Hinweise des Tages
Heute unter anderem zu folgenden Themen: Das Ende der falschen EU-Prinzipien; Tarifflucht im Westen gestoppt; Kettenverträge; Middelhoff macht mit 10 Millionen pleite; Mythos vom weltweiten Arbeitsmarkt für Manager; Immobilienkrise erreicht die US-Mittelschicht; Netzsperre über Brüssel; Nahles wirft FDP Wahlbetrug vor; TV-Kritik Anne Will. (KR/WL)
- Lucas Zeise – Das Ende der falschen EU-Prinzipien naht
- Beschäftigung: Tarifflucht im Westen gestoppt
- Kettenverträge statt Kündigungsschutz
- Bank soll Middelhoff zehn Millionen gezahlt haben
- Spitzengehälter für Manager – der Mythos vom weltweiten Arbeitsmarkt
- Immobilienkrise erreicht die US-Mittelschicht
- Erneute Netzsperren-Diskussion aus Brüssel
- SPD: Nahles wirft FDP Wahlbetrug vor
- TV-Kritik “Anne Will”: Nichts hören, nichts sehen
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind.
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- Lucas Zeise – Das Ende der falschen EU-Prinzipien naht
Tragödie in Griechenland, Prinzipienreiterei in Deutschland: Die Krise zeigt, warum Regeln wie die No-Bailout-Klausel oder der Stabilitätspakt scheitern müssen.
Im Schlussakt des Theaterstücks mit dem Titel “Griechenland und Euro” bestand eine Akteurin auf sinnloser Prinzipienreiterei. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat sich eine glatte Niederlage, einen Prestigeverlust und zugleich den Ruf einer Dampfwalze eingehandelt. Glatt, opportunistisch und klug verhielt sich dagegen EZB-Präsident Jean-Claude Trichet. Er hat sich gerade noch rechtzeitig und ohne erkennbare Reue von Prinzipien verabschiedet, die nicht durchzuhalten waren.
Am Schluss kam heraus, was herauskommen musste: Es wird eine finanzielle Unterstützung der Euro-Länder für Griechenland geben. Die No-Bailout-Klausel des Maastricht-Vertrags wird ausgehebelt. Der Haftungsausschluss eines Euro-Landes für ein anderes gilt nicht mehr. Nach all den Pirouetten, die die deutsche Regierung gedreht hat, ist das Ergebnis der in der vergangenen Woche in Brüssel getroffenen Vereinbarung sogar noch fast positiv zu nennen.
Warum interessiert gerade diese Bailout-Frage die deutsche Regierung so brennend? Wie kommt es, dass die Kanzlerin so aussieht, als ließe sie sich von chauvinistischen Parolen eines Großteils der Presse (Stichwort “faule Griechen”) vor sich hertreiben? Vermutlich hat sie Angst, dass ihr die treuesten Anhänger von der Fahne gehen.
Quelle: FTD - Beschäftigung: Tarifflucht im Westen gestoppt
Im vorigen Jahr haben in Westdeutschland rund 64 Prozent der Beschäftigten in einem Betrieb gearbeitet, in dem ein Branchen- oder Firmentarifvertrag galt. Zu diesem Ergebnis kommen die Forscher Peter Ellguth und Susanne Kohaut vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in einer Studie. Damit ist die Zahl der Arbeitnehmer, die nach Tarif bezahlt werden, erstmals seit langem wieder leicht gestiegen. Schaut man sich die langfristige Entwicklung an, dann haben Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände in der ganzen Republik deutlich an Einfluss verloren. Deutschland hat damit einen Sonderweg eingeschlagen. In anderen Euroländern ist die Tarifbindung viel höher als hierzulande. Das zeigt beispielsweise eine Unternehmensumfrage, die die Europäische Zentralbank (EZB) vor einem Jahr veröffentlicht hat. Demnach wenden im gesamten Euroraum satte 88 Prozent der Firmen einen Tarifvertrag an. In Deutschland sind es nur 52 Prozent. Dabei sind Firmenabkommen nicht berücksichtigt. Dennoch ist es keineswegs so, dass in allen anderen Euroländern die Gewerkschaften vor Kraft strotzen. So sind in Frankreich nicht einmal zehn Prozent der Beschäftigten Mitglied einer Gewerkschaft. Trotzdem gilt dort für rund 90 Prozent ein Tarifvertrag. Die Erklärung: Die Regierung in Paris kann sehr einfach Abkommen auf alle Unternehmen einer Branche ausweiten. Auch das Arbeitsministerium in den Niederlanden erklärt viele Tarifverträge für allgemeinverbindlich. In Österreich wiederum seien Unternehmen verpflichtet, den Wirtschaftskammern beizutreten, die mit Gewerkschaften Löhne aushandeln, erläutert Bispinck. Kurzum: In diesen Ländern unterstütze der Staat das Tarifsystem stärker als in Deutschland.
Quelle: FRAnmerkung Orlando Pascheit: Falsch wäre die Schlussfolgerung, dass die deutschen Verhältnisse einem inaktiven Staat geschuldet wären. Es blieb Rot/Grün vorbehalten, der schon seit den 80ern in der deutschen Gesellschaft innewohnenden neoliberalen Tendenz zum Durchbruch zu verhelfen und die Arbeitnehmerschaft ihrer Gestaltungsräume zu berauben. Das neue Regime schuf über Hartz I-IV einen vor 20 Jahren kaum vorstellbaren Niedriglohnsektor, der die Arbeitnehmerschaft einem ungeheuren Lohndruck aussetzte, der wiederum die Gewerkschaften enorm schwächte. Der Staat verweigerte den in Europa üblichen Mindestlohn und befreite stattdessen das Finanzkapital. Masseneinkommen und damit Binnenkaufkraft wurden auf dem Altar der preislichen Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Exportkapitals geopfert. Unter einer SPD geführten, später beteiligten Regierung sank der Organisationsgrad der deutschen Arbeitnehmerschaft um über 10 Prozentpunkte.
- Kettenverträge statt Kündigungsschutz
Fast jeder zweite neu geschlossene Arbeitsvertrag ist befristet. Nach dem Willen der Regierungskoalition dürften es künftig noch mehr werden.
Quelle: Böckler Impuls [PDF – 297 KB] - Bank soll Middelhoff zehn Millionen gezahlt haben
Als früherer Vorstandschef trug Thomas Middelhoff seinen Teil zur Pleite von Arcandor bei. Finanzielle Sorgen muss er sich allerdings nicht machen: Laut einem Medienbericht hat er einen hoch dotierten Beratervertrag von Arcandor-Großaktionär Sal. Oppenheim erhalten. Die Bank selbst hatte später auch mit Problemen zu kämpfen.
Quelle: WELT - Spitzengehälter für Manager – der Mythos vom weltweiten Arbeitsmarkt
Ist es der internationale Wettbewerb um die besten Köpfe, der die Bezahlung von Topmanagern in die Höhe treibt? Empirische Studien nähren Zweifel: Weltweit besetzen Unternehmen Spitzenpositionen überwiegend mit Landsleuten, vorzugsweise aus dem eigenen Haus.
Quelle: Böckler Impuls [PDF – 137 KB] - Immobilienkrise erreicht die US-Mittelschicht
Die Immobilienkrise frisst sich in die Mitte der Gesellschaft. Lange Zeit wurden die Probleme auf die berüchtigten Subprime-Kredite geschoben. Schuld hatten je nach Sichtweise gierige Banken, die in kurzfristigem Profitstreben Ramschhypotheken vergaben, ohne die Bonität zu prüfen. Oder die allzu Sorglosen, die ihren Traum vom Eigenheim erfüllten, ohne die finanziellen Folgen zu bedenken. Jetzt geraten mehr und mehr Hausbesitzer mit bislang makelloser Kreditbilanz in Not. “Oft reicht ein privater Schicksalsschlag, ein Jobverlust oder der Tod eines Angehörigen”, sagt Pilhofer. “Ein beängstigender Wandel.” 2009 wurden in den USA 3,2 Millionen Zwangsversteigerungen eingeleitet, so viele wie nie zuvor. In diesem Jahr werden noch mehr Menschen ihre Häuser verlassen müssen. Ende 2009 waren knapp sieben Prozent aller Immobilieneigentümer mit ihren Zahlungspflichten mehr als 60 Tage im Rückstand – der höchste Stand aller Zeiten und der sicherste Indikator, dass die Zahl der Immobilien, die unter den Hammer kommen, weiter steigen wird. Umwandlungen von Hypotheken waren vor einem Jahr die große Hoffnung der Obama-Regierung: Der Präsident, erst wenige Wochen im Amt, machte 75 Mrd. $ locker, um bis zu vier Millionen Schuldner mit einer Absenkung der Monatsraten in ihren Häusern zu halten. Im Februar 2010 gab das Finanzministerium den ernüchternden Zwischenstand bekannt: Gerade einmal 116.297 Hypotheken wurden umgewandelt. Allzu kompliziert sind die Vergabebedingungen, und auch die Banken ziehen nur zögerlich mit. Schließlich geraten viele Hypothekenbesitzer nach der staatlich subventionierten Zinssenkung erneut in Verzug. In jedem zweiten Fall wird die Zwangsversteigerung nur herausgezögert. Trotzdem weitet Obama die Bemühungen noch einmal aus: Am Freitag gab die Regierung in Washington bekannt, zusätzlich 14 Mrd. $ bereitzustellen, um vor allem arbeitslosen Schuldnern zu helfen. Wer sich für das Hilfsprogramm qualifiziert, muss vorübergehend deutlich weniger zahlen. Bis vor Kurzem wäre die Mortgage Bankers Association, ein Verfechter der freien Marktwirtschaft, gegen Schritte dieser Art gewesen. Jetzt ist die Lobby der Hypothekenbanken selbst im Zahlungsrückstand: Die Verbandszentrale in Washington ist wegen des Preisverfalls weniger wert als die Hypothek. Genau wie bei Millionen Privathäusern, deren Besitzer sich fragen müssen, ob es sich überhaupt lohnt, die Schulden zu begleichen.
Quelle 1: FTD
Quelle 2: FTD - Erneute Netzsperren-Diskussion aus Brüssel
Die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström plädiert jetzt für genau die Art von Netzsperren im Kampf gegen Kinderpornografie, die in Deutschland grandios gescheitert ist.
Die Europäische Kommission will alle EU-Staaten verpflichten, den Zugang zu kinderpornografischen Webseiten zu blockieren. Die geplanten Internetsperren sind Teil einer umfassenden Richtlinie zum Kinderschutz, die “mit den dunklen Ecken des Internets und den kriminellen Bildern von Kindesmissbrauch aufräumen”, wie die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström auf FAZ.NET schreibt. Den Entwurf der Richtlinie will Malström jetzt in Brüssel vorstellen. Würde sie umgesetzt, müsste Deutschland jene Internetsperren einführen, von denen sich die schwarz-gelbe Regierung gerade verabschiedet hatte.
Der Richtlinienentwurf, der der FAZ vorliegt, enthält 22 Straftatbestände, die die Mitgliedstaaten in nationales Recht aufnehmen müssten.
Quelle: ZeitAnmerkung WL: Man fragt sich, ob dies nicht das übliche Doppelpassspiel zwischen nationalen Regierungen und der EU-Kommission ist: Was man national nicht durchsetzen kann, wird über die europäische Ebene eingeführt.
- SPD: Nahles wirft FDP Wahlbetrug vor
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles hat das Einlenken der FDP in der Steuerpolitik als “Wahlbetrug mit Ansage” bezeichnet. Auch die Verschiebung ihrer Stufentarif-Pläne auf das Jahr 2012 sei irreal, sagte Nahles am Montag nach Beratungen des SPD- Präsidiums in Berlin. “Auch 2012 wird die finanzielle Situation der Kommunen nicht besser sein.” Die hochtrabenden Steuerpläne der FDP ließen sich auch dann nicht realisieren. Nahles warf der FDP “Trickserei auf leisen Sohlen” vor.
Quelle: FRAnmerkung Orlando Pascheit: Andrea Nahles gibt ein gutes Beispiel für die Unredlichkeit bzw. die Inkonsistenz einer wahllosen, allbereiten Kritik am politischen Gegner. Wie kann man diesem vorwerfen, er verwirkliche etwas nicht, das die eigene Partei auf das Heftigste ablehnt. Frau Nahles kritisiert, dass die FDP es nicht schaffe, ihre Steuersenkungspläne wie versprochen umzusetzen. D.h. heißt doch, um im Bild zu bleiben, dass sie es der FDP hoch anrechnen müßte, wenn sie es schaffen sollte, ihr Wahlversprechen einzulösen. – Sie sollte sich still in eine Ecke setzen und mit Freunden darauf anstoßen, dass der Kelch an uns vorüber gegangen ist. Und sich wappnen für den nächsten Anlauf der FDP.
- TV-Kritik “Anne Will”: Nichts hören, nichts sehen
Die Runde bei Anne Will am gestrigen Abend war effektvoll zusammengesetzt: Denn wenn es um das Thema befristete Arbeitsverträge und Lohndumping geht, kann man der Putzfrau Susanne Neumann aus Gelsenkirchen nichts vormachen. Sie macht den Job seit fast 30 Jahren und engagiert sich überdies als Betriebsrätin.
Es braucht nur eine kleine Reinigungskraft mit grellrot gefärbten Haaren, die sich gewerkschaftlich engagiert, und diese Wahrheit klingt lauter als alle Schönfärberei. Kein Wunder, dass die Marktliberalisierer Angst vor Betriebsräten haben.
Quelle: FR