Interview: „Antirussische Meinungsmache dominiert in Großbritannien – so wie auch in Deutschland“

Interview: „Antirussische Meinungsmache dominiert in Großbritannien – so wie auch in Deutschland“

Interview: „Antirussische Meinungsmache dominiert in Großbritannien – so wie auch in Deutschland“

Tobias Riegel
Ein Artikel von: Tobias Riegel

Parallelen zwischen der gegen Russland gerichteten Berichterstattung in Großbritannien und Deutschland beschreibt Nicholas Cobb von der britischen Initiative „Westminster Russia Forum“. Cobb sieht im Interview mit den NachDenkSeiten die Verantwortung für das vergiftete britisch-russische Verhältnis vor allem bei den großen Medien: die würden eine Stimmung entfachen, die auch gutmeinende Menschen abhält, sich öffentlich zum Dialog mit Russland zu bekennen. Das Interview führte Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Herr Cobb, die Berichterstattung der großen deutschen Medien zu Russland muss als einseitig, verzerrt und verkürzt bezeichnet werden. Etwa die Berichte zur Krim setzen meist nicht mit dem Umsturz in Kiew ein, sondern erst mit den russischen Reaktionen darauf. Zudem wird das Land oft unseriös auf die Person des russischen Präsidenten Wladimir Putin reduziert. Sie sind Teil der britischen Initiative „Westminster Russia Forum“ (WRF), die sich für einen Austausch mit Russland stark macht. Beobachten Sie diese Art der Meinungsmache auch in Großbritannien?

Absolut, es gibt da offensichtlich viele Parallelen zwischen Deutschland und Großbritannien, was die Berichterstattung anbelangt. Die Medien in Großbritannien bringen zwar auch viele gute Stories – aber meist nicht zu Russland. Fast alles fokussiert sich auf den Präsidenten Wladimir Putin. Etwa nach dem MH17-Abschuss waren die Schlagzeilen: „Putins Rakete schießt Passagierflieger ab“. Die Medien geben den Menschen klare Schurken, jemanden, gegen den sie sich verbünden können. Dieser Schurke ist momentan Russland.

Auch ist beim Thema eine weitgehende Gleichförmigkeit unter den großen deutschen Medien festzustellen.

Echte Unterschiede gibt es zum Thema auch unter den großen Medien in Großbritannien nicht: Die Russophobie dominiert die Presse – in Deutschland wie in Großbritannien. Ich sehe auch nicht, dass sich das in naher Zukunft ändern wird. Russland ist laut dem Tenor der großen britischen Zeitungen eine homophone Diktatur und fördert internationale Konflikte. Aber immerhin werden nicht die russischen Menschen attackiert.

In Deutschland kommt es aber vor, dass Menschen, die sich für einen deutsch-russischen Dialog einsetzen, dafür scharf attackiert werden.

Das passiert in Großbritannien ebenfalls. Einige Parlamentarier etwa hatten sich hinter den Kulissen verständigt, dass sie eine Position der Entspannung gegenüber Russland vertreten. Aber sie sagten auch, dass sie für diesen Dialog nicht öffentlich eintreten würden. Einer hat sich dennoch getraut: Er wurde von allen Seiten so scharf attackiert, dass sich das wohl nicht so bald wiederholen wird.

Bei einem anderen Beispiel hatte ein schottischer Ex-Politiker eine Sendung beim russischen Staatssender RT moderiert und ist dafür übel attackiert worden. So geht es jedem, der mit diesem Sender spricht. Die britischen Medien-Regulatoren erwägen ernsthaft, RT zu verbannen. Andererseits hilft sich aber auch RT nicht durch die zum Teil sehr provokative Berichterstattung.

Wie groß ist die Gruppe im Parlament, die prinzipiell eine Verständigung mit Russland unterstützen würde?

Im Parlament gibt es 30-40 Abgeordnete, die sehr für bessere Beziehungen zu Russland sind. Aber sie würden es niemals offen sagen, weil die Attacken zu scharf wären.

Können Sie die britischen Bürger dennoch erreichen mit Ihren Initiativen für eine Entspannung gegenüber Russland?

Ich würde sagen, bei 40 Prozent der Briten werden Sie die aus den Medien stammende Meinung zu Russland und Putin nicht ändern können. Aber da sind 60 Prozent, zu denen wir noch sprechen können. Außerhalb der großen Städte etwa: Wenn Sie mit den Menschen sprechen, ist ihr erstes Problem nicht Putin oder Angst vor Russland.

Was sind die konkreten Inhalte des Westminster Russia Forum (WRF)?

Wir sind eine Lobby-Gruppe, allerdings nicht mit einem dicken Bankkonto – im Gegenteil. In Großbritannien haben wir einige hundert Unterstützer aus allen Teilen der Gesellschaft. Uns verbindet ein Interesse an Russland. Ich würde mich als russophil bezeichnen, davon gibt es hier nicht viele.

Aber viele Engländer haben dennoch ein Interesse an russischer Kultur oder sie arbeiten für eine russische Bank oder haben einen russischen Ehepartner. Wir wollen die kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Banden zwischen unseren Ländern stärken, weil die Politik untätig bleibt. Wir hatten als WRF früher Verbindungen zu britischen politischen Parteien, aber das hat sich geändert. Wir sind nun ein neutrales Forum für Ökonomie und Politik.

Können Sie angesichts der feindlichen Stimmung in Medien und Politik Entwicklungen in Gang setzen?

Es gibt eine Entwicklung – und die kommt nicht von den Medien und auch nicht von den Politikern. Sie geht von Menschen aus, die in Universitäten recherchieren wollen oder Interessen in Kultur, Sport oder in Musik haben, von internationalen Rechts-Firmen, Banken etc. Wenn die Politik sich weigert, die Beziehungen zu verbessern, dann muss das durch den Handel und die Kultur entstehen.

In Deutschland gibt es eine starke Diskrepanz zwischen dem erzeugten hysterischen Medienbild zu Russland einerseits und Umfragen unter Bürgern: Dort zeigt sich, dass viele Deutsche nicht in Furcht vor Russland und Putin leben. Beobachten Sie diese Ungleichheit auch in Großbritannien?

Ja, hier ist es genau das Gleiche. Wie in Deutschland werden auch in Großbritannien die großen Medien zunehmend in Frage gestellt, viele Menschen wenden sich von den Medien ab. Es gibt eine starke Diskrepanz zwischen dem kreierten Medienbild und den Überzeugungen vieler Bürger.

Viele Briten lieben zum Beispiel die russische Kultur, etwa das Bolshoi, das jedes Jahr hier gastiert. Oder das Maslenitsa-Festival in London, wo viele normale Briten russische Kultur genießen. Das kann ein Weg sein, jenseits der Politik zu Verständigung zu gelangen. Wenn die Menschen sich begegnen, kommen sie miteinander aus. Die meisten Briten interessieren sich wie gesagt nicht für die „russische Gefahr“.

Solange die Politik sich sperrt: Sind also Kultur und Handel Wege der Annäherung?

Ja, die einzigen, die im Moment existieren. Offiziell gibt es keine Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Es gibt so gut wie keinen politischen Austausch und die Stimmung ist feindlich. Aber: Unter der Oberfläche und angesichts des nahenden Brexit versucht die britische Regierung wohl doch ins russische Geschäft zu kommen. Der neue britische Botschafter in Moskau agiert sehr für wirtschaftlichen und kulturellen Austausch, dabei werden politische Themen möglichst ausgespart. Aber auf realer technischer Ebene gibt es eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Ländern. Dazu kommen persönliche Verbindungen: In London leben 400.000 Russen. Sie können nicht durch die Stadt laufen, ohne Russisch zu hören.

Wenn die Angriffe gegen eine Verständigung mit Russland so stark sind – wie wird dann mit Ihrer Person und dem WRF umgegangen?

Ich bin permanenten Angriffen ausgesetzt. Ich wurde mehr als einmal „Verräter“ und alle möglichen anderen Namen genannt. Es reicht, einmal einen Kommentar pro Verständigung zu schreiben, Sie werden die negativen Berichte dann nicht mehr los. Wir vom WRF haben für uns also beschlossen, dass wir uns nicht mehr um die negativen Kampagnen kümmern. Die Leute denken eben, was sie über uns denken.

Ist das WRF tatsächlich die einzige britische politisch-mediale Initiative von Relevanz, die sich für Verständigung einsetzt?

Da die Politiker sich nicht trauen, sich für einen Dialog mit Russland einzusetzen, bleiben im Moment nur wir. Es gibt zwar jene 30-40 Parlamentarier, die offen für einen Dialog wären – aber niemand würde das offen zugeben. Da also die parlamentarischen Verbindungen, etwa zum russischen Parlament Duma, auf Eis liegen, haben wir als WRF begonnen, Reisen für Parlamentarier zu organisieren und Treffen mit Duma-Mitgliedern für einen Austausch.

Das besondere Problem in Großbritannien ist, das im Moment alles vom Brexit überschattet wird: Dagegen erscheinen alle anderen Themen als unwichtig. Als Organisation haben wir zum Brexit eine neutrale Position. Der kulturelle Austausch mit Russland ist bereits stark. Auf politischer Ebene möchte aber niemand zugeben, dass er bessere Beziehungen wünscht. Darum sollte als alternative Verbindung wenigstens der Handel mit Russland nach einem möglichen Brexit ausgebaut werden. Es gibt aber auch dort Bereiche – etwa Sicherheit und Energie – die ausgespart werden sollten.

Sie sagen, dass es eine signifikante parlamentarische Gruppe gäbe, die für Entspannung mit Russland eintritt. Diese Gruppe traut sich aber nicht vorzutreten, wegen der zu erwartenden Medienkampagnen. Kann man dann die Medien als Hauptproblem der britisch-russischen Eskalation bezeichnen?

Ja, absolut. Etwa die Berichterstattung zur Fußball-WM war wie die zur Olympiade 1980. Davon angesteckt, haben sogar Parlamentarier den Boykott der Fußball-WM gefordert. Die Skripal-Affäre hat die Stimmung zusätzlich vergiftet. Dieses Zusammenspiel aus billigem Journalismus und selbstverliebten Politikern ist das Problem. Und es ist im Interesse dieser Gruppen, einen Schurken wie Putin zu haben, dann werden weniger Fragen gestellt. Wenn man in die britischen Medien blickt, denkt man, Russland wolle Dover bombardieren. Im besten Fall gibt es neutrale Artikel – niemals pro. Die WM war aber möglicherweise ein Wendepunkt: Trotz der angstmachenden Berichterstattung sind tausende Briten nach Russland gefahren – und sie sind zurückgekommen und haben eine andere Geschichte erzählt. Die spricht sich dann herum.

Titelbild: ID1974 / Shutterstock


Zur Person: Nicholas Cobb – der britische Blogger, Berater und Geschäftsmann ist seit 2014 Teil des Westminster Russia Forum.