Der Fall des Journalisten Billy Six – Ein Vorgang mit vielen Fragezeichen
Billy Six saß monatelang im venezolanischen Gefängnis, ohne dass eine politische oder mediale Kampagne entfacht worden wäre. Dieser Vorgang wirft Fragen auf: nach dem Anlegen von zweierlei politischem Maß, nach den Grenzen zwischen Aktivismus und Journalismus und nach den Gründen, warum die Bundesregierung den Fall nicht gegen Venezuela instrumentalisiert hat. Von Tobias Riegel.
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Der Journalist Billy Six saß bis zu seiner Freilassung in der letzten Woche seit November in Venezuela im Gefängnis – wegen Vorwürfen der Spionage und der Rebellion. Die breite Öffentlichkeit hat erst im Moment der Freilassung von Six’ Schicksal erfahren. Auch ging die Freilassung des 32-jährigen Deutschen nicht auf die Bemühungen der deutschen Regierung zurück, sondern wohl auf eine Intervention des russischen Außenministers Sergej Lawrow bei einem Treffen mit seinem venezolanischen Amtskollegen Jorge Arreaza. Diese Vorgänge sind aus mehreren Gründen erstaunlich.
Zweierlei Maß: Deniz Yücel und Billy Six
Zum einen wird das Anlegen von zweierlei Maß deutlich. Etwa im Vergleich zum für den „Welt“-Journalisten Deniz Yücel entwickelten politischen und medialen Aktivismus mutet die monatelange Stille um Six seltsam an. Dabei sind nicht nur die offiziellen Vorwürfe gegen die beiden Autoren durchaus vergleichbar. Liegt die unterschiedliche Handhabung an den Medien, für die Six arbeitet? Dazu gehören auch rechtskonservative Medien wie die „Junge Freiheit“ oder das „Deutschland-Magazin“. Doch das kann eigentlich keine ausreichende Begründung für die Diskrepanz der Fälle sein, angesichts von Yücels Arbeitgeber: So kann die „Welt“ aus dem Springer Verlag ebenfalls kaum als ein seriöses oder „normales“ Medium bezeichnet werden. Auch kann bei Yücel wie bei Six festgestellt werden, dass bei beiden Autoren die Grenze zwischen distanziertem Berichterstatter und involviertem und (allzu) leidenschaftlichem Aktivisten mindestens verschwommen ist.
Die politisch-mediale Heuchelei im Zusammenhang mit dem Fall Six ist also schwer zu leugnen. Manche Zeitungen nutzen den Fall auch, um unseriöse Gleichstellungen zu vollziehen. So führt die „taz“ in ihrer Aufzählung der von Six belieferten „rechten“ Medien auch den russischen Staatssender RT auf. Einen weitgehend ordentlichen Überblick zur Geschichte bietet „Übermedien“ und auch „Reporter Ohne Grenzen“ hat sich für Six eingesetzt.
Fall Six sollte unabhängig von journalistischen Inhalten betrachtet werden
Inhaltlich verbindet die NachDenkSeiten sehr wenig mit Six. Weder seine schriftlichen Inhalte noch sein aktivistisches Auftreten sollen hier grundsätzlich verteidigt werden. Die Betrachtung seines Falls muss aber unabhängig von politischen Ausrichtungen erfolgen. Denn wenn Ideologie oder journalistische Inhalte darüber entscheiden, wer Solidarität und Rechtsbeistand verdient und wer nicht, wäre das eine schlechte Entwicklung, die das Tor für politische Willkür weit aufstößt. Die nun beobachtete mutmaßliche Unterlassung von Hilfeleistung durch die Bundesregierung und durch die großen Medien würde zukünftig bei Bedarf auf Journalisten aus anderen politischen Bereichen angewandt – wenn man das Vorgehen nun nicht auch im Fall Six skandalisiert.
Dass sich nur die AfD-Fraktion für Six eingesetzt hätte, ist allerdings eine Legende. So hat sich neben einzelnen CDU-Mitgliedern und weiteren LINKEN etwa der europapolitische Sprecher der Linksfraktion, Andrej Hunko, für Six engagiert. Hunko sagte gegenüber „Sputnik“: „Durch die generelle Ausrichtung der deutschen Politik gegenüber Venezuela und insbesondere der völkerrechtswidrigen Anerkennung von Juan Guaidó ist das Verhältnis zur venezolanischen Regierung ausgesprochen schlecht. Und das gereichte sicherlich auch zum Nachteil von Billy Six.“
LINKEN-Engagement für Six: Deutsche Venezuela-Politik ist „schreiender Skandal“
Der Bundestagsabgeordnete erklärt, dass er schon lange in Kontakt mit Six’ Eltern gestanden habe. Zusammen mit dessem Anwalt habe er sich um einen Gefängnisbesuch bemüht, auch in Berlin sei Hunko aktiv geworden. Mittlerweile hat sich auch Six’ Vater geäußert, der sogar eine Klage gegen die Regierung wegen unterlassener Hilfeleistung in Betracht zieht: „Es ist eine Art von Willkür, dass die Bundesregierung anders als im Yücel-Fall nicht gegen die Inhaftierung unseres Sohnes protestierte“, so Ernst Six. Und am Donnerstag war der Fall Thema im Bundestag. Dort widersprach Simone Barrientos von der Linkspartei wiederum der Darstellung von Six: Die Interviews, die Billy Six nach seiner Heimkehr nach Deutschland gegeben habe, seien voll mit Behauptungen, Halbwahrheiten und Lügen, so Barrientos.
Über den Fall Six hinausgehend betont Hunko, das Vorgehen der Bundesregierung und im Speziellen von Außenminister Heiko Maas gegen Venezuela sei „ein schreiender Skandal“. Zum Hintergrund: Gegen die Regierung Venezuelas läuft eine intensive und völkerrechtswidrige Regime-Change-Kampagne , an der sich auch die Bundesregierung beteiligt.
Warum wurde Six nicht gegen Venezuela instrumentalisiert?
Die Untätigkeit der Bundesregierung und der großen deutschen Medien beim Fall Six ist zusätzlich rätselhaft angesichts der höchst feindlichen Haltung, die jene beiden Gruppen ansonsten gegen Venezuela einnehmen: Schließlich hätte Six – so wie Yücel – gut gegen eine gegnerische Regierung instrumentalisiert werden können.
Statt der erlebten Stille hätte man eigentlich eine emotional aufgeladene Kampagne gegen die „diktatorische“ Regierung Venezuelas und ihre „Verbrechen gegen die Pressefreiheit“ erwarten können. Warum also haben die großen Medien und die Bundesregierung diese propagandistische Steilvorlage des Falls Six nicht ergriffen? Es ist schwer zu glauben, dass darauf nur wegen der „rechtspopulistischen“ Inhalte von Six’ Artikeln verzichtet wurde.
Journalisten als „Agenten“?
Zum Abschluss soll auf einen eher dubiosen Aspekt eingegangen werden, der mit den hier besprochenen, konkreten Fällen mutmaßlich nichts zu tun hat: Es gibt weder bei Six noch bei Yücel konkrete Hinweise auf die ihnen vorgeworfene Agententätigkeit. Die Inbrunst aber, mit der in der Öffentlichkeit eine Agententätigkeit durch Journalisten als prinzipiell abwegig und unvorstellbar bezeichnet wird, ist nicht nachzuvollziehen. Die Vergangenheit bietet zahlreiche Beispiele, bei denen eine Zusammenarbeit zwischen Journalisten und Geheimdiensten bewiesen ist, wie man etwa hier oder hier nachlesen kann.