„Permanentes Misstrauen ist oberste Bürgerpflicht“, wenn es um die Berichterstattung der Medien geht. Und: „Wer Nachrichten mit gesicherten Informationen verwechselt, der frisst auch gelben Schnee.“ Mit diesen klaren Worten äußert sich der Kabarettist Henning Venske im NachDenkSeiten-Interview. Venske, der im April dieses Jahres seinen 80. Geburtstag feiert, wirft im Interview einen kritischen Blick auf die Medien. Am Journalismus unserer Zeit fällt ihm auf, „dass kaum eine wichtige gesellschaftspolitische Entscheidung ohne Propaganda-Kampagnen zustande kommt.“ Ein Interview von Marcus Klöckner.
Herr Venske, in Ihrem Buch führen Sie ein Zitat von George Orwell an: „Journalismus ist, etwas zu veröffentlichen, von dem andere nicht wollen, dass es veröffentlicht wird. Alles andere ist Propaganda.“ Welche Bedeutung kommt diesem Zitat heute zu?
Das Zitat ist mittlerweile eine Binsenweisheit. Nehmen wir mal als Beispiel die alljährlich wiederkehrende Vogelgrippe. Da verfügt dann das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit die Stallpflicht für Geflügel. Schuld daran seien Wildvögel, heißt es, die auf ihrem Vogelzug das Virus aus Ostasien zu uns bringen. Aber in Wirklichkeit grassiert das Virus H5N8 im Warenaustausch der Geflügel-Industrie, die Eintagsküken nach Asien exportiert und von dort Tierfutter importiert. Das soll aber nicht publik werden, denn durch die Stallpflicht wird die lästige Bio-Bauern-Konkurrenz mehr oder minder ausgeschaltet, wohingegen die Verursacher der Vogelgrippe profitieren. Wenn die Öffentlichkeit erfährt, dass die Vogelgrippe von der Industrie produziert wird, drohen möglicherweise Exportverbote, und das wäre finanziell recht ärgerlich. Die Verantwortlichen in den Landwirtschaftsministerien, das Management der Geflügelindustrie und die Medienmitarbeiter, die lieber schweigen statt aufzuklären, halten eine Gefährdung der Menschen für wünschenswerter als Nachteile für die Industrie. Auch etwas zu verschweigen, ist ein probates Mittel der Propaganda.
Als Kabarettist haben Sie immer wieder intensiv die Berichterstattung der Medien verfolgt. Was fällt Ihnen am Journalismus unserer Zeit besonders auf?
Man bemüht sich, mein Unterhaltungsbedürfnis zu befriedigen. Amüsant zum Beispiel die Berichterstattung über das, was die CIA-Geheimdienstler über russische Staatshacker in die Öffentlichkeit lancieren. Ausgerechnet die CIA – waren das nicht die gleichen Leute, die damals behauptet haben, dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen besitzt?
Dann ist mir aufgefallen, dass kaum eine wichtige gesellschaftspolitische Entscheidung ohne Propaganda-Kampagnen zustande kommt: Für die Austeritätspolitik und für den Exportweltmeister Deutschland, gegen die „Pleitegriechen“, gegen die gesetzliche Rente und für die Förderung der privaten Altersvorsorge, gegen jeden Streik und alle Streikenden, für mehr Geld für die Rüstung, für die Auto-Industrie und gegen die Besitzer von Dieselfahrzeugen, gegen Russland und Putin und gegen die Antifa sowieso. Und wie wirksam Medienpropaganda ist und wie wenig sogar ein Kanzlerkandidat das durchschaut, wurde deutlich, als Martin Schulz in einem Interview aus der Zustimmung von SPD-Funktionären zu dem Freihandelsabkommen TTIP auf eine breite Zustimmung in Deutschland schloss.
Mediennutzer stehen vor einem altbekannten Problem: Sie haben kaum die Möglichkeit genau zu überprüfen, ob das, was Medien berichten, auch tatsächlich der Wahrheit entspricht.
Stimmt. Wer wissen will, was in Syrien, im Irak oder im Jemen wirklich los ist, wer die Weißhelme bezahlt, warum deutsche Soldaten in Mali stationiert sind oder warum sie sich immer noch in Afghanistan aufhalten, ist aufgeschmissen: Die Meinungsführer in den Medien betreiben Indoktrination, und was nicht ins Propagandabild passt, wird weggelassen. Wenn USA und Nato Raketen einsetzen, dann sind das chirurgische Präzisionsschläge, die der Freiheit dienen. Die Russen hingegen bombardieren zum Zweck der Unterdrückung vor allem Alte, Frauen und Kinder. In der Moskauer Propaganda ist es umgekehrt. Einig ist sich die Propaganda beider Seiten in der Behauptung: Man muss auf jeden Fall Bomben werfen, um Frieden zu schaffen.
Wie nehmen Sie die Berichterstattung zu Russland und die Krise in der Ukraine wahr?
Dazu muss man wissen, dass der Russe im Lauf der Geschichte Deutschland immer wieder überfallen hat. Der Russe hat schon Karl dem Großen die sächsische Schweiz weggenommen, er hat den 30-jährigen Krieg angefangen, er hat Dithmarschen okkupiert und die Holsteiner ausgerottet, er hat dem deutschen Reich die Kolonien geraubt und Kaiser Wilhelm bis nach Holland gejagt. Schließlich hat der Russe sogar dem absolut friedfertigen deutschen Nazireich einen Krieg aufgezwungen und Hamburg belagert und ausgehungert. Kein Wunder, dass schon der Führer Adolf Hitler russische Panzer in Berlin eher kritisch sah… Es ist also verständlich, wenn „Bildzeitung“ und „BZ“ in Berlin eine Petition starten wegen des Sowjetischen Ehrenmals. Zitat: „In einer Zeit, in der russische Panzer das freie, demokratische Europa bedrohen, wollen wir keine Russen-Panzer am Brandenburger Tor.“ Will man die Situation etwas weniger pointiert beschreiben: Kapitalismus herrscht hüben wie drüben, und der Konkurrenzkampf innerhalb des globalen Kapitalismus zwischen Oligarchen einerseits und Heuschrecken andererseits wird von der deutschen Propaganda verkauft als Überlebenskampf der guten westlichen Demokratien gegen die finstere post-bolschewistische Diktatur.
Wie erklären Sie sich diese Berichterstattung?
Eindeutig: Druck „von oben“. Und der verursacht: Angst, Feigheit, Bestechlichkeit, Gleichgültigkeit, Faulheit und Dummheit. Viel Dummheit.
Worauf sollten kritische Mediennutzer achten?
Am besten fängt man damit an, nicht nur den Inhalt, sondern den Stil der Berichterstattung unter die Lupe zu nehmen. Beginnt ein Bericht mit „Ganz Deutschland“ – kann man sicher sein: das ist schon gelogen. Alles und jeden mit Superlativen aufzumotzen („Die meiste Kreditkarte“) und das allseits beliebte „Ranking“ sind die beliebtesten Stilmittel und immer Anzeichen für Manipulation. Wenn in einer Rundfunkserie mit dem anmaßenden Titel „Die größten Lügen des 20. Jahrhunderts“ (NDR-Kultur) Dieter Wedel als Regisseur des Films „Schtonk“ genannt wird statt Helmut Dietl, dann fragt man sich selbstverständlich: Was haben sich Autor und Redaktion in dieser Sendereihe sonst noch so zusammengelogen? Besonders wichtig aber ist es, in allen Meldungen nicht nur die Bilder ganz genau anzuschauen, sondern auch die Wortwahl zu überprüfen. Als das ZDF in seiner Ukraine-Berichterstattung Mitglieder des Asow-Bataillons zeigte, die für die ukrainische Regierung in der Stadt Mariupol kämpften, sah man an deren Montur und Helmen Hakenkreuze und SS-Runen. Der Kommentar dazu lautete: „Freiwilligenbataillone aus nahezu jedem politischen Spektrum verstärken die Regierungsseite“. „Freiwillige“ und „breites Spektrum“ – das sind positiv besetzte Begriffe – offenbar sollen die Zuschauer sich schon mal daran gewöhnen, dass in Mariupol die westliche Freiheit von Einheiten verteidigt wird, die der NS-Ideologie anhängen. Und wenn die Tagesschau meldet: „Gestern war bekannt geworden, dass die CDU-Zentrale von Kanzlerin Angela Merkel Ziel eines vermutlich aus Russland gesteuerten Hacker-Angriffs geworden ist. Hinter der Attacke werden russische Hacker mit staatlichem Hintergrund vermutet“, dann ist das eine plumpe Verarschung, denn „vermuten“ heißt: Nicht wissen, aber labern. Also: permanentes Misstrauen ist oberste Bürgerpflicht. Denn wer Nachrichten mit gesicherten Informationen verwechselt, der frisst auch gelben Schnee.
Lesetipp: Venske, Henning: Summa Summarum. Ultimative satirische Abrechnungen, gemein aber nicht unhöflich. Westend Verlag März 2019.
Foto: Kipling Phillips/NDR