Stickoxide, Feinstaub, CO2-Bilanz – keine Frage, das Thema individuelle Mobilität ist zur Zeit auch dank der Schülerproteste eines der meistdiskutierten Themen im Lande. Sonderlich tiefschürfend ist die Debatte aber leider nicht. Meist geht es zugespitzt darum, ob wir künftig mit Diesel- oder Elektromotor im städtischen Stau stehen und inwiefern sich ein Gramm CO2 am Auspuff eines Diesels von einem Gramm CO2 am Schornstein eines Braunkohlekraftwerks in Sachen Nachhaltigkeit unterscheidet. Doch wer die Probleme an der Wurzel packen will, sollte zwei ganz andere Debatten führen: Wie bekommt man mehr Menschen in den öffentlichen Nahverkehr? Und wie vermeidet man Verkehr, bevor er entsteht? In einer unregelmäßigen Serie wollen die NachDenkSeiten diese Fragen stellen und damit zur Debatte anregen, an der auch Sie sich mit Ihren Leserbriefen beteiligen können. Heute soll es um die Frage gehen, ob ein kostenloser Nahverkehr der Ausweg aus der Sackgasse des Individualverkehrs sein kann. Von Jens Berger.
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Will man mehr Menschen in die Busse, Straßenbahnen und Züge bekommen, ist die Idee eines „kostenlosen öffentlichen Nahverkehrs“ erst einmal naheliegend. Als Vision existiert dieses verkehrspolitische Konzept, das in einigen Städten bereits erfolgreich umgesetzt wurde, schon länger. In den letzten Jahren genießt diese Vision zudem ein bemerkenswertes Comeback. Mit Luxemburg plant aktuell sogar der erste Staat, den ÖPNV ab 2020 komplett auf ein umlagefinanziertes Modell umzustellen. Auch in zahlreichen deutschen Städten wird diese Debatte immer wieder geführt. Als die EU Deutschland vor gut einem Jahr mit Strafen wegen der erhöhten Schadstoffwerte in der Atemluft zahlreicher deutscher Innenstädte drohte, zeigte sich sogar die Bundesregierung für ein solches Modell offen und kündigte in einem Brief an die EU Pilotversuche mit kostenlosem Nahverkehr in fünf Städten an; nur um einen Tag später wieder zurückzurudern und zu erklären, man warte nun erst einmal die Antwort aus Brüssel ab. Offenbar war der Brief eher ein – auch für die EU – recht einfach durchschaubarer Trick, um drohende Fahrverbote zu vermeiden.
Die Kostenseite
Dabei ist der Ansatz, mehr Menschen vom Auto zum ÖPNV zu bringen, indem man den Nahverkehr ganz einfach kostenfrei anbietet, durchaus interessant. Städte wie Templin und Lübben in Brandenburg oder das belgische Hasselt hatten in der Vergangenheit den Nahverkehr kostenfrei angeboten und damit die Zahl der Nutzer um das Sieben- bis Neunfache gesteigert. Mit den Begriffen „kostenfrei“ oder „kostenlos“ sollte man jedoch vorsichtig sein. Selbstverständlich fallen für den Betreiber immer Kosten an, die zur Zeit in deutschen Städten zum Teil über den Verkauf von Tickets, zum Teil aber auch durch direkte und indirekte staatliche Subventionen (z.B. Investitionen oder Entgelte für Verkehrsverträge und Tarifersatzleistungen für Schüler- oder Sozialtickets) gedeckt werden. Ein „kostenloser“ ÖPNV heißt in diesem Kontext also lediglich, dass für die Fahrgäste die Ticketpreise wegfallen. Wie und von wem die anfallenden Kosten dann getragen werden, ist von Modell zu Modell unterschiedlich.
Bei den bisherigen Feldversuchen blieb der große Kostenschock für die öffentliche Hand aus, da all die Städte, in denen die Ticketpreise für Einheimische wegfielen, zuvor nur über ein extrem schlecht genutztes Nahverkehrssystem verfügten, das ohnehin fast komplett durch öffentliche Subventionen finanziert wurde. In Templin betrug der Kostendeckungsgrad vor der Umstellung des Preismodells beispielsweise gerade einmal 14% – das heißt, dass 86% der Kosten zuvor ohnehin schon von Gemeinde, Kreis und Land getragen werden mussten. Damit ist Templin jedoch zum Glück alles andere als repräsentativ.
Im Schnitt können die deutschen Verkehrsunternehmen laut eigenen Angaben im Nahverkehr einen Kostendeckungsgrad von 76,3% erreichen – das heißt, nur jeder vierte Euro auf der Kostenseite stammt zur Zeit von der öffentlichen Hand. Einige Nahverkehrsunternehmen, wie beispielsweise die Hamburger Hochbahn, arbeiten im Betrieb sogar nahezu komplett kostendeckend. Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass es sich bei diesen Kosten nur um die direkte Kostenseite der jeweiligen Unternehmen handelt und staatlich finanzierte Infrastrukturinvestitionen hierbei nicht mitgerechnet werden. Und auch weitere Staatsleistungen rechnen die Betreiber naturgemäß nicht mit. Für sie ist es nämlich einerlei, ob die Länder über Zuschüsse zum Sozialticket oder Schülertickets einen Teil der Ticketkosten übernehmen oder der Staat die Betreiber über eine Befreiung von der Umsatzsteuer indirekt subventioniert. Berechnungen der Friedrich Ebert Stiftung gehen daher auch nur von einem „Nutzerfinanzierungsanteil“ von rund 36% aus. Doch in Zeiten der schwarzen Null und der Schuldenbremse reicht dieser Anteil schon aus, um die Kommunen auf die Probe zu stellen. Was in Templin mit seinem ohnehin fast komplett öffentlich finanziertem überschaubaren Busbetrieb eine sinnvolle Alternative sein kann, würde für eine Stadt wie Hamburg auf Mehrkosten von rund 830 Millionen Euro hinauslaufen – das wären 460 Euro für jeden Einwohner der Hansestadt. Die Zuschüsse in Templin betragen lediglich 6,25 Euro pro Kopf und Jahr.
Ein Verzicht auf die Einnahmen aus dem Ticketverkauf zwingt die Betreiber, die finanziellen Lücken aus anderen Töpfen zu decken. Und da der ÖPNV in Deutschland eine kommunale Aufgabe ist, liegt die Finanzierung ebenfalls in der Hand der ohnehin meist klammen Kommunen. Daran scheiterten letztlich auch die bisherigen Pilotprojekte. In Templin waren es am Ende knapp 100.000 Euro pro Jahr, mit denen der kostenlose ÖPNV aus der Stadtkasse quersubventioniert werden musste – zu viel für das kleine brandenburgische Städtchen, auch wenn der Zuschuss in puncto Kosten pro Kopf und Jahr geradezu lächerlich gering ist.
Andere internationale Pilotprojekte wurden Opfer ihres Erfolgs. So musste die belgische Kommune Hasselt 1997 bei Einführung eines kostenlosen Nahverkehrsangebots nur rund 967.000 Euro zuschießen. Binnen zehn Jahren verdreizehnfachte sich die Zahl der Fahrgäste jedoch von 360.000 auf mehr als 4,6 Millionen. Waren 1997 acht Stadtbusse auf zwei Linien im Einsatz, waren es zehn Jahre später 46 Busse auf neun Linien und ein Shuttle-Service. Damit stiegen auch die Kosten, so dass Hasselt trotz Querfinanzierung aus der Parkraumbewirtschaftung und Umlenkung von Investitionen aus dem Straßenbau am Ende jährlich ein Defizit von fast drei Millionen Euro stopfen und 2013 das Projekt einstellen musste.
Um die laufenden Kosten für einen kostenfreien öffentlichen Nahverkehr zukunftssicher zu organisieren, müssen also Einnahmequellen jenseits des städtischen Haushalts erschlossen werden. Ob es sich dabei nun um Templin mit seinen 100.000 Euro oder um Hamburg mit seinen 830 Millionen Euro handelt – „für lau“ gibt es den kostenlosen Nahverkehr nicht.
Die Lenkungswirkung
Die nächste offene Frage ist, wer sich durch das Angebot eines kostenlosen Nahverkehrs zum Umsteigen auf Bus und Bahn überreden lässt. Es ist natürlich erfreulich, wenn Jugendliche und Rentner aufgrund kostenloser Angebote die öffentlichen Verkehrsmittel verstärkt nutzen. Die erhoffte Verlagerung des motorisierten Individualverkehrs auf die Schiene oder den Bus stellt sich alleine dadurch jedoch nicht ein. So ging der Fahrgastzuwachs in Templin dann auch vor allem zu Lasten des Fuß- und Radverkehrs. Eine Substitution des Autos durch den Bus war in Templin jedoch auch nie geplant. Dort ging es vor allem darum, die chronisch leeren Busse vollzubekommen. Dieses Ziel wurde auch erreicht, die Autofahrten wurden jedoch nicht weniger.
Noch nüchterner sind die Zahlen aus dem weltweit größten Projekt eines kostenfreien Nahverkehrs. Im estnischen Tallinn liegt das zusätzliche Fahrgastaufkommen durch den seit 2013 geltenden „Nulltarif“ bei lediglich 1,2%. Dem steht ein Defizit von 12 Millionen Euro bei den Ticketeinnahmen entgegen, das sich die Esten jedoch mit einigen Milchmädchenrechnungen schönrechnen. So würde das Defizit durch den kommunalen Anteil an der Einkommenssteuer der Zuwanderer mehr als wettgemacht. Das mag ja so sein, aber wer glaubt ernsthaft, dass die Zuwanderer nur wegen der kostenlosen Busse nach Tallinn ziehen? In der Fachliteratur wird das estnische kostenfreie ÖPNV-Modell übrigens häufig als „soziales Modell“ bezeichnet. Das ist jedoch zynisch, lag der Beweggrund für die Umstellung auf einen kostenfreien ÖPNV doch vor allem darin begründet, dass die Niedriglöhner in Tallinn trotz ohnehin niedriger Ticketpreise sich vielfach die Fahrt zum Arbeitsplatz nicht mehr leisten konnten. Und so stützt der kostenlose ÖPNV in Estland vor allem die Hungerlöhne. Sozial ist das ganz sicher nicht. Nicht gerade sozial sind auch die hohen Parkgebühren, mit denen Tallinn seinen kostenlosen ÖPNV querfinanziert und dabei sicher auch den einen oder anderen Fahrgast in Bus und Bahn drängt – dies geschieht hier jedoch nicht wegen des kostenfreien Angebots, sondern wegen der teils absurden Parkkosten in der Innenstadt.
Um mehr Menschen in Busse und Bahnen zu bekommen, reicht eine Senkung des Fahrtpreises oft ohnehin nicht aus. Was nutzt die Kostenfreiheit, wenn die Taktung schlecht, die nächste Haltestelle zu weit entfernt, das Netz lückenhaft und Komfort und Sicherheit mangelhaft sind? Vor allem für die – hier diskutierte – Entscheidung zwischen Auto und ÖPNV gibt es zahlreiche „Pull- und Push-Faktoren“, von denen Preis für den ÖPNV nur einer von vielen ist.
Der ÖPNV muss attraktiver werden
ÖPNV ist nicht gleich ÖPNV. So steht das weitreichende Angebot aus Bussen, Straßenbahnen, U-Bahnen und S-Bahnen in Berlin für innerstädtische Reisen ohnehin nicht in echter direkter Konkurrenz zur Fahrt mit dem eigenen Auto. Staus und die teils katastrophale Parkplatzsituation machen die individuelle Fahrt in der Regel nicht nur langsamer, sondern auch teurer. Ganz anders sieht es hingegen auf dem Land aus. Viele Orte werden hier gar nicht mehr von Bus und Bahn angefahren und dort, wo einmal ein öffentliches Verkehrsmittel hält, sind die Taktzeiten oft derart suboptimal, dass alleine schon die Wartezeiten beim Umstieg länger sind als die alternative Fahrt mit dem eigenen Auto, die hier auch ohne Staus und Parkplatznöte nicht nur schnell, sondern auch vergleichsweise entspannt vonstatten geht. Ein vielzitierter Sonderfall sind hingegen die Berufspendler, die ohne Stau auf dem Lande entspannt starten und dann in den Ballungsräumen, in denen die Büros und Fabriken ja meist stehen, in die Staus hineinfahren, um nach Feierabend den umgekehrten Weg anzutreten.
Bemerkenswert ist, dass in allen drei beispielhaft skizzierten Anwendungsfällen der Preis eine untergeordnete Rolle spielt. Der Berliner fährt ohnehin mit dem ÖPNV, den der Bewohner ländlicher Gebiete alleine schon aus Zeitgründen auch dann nicht nutzen würde, wenn dieser kostenlos wäre. Für den Pendler sind wiederum andere Faktoren wie die Taktung, die Netzabdeckung und die Kapazität während der Stoßzeiten von entscheidender Bedeutung – denn was nutzt ein kostenloser ÖPNV, wenn nach der Spätschicht kein Zug mehr zurückfährt?
Ökonomen sprechen hier von einer sehr geringen Kreuzpreiselastizität zwischen der Nutzung des motorisierten Individualverkehrs und der Nutzung des ÖPNV. Empirische Untersuchungen – auch anhand der bereits genannten Pilotprojekte – bestätigen dies. Attraktive Preismodelle unterstützen selbstverständlich den Wechsel vom Auto zu Bus und Bahn, sind aber isoliert betrachtet kein Grund, das Auto stehen zu lassen. Nur wenn der ÖPNV im Vergleich zum Individualverkehr attraktiver wird, steigen auch mehr Menschen um. Und hier geht es nicht nur um Pull-Faktoren, die den ÖPNV attraktiver machen, sondern auch um Push-Faktoren.
Lenkung heißt auch, das Autofahren unattraktiver zu machen
Während Deutschland sich schon fast hysterisch über ein paar Straßen aufregt, die nun für ältere Dieselfahrzeuge gesperrt wurden oder noch gesperrt werden, ist die Debatte in anderen europäischen Ländern schon viel weiter. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo verantwortet beispielsweise einen Maßnahmenplan, der schon heute ältere Busse, Last- und Lieferwagen aus der Innenstadt verbannt hat und die komplette Innenstadt ab 2024 für Diesel und ab 2030 generell für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren abriegelt. Ähnliche Pläne gibt es in Barcelona, Madrid, Amsterdam, Oslo und Gent.
Einen etwas anderen Weg gehen Städte wie Stockholm oder London, die Autofahrer im innenstädtischen Bereich mit einem Mautsystem zur Kasse bitten. Wer in London mit einem Auto in die Innenstadt will, muss beispielsweise 11,50 GBP pro Tag zahlen; rund 14 Euro. Seit Oktober 2017 wird zusätzlich für Besitzer älterer Euro-4-Modelle (Benzin und Diesel) eine „Giftmaut“ von 10 GBP pro Tag fällig. Hinzu kommen die mit durchschnittlich 10,40 Euro pro Stunde wohl teuersten Parkgebühren in Europa – wobei es jedoch einem Kunststück gleicht, in der City überhaupt einen Parkplatz zu bekommen, da die allermeisten Parkbereiche für Einwohner reserviert sind. Städte wie London versuchen also, Autos durch massive Zusatzkosten aus der Stadt zu verdrängen.
Auch wenn man als Politiker damit sicherlich keine Wählerstimmen gewinnt – wer das Verkehrschaos und die Abgase herunterfahren und die Menschen in Bus und Bahn bekommen will, muss auch das Autofahren unattraktiver machen – komplett autofreie Innenstädte oder horrende Maut- und Parkgebühren sollten da aber eher eine ultima ratio sein, wenn alle anderen Mittel versagt haben. Eine zusätzliche Verknappung und Verteuerung des Parkangebots und restriktive Verkehrsleitkonzepte sind aber auch nur dann sinnvolle Lenkungshilfen, wenn es etwas zu lenken gibt; sprich, wenn es für die Autofahrer attraktive Alternativen gibt. Denn umweltpolitisch ist es ja nicht gerade sinnvoll, die Leute wie in Grönemeyers Song „Mambo“ stundenlang ihre Runden drehen zu lassen, um einen Parkplatz zu finden.
Stoßzeiten, Kapazitätsgrenzen, Investitionsstau
Während in der Provinz vor allem am Nachmittag die Busse oft menschenleer sind, stoßen in den meisten Metropolen vor allem U- und S-Bahnen zu den Stoßzeiten schon heute an ihre Kapazitätsgrenzen. Hier wäre eine Erhöhung des Fahrgastaufkommens über Preisanreize ohne eine gleichzeitige Ausweitung des Angebots durch verkürzte Taktzeiten oder zusätzliche Strecken im schlimmsten Falle sogar kontraproduktiv. Regional und strukturell unterscheiden sich sowohl die Anforderungsprofile an den ÖPNV als auch die Ausgangssituation fundamental. Was für eine ländliche Region Brandenburgs eine sinnvolle Lösung sein kann, könnte unter Umständen für München massive Nachteile mit sich bringen. Und auch hier geht es abseits der Pull- und Push-Faktoren auch um das fehlende Geld für nötige Investitionen.
Mit der jetzigen personellen und materiellen Ausstattung wäre es beispielsweise für die Berliner Verkehrsbetriebe in Stoßzeiten kontraproduktiv, noch mehr Fahrgäste transportieren zu müssen. Die meisten U-Bahnen fahren in Berlin zur Zeit während der Stoßzeiten im 5-Minuten-Takt und schaffen es damit nicht, Passagierspitzen zu bestimmten Tageszeiten abzufedern. Die Folge: Überfüllte Bahnsteige, Gedrängel in den Wagen, längere Fahrzeiten. Fahrgastverbände und Gewerkschaften fordern in Berlin schon seit langem eine Verkürzung des Takts in Stoßzeiten auf vier oder gar drei Minuten. Eine höhere Taktung würde jedoch 20 bis 30 Prozent mehr Personal und Züge erfordern. Für beides haben die BVG kein Geld. Im Gegenteil – wegen der Knappheit an Personal und Zügen wird zur Zeit sogar eine Erhöhung der Taktung diskutiert und Berlin ist damit kein Einzelfall.
Besser sieht die Lage in der wohlhabenden Hansestadt Hamburg aus. Dort soll ein Milliardenprojekt den komplett überlasteten ÖPNV mit einer neuen U-Bahn-Linie mit einer 90-Sekunden-Taktung ergänzen. Und dies zeigt dann auch die Grenzen des technisch Machbaren. Wenn die Steigerung der Förderkapazität über Investitionen in Personal und Fahrzeuge ausgereizt ist, wird es richtig teuer. Denn dann muss gebaut werden, was in bestehenden urbanen Strukturen ein sehr kostspieliges Unterfangen ist. Daher ist es auch müßig, über eine Erhöhung des ÖPNV-Anteils in den Metropolen auch nur nachzudenken, ohne gleichzeitig eine Finanzierung der damit verbundenen Mehrkosten zu erörtern. Zumindest in diesem Punkt haben es die ländlichen Gebiete einfacher. Ob ein Bus in Templin nun zwei oder zehn Passagiere befördert, spielt für die Betriebskosten kaum eine Rolle und zusätzliche Investitionen sind auch nur dann nötig, wenn man das Angebot auch qualitativ erweitern will.
Man muss die Debatten trennen
Eine alleinglückseligmachende Lösung für die ÖPNV-Thematik gibt es nicht. Wer nach Lösungen sucht, sollte zunächst einmal klar das Problem umreißen und die Anforderungen formulieren. So ist es natürlich alleine schon aus sozialen Gesichtspunkten wünschenswert, dass auch ärmere Rentner, Geringverdiener und Jugendliche den ÖPNV nutzen können und nicht durch zu hohe Ticketpreise in ihrer Mobilität eingeschränkt werden. Um das zu ermöglichen, ist jedoch keine generelle Kostenbefreiung aller Passagiere nötig. Kostenfreie Monatstickets für bestimmte Gruppen von Menschen, die nebenbei auch besonders auf den ÖPNV angewiesen sind, da sie oft kein Auto haben, würden eine soziale Teilhabe auch ohne ein komplett umlagefinanziertes ÖPNV-System gewährleisten. Man sollte diese soziale Debatte auch tunlichst von der Debatte um Schadstoffe und die Klimabilanz trennen.
Bei diesen ökologischen Problemen wäre es wichtig, zunächst klare Ziele zu definieren und diese Ziele dann am Einzelfall mit den konkreten Gegebenheiten zu überprüfen. Hat eine Stadt beispielsweise ein Problem mit der Schadstoffkonzentration an stark befahrenen Ausfallstraßen, so bietet sich hier natürlich ein durchdachtes Park&Ride-Konzept mit einer kundenfreundlichen Taktung, hohem Komfort und fairen Preisen an. Und wenn die Pendler trotz eines guten ÖPNV-Angebots mit freien Kapazitäten nicht auf ihr Auto verzichten wollen, muss die Politik – auch unter der Gefahr, Wählerstimmen zu verlieren – das Autofahren für diese speziellen Fallbeispiele unattraktiver machen – von Verkehrsbehinderungen über die Einführung einer Maut bis hin zur Verknappung und Verteuerung des Parkplatzangebots gibt es viele Möglichkeiten, mit denen man aber natürlich bei den Wählern keinen Blumentopf gewinnt.
Patentlösungen gibt es hier leider nicht und ein bundesweites Modell eines kostenlosen Nahverkehrs würde wohl mehr Probleme schaffen, als es beseitigen würde. Das heißt aber nicht, dass solche Modelle auf regionaler Ebene keine sinnvollen Alternativen sein können. Wenn die betreffende Kommune schon heute beim ÖPNV einen sehr niedrigen Kostendeckungsgrad aufweist, über freie Kapazitäten auch zu den Stoßzeiten verfügt und die finanziellen Mittel hat, nicht nur die Betriebskosten, sondern auch die zu erwartenden Investitionen zu tragen, könnte ein kostenloser ÖPNV eine gute Lösung sein. Wenn die betreffende Kommune jedoch auch so schon überschuldet ist, der ÖPNV heute schon in Stoßzeiten an seine Grenzen stößt und zu einem großen Teil kostendeckend arbeitet, wäre eine Umstellung auf eine Umlagefinanzierung sicher keine gute Idee.
Alternative Finanzierungskonzepte
Vielleicht sollte man Visionen jedoch auch visionär betrachten und gegebene Einschränkungen generell hinterfragen. Eine solche Einschränkung ist zur Zeit sicherlich die Finanzierung. Hier gibt es nur die Alternative, den ÖPNV entweder über Ticketerlöse (und andere Einnahmequellen wie Werbung) oder über den kommunalen Haushalt und somit über die generellen Steuern zu finanzieren. Dabei wären auch andere Modelle denkbar. Was spräche beispielsweise gegen ein obligatorisches Bürgerticket? Die Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus hat 2015 eine Machbarkeitsstudie vorgelegt, die den Preis für ein solches für alle Berliner verpflichtendes Bürgerticket bei 40 bis 50 Euro pro Monat beziffert und für einkommensschwache Haushalte deutliche Rabatte vorsieht. Das wäre sicher ein guter Ansatz … wenn man gleichzeitig sicherstellen würde, dass auch Geld für die nötigen Investitionen fließt.
Doch dies gilt auch nur für die Metropolen. Abseits der Metropolen ist es in den meisten Fällen ja nicht der Ticketpreis, sondern das zu schlechte Angebot, das die Menschen von einer Nutzung oder gar einem Umstieg auf den ÖPNV abhält. Hier müsste der Staat – gleich aus welcher Quelle genau – schon sehr viel Geld in die Hand nehmen, um das Angebot zu verbessern. Und das ist sogar alternativlos, wenn man die Verträge zu den Klimazielen wirklich einhalten will. Doch diese Debatte wird leider nicht geführt. Stattdessen debattieren wir lieber darüber, ob wir lieber mit einem Diesel oder mit einem braunkohlestromgetriebenen E-Auto im Stau stehen wollen.
In der nächsten Folge werden wir uns mit dem Thema „Verkehrsvermeidung“ beschäftigen.
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