Hans-Jürgen Arlt, Wolfgang Storz: „Wirtschaftsjournalismus in der Krise“
Zum massenmedialen Umgang mit der Finanzkrise hat die Otto-Brenner-Stiftung eine Studie vorgelegt, die die journalistische Arbeit der ARD-Redaktion Aktuell, der (Basis-)Nachrichtenagentur DPA und von fünf überregionalen Tageszeitungen einer kritischen Analyse unterzieht. Der Kommunikationswissenschaftler und Publizist Hans-Jürgen Arlt und der Sozialwissenschaftler und bis 2006 Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, Wolfgang Storz fragen danach, ob der Wirtschaftsjournalismus die Herausforderungen, vor denen er sich vor und während der Krise gestellt sah und sieht bestanden hat oder nicht?
Das Resümee: „Der tagesaktuelle deutsche Wirtschaftsjournalismus hat als Beobachter, Berichterstatter und Kommentator des Finanzmarktes und der Finanzmarktpolitik bis zum offenen Ausbruch der globalen Finanzmarktkrise schlecht gearbeitet“. Die Autoren plädieren für eine öffentliche Debatte über die Produktionsbedingungen im Journalismus.
Wir empfehlen die Lektüre dieser Studie, fassen ihre Ergebnisse kurz zusammen und erlauben uns einen kurzen Kommentar. Wolfgang Lieb
Die Krise hat keinen Namen
Die Autoren stellten schon in ihrem Vorwort selbst überrascht fest, dass die tiefgreifendste Krise seit 8o Jahren noch nicht einmal einen Namen hat. Arlt und Storz benennen die Finanzmarktkrise selbst, eine „globale Krise der Großen Spekulation“.
„Der tagesaktuelle deutsche Wirtschaftsjournalismus stand dem globalen Finanzmarkt gegenüber wie ein ergrauter Stadtarchivar dem ersten Computer mit einer Mischung aus Ignoranz und Bewunderung, ohne Wissen, wie er funktioniert, ohne Ahnung von den folgenreichen Zusammenhängen, die sich aufbauen; im Zweifel schloss man sich der vorherrschenden Meinung an. Die weltweite Krise des Finanzmarktes, die globale Krise der Großen Spekulation, löste auch eine Krise des Wirtschaftsjournalismus aus“, so heißt es in der Zusammenfassung.
Während die Tageszeitungen im Krisenverlauf Sachkompetenz und kritische Distanz aufbauten, ließen die DPA_meldungen und die „Tagesschau“ bzw. „Tagesthemen“-Sendungen keinen Qualitätszuwachs erkennen: „Sie blieben sensationell schlecht“. Kritisches Wissen sei vom Mainstream ignoriert oder abgelehnt worden. Dass Wirtschaftswissenschaften und Regierungspolitik von den Krisengefahren nichts wissen wollten, sei jedenfalls keine Entschuldigung für den Journalismus.
Für praktizierende Journalisten ist es nicht erstaunlich, dass ihre Studie in der Frage nach den Arbeitsbedingungen von Journalisten mündet, die es ihnen ermöglichten ihre Arbeit besser oder gar gut zu machen. Sie fordern eine öffentliche Debatte über die Produktionsbedingungen der veröffentlichten Meinung.
7 Thesen
Arlt und Storz fassen ihre Studie in 7 Thesen zusammen:
- In den Vorwürfen gegenüber dem Versagen des Wirtschaftsjournalismus stecke einerseits berechtigte Kritik andererseits werde auch nach einem Sündenbock gesucht. Auf sich alleine gestellt, sei er gegenüber Politik, Wirtschaftsverbänden oder den Wirtschaftswissenschaftlern überfordert seine Warnfunktion auszuüben.
- Andererseits gehörten gerade Krisensituationen zu den bevorzugten journalistischen Themen. Von den drei verschiedenen journalistischen Möglichkeiten a) von der ausdrücklichen Zustimmung zu Entscheidungen, b) der ungenügenden Information über ihre Risiken und c) der Veröffentlichung warnender Hinweise, sei die dritte Möglichkeit nicht ernsthaft ergriffen worden.
- Die Produktionsbedingungen der Medien seien darauf angelegt, das zu bedienen, was beim Publikum ankommt. So hätten die Boni-Zahlungen einen sachlich unangemessen großen Raum eingenommen, weil sie die komplexe Problematik auf eine moralische Ebene verlagerten, die Publikumsinteresse, Quote und Auflage sicherte. Um kritische Perspektiven zu öffnen, müssten jedoch kontroverse Gegenüberstellungen, die auch Minderheitenpositionen Gehör verschafften, zum handwerklichen Prinzip werden.
- Der Blick der Wirtschafsakteure gelte dem Marktgeschehen. Der ökonomische Markt existiere neben dem Journalismus, der politische Meinungsmarkt durch den Journalismus. Wirtschaftsjournalismus habe immer noch etwas von der Einmischung in Privatangelegenheiten an sich und habe bei weitem nicht die Informationsrechte und Zugänge wie der Politikjournalismus, das zeige sich etwa auch beim Unterschied im journalistischen Umgang zwischen Landes- und Privatbanken. Das grundsätzliche Problem des Wirtschaftsjournalismus sei, dass er „die jeweils herrschenden wirtschaftlichen Verhältnisse mit ihren dazu gehörenden Werten und Normen … nicht in Frage stellt, sondern als Grundlage der eigenen Arbeit akzeptiert.“
- Dem Wirtschaftsjournalismus habe es an Fachwissen für das Wesen der Finanzmärkte und an Kenntnissen über die Vernetzungen zwischen Finanzmärkten, Realwirtschaft und Politik gemangelt. Zwar hätte es ausgiebige betriebswirtschaftlich ausgerichtete Berichterstattung über Finanzprodukte, Anlagestrategien oder Börsentrends gegeben, die gesellschaftliche Perspektive der Finanzmarktpolitik sie jedoch fast komplett durch- und damit weggefallen.
- Die Arbeit an der Aktualität werde viel zu hoch, die Arbeit der Analyse und Erläuterung viel zu gering geschätzt. Wo die Orientierung fehle, da nütze auch die am schnellsten übermittelte Nachricht nichts.
- „Die journalistischen Defizite im Umgang mit der Großen Spekulation sollten Platz geschaffen haben für die Erkenntnis, dass Investitionen in guten Journalismus und die Verbreitung seiner Produkte Investitionen in die gesellschaftliche Risikovorsorge, in die Infrastruktur der Demokratie und in die Mündigkeit der Bürger sind. Wenn die Gesellschaft das journalistische System als eines ihrer Frühwarnsysteme haben will, dann muss es materiell, rechtlich und ideell auch so ausgestattet werden, dass es dieser Aufgabe besser als bisher nachkommen kann“, so der Appell der Autoren. Sie fordern eine Medienpolitik, die die Unabhängigkeit des Journalismus fördere, indem sie dessen Rahmenbedingungen verbessere. Erforderlich sei vor allem auch eine Debatte über die Leistungen des öffentlich-rechtlichen Mediensystems, das eine Vorbildfunktion haben sollte. Man müsse darüber hinaus kleine und mittlere Organisationen die mit bescheidenen Mitteln Medien kritisch überwachten, mehr fördern. Es brauchte vielfältigere Unternehmensformen, Redaktionsstatute, höhere Transparenz und weniger Renditeorientierung bei den Medien.
Die Meßlatte oder der „Deutungsrahmen“, an dem die Autoren die Basisleistung der journalistischen Arbeit messen, ist, dass sie „informiert und orientiert“.
Die Studie stützt sich auf drei Methoden: auf eine quantitative Analyse, auf fünf Fallstudien und auf journalistisch geführte Interviews an Hand eines Leitfadens mit Gesprächspartnern aus den untersuchten Medien, Wirtschaftsjournalisten und Wissenschaftlern.
Lesenswert und breit ausgeführt ist die Darstellung des politischen Rahmens, an dem sich die Autoren bei ihrer Kritik orientieren.
Fallstudien der Printmedien
Die Fallstudien über das Medienecho etwa über Hans Eichels Grundsatzrede (2002) über die finanzmarktpolitischen Vorstellungen der Bundesregierung (2003) oder über grundlegende Reden Peer Steinbrücks (2006 und 2008) oder als Gegenbeispiel einer Rede des DGB-Vorsitzenden Sommer belegen eindringlich, dass die untersuchten Massenmedien das Thema Finanzmarktpolitik weitgehend ignorierten. Sofern Berichterstattung überhaupt stattfand, wird die offizielle Politik der Bundesregierung wiedergegeben, weitgehend ungestört von kritischen Anmerkungen. Kritiker finden so gut wie nicht statt. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, ernteten sie das Schweigen der Massenmedien.
Vor der Krise
Danach erfolgt eine Auswertung von Beiträgen in den untersuchten Medien an Hand von finanzpolitisch relevanten Ereignissen vor der Finanzkrise (etwa der Rücktritt von Lafontaine als Finanzminister 1999, die Verabschiedung einzelner Finanzmarktgesetze, der „Heuschrecken“-Debatte 2005). Dabei ergab sich, dass der Mainstream die politischen Forderungen nach größeren Risikospielräumen für die Finanzmarktakteure teilweise sogar missionarisch unterstützte. Es galt die Parole „die große Freiheit für das große Geld“. Die Risiken galten als vernachlässigbar oder wurden komplett ausgeblendet.
Es lohnt sich diese Berichterstattung noch einmal Revue passieren zu lassen.
Fazit: Die untersuchten Qualitätsmedien hätten zwischen 1999 und 2005 die Mindesterwartungen an journalistische Arbeit nicht erfüllt.
Vorkrise
In einer zweiten Phase, der „Vorkrise“ des Jahres 2007 (G 8 in Heiligendamm, erstmalige Liquiditätshilfen der EZB) lautete die Hauptbotschaft „Die große Krise wird nicht kommen“, man schreibt – bis auf die taz als Ausnahme – allenfalls über die Gefahr einer konjunkturellen Abschwächung. Es seien hauptsächlich die Wirtschaftsakteure selbst zu Wort gekommen, die beschwichtigend reagierten und die meisten Redaktionen hätten diese Akteure bestätigt.
Offene Krise
Danach wird die Berichterstattung während der „offenen Krise“ (2008-2009) untersucht. Da habe zwar der Begriff der Krise den Spitzenplatz erobert, die Kriseninterpretationen seien jedoch vielseitig gewesen mit unterschiedlichen Schuldzuschreibungen. Zusammengefasst: „Viel Aufklärung, wenig Klarheit“. Zwar sei ausführlich über die Instrumente und Mechanismen des Finanzmarktes berichtet worden, aber tiefergreifende Analysen oder Reflexionen der Krisenursachen gab es nur vereinzelt. Die Redaktionen hätten sich vor allem von der Frage fesseln lassen, ob und wie der Staat die Rolle des Krisenmanagers ausfüllte. Es hätte eine Nachrichtenfülle gegeben, die zu einer Art „Informationswühltisch“ für das Publikum geworden sei. Dennoch fällt das Urteil der Gutachter nicht so schlecht aus, wie in den vorausgegangenen Phasen. In einer Ranfolge wird die FTD vor der taz bewertet, danach folgten das HB, die SZ und die FAZ.
Der Wirtschaftsjournalismus habe allerdings kaum ein Wort über seine Defizite in der Vergangenheit übrig gehabt.
Konsequenzen aus der Krise
Schließlich wird die Phase „Konsequenzen aus der Krise“ ausgewertet. Als „zu wenig und zu unentschlossen“ wird die Berichterstattung beurteilt. Zwar sei eine Qualitätssteigerung des Wirtschaftsjournalismus unverkennbar, doch die Warnungen, dass alles so weiter geht wie bisher, sei nicht klar und deutlich formuliert worden. HB, SZ und FAZ hätten im Gleichklang mit FTD und taz einen Perspektivwechsel hin zur besserer Kontrolle und strengeren Regeln für die Finanzmärkte vorgenommen, aber vor allem das HB, die FAZ und die SZ bewegten sich wie vorher im Rahmen der vorherrschenden Deutungsmuster, sie hätten nur einen gesellschaftlichen Sinneswandel nachvollzogen.
Die Bereitschaft zur Kritik an mangelnden Fortschritten in der Finanzmarktpolitik sei wenig ausgeprägt.
Das Fazit der Autoren lautet:
„Eine Branche, die keine Branche wie jede andere ist, sondern die
mit Geld und Krediten der gesamten Volkswirtschaft ein quasi-öffentliches Gut zur Verfügung stellt, hat in Deutschland in den vergangenen rund zehn Jahren ihren Charakter, ihre Regeln, ihre Ziele und ihre Geschäftsinhalte folgenschwer geändert. Dass sich der tagesaktuelle Wirtschaftsjournalismus von Qualitätszeitungen nicht der Aufgabe stellte, diese gravierenden Veränderungen kontrovers, im Für und Wider, zu beschreiben, sondern dass er erst von einer globalen Krise zur Beschäftigung mit dieser Entwicklung gezwungen werden musste, bewerten wir als schwere Verfehlung der journalistischen Arbeit.“
In einem kurzen Abschnitt wird eine Rangfolge der zitierten Experten augestellt: Ackermann (Deutsche Bank) und Axel Weber (Bundesbank) führen mit weitem Abstand, dann folgen (interessanterweise) Bofinger (Wirtschaftsweiser), Issing (Berater der Kanzlerin und von Goldman Sachs), Sinn (Ifo), Walter (Deutsche Bank) und der mit deutlichem Abstand andere „Experten“. Gewerkschafter kommen seltener vor als attac.
DPA – Informationsleistung hoch defizitär
Schlechter noch als die Tageszeitungen schneidet die weitreichendste Nachrichtenagentur dpa ab. Ein anderer Deutungsrahmen als die Schaffung eines weltweit wettbewerbsfähigen Finanzplatzes Deutschland komme nicht vor. Die Entwicklungen auf dem globalen Finanzmarkt seien für dpa bis 2007 entweder kein Thema oder kein Problem gewesen. Für die Agentur habe auf dem G 8 Gipfel in Heiligendamm dieses Thema keine Rolle gespielt. dpa habe sich in der Finanzmarktpolitik als offizielles Sprachrohr verstanden. Es habe keine schlechte Nachricht ohne Beruhigungsformel gegeben, kritischer Stimmen seien ausgeblendet worden.
In der Krise selbst sei dpa der klassischen Aufmerksamkeits-Dramaturgie gefolgt: hohe Erwartungen aufbauen, das mögliche Scheitern an die Wand malen, Hoffnungen aufkommen lassen, den Erfolg begrüßen.
„Der Deutungsrahmen für die Krise wird von zwei Grundannahmen getragen: Die Krise ist made in USA, die richtige Antwort auf die Krise made in Germany.“ In Summa: Die Informationsleistung von DPA in Sachen Finanzmarktpolitik ist hoch defizitär, die Orientierung, die DPA in diesem Zusammenhang gibt, ist Desorientierung, der finanzmarktpolitische DPA-Journalismus ist Trivialjournalismus.“
ARD Aktuell – devot gegenüber der regierenden Politik
Für Tagesschau und Tagesthemen gelte: „Was die Politik nicht anspricht, wird in den hier untersuchten Sendungen von den ARD-Journalisten auch nicht behandelt.“
Wenn Experten herangezogen worden seien, dann seien es Fachleute aus dem engen Bereich der Finanzwissenschaft und Bankbetriebslehre, sowie interessen-gebundene Fachleute (Sinn, Rürup, Gerke etc.) gewesen, deren Niveau in der Fachwelt nicht unumstritten sei. In einzelnen Phasen der Krise hätte sich die ARD auf die Rolle zurückgezogen, die passenden Stichworte für regierungsoffizielle Stellungnahmen vorzutragen. „Das journalistische Verhalten gegenüber der regierenden Politik und gegenüber Vertretern der Wirtschaft kann eigentlich nur als devot bezeichnet werden.“
„Der Eindruck ist, die Redaktion flieht vor allen Zusammenhängen und flüchtet sich in eine überdurchschnittlich intensive Berichterstattung von journalistisch-handwerklich und organisatorisch vergleichsweise ‚leicht handhabbaren‘ Einzelfällen wie Gipfelkonferenzen, Pressekonferenzen der Politik in Berlin, Hypo Real Estate, Opel, Arcandor, IKB, KfW, die dann von der Redaktion zusammenhangslos in die Krisen-Landschaft gesetzt werden. Dazu passt auch die Tendenz, die Themen Wirtschaftskrise und Finanzmarktkrise nach und nach voneinander zu trennen und damit die vielfältigen Zusammenhänge zu ignorieren. Die Frage, wer die Folgen der Krise zu tragen hat, wird kritisch nicht befragt, sondern festgehalten, als sei dies selbstverständlich: die fetten Jahre sind vorbei, auf die Arbeitnehmer kommen harte Zeiten zu, der Steuerzahler.“
„Viel Börse, so gut wie keine (Volks-)Wirtschaft“ wird der Medienkritiker Bernd Gäbler treffend zitiert.
Fazit: „Es mangelt nach unseren Analysen an der Einhaltung von journalistischen Grundfertigkeiten: bei der Auswahl der Perspektiven, der Setzung der Themen, bei der Verständlichkeit der Umsetzung der Themen.“
Interviews
Am Ende der Studie schließen sich noch ausführliche und vielsagende Interviews mit Experten an u.a. mit Michael Best von der ARD-Börsenredaktion, Gerald Braunberger von der FAZ, Oliver Stock vom Handelsblatt, Marc Beise von der Süddeutschen Zeitung, Malte Kreutzfeldt von der taz, Robert von Heusinger von der Frankfurter Rundschau, Rainer Hank von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und einigen Fachwissenschaftlern an.
Die verantwortlichen Vertreter von dpa und die Vertreter von Tagesschau und Tagesthemen lehnten übrigens Gespräche ab, der Chefredakteur von ARD-Aktuell mit der Begründung, es gebe keinen Verantwortlichen für Finanzmarkt- und Wirtschaftsberichterstattung in der Redaktion.
Die meisten Gesprächspartner gehen davon aus, dass der Wirtschafts- und Finanzmarktjournalismus Distanz zu den Subjekten und Objekten seiner Berichterstattung verloren hat. Als Gründe werden genannt: die Abhängigkeit vom Wissen der Akteure, die Anforderungen an Exklusivität und aktueller Information von diesen Akteuren, die häufig nur über inhaltliche Anpassung gelinge („Schmiergeld der Nähe“), die Homogenität der Wirtschaftswissenschaften und des herrschenden Paradigmas der Markt-Gläubigkeit, die Sorge vor einem Außenseiterdasein gelte eben auch für Journalisten.
Anmerkung
So kritisch Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz an Hand der Berichterstattung über die Finanzmarktpolitik und die journalistische Aufarbeitung der Finanzkrise mit den untersuchten Medien umgehen und so wichtig ihre gut belegten Befunde sind, so sehr sind sie als Journalisten – verständlicherweise – Gefangene ihrer zugrunde gelegten Wertmaßstäbe eines qualitativ hochwertigen Journalismus. Dabei bleibt – notwendigerweise – das Phänomen ausgespart, dass sich in den letzten Jahrzehnten Verlage und von ihnen eingesetzte Chefredakteure mit den wirtschaftlich und politisch Mächtigen geradezu verbündet haben.
Statt Vorsicht und Abstand erleben wir bei vielen Journalisten Nähe und Kooperation mit Wirtschaft und Politik, wir beobachten Kampagnen- statt kritischen Journalismus, Nachplappern statt Analyse. Vor allem aber gibt es eine Verneigung vor den Mächtigen und nur wenig Empathie für die Schwächeren in dieser Gesellschaft.
Albrecht Müller ist in seinem Buch „Meinungsmache“ diesen Phänomenen nachgegangen.
Was die Autoren dieser Studie für die Finanzkrise herausgearbeitet haben, gilt leider nicht nur für dieses Thema. Wir haben die gleiche unkritische Begleitung, ja sogar massive Unterstützung bei der Verkündung und Umsetzung der Agenda-Politik erlebt, wir beobachten sie etwa beim Mindestlohn, bei der Demographie-Debatte, bei der Propagierung der Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge. Man könnte noch viele andere Themen nennen, wo wir eine Verarmung der öffentlichen und veröffentlichten Debatte feststellen könnten. Das Versagen der meisten Medien im Vorfeld und im Zusammenhang mit der Finanzkrise ist nur das eklatanteste Beispiel. Noch heute wird die Bankenrettung unkritisch gelobt und bis jetzt hat kaum ein Medium danach gefragt, was eigentlich das „systemische Risiko“ einzelner mit viel Geld geretteten Banken ausmachte. Bürgschaften und Kapitalzuschüsse werden ohne öffentliche Debatte in geheim tagenden Gremien erteilt.
Die Annäherung und unkritische Identifikation eines großen Teils gerade der Verantwortungsträger in den Medien mit den Eliten in Politik und Wirtschaft war zwar nicht Gegenstand der Studie, doch sie erklären eigentlich erst ihre Befunde.
Zu einer umfassenden Analyse der Befindlichkeiten des Journalismus müsste darüber hinaus noch der Einfluss des krebsartig wuchernden Lobbyismus und die Wirkung der wirtschaftsnahen Think-Tanks und ihrer Propagandaagenturen auf die veröffentlichte Meinung gehören. Es müssten die Mechanismen durchleuchtet werden, wie etwa die Bertelsmann Stiftung oder die Initiative Neue Marktwirtschaft die journalistischen Themen besetzen und wie wenig distanziert mit interessenbezogenen „Experten“ in den Medien umgegangen wird.
Dennoch Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz waren mit ihrer Analyse mutig, sie haben gegen das Gesetz verstoßen, dass eine Krähe der anderen kein Auge aushackt. Das wird ihnen vermutlich den breiten Widerstand, wenn nicht sogar den Vorwurf der Nestbeschmutzung von ihren journalistischen Kollegen einbringen. Oder ihre Studie wird – wie üblich – wenn es um journalistische Selbstkritik geht, einfach totgeschwiegen.