In meinem Beitrag vom Dienstag “Soll alles, was technisch möglich ist, gemacht werden? Eher nein.” hatte ich versäumt, eine neue drohende Entwicklung zu erwähnen: Urbane Seilbahnen. Und ich hatte ein wichtiges Element der ökonomischen Theorie der Marktwirtschaft, der sogenannten Welfareeconomics, also der der Allokationstheorie ausgeblendet. Diese brauchbaren Theorien sind bei der Beurteilung vieler Projekte und ganz besonders bei der Bewertung des „Zukunftprojekts“ Urbane Seilbahnen hilfreich. Diese Projekte sind in der Regel nämlich mit hohen negativen externen Effekten verbunden. Darauf, die Projekte Urbane Seilbahnen vergessen zu haben, hat mich der NachDenkSeiten-Leser Manfred Alberti aufmerksam gemacht. Hier folgt seine erste Mail, die die wesentlichen Informationen zum Thema enthält. Albrecht Müller.
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„Sehr geehrter Herr Müller,
zu Ihrem sehr lesenswerten Artikel, ob man alles technisch Machbare auch umsetzen solle, möchte ich Sie gerne auf einen neuen problematischen Zukunftsbereich aufmerksam machen: Urbane Seilbahnen.
“Urbane Seilbahnen
Die Seilbahnindustrie hat in den Alpen keine Ausdehnungsmöglichkeiten mehr und setzt deshalb auf Urbane Seilbahnen: also Seilbahnen über bewohnten Gebieten und nicht nur am Rande der Dörfer und Städte wie in den Alpen. Urbane Seilbahnen sind bislang in Deutschland nicht erlaubt. La Paz in Bolivien mit zehn Linien gilt als glanzvolles Vorbild.
Inzwischen werden in über zwanzig deutschen Städten Seilbahnpläne diskutiert. Noch geht es immer um eine einzelne interessante Strecke: Irgendein Hindernis kann mit einer Seilbahn leicht überwunden werden. (Z.B. In Bonn und Marburg die Verbindung zu den hoch gelegenen UNI-Kliniken.)
In Wuppertal soll eine Seilbahn vom Hbf über die UNI zu den Südhöhen gebaut werden für 90 bis 100 Mio €.. Geplant ist, dass über die Wohnungen, Häuser, ein Pflegeheim und mehrere Kleingärten von ca. 1000 Bürgern alle 16 Sekunden eine kleinbusgroße Gondel für 35 Personen fahren soll. Einziger wirklicher Nutznießer dieses Projektes sind die Stadtwerke, die durch eine ihnen von den Bürgern geschenkte Seilbahn massive Buseinsparungen vornehmen können.
Und hier liegt das Problem: Personentransport mit automatisierten Seilbahnen ist preiswerter und attraktiver für Verkehrsbetriebe als die gleichen Strecken mit personalintensivem Busbetrieb. Deshalb wird es vermutlich ein kosteneinsparendes Ziel von Städten und Verkehrsbetrieben sein, künftig über unseren Großstädten ein Netz von Seilbahnen spannen zu dürfen mit 70 Meter hohen Stützen für die schweren Kabinen, die ohne Stauprobleme alle Hindernisse überwinden und wesentlich preiswerter sind als eine U-Bahn. Busse übernehmen dann nur noch die Feinverteilung von den Stationen aus.
Seilbahnen sind für die Fahrgäste zwar mit unbequemem Umsteigen verbunden, aber sie strahlen auch eine Faszination aus, wenn man nicht an die Menschen denkt, die unter oder neben einer solchen Trasse wohnen. Wenn in Zukunft der städtische Luftraum bis 100 Meter Höhe als Raum für Seilbahnen genutzt werden darf, dann werden Millionen Menschen einen wichtigen Teil ihrer Privatsphäre verlieren. Täglich von 06.00 Uhr bis 22.00 Uhr 16 Stunden lang alle 16 Sekunden eine Kabine von links oder rechts, das kann schlimmer sein als eine Landebahn für Flugzeuge. Garten, Balkon und der Raum hinter den Fenstern werden zum Menschenzoo für gaffende Seilbahnfahrer und ausspähende Diebe.
Noch geht es nur um einzelne Seilbahnlinien. Noch wird dringend eine deutsche Stadt gesucht, die mit vermutlich zehn Mio. € das erste Planfeststellungsverfahren mit teuren Gutachten, Rechtsanwalts- und Gerichtskosten wagt. Prozesse in bislang juristisch unausgearbeiteten Problemen um den Schutz der Privatsphäre werden höchste deutsche und vielleicht sogar europäische Gerichte beschäftigen müssen. Sollten da die Städte gewinnen und die Bürger verlieren, wird es dann kaum ein Jahrzehnt dauern, bis ein Heer von hohen Stützen, von armdicken Seilen und daran hängenden dauerbeweglichen Kleinbussen wie ein Spinnennetz deutsche Großstädte überspannt. Das Leben darunter und daneben wird für die Betroffenen zu einem nervenden Dauerspektakel. Der bislang weitgehend geschützte Luftraum bis 100 Meter Höhe geht den Menschen verloren.”
Sehr geehrter Herr Müller, wenn gewollt können Sie obigen Artikel gerne veröffentlichen. Ich habe auf meiner Homepage ( www.manfredalberti.de Kapitel A 12) auf achtzig Seiten viele Details und viele Nachteile dieser Wuppertaler Seilbahnpläne zusammengetragen und bereite gerade eine Veröffentlichung vor, denn im Mai können alle Wuppertaler Bürger in einer schriftlichen Bürgerbefragung mit “Ja” oder “Nein” abstimmen, ob sie eine Seilbahn wollen. Leider verweigert die Stadt jegliche Diskussion über das Projekt. Und auch die lokale Presse beschäftigt sich nicht mit den vielfältigen und oft verborgenen Nachteilen der Pläne.
Alles Gute für Ihre und Ihrer Kollegen Arbeit
Manfred Alberti.“
Die externen Kosten Urbaner Seilbahnen sind beachtlich, sie werden in der Regel aber nicht beachtet. Auch deshalb, weil sie in Euro und Cent schwer zu berechnen sind
Führt der Gondelbetrieb über Wohnbereiche, dann ist die Belästigung durch den Betrieb vielfältiger Art. Das gilt vor allem für die Aufhebung der Privatheit der Menschen, die unter und neben der Trassenführung wohnen. Sie haben die Entscheidung, dort zur Miete oder als Wohnungseigentümer zu wohnen, ohne Kenntnis der Planung einer Seilbahntrasse getroffen. Nachträglich wird nun eine ihrer Planungsgrundlagen öffentlich ausgehebelt: die Vorstellung, wenigstens von oberhalb ihres Lebensbereiches nicht belästigt zu werden. Diesen Schaden zu beziffern, ist ausgesprochen schwierig. Aber dies sollte bei der politischen Entscheidung darüber eigentlich nicht von Nachteil sein. Man kann und sollte auch dann externe Effekte eines öffentlichen Projektes oder eines öffentlich entschiedenen Projektes in die Entscheidung einbeziehen, wenn sie quantitativ nur schwer erfassbar sind.
Wie rücksichtslos die Planer vorgehen, kann man am Fall der Planung in Bonn sehen. Um sich die Planung und Durchsetzung möglichst einfach zu machen, hat man dort eine Stütze der Seilbahn für den Hof der Erich Kästner Grundschule vorgesehen. (Ein neuerer Bericht zum Bonner Projekt siehe hier) Zufällig kenne ich mich in dem betroffenen Bereich aus. Dort gingen vor vielen Jahren zwei meiner Kinder zur Schule. Es ist keine Kunst, sich vorzustellen, welche das Lernen „fördernde“ Wirkung der Seilbahnbetrieb über einer Schule und im Schulhof hat. Ähnliches gilt für die Wirkung der Seilbahn auf die Lebensqualität der dort lebenden Menschen; zum Teil wird von der Seilbahn ein Wohnbereich mit relativ dichter Wohnbebauung betroffen sein.
Fazit: Man muss den Eindruck gewinnen, dass die Planer und auch manche der engagierten Verbände von der Analyse und der Bedeutung der external diseconomies einer politischen Entscheidung für ein solches Projekt noch nichts gehört haben.
Titelbild: T.W. van Urk / Shutterstock