Die Finanzkrise offenbart eine Krise des Strafrechts – Too big to fail, too big for justice
Die Straftatbestände der Untreue, des Betrugs, der Hehlerei und der Erpressung sind in vielfältiger Weise erfüllt, doch der „hölzerne Handschuh“ (Heribert Prantl) des Strafrechts packt auf die Akteure der Finanzkrise nicht zu. Die wenigen bisherigen Strafverfahren gegen Verantwortliche lassen nicht erwarten, dass je ein Bankvorstand oder je ein Politiker für eingetretene Verluste haften müsste.
Die Justiz wäscht ihre Hände in Unschuld und zieht sich auf den Standpunkt zurück zieht, das Strafrecht könne nicht sanktionieren, was das Aktien-, Handels- Bilanz- oder Kapitalmarktrecht erlaubt. Wolfgang Lieb
Die Banker und die mit ihnen eng verflochtenen Politiker, Aufsichtsorgane und Meinungsmacher haben durch ihr Versagen und ihre Machenschaften weit größere und schwerer zu behebende Schäden verursacht als durch alle anderen „Kapital“-Verbrechen zusammen. Im Vergleich zu den weltweiten verheerenden Auswirkungen der Bankenkrise erscheinen die schon schlimmen Schäden, die durch organisierte Kriminalität oder die Mafia verursacht werden, nur noch wie Mundraub.
Viele Finanzberater wussten oder ahnten von den Risiken der Zertifikate, die sie als Vertrauenspersonen für ihre Kunden dennoch anboten, aber sie lebten von den Verkaufsprovisionen, die etwa bei denen der Pleitebank Lehman Brothers exorbitant hoch waren. Sie nutzten ihre Autorität und spiegelten falsche Sicherheit vor oder verschwiegen Risiken und ließen ihre Kunden im falschen Glauben an ihre Werbesprüche und verschafften sich und anderen Vorteile. Das erfüllt den Tatbestand des Betrugs.
Die Banken haben faule Hypothekenkredite zusammen gepackt und als rentierlich innovative Finanzprodukte weiterverkauft. Und wieder andere haben diese gebündelten faulen Forderungen, von denen sie eigentlich wissen mussten, dass sie ihren Preis nicht wert waren, weiterverkauft. In der Umgangssprache nennt man das Hehlerei.
Nach Betrug und Hehlerei folgte die Erpressung. Anlässlich der Rettungsaktion der Hypo Real Estate wurde von den Bankern behauptet, dass über 100 Milliarden Euro ungesicherte Verbindlichkeiten überwiegend bei Renten-, Sozialversicherungen und Kirchenkassen lägen.
Die später im Tagesspiegel veröffentlichte Liste der „Geretteten“ belegte, dass diese Behauptung eine glatte Lüge war.
In der dramatisch inszenierten Nachtsitzung am 28. September drohte der Deutsche Bank-Chef Ackermann mit dem „Tod des deutschen Bankensystems“ als er und die in Frankfurt versammelten Top-Banker von der Kanzlerin und dem Finanzminister die erste Tranche Staatsgelder und Garantieren abpressten. Danach mussten insgesamt 100 Milliarden an Kapitaleinlagen und Garantien nachgeschossen werden.
Sich durch Androhung eines empfindlichen Übels zu Lasten eines anderen zu bereichern, das erfüllt den Tatbestand der Erpressung.
Die Straftatbestände sind dem Wortlaut nach erfüllt. Doch Anklagen gibt es kaum.
Die originäre Aufgabe des Strafrechts ist der Schutz des friedlichen Zusammenlebens der Menschen. Kaum etwas anderes aber hat in jüngerer Zeit den inneren Frieden der Gesellschaft so zerrüttet wie der Finanzkollaps. Die Wiedergutmachung eines Schadens gehört zu den grundlegenden Rechtsprinzipien. Doch selbst Banker, die Milliarden-Boni kassiert haben, könnten den Schaden nicht tilgen.
Das formelle Recht, zumal das Strafrecht ist für derartige Herausforderungen offenbar nicht gewappnet. Der frühere Vorstandsvorsitzende der Mittelstandsbank IKB wurde zwar wegen Untreue angeklagt. Aber zunächst nicht wegen der vielen Milliarden Euro, die während seiner Amtszeit in heute nicht mehr handelbare Derivative versenkt wurden. Ihm wird u.a. vorgeworfen, auf Bankkosten eine überteuerte Hifi-Anlage gekauft zu haben. Diese kleinen Missetaten, kann die Justiz überschauen und beurteilen. Doch die unerhöhte Höhe der Schäden und die Komplexität des Vorgehens, übersteigt das Erfassungsvermögen der Paragraphen. Dem „Too big to fail“ folgt das „too big for justice“.
Das Strafrecht versagt offenbar, wenn es nicht nur um Handlungen und Sorgfaltspflichten einzelner Personen geht, sondern um ein systematisch betriebenes gemeinwohlschädliches Verhalten im Zusammenspiel ganz Vieler. Die Justiz kapituliert vor der Größe des finanziellen Schadens.
Polizei, Staatsanwaltschaften, Richter sind maßlos überfordert, um Rechtswidrigkeit und Schuld von einzelnen Verantwortlichen nachzuweisen. Sie verirren sich in einem undurchdringlichen Gestrüpp von Rechtsvorschriften auf den unterschiedlichsten nationalen und internationalen Kodifikationen, die den Finanzmarkt betreffen. Und wenn sie Anklage erheben, dann versinken sie in einem Meer von Beweismaterial und Datenmengen. Wie sollten sie auch Sachverhalte prüfen, die selbst Finanzfachleute nicht mehr durchschauen. Da legt man die Fälle doch lieber gleich zu den Akten.
Kommt es jedoch zum Prozess, so besteht zwischen Strafjustiz und den Bankern keine Waffengleichheit. Die Banker rücken mit ganzen Kolonnen höchstbezahlter Spezialanwälte an, dagegen sind die Staatsanwälte meist machtlos. Und wenn sie wie im Fall Zumwinkel hart zugreifen, laufen sie sogar noch Gefahr von Oben versetzt oder wie Steuerprüfer in Hessen mittels psychiatrischer Gutachten dienstunfähig erklärt zu werden
Da sagt man doch lieber gleich, es liegt ein Marktversagen vor, denn gegen Systemkriminalität gibt es kein Sanktionsrepertoire.
Und sollte es tatsächlich einmal zu einer Verurteilung kommen, so können die Anwälte der Angeklagten spätestens in der Revisionsinstanz auf die Gutachten von Wirtschaftsprüfern oder die Bewertung von Ratingagenturen verweisen, auf die sich ihre Mandanten verlassen durften, und die Richter greifen dann – wie im Fall Vodafone bei Ackermann – auf das Rechtskonstrukt des „unvermeidbaren Verbotsirrtums“. Das heißt, die Richter konnten nicht zweifelsfrei nachweisen, dass eine Einsicht der Angeklagten in ihr unrechtes Tun möglich war. Die Verantwortlichen in den Großbanker werden geradezu „systemisch“ von strafrechtlicher Verantwortung freigesprochen und bestenfalls mit einer Ordnungswidrigkeit belegt, deren Geldbuße ihnen nicht weh tut.
Wenn schon die Staatanwälte nicht einschreiten gilt auch hier das Prinzip: Wo kein Kläger, da auch keine Anklage.
Warum sollten Aufsichtsräte, die nicht eingegriffen haben, als krumme Geschäfte gemacht wurden, gegen ihre Vorstände vorgehen? Sie wären doch mit gefangen und mit gehangen. Umgekehrt: Ansprüche der jeweiligen Bank gegen ihre Aufsichtsräte müssten wiederum die jeweiligen Vorstände geltend gemacht werden. Und eine Krähe hackt bekanntlich einer anderen kein Auge aus.
Sonderprüfungen oder Aktionärsklagen finden nicht statt, weil die Stimmenmehrheit bei den Aktionärsversammlungen wiederum bei den Vertuschern liegt. So stoppte etwa der neue Mehrheitseigentümer der IKB, die texanische Heuschrecke Lone Star, mit seinem Stimmengewicht eine schon angelaufene Sonderprüfung.
Die Eigner der Landesbanken, also die jeweiligen Landesregierungen, müssten sogar gegen sich selbst oder gegen ihre Regierungsmitglieder im Aufsichtsrat klagen. Darauf kann man lange warten.