In der letzten Zeit bin ich mehrmals Menschen begegnet, die von der Idee der Seidenstraße zwischen China und Europa geschwärmt haben. Viele schwärmen davon: Die Wirtschaftswoche zum Beispiel. Oder die italienische Regierung und die junge welt, wie heute in den Hinweisen des Tages berichtet. Das sind Zeichen und Beleg einer aus Gedankenlosigkeit folgenden Bewunderung eines großen Infrastrukturprojektes. Dabei ist kein bisschen bedacht, was wir in Zeiten hoher Emissionen von Schadstoffen in die Luft und Plastik in den Meeren bräuchten: Verkehrsvermeidung statt die weitere Ausweitung des Verkehrs. Insofern steht schon die Grundidee der Seidenstraße im Widerspruch zu dem, was notwendig wäre. Albrecht Müller.
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Zweifellos enthält das Projekt Elemente, die begrüßenswert sind: Arbeit und Brot für Menschen in bisher darniederliegenden Volkswirtschaften zwischen China und Europa, die Völkerverbindung und Völkerverständigung , die Zusammenarbeit sehr verschiedener Menschen und Volkswirtschaften.
Ansonsten aber widerstrebt das Projekt allem, was wir heute für notwendig halten müssen: Regionalisierung der Produktion und des Verbrauchs, kleinräumigere Arbeitsteilung, Vermeidung von zusätzlichem Güterverkehr und der mit der internationalen Arbeitsteilung verbundenen Ausweitung des Luftverkehrs.
Dass Letzteres weiter stattfindet, kann man sich nämlich an fünf Fingern abzählen: Wenn die Produktion von Gütern, die in einem Land oder Kontinent genutzt werden, weit entfernt stattfindet, dann hat das notwendigerweise auch Folgen für den Flugverkehr: es muss entwickelt, es muss koordiniert, es muss besprochen werden und trotz aller Fortschritte der Telekommunikation bleibt immer noch die Notwendigkeit zum persönlichen Austausch.
Die Bewunderung für das Projekt Seidenstraße hat eine ähnliche Grundlage wie das Schwärmen vom Freihandel.
Dass Freihandel per se etwas Gutes sei und dass man ihn fördern und ausweiten soll, war die Grundlage der Agitation für die verschiedenen Freihandelsabkommen. Auch hier die übliche Gedankenlosigkeit. Man übernimmt das Vorurteil, dass freier Handel sich in jedem Fall lohnt und fragt nicht mehr, was für Konsequenzen die Ausweitung des Handels und des Güter- und Personenverkehrs für Umwelt und Natur, für die Verwendung und Verschwendung der Ressourcen in der Welt hat.
Der Text in der “jungen Welt” enthält nebenbei einen der typischen Denkfehler: Da wird aus dem Export von Gütern etwas per se Gutes gemacht. China produziert zu viel; der heimische Bedarf, so die scheinbar unbestrittene Grundannahme, reicht nicht zur Abnahme der Produktion; deshalb soll die Überproduktion exportiert und woanders abgesetzt werden. Und das ist gut. – Das sind Denkweisen geläufiger Denkschulen. Sie werden nicht davon richtiger, dass sie geläufig sind.
Für die Seidenstraße wird unter anderem mit einem Foto geworben, auf dem ein in Duisburg ankommender Eisenbahnzug aus China abgebildet wird. Dieses Foto hinterlässt offensichtlich vor allem bei Männern einen nachhaltigen Eindruck. Das läuft vermutlich über die geprägte Emotion des modelleisenbahnspielenden deutschen Jungen. Und wird dann als quasi richtig übertragen auf die Realität einer Volkswirtschaft und Weltwirtschaft. Und es wird nicht einmal das Primitivste gefragt, nämlich: wie viele Züge dieser Art müssen rollen, um die Container eines einzigen Containerschiffes zu transportieren. Das soll keine Werbung für Containerschiffe sein. Es soll nur darauf hingewiesen werden, wie irrational die Debatte um die Seidenstraße auch hier ist.
Titelbild: My Portfolio / Shutterstock