Man fühlte sich beim Gerichtstermin zum Auslieferungsverfahren der USA gegen Julian Assange am vergangenen Donnerstag an „Und täglich grüßt das Murmeltier“ erinnert. Dieselben Journalisten wie am Tag zuvor, die bekannten Gesichter der Unterstützer, diesmal sehr zahlreich – wahrscheinlich weil der Termin schon seit drei Wochen feststand. Das Gerichtsgebäude ist allerdings ein anderes und nach einer Weile gesellen sich auch noch 80 französische Gelbwesten zu uns, die extra aus Paris angereist sind. Ein Bericht aus London. Von Moritz Müller.
Bei diesem Termin ist Julian Assange per Videokonferenz zugeschaltet und weil die Justizbehörde nun keine Anklagebank braucht, hat man die Anhörung in einen kleineren Raum verlegt. Dies hat den Nebeneffekt, dass nur ein Teil der Presse und kein normaler Bürger oder Unterstützer dabei sein kann. Ein angehender Barrister (Rechtsanwalt bei Obergerichten im angelsächsischen Raum) erklärt mir später, dass der Ausschluss der Öffentlichkeit sehr ungewöhnlich sei. Er sieht Großbritannien in dem Verfahren gegen Julian Assange am Scheideweg zwischen einer unabhängigen und einer politisch motivierten Justiz. Er begründet dies damit, das, was es bis jetzt an Anschuldigungen aus den USA gäbe, einen sehr fadenscheinigen Eindruck macht und die Anklage somit auf tönernen Füßen steht. Es bleibt zu hoffen, dass andere Personen im britischen Justizapparat ähnlicher Meinung sind.
Die Anhörung war allerdings auch nach 15 Minuten vorbei, denn es ging um Formalitäten wie Personalienfeststellung und Julian Assanges Verneinung der Frage, ob er freiwillig in die USA gehen würde. Somit wurde die Verhandlung erst einmal auf den 30. Mai vertagt, an dem es wohl wieder um Formalitäten gehen wird. Die USA haben noch Zeit bis zum 12. Juni, um ihre Anklage zu präzisieren, und somit scheint dies der unbestätigte Termin für die nächste inhaltliche Verhandlung zu sein. Insgesamt scheint es auf einen langwierigen Prozess hinauszulaufen, so zumindest äußert sich auch diesmal Julian Assanges eloquente Anwältin Jennifer Robinson, die wieder einen sehr entschlossenen Eindruck macht.
Sie betont wie auch Wikileaks-Sprecher Kristinn Hrafnsson, dass dies erst der Beginn der Auseinandersetzung sei und man kämpfen werde, bis Julian Assange auf freiem Fuß ist. Ich frage mich, wohin Julian Assange in diesem Fall gehen wird, da ihm sehr wahrscheinlich auch von „inoffizieller“ Seite Gefahr droht. Die Beiden betonen allerdings wieder, dass auch die derzeitigen Haftbedingungen sehr hart sind. 23 Stunden am Tag verbringt Julian Assange in seiner Zelle, was einer Isolationshaft gleichkommt, auch weil er bis jetzt noch keinen Besuch von Freunden oder Verwandten bekommen konnte. Auch Julian Assanges diverse Gesundheitsbeschwerden, die während des fast siebenjährigen Botschaftsasyls entstanden sind, werden der Anwältin zufolge nicht von den Behörden angegangen. Ob das mit Austeritätspolitik und Mangel an Ressourcen zu tun hat oder ob das Teil der gewollten Misshandlungen gegenüber Julian Assange ist, lässt sich nur vermuten. Auf jeden Fall erscheinen diese harten Haftbedingungen unangemessen, wenn man bedenkt, dass er wegen Verstößen gegen Kautionsauflagen einsitzt und die Anschuldigungen aus den USA noch gar nicht Gegenstand eines Gerichtsverfahrens waren.
Anhand der Fragen, die von den anwesenden Journalisten gestellt werden, fühlt es sich für mich doch so an, als merkten die Pressevertreter, dass es hier auch um ihre Pressefreiheit geht und sie im Falle kritischer Berichterstattung auch bedroht sind. Dies ist, wie gesagt, eher eine Stimmung, die ich spüre, und ob sich das in einer geänderten, faireren Berichterstattung im Fall Assange niederschlägt, wird sich zeigen müssen, auch weil die berichtenden Journalisten ja nicht das letzte Wort haben, ob ihre Artikel auch wirklich erscheinen. Diese beiden Artikel sind auf jeden Fall schon mal neutral.
Auf jeden Fall hörte ich an den beiden Tagen immer weniger Fragen zu den Anschuldigungen aus Schweden bezüglich angeblicher sexueller Vergehen Assanges. Bei den Pressevertretern scheint der Groschen gefallen zu sein, dass man nicht immer weiter über dieses Thema berichten kann, ohne dass irgendein offizielles Ersuchen aus Schweden vorliegt.
Für ein bisschen Aufregung sorgt die Blockierung der Straße vor dem Gericht, obwohl sich mir die Länge und die Zielgruppe dieser Aktion nicht ganz erschloss.
Ganz am Ende der Befragung durch die Presse sagt Kristinn Hrafnsson sinngemäß den folgenden Satz:
„In den heutigen Zeiten wird Schweigen beinahe zum Delikt der Komplizenschaft.“
Auch deshalb werden wir weiter zu diesem Thema berichten.