Die Interventions- und Sanktionspolitik der USA und der von ihr dominierten NATO und ihre Selbstfeier
Von Wolfgang Bittner. Die Liste der von den USA allein nach dem Zweiten Weltkrieg geführten Kriege ist lang. Sie richteten sich zumeist gegen Völker, die ihren eigenen politischen Weg gehen wollten oder über bestimmte Bodenschätze verfügen. Betroffen waren unter anderem: Korea, Vietnam, Kambodscha, Angola, El Salvador, Afghanistan, Nicaragua, Grenada, Panama, Kuweit, Jugoslawien, Somalia, Libanon, Irak, Sudan, Libyen, Syrien …
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Fast immer werden solche Kriege, die zumeist ohne ein Mandat der UNO völkerrechtswidrig geführt werden, gegenüber der Weltöffentlichkeit als humanitäre Einsätze für Frieden und Freiheit gerechtfertigt. Und wo die USA – God`s Own Country – nicht militärisch intervenieren, mischen sie sich ständig überall auf der Welt in die inneren Angelegenheiten anderer Völker ein. Nicht ausgenommen von dieser Politik ist Deutschland als Frontstaat und europäischer Brückenkopf der USA. Als bald nach 1945 der Kalte Krieg gegen die Sowjetunion begann und 1949 die NATO als „Verteidigungsbündnis“ gegründet wurde, erklärte deren erster Generalsekretär, der britische Baron Hastings Ismay, die Mission des Bündnisses für Europa: „To keep the Russians out, the Americans in, and the Germans down“ (die Russen draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten zu halten).[1]
Diese Zielvorgabe hinsichtlich Deutschlands entspricht bis heute der Strategie der Vereinigten Staaten. Hinzu kommt, dass sich das Nordatlantische Verteidigungsbündnis mehr und mehr zu einem aggressiven Angriffsbündnis entwickelt hat, das – unter Missachtung ihrer Statuten – von den USA für ihre Imperialpolitik benutzt und missbraucht wird. Wie weit die USA mit ihrer NATO zu gehen bereit sind, trat überdeutlich im Mai 2018 zutage, als Kolumbien, Nachbarstaat von Venezuela, als „globaler Partner“ in die NATO aufgenommen wurde.[2] Es könnte eine der Vorbereitungen für einen Krieg gegen Venezuela sein. Unbeachtet von den NATO-Mitgliedsstaaten protestierte der venezolanische Außenminister: „Venezuela verurteilt erneut vor der internationalen Gemeinschaft die Absicht der kolumbianischen Regierung, sich zur Verfügung zu stellen, um eine auswärtige Militärallianz mit nuklearer Kapazität in Lateinamerika und der Karibik einzuführen.“[3]
Anlässlich eines Besuchs des brasilianischen Präsidenten Bolsonaro stellte US-Präsident Trump auch Brasilien eine NATO-Mitgliedschaft in Aussicht,[4] und zwar unter Verletzung des NATO-Statuts und ohne Absprache mit den Verbündeten, die immer mehr in die Interventionspolitik der USA einbezogen werden. Nicht auszuschließen ist danach, dass künftig deutsche Soldaten bei einem Krieg in Südamerika zum Einsatz kommen könnten, womöglich gegen Venezuela. Die deutsche Regierung erweist sich als folgsamer Vasall; jedenfalls gab es keinen Widerspruch aus Berlin.
Ignoriert wird schon lange die Präambel des Nordatlantikvertrags, in der es heißt:
„Die Parteien dieses Vertrags bekräftigen erneut ihren Glauben an die Ziele und Grundsätze der Satzung der Vereinten Nationen und ihren Wunsch, mit allen Völkern und Regierungen in Frieden zu leben. Sie sind entschlossen, die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu gewährleisten. Sie sind bestrebt, die innere Festigkeit und das Wohlergehen im nord-atlantischen Gebiet zu fördern. Sie sind entschlossen, ihre Bemühungen für die gemeinsame Verteidigung und für die Erhaltung des Friedens und der Sicherheit zu vereinigen. Sie vereinbaren daher diesen Nordatlantikvertrag.“[5]
Artikel 1 des NATO-Vertrages verpflichtet dann die Parteien, „in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen, jeden internationalen Streitfall, an dem sie beteiligt sind, auf friedlichem Wege so zu regeln, dass der internationale Friede, die Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden, und sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar sind.“ Artikel 2, Absatz 1, lautet:
„Die Parteien werden zur weiteren Entwicklung friedlicher und freundschaftlicher internationaler Beziehungen beitragen.“
Die Charta der Vereinten Nationen, die am 25. Juni 1945 in San Francisco von Delegierten aus 50 Ländern einstimmig verabschiedet wurde, beginnt mit den Sätzen:
„Wir, die Völker der Vereinten Nationen – fest entschlossen, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat … haben beschlossen, in unserem Bemühen um die Erreichung dieser Ziele zusammenzuwirken … Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“[6]
Krieg ist also weltweit geächtet. Es gibt nur drei Ausnahmen: Ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates, Notwehr oder Nothilfe. Von diesen großartigen Absichtserklärungen und Verpflichtungen ist so gut wie nichts übrig geblieben.
Am 3. und 4. April wurde in den Hauptstädten der westlichen Welt der 70. Jahrestag der NATO-Gründung gefeiert, und in Washington hielt NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg eine mit viel Beifall bedachte Rede.[7] Vor dem US-Kongress trug er vor:
„Wir stehen vor beispiellosen Herausforderungen … 2014 hat Russland illegal die Krim annektiert.[8] Zum ersten Mal in Europa hat ein Land sich das Territorium eines anderen Landes gewaltsam angeeignet seit dem Zweiten Weltkrieg. Wir sehen eine stärkere Aggression Russlands, einen massiven Militäraufbau von der Arktis bis zum Schwarzen Meer. Wir sehen die Verwendung von Nervengas im Vereinigten Königreich, Unterstützung für das Assad-Mörder-Regime in Syrien,[9] ständige Cyberangriffe auf die NATO als Bündnis und auf die Partner, Nutzung von Parlamenten, raffinierte Desinformationskampagnen und Einschüchterungsversuche in die Demokratie selbst. Die NATO hat reagiert mit dem stärksten Aufbau unserer kollektiven Verteidigung seit Jahrzehnten.“[10]
Beschwichtigend fügte Stoltenberg seinen Unterstellungen und seiner Propaganda hinzu:
„All das machen wir nicht, um einen Konflikt zu provozieren, sondern um ihn zu verhindern, um den Frieden zu erhalten, nicht zu kämpfen, sondern abzuschrecken, nicht anzugreifen, sondern zu verteidigen. Wir wollen keinen neuen Rüstungswettlauf, wir wollen keinen neuen Krieg. Aber wir sollten nicht naiv sein…“
Erwartungsgemäß plädierte Stoltenberg entsprechend seiner Obliegenheiten als NATO-Generalsekretär für eine Erhöhung der Militärausgaben. Gegen Ende seiner Rede sagte er dann:
„Die NATO ist ein Bündnis souveräner Staaten, geeint in Demokratie, Freiheit und Rechtstaatlichkeit, bestehend aus Menschen, die sich in ihrem Leben frei entfalten wollen und nach Glück streben ohne Unterdrückung. Das sind Werte, die im Kern der USA und im Kern der NATO stehen.“
Wer die Politik der als Verteidigungsbündnis gegründeten Organisation in den vergangenen Jahren auch nur annähernd verfolgt hat, kommt zu gänzlich anderen Schlüssen, und politisch wachen Menschen dreht sich bei solchen Reden der Magen um. Immer wieder stellt sich die Frage, ob diese menschheitsgefährdenden Heuchler und ihre Claqueure (stehende Ovationen im US-Kongress!) wirklich von ihrer „Mission“ überzeugt sind. Ob viele von Ihnen nur dumm und unwissend sind, oder gerissen und aggressiv ihre wirtschaftlichen und strategischen Ziele verfolgen.
Im Deutschen Bundestag wurde nach einigem Hin und Her per Hammelsprung ein Bekenntnis zur NATO „als Rückgrat der transatlantischen Verteidigung“ beschlossen. Zuvor hatten viele Abgeordnete der Oppositionsparteien per Handzeichen gegen den Antrag votiert.
Der ehemalige SPD-Kanzlerkandidat (1990) Oskar Lafontaine forderte auf seiner Facebook-Seite die Auflösung der NATO:
„Heute wäre es an der Zeit, ein Bündnis für Abrüstung, Frieden und Gerechtigkeit ins Leben zu rufen, das den in Vergessenheit geratenen Artikel 1 des Nato-Vertrages zur Grundlage seiner Politik macht. Es sollte sich zum Ziel setzen, die irrwitzigen Ausgaben für Rüstung und Militär zu senken und die freiwerdenden Mittel zu nutzen, um Hunger und Krankheit in der Welt zu bekämpfen.“[11]
Ein Austritt aus dem Nordatlantikvertrag ist mit einjähriger Kündigungsfrist möglich. Artikel 13 lautet: „Nach zwanzigjähriger Geltungsdauer des Vertrags kann jede Partei aus dem Vertrag ausscheiden, und zwar ein Jahr, nachdem sie der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika die Kündigung mitgeteilt hat; diese unterrichtet die Regierungen der anderen Parteien von der Hinterlegung jeder Kündigungsmitteilung.“[12] Ein solcher Antrag auf Kündigung der NATO-Mitgliedschaft sollte in den Deutschen Bundestag so bald wie möglich eingebracht werden.
Der Schriftsteller und Publizist Dr. jur. Wolfgang Bittner lebt in Göttingen. 2017 erschien von ihm im Westend Verlag das Sachbuch „Die Eroberung Europas durch die USA – eine Strategie der Destabilisierung, Eskalation und Militarisierung“ Soeben erschienen ist im zeitgeist Verlag der Roman „Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen“.
[«1] Hastins Ismay, zit. n.: wikipedia.
[«2] Vgl. Georg Sturm, Kolumbien wird „globaler Partner“ der NATO, amerika21, 28.5.2018).
[«3] A.a.O.
[«4] Zeit Online, Donald Trump stellt Brasilien Nato-Beitritt in Aussicht, 19.3.2019.
[«5] Der Nordatlantikvertrag, Washington DC, 4.4.1949.
[«6] Charta der Vereinten Nationen.
[«7] ZDF-heute, „Werden Bündnis in Zukunft mehr brauchen“, 3.4.2019
[«8] Dazu Wolfgang Bittner, Die Krim-Separation von 2014, Telepolis, 9.2.2019.
[«9] Dazu Wolfgang Bittner, Die Eroberung Europas durch die USA – Eine Strategie der Destabilisierung, Eskalation und Militarisierung, Westend, Frankfurt am Main 2017, S. 193-204.
[«10] Zum NATO-Krieg gegen Jugoslawien: Hans Köchler, The NATO war of 1999 and the impotence of international law, International Progress Organization (IPO), 22.3.2019.
[«11] Oskar Lafontaine, Nato auflösen. Neues Bündnis für Abrüstung, Frieden und Gerechtigkeit, zit. n.: Nachdenkseiten, 4.4.2019.
[«12] Der Nordatlantikvertrag, a.a.O.