In vielen Gegenden Deutschlands ist die Wohnungsnot groß. Spekulanten, „Heuschrecken“ und Politiker, die sich eher an den Eliten als an den ärmeren Teilen der Bevölkerung orientieren, tun das Übrige. Im Interview mit den NachDenkSeiten gibt Peter Schmidt, der als Initiativen-Sprecher Mieter-Protest mitorganisiert, einen Einblick in die Wohnsituation des Berliner Kosmosviertels und zeigt auf, wie Mieter aus der Resignation kommen und sich zur Wehr setzen können. Schmidt verdeutlicht, dass die sozialen Probleme, die in einem Viertel vorhanden sind, weitreichend sind und in ihrer Gesamtheit auch Auswirkungen auf die Gesellschaft haben. Von Marcus Klöckner.
Herr Schmidt, Sie engagieren sich innerhalb eines Protestbündnisses von Mietern, die im Berliner Kosmosviertel wohnen. Kurz: Worum geht es?
Exorbitante Mieterhöhungen, die die soziale Struktur des Viertels grundlegend beeinflussen und verändern, treffen auf eine Mietergruppe mit im Mittel sehr prekärer sozio-ökonomischer Zusammensetzung. Ich gebrauche gern den Ausdruck „Armutsleuchtturm von Berlin“ .
Für alle die, die noch nie etwas vom Kosmosviertel gehört haben: Können Sie Ihre Wohngegend kurz beschreiben?
Es ist die letzte in der DDR gebaute Großplattensiedlung direkt neben dem Flughafen Schönefeld, die ursprünglich noch größer als Marzahn-Hellersdorf geplant war, aber durch die Wende nur teilweise realisiert wurde. Hier wohnen jetzt in ca. 2500 Wohnungen etwa 6000 Menschen (fast ein Viertel der Bewohner des Stadtteils Berlin-Altglienicke). Die Wohnungen waren für Mitarbeiter des Flughafens und der nahen Akademieinstitute von Adlershof bestimmt und damals sehr begehrt.
Das war in den 90er Jahren. Und dann?
Nach dem Abbau der meisten Institute nach der Wende zogen die Mitarbeiter den Arbeitsplätzen hinterher, im Kosmosviertel gab es viel Leerstand. Die Eigentümer „Altglienicker Wohngenossenschaft“ und „Stadt und Land“ haben trotzdem nicht zurückgebaut, sondern den neuwertigen Wohnraum erhalten. Im Zuge der Altschuldenregelung hatte „Stadt und Land“ die eigenen Bestände (1870 Wohnungen) einem Münchener Immobilieninvestor verkauft, der sich dann als so genannte „Heuschrecke“ entpuppte.
Das heißt?
Es wurden fast keine Erhaltungsmaßnahmen vorgenommen, Reparaturen auf das Allernötigste beschränkt oder ganz liegen gelassen, die Häuser wurden auf Verschleiß bewirtschaftet. Die Mieten wurden aber bis zur obersten Grenze des Machbaren erhöht. Vor allem Mieten, die von den Ämtern meist ungeprüft übernommen wurden, waren an der Höchstgrenze des von den Ämtern überhaupt getragenen Limits, jedoch nicht der entsprechende Wohnwert. Von Andrej Holm stammt der Ausdruck „Discountwohnen“ für dieses Geschäftsmodell: kaum Leistungen des Vermieters, aber Höchstpreise.
Und so entstanden die Probleme?
Mit dem früheren Leerstand wurden vom Vermieter alle Bewerber angenommen. So kam es (auch wegen der Stadtrandlage direkt an der Brandenburger Landesgrenze) zu einem hohen Anteil von Arbeitslosen und Transferleistungsempfängern, Rentnern, Kranken, Alleinerziehenden. Der Anteil von Kinderarmut liegt zum Beispiel mit immer noch über 50 Prozent doppelt so hoch wie der Berliner Durchschnitt.
Die Probleme wurden massiv, nachdem mit der anziehenden Berliner Wirtschaftssituation ab etwa 2005 sowie der vollendeten Vernichtung von Wohnraum (circa 300.000 Wohnungen vor allem im Osten waren mit staatlicher Förderung abgerissen worden) der verfügbare Wohnraum in Berlin knapper wurde. Es gab Zuzüge aus dem Stadtinneren von Menschen, die dort verdrängt worden waren. Der Leerstand sank. Mit der sogenannten „Mietpreisbremse“ taten sich jetzt andere Verdienstmöglichkeiten für die Vermieter auf, und so wechselte auch der Besitzer das Geschäftsmodell in Richtung Höchstmieten für solvente MieterInnen bei Ausnutzung von Wohnungsknappheit, natürlich auch spekulativ im Zusammenhang mit der immer wieder mal bevorstehenden Eröffnung des neuen Flughafens und dem erwarteten Arbeitskräfte- und Wohnungsbedarf. Auf gesetzliche Regelungen wie Mietspiegel und Mietpreisbremse wurde kaum noch Rücksicht genommen (wurde ja auch nicht von Amts wegen kontrolliert), so kam es zu „WildWest-Preisen“ bei Neuvermietungen: Du brauchst eine Wohnung? Zahle!
Lassen Sie mich raten: Die Mieten wurden dann weiter erhöht.
Genau, denn es sollte offenbar versucht werden, die Mieterschaft gegen solventere MieterInnen auszutauschen, also eine typische Verdrängungsoperation. Dazu wurden neue Möglichkeiten genutzt, vor allem die Regelungen der energetischen Modernisierung, mit denen den Mietern enorm kostentreibende Baumaßnahmen aufgebürdet werden konnten, ohne dass diese eine Widerspruchs- oder Mitsprachemöglichkeit hatten. Dies, obwohl die Wärmeverbrauchswerte dieser Häuser modernsten gesetzlichen Standards der Energieeinsparungsverordnung von 2014 genügten, es also keinen gesetzlichen Zwang zur Modernisierung gab. Bereits die ersten Teilschritte dieser „Modernisierungen“ führten dann dazu, dass den Mietern klar wurde, eine erhebliche finanzielle Belastung entweder hinnehmen oder wegziehen zu müssen – nur wohin? Sie stehen ja schon mit dem Rücken an der Landesgrenze.
Und so formte sich dann der erste Protest?
Ja.
Wie lange wohnen Sie schon dort?
Ich bin selbst viele Jahre Mieter in der direkten Nachbarschaft des Kosmosviertels.
Wann haben Sie bemerkt, dass etwas Grundlegendes falsch läuft?
Bereits in den 90er Jahren war für mich sichtbar geworden, dass Mieterrechte schleichend abgebaut wurden. Schrittweise Gesetzesänderungen, Privatisierungen, Abrisse und Vernichtung von preiswertem Wohnraum waren ja alle für sich kaum merkbar, aber in der Summe eine erhebliche Verschlechterung der Mieterpositionen. Dies jetzt komprimiert direkt vor mir erleben zu müssen, auch noch in einem so empfindlichen sozialen Milieu, war schon aufrüttelnd.
Würden Sie bitte beschreiben, wie es zur Gründung des Protestbündnisses gekommen ist?
Mit den ersten Mieterhöhungsverlangen nach den ersten Bauabschnitten war den Mietern klar, wo die Reise hingehen sollte. Einige Betroffene fanden auch den Weg zusammen und berieten über Gegenmaßnahmen. Wenige Wochen, nachdem sich der Mieterprotest Kosmosviertel als Bündnis konstituiert hatte, wurde ich gefragt, dort Sachkenntnisse einzubringen. Ich bin zwar „nur“ indirekt betroffen, wenn zum Beispiel der Mietspiegel wegen der Veränderungen auch bei mir steigt, aber ich sehe diese Prozesse nach wie vor als direkte politische und soziale Herausforderung.
Das war 2016?
Ja, Ende des Jahres 2016 war der erste Bauabschnitt abgenommen und die Mieterhöhungsschreiben gingen an die Mieter.
Wie viele Personen engagieren sich denn?
Bis zu zehn Aktive, und noch einmal so viele Helfer von Fall zu Fall. In jedem Betroffenen, der Ressourcen zum Widerstand hat, lassen sich Kräfte wecken.
Wie agieren Sie? Wie geht das Bündnis vor?
Wir sammeln Erfahrungen von Einzelnen ein und bündeln sie, lesen das Gemeinsame heraus. In den verschiedenen persönlichen Situationen lassen sich viele Möglichkeiten finden. Ganz wichtig ist der Erwerb oder auch die Einwerbung von fachlicher Kompetenz und von Kenntnissen zu den einzelnen Sachgebieten, ob das juristische Kenntnisse oder Baufachwissen oder auch verwaltungstechnisches Wissen ist. Politische Zuständigkeiten und Präferenzen einzelner Politiker sind ebenso ein Thema, das zu beackern ist – wo sind Verbündete, wo eher nicht.
Sehr schwierig war für uns die Mobilisierung der Mieter. Viele sind extrem eingeschüchtert bis wehrlos, denn es fehlen sehr häufig die persönlichen Ressourcen für Widerstand, ob das nun verfügbare Freizeit, Finanzen, intellektuelles Kapital ist oder einfach nur der Glaube, dass sich durch Widerstand etwas ändern lässt. Auch das Vorgehen der Wohnungsverwaltung, die in direkter Missachtung gesetzlicher Regelungen mit den MieterInnen fast nach mittelalterlicher Gutsherrenart umsprang, war für mich im direkten Erleben sehr erschütternd. Ich hatte schon persönliche eigene Erfahrungen damit als Mieter, aber dies hier stellte eine ganz neue verschärfte Qualität dar. Das strukturelle Machtungleichgewicht zwischen MieterInnen und Vermieter/Verwaltung ist außerordentlich groß und wird noch durch die Abhängigkeit in Form des Mietvertragsverhältnisses verschärft. Sich dabei gegenseitig die Schulter zu leihen und keine Vereinzelung zuzulassen, ist unbedingt notwendig. Dabei war für mich von Vorteil, dass ich durch meine Wohnsituation als Aktivist Gesicht zeigen konnte, ohne direkte Repressionen des Vermieters befürchten zu müssen.
Was haben Sie bis jetzt erreicht?
Durch verschiedenste öffentlichkeitswirksame und Öffentlichkeit schaffende Aktionen haben wir erreicht, dass sich die Aufmerksamkeit auf diese Vorgänge richtete. Gerade die soziale Gefährdung, die mit den Verdrängungsprozessen einhergeht, wurde von uns immer wieder thematisiert und problematisiert. Auch die Einrichtung einer kostenlosen Mieterberatung im Viertel konnten wir so – wenigstens zeitweise – durchsetzen.Wo das Bezirksamt versuchte, mit einer so genannten Aufwertungsstrategie für das Viertel einen scheinbar problematischen sozialen Brennpunkt im Stadtbezirk möglichst geräuschlos zu „bereinigen“, musste man jetzt Rede und Antwort zu sozialer Verantwortung stehen – zumindest in Worten. Und man musste dort den Offenbarungseid ablegen, dass man gar nicht in der Lage und auch nicht willens war, soziale Verdrängungsprozesse zu verhindern. Entsprechende über zwei Jahre vorgebrachte Forderungen unserer Mieterinitiative nach sozialen Mieterschutzmaßnahmen wurden so immer wieder verzögert bzw. konterkariert. Eine unserer Hauptforderungen von Anfang an war die Aufstellung einer Umstrukturierungssatzung mit Sozialplan für das Viertel nach den Regelungen des Besonderen Städtebaurechts. Damit wäre wenigstens ein rudimentärer Schutz der sozial prekärsten MieterInnen gewährleistet worden. Dies ist bis heute nicht passiert, sogar ein entsprechendes Gutachten einer Fachfirma, das auf unseren Druck hin in Auftrag gegeben wurde, ist bis heute nicht den Mietern zugänglich gemacht worden, obwohl Anträge und Anfragen nach dem Informationsfreigabegesetz von uns eingebracht wurden. Immer wieder wurden andere und neue Gründe dafür genannt.
Wir konnten nachweisen, dass die sogenannten energetischen Modernisierungen reine Scheinmaßnahmen waren, die sogar den Primär-Heizwärmeverbrauch um bis zu 20 % erhöht haben. Damit entfällt natürlich jetzt rückwirkend die Möglichkeit von Mieterhöhungen, und die Mieter können zu viel verlangte Mietaufschläge zurückverlangen, immerhin bei vielen mehrere Tausend Euro für die vergangenen drei Jahre. Wir hatten dies bereits im vergangenen Jahr, als sich erste Anzeichen dafür zeigten, als Verstoß gegen das EnEG und die EnEV (also als Gesetzesverstoß) angezeigt und ein Gutachten gefordert. Vom Bezirksamt wurde dies abgeschlagen, angeblich wären nicht genügend Anzeichen und Daten dafür vorhanden. Jetzt haben wir mit kompletten Datensätzen für die letzten zehn Jahre Heizungsverbrauch und ein komplettes Jahr mit „energetisch modernisierten Fassaden“ neu nachgerechnet und der Effekt wurde noch deutlicher sichtbar.
Im Endeffekt konnten wir durch den politischen Druck auch Wirkung bei den Rückkaufverhandlungen durch die Stadt Berlin erzielen. Wenn auch der bekannt gewordene (Über)Preis uns nicht zu Begeisterungsstürmen hinreißen kann – für die Mieter ist es ein sofortiger Moment einer Stressentlastung gewesen, der fast unbezahlbar ist. Zu wissen, dass erst einmal Schluss ist mit der direkten Verdrängungsbedrohung, hat bei vielen, die ich persönlich kenne, sehr große nervliche Erleichterung hervorgerufen.
Was sind Ihre weiteren Ziele?
Bei uns wird jetzt überlegt, ob man einen vollständigen Rückbau verlangen muss. Denn eine dauerhafte Erhöhung des Wärmeverbrauches schädigt ja auch die Mieter dauerhaft, ebenso wie die Umwelt. Das ist so nicht tolerierbar und muss korrigiert werden – aber bitte nicht auf Kosten des Stadtsäckels. Und ganz klar betreiben wir eine Unterstützung der Mieter beim Vorgehen gegen die falschen Mieterhöhungen. Wir sind als Initiative auch vernetzt im Rahmen des #Mietenwahnsinn-Bündnisses, wo wir organisatorisch und aktivistisch wie im letzten Jahr auch an der diesjährigen Demo-Vorbereitung für den 6. April 2019 teilnehmen. Ebenso stellen wir Erfahrungen und Unterstützung auch anderen Kietzen und Initiativen zur Verfügung, zum Beispiel der Deutsche Wohnen-Vernetzung beim Kampf der Initiativen gegen Modernisierungen und Verdrängung. Auch versuchen wir, unsere Erfahrungen und Kenntnisse in stadtpolitische Prozesse einfließen zu lassen. Denn die Gentrifizierung ist ja nun nicht an der Stadtgrenze beendet. Der Umbau der Mieterstruktur soll politisch gewollt weiter betrieben werden, was womöglich zur Bildung von Ghettos im Speckgürtel nach Vorbild der französischen Banlieues führen wird. Dem stemmen wir uns entgegen, das ist nicht unsere Vorstellung von Stadtentwicklung.
Was halten Sie von dem Verhalten von politischer Seite?
Immer noch ist in den Verwaltungen die neoliberale Agenda des „scheuen Rehes namens Kapital, das man um keinen Preis vergrämen darf“ tief verinnerlicht, und die Politiker von Linkspartei und Grünen, die daran etwas ändern wollen, haben ganz schlechte Möglichkeiten im Durchgriff auf solche Strukturen und ihre Beeinflussung. Dass dies nicht über Nacht möglich sein würde, war uns ja klar – aber tatsächlich sind viele Verwaltungen derart bürgerfern, dass man teilweise verzweifeln kann. Wir sehen aber, dass wir durch unsere Öffentlichkeitsarbeit auch dort verkrustete Strukturen aufbrechen helfen.
Wenn Sie einem führenden Politiker etwas direkt ins Gesicht sagen könnten, was wäre das?
Die Bundesregierung und alle regierenden oder mitregierenden Parteien müssen endlich aufhören, Politik und Gesetzesänderungen ausschließlich zu Gunsten der wohlhabendsten Minoritäts-Eliten in unserer Gesellschaft auszuführen. Das Resultat davon ist nämlich die vollständige Zerstörung der Demokratie: die Teile der Bevölkerung, die sich jetzt schon nicht von der Regierungspolitik vertreten fühlen, koppeln sich vollständig vom demokratischen Dialog ab. Hier sind meiner Meinung nach die Ursachen für die vielbejammerte „Politikmüdigkeit“ der Bevölkerung und die Mitgliederverluste der politischen Parteien zu suchen. Das Ende der Fahnenstange mag bei uns in Deutschland noch nicht erreicht sein, aber man darf ruhig aufmerksam nach Frankreich schauen.
Haben Sie einen Rat für Bürger in anderen Gegenden im Land, die vielleicht in ihrem Viertel vor ähnlichen Problemen stehen?
Schließen Sie sich zusammen. Tauschen Sie Meinungen, Positionen, vor allem Wissen und Erfahrungen aus. Machen Sie die Probleme öffentlich. Fragen Sie Lokalpolitiker öffentlich, wie deren Meinung und deren Maßnahmen dazu sind. Legen Sie ihnen den Zeigefinger auf die Brust und fordern Sie direkt zur Stellungnahme und Aktion auf. Adressieren Sie Ihre Forderungen und Fragen an konkrete Politiker, politische Gremien und Verwaltungen – auch an den Gesetzgeber – und tun Sie das immer als Gruppe. Seien Sie eine laute Gruppe. Machen Sie in Ihrer Umgebung klar, dass sich niemand vor den Problemen wegducken oder verstecken kann, denn indirekt wirken sich soziale Probleme auch immer auf alle Teile der Gesellschaft aus – zwar unmerklich, aber kumulierend.
Und vernetzen Sie sich mit anderen Initiativen, schon um den Vorteil der größeren Anzahl ausnutzen zu können. Verkleckern Sie Ihre Kraft nicht in vielen winzig kleinen Einzelaktionen mit nur fünf oder zehn Teilnehmern – diese werden ignoriert oder lächerlich gemacht – sondern versuchen Sie weniger, aber dafür kraftvollere Gruppenaktionen mit möglichst vielen Teilnehmern.
Titelbild: a katz / Shutterstock