagt zwischen Mitleid und Ironie ein 88 Jahre alter Fruchtsaftverkäufer, der vom sozialen Wohnungsbau des Chavismo profitiert, dessen kleiner Laden jedoch kaum fürs nackte Überleben ausreicht.
Nach dem erfolglosen Versuch Guaidós, Präsident Nicolás Maduro zu stürzen, „ist er jetzt für den CIA, jedoch auch für die eigene Opposition tot mehr wert als lebendig”, warnte McAdams in einer der jüngsten Sendungen des pensionierten Abgeordneten der Republikanischen Partei, Ron Paul.
Paul, ein erstaunlich scharfer Gegner der US-„Warmongers” (Kriegstreiber), stimmte in die pessimistische Zukunftsvision McAdams‘ ein. Er spekulierte: „Falls jetzt zum Beispiel eine false-Flag-Operation vom Zaun gebrochen oder wichtige Beamte auf beiden Seiten getötet werden, können wir nicht ahnen, was passieren könnte”. Guaidó selbst könnte das Ziel und Opfer einer solchen Provokation sein, nachdem er bisher dazu unfähig war, den Ansturm gegen die Maduro-Regierung massenhaft zu mobilisieren, suggerierte McAdams.
US-Analysten werten Guaidós jüngsten Putschversuch vom 30. April als Akt der Verzweiflung, weil es ihm nicht gelang, das Militär auf seine Seite zu ziehen. Marcos Salgado, argentinischer Mitarbeiter der russischen Mediengruppe Ruptly, wertete hingegen im Gespräch mit einem argentinischen Radiosender die Ereignisse vom 30. April als bewusste Medien-Inszenierung zur weltweiten Einstimmung auf die Notwendigkeit einer Militär-Intervention.
„Guaidó bleibt das, was er schon immer war – ein Lieblingsprojekt von zynischen Kräften aus dem Ausland. Es spielt keine Rolle, ob er nach all diesen Missgeschicken abstürzt und verbrennt. Für die Amerikaner ist er entbehrlich.”, urteilt Diego Sequera, venezolanischer Journalist und Autor beim investigativen Magazin Misión Verdad.
Titelbild: GQ México y Latinoamérica (Screenshot YouTube)