Anmerkungen zu den Wahlen in Spanien – von zwei Lesern der NachDenkSeiten
Wir wollten die in den Medien wiedergegebenen Berichte und Kommentare zu den Parlamentswahlen in Spanien vom 28. April ein bisschen ergänzen und haben einen unserer Leser, der in Barcelona lebt, um seinen Kommentar gebeten. Hier unter A. der kurze Text von Markus Pompetzki. Außerdem hat sich ein anderer Kenner der Szene kritisch zum Hinweis Nr. 2 von heute geäußert und mit seinen Erkenntnissen ergänzt . Siehe B. Albrecht Müller.
- Markus Pompetzki zur Wahl in Spanien
Meine nachfolgenden Äußerungen, die auch von der Mehrzahl der Personen in meinem Umfeld geteilt werden, können keine wirkliche politische Analyse sein, es wäre auch zu früh, einen Tag nach der Wahl.
Trotz allem, auch vielleicht für andere als Denkanstoss, sind hier meine 5 Pesetas, auch zum Wahlkampf.
- Pedro Sánchez und die PSOE haben jetzt eine Legimitation durch das Volk, eine breitere Basis, als nach dem Misstrauensvotum gegen Rajoy; ob das jetzt eine Abkehr vom neoliberalen Kurs der letztzen Jahre bedeutet, wird man abwarten müssen. Ansätze und Ideen gibt es; es kommt auf die Umsetzung an. Wichtig sind jetzt soziale Absicherungen, Abschaffung der prekären Arbeitsverträge, etc.
- Will Sánchez alleine regieren (danach sieht es aus), oder bindet er Podemos in eine Koalition ein? Das wäre wünschenswert. Aber selbst dann bräuchte er noch weitere Unterstützung. Die katalanischen Separatisten sind da eher unsichere Kantonisten, auf die Basken, auch auf die konservative PNV (Partido Nacionalista Vasco), kann er sich verlassen.
- Sánchez ist im Wahlkampf unverbindlich und präsidential aufgetreten, das hat ihm durchaus eine Aura verschafft. Pablo Iglesias von Podemos hat dazu im zweiten TV-Duell der Spitzenkandidaten geglänzt und wohl linke Wähler an die Urnen gebracht.
- Die Wahlbeteiligung war sehr hoch. Man sagt ja immer, linke Wähler sind bequem und bleiben bei guten Umfragen daheim. Das war auch bei den Regionallwahlen in Andalusien im Dez 2018 so (und die Sozialisten verloren die Mehrheit), diesmal sind sie zur Wahl gegangen. Bei den parallel verlaufenden Wahlen in der Comunidad Valenciana ist die PSOE-PSV gestärkt vorhergegangen. Mobilisierung ist wichtig, schreiben Sie ja auch immer und mein Vater erzählt mir das auch von Willy 72. Allerdings ist Mobilisierung ohne Themen auch nix, Frau Nahles.
- Separatismus – da sind die Basken praktisch veranlagt und die Katalanen a bisserl störrischer. Fakt ist, die PP hat in Katalonien nur einen einzigen Sitz im Congreso ergattert im Baskenland keinen, VOX und C´s (Ciudadanos – auf deutsch: Bürger) auch nicht.
- Pablo Casado – der Kandidat der PP. Der Nachfolger des neoliberalen, wohl auch korrupten, aber immerhin gesellschaftlich nicht antiquierten Rajoy (Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehe), ist keine 40 Jahre alt, lebt aber in der 50ér Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Das wollen die Spanier nicht mehr, da gehen Konservative zu C´s. Casado ist im Prinzip die Rache von Aznar und seiner Stiftung FAES an Rajoy. Rajoy war nach Meinung von Aznar zu sehr in die Mitte gerückt und hat Casado mit seinen Kontakten zur Präsidentschaft der PP gegen moderatere Kandidaten verholfen. Toreros zu Kandidaten zu machen, funktioniert im heutigen Spanien auch nicht mehr.
- VOX und das spanische Wahlrecht – ja, jetzt haben wir da auch die rechten Spinner im Congreso, aber so wissen wir wenigstens, wo sie sind und sie haben weniger Sitze, als prognostiziert. So blöd sich das anhört, es ist gut, das sie dort sind. Vox hat eine Fragmentierung des rechten Lagers bewirkt und durch die Stimmenspaltung, grade in kleinen, ländlichen Provinzen, der PSOE zusätzliche Mandate beschert. Casado wollte ja im Vorfeld der Wahlen, das C´s und VOX nicht in allen Provinzen antreten. Im Gegenzug hätte es dann Ministersessel oder Staatssekretäre gehagelt. In Melilla z.B. hätte die PP das einzige Mandat errungen, durch die Splittung des rechten Lagers, ging der Sitz an die PSOE.
Wie gesagt, das ist jetzt keine tiefgreifende Analyse, aber vielleicht sind es Ansatzpunkte für Andere, die in den nächsten Tage noch etwas beisteuern können, zumindest sollte die Basis vorhanden sein, um jetzt hoffentlich zumindest vier Jahre lang sozialdemokratisch regieren zu können. Man darf es ja keinem Spanier sagen, aber vielleicht lernen sie was aus Portugal.
- Kritischer Kommentar von Em Ell zum heutigen Hinweis des Tages Nr. 2.
Die NachDenkSeiten merken zur Zusammenstellung der Hinweise des Tages an:“Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind.”
So weit, so klar. Auch ist mir klar, dass der Schwerpunkt bei obigem Hinweis die Situation der deutschen Sozialdemokratie ist.
Allerdings ist es im Ergebnis vollkommen irreführend, für diese gut gemeinten Ratschläge nun ausgerechnet diesen Beitrag von n-tv heranzuziehen, der vor Ahnungslosigkeit (um es höflich zu formulieren) nur so strotzt.
Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich!
Die dortige Beschreibung ist leider dermaßen oberflächlich, dass sie schlicht weg falsch ist.
Ich verlinke für ein zutreffenderes Gesamtbild auf (mangels Alternative) meinen eigenen Beitrag hierzu:
Wahlen in Spanien – “Korruption als Regierungsform”
Und beschränke mich hier auf das Wesentliche:
“Bemerkenswert an der Lage in Spanien ist, dass Sánchez und die PSOE die PP aktiv in eine Krise gestürzt hatten.”
Das ist aktiver Unsinn. Denn das, was in Spanien seit Langem abläuft ist eine Selbstdemontage der Rechten, infolge ihrer eigenen Selbstgefälligkeit und Selbstgerechtigkeit – die auch und gerade ein Erbe der nie aufgearbeiteten Franco-Zeit und dessen Geist und Kultur ist, der in der spanischen Rechten präsent ist, zuvor exklusiv in der PP. Dazu gehören eine aberwitzige Korruption, da das Gemeinswesen im Wortsinne traditionell als Verfügungsmasse der eigenen Klientel der Privilegierten und Besitzenden betrachtet wird. Dies gilt sowohl für die spanische als auch die katalanische Rechte. Und dazu gehört der extreme Nationalismus der spanischen Rechten – der andere Nationalismen geradezu provoziert und instrumentalisiert.
Das ist es, was in den letzten Jahren und Monaten in Spanien abläuft und – speziell massenmedial – von der schweren sozialen Krise seit 2008 nahezu vollständig ablenkt.
Der Rechten ist ihre eigene Politik zum Verhängnis geworden. Ihre üble Korruption und asoziale Politik führte zum Aufkommen der linken Protestpartei Podemos. Worauf die Rechte mit der landesweiten Etablierung der neuen Rechten von Ciudadanos als “Podemos der Rechten” antwortete. Das, was wir seitdem sehen, sind die Wirkungen der Geister, die dadurch gerufen wurden.
Denn diese erste Spaltung der Rechten radikalisierte speziell in der “katalanischen Frage” (ebenfalls ein hausgemachtes “Problem” der PP) die spanische Rechte derart in der “nationalen Frage”, dass sich nun die Ultrarechten und Altfranquisten – die immer schon in Spanien parteipolitisch präsent waren, nämlich in der PP – selbst eine eigene Stimme gaben: in der neuen Rechten von Vox.
Deren Wahlergebnis in Andalusien führte zur historischen Machtübernahme der nun in drei Parteien (PP, Ciudadanos, Vox) gespaltenen spanischen Rechten.
Doch dieser Sieg sollte sich als Pyrrhussieg erweisen. Denn seitdem überschlug sich diese Rechte in einem nahezu groteskten Wettlauf der drei rechten Brüder.
Die PSOE hat daran aktiv keinen Anteil. Sie musste vielmehr schauen, dass und wie sie bei dem ohrenbetäubenden Geschrei nicht unter die nationalistischen Räder kommt.
Auch hatte die PSOE keinen wirklichen Linksblock gebildet. Im Gegenteil. Grundsätzlich sind maßgebliche Teile der PSOE – wie andernorts – neoliberal “unterwandert” bzw. “marktkonform regierungsfähig”. So auch in ihrer historischen Hochburg in Andalusien (zugleich der mächtigste Landesverband), wo sie zuletzt eine Koalition mit der neuen Rechten, die die alte ist, eingegangen waren – mit Ciudadanos.
Auch dafür hatte die PSOE die Quittung mit ihrer historischen Abwahl in Andalusien bekommen, neben der hauseigenen Korruption dort und speziell auch wegen der “katalanischen Frage” (die die “Hausmarke” von Ciudadanos ist – ursprünglich eine Regionalpartei in Katalonien – und über die massive Arbeitsimmigration vieler Andalusier nach Katalonien besonders präsent war). Und zwar durch die mangelnde Mobilisierung ihrer Anhänger durch Enttäuschung. Die Rechte hingegen war insbesondere über die “katalanische Frage” mobilisiert.
Dieser andalusische Weckruf mobilisierte schließlich ganz Spanien – erkennbar an der historisch hohen Wahlbeteiligung am Sonntag.
Eine große Koalition – wie andernorts, etwa Deutschland – ist auch in Spanien das von den Machteliten bevorzugte und aktiv beförderte Projekt. Es stand 2016 schon einmal vor der Tür, in Form eines Paktes zwischen PSOE und der alten Rechten im neuen Gewand: Ciudadanos.
Podemos verweigerte seinerzeit seine nötige Zustimmung (durch Stimmenthaltung) zur Regierungsbildung. Und die alte Garde der PSOE putschte Pedro Sánchez von der Parteispitze (maßgeblich mit dem andalusischen Landesverband, siehe hier), als dieser mit der Bildung einer linken Regierungskonstellation à la Portugal liebäugelte. Sie ebnete damit in einer “großen Koalition” die neuerliche Regierung der PP von Mariano Rajoy.
Dass und wie Pedro Sánchez in einem parteiinternen Wahlkampf um die Parteispitze zurückkam, hatte er der Basis zu verdanken (erneut, siehe hier). Der Parteiapparat wie die üblichen Medien arbeiteten gegen ihn.
Seine aktuelle Minderheitsregierung war daher auch durch seine ungesicherte Position in der PSOE-Fraktion wackelig. So musste er damit rechnen, dass sein Haushaltsentwurf von seinen eigenen Leuten sabotiert werden könnte. Auch deshalb kam es zu diesen vorgezogenen Neuwahlen. Diese drohende Sabotage erübrigte sich dann durch die – durchaus willkommene – Ablehnung des Haushaltsentwurfes seitens der katalanischen Separatisten. So konnte sich die PSOE geeint hinter Sánchez präsentieren.
Das Spiel um die weitere Ausrichtung der PSOE gen “Großes Zentrum” oder gen “Modell Portugal” geht nunmehr in die nächste Runde.
Sánchez’ Position innerhalb der PSOE und seiner zukünftigen Fraktion ist zwar gestärkt. Doch der Druck ist da – schon jetzt tönt es von den Machteliten (und “Märkten”) unverhohlen in diese Richtung.Daher wird es – wie bereits angekündigt – wohl auf eine Fortsetzung der nunmehr gestärkten und durch das Wählervotum legitimierten Minderheitsregierung herauslaufen. So vermeidet er den politischen Selbstmord durch explizite Verbindung: Mit der Rechten würde er seine Glaubwürdigkeit vor seinen eigenen Wählern ruinieren, mit der Linken seine Glaubwürdigkeit vor den Machteliten.
Dass und in wie weit dann tatsächlich weitere Schritte in eine sozialdemokratischere Politik erfolgen, wird sich dann jeweils im Einzelnen zeigen – und eben bestenfalls in einer informellen Kooperation wie bisher (was wiederum dem Modell in Portugal entspricht).
Herzlichst
Em Ell