Der Bundesfinanzhof (BFH) hat die Entscheidung des Hessischen Finanzgerichts vom 10.11.2016 aufgehoben und dorthin zurückverwiesen. Dieses hatte die Gemeinnützigkeit von attac mit dem Verweis auf die geleistete politische Bildung und die Förderung des demokratischen Staatswesens seinerzeit bejaht. Ein Bericht dazu siehe hier. Dann war der Vorgang zur Revision an den BFH verwiesen worden. Albrecht Müller.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Die obersten Finanzrichter betonen jetzt – vgl. Pressemitteilung – , die durch die Gewährung der Gemeinnützigkeit geförderte politische Bildungsarbeit setze “ein Handeln in geistiger Offenheit voraus”. Dem läuft es ihrer Meinung nach zuwider, wenn eine Organisation gezielt agiert, um die Öffentlichkeit für von ihr verfolgte Ziele zu gewinnen. Der BFH verweist dazu explizit auf Kampagnen des Bündnisses attac zu einem Sparpaket der Bundesregierung, zur Finanztransaktionensteuer, der Bekämpfung der Steuerflucht und zu einigen anderen Themen (siehe 3 der Entscheidung des BFH). „Geistig offen“ im Sinne des Bundesfinanzhofs dürfte keine der als gemeinnützig anerkannten Organisationen sein.
Wer sich für das Thema interessiert – das werden vermutlich viele Leserinnen und Leser der NDS sein – sollte sich den Text des Urteils des BFH vom 10.1.2019 anschauen. Deshalb noch einmal der Link:
David gegen Goliath
Die Finanzrichter scheinen nicht wahrzunehmen, dass das Kräfte- und damit auch das Machtverhältnis zwischen Organisationen wie attac zum einen und Lobbyisten, die z.B. politische Entscheidungen in Berlin und Brüssel direkt vor Ort versuchen zu beeinflussen, zum anderen kein ausgewogenes ist, dass es stattdessen ein Spiel David gegen Goliath ist: „So beschäftigt allein die Finanzindustrie rund 1700 Lobbyisten in Brüssel. Das sind vier für jeden EU-Beamten, der mit diesen Themen beschäftigt ist. Das lassen sich die Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter rund 120 Millionen Euro pro Jahr kosten. Zum Vergleich: Das ist 30 mal so viel, wie allen Gewerkschaften, Verbraucher- und Umweltorganisationen gemeinsam für ihre Lobbyarbeit zu diesem Thema in Brüssel zur Verfügung steht.“
Von Walter Lippman („Die öffentliche Meinung“), Edward Bernays und anderen, die schon vor langer Zeit manipulative Praktiken ausführlich dargestellt und erfolgreich angewendet haben, scheinen die Finanzrichter noch nie etwas gehört oder gelesen zu haben, wenn sie einer so kleinen „Gegenmacht“ dermaßen überzogen reingrätschen. Die obersten Finanzrichter erkennen auch nicht oder wollen nicht erkennen, dass die heile Welt, die sie versuchen uns vorzuführen, so nicht existiert.
Es wäre in der Tat ein vorbildlicher, demokratischer Staat, in dem eine Organisation wie attac oder ein Medium wie die NachDenkSeiten nicht notwendig wären. Wenn in Deutschland die Parteien ihrem im Grundgesetz verankerten Auftrag der politischen Willensbildung nachkämen und wenn in diesem Staat der Öffentlich-rechtliche Rundfunk seinem Auftrag nachkäme und vielseitige und umfassende (Hintergrund-)Informationen liefern, anstatt überwiegend Regierungssprecher spielen und Meinungen transportieren würde, wären das Zustände, die Lobbyisten das Leben mindestens schwerer machen würden. Dass sich immer weniger Menschen in Parteien organisieren und ihre Interessen in Nicht-Regierungsorganisationen besser vertreten fühlen, hat auch mit dem Versagen der Parteien und des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks und anderer Medien zu tun.
Attac wird – wie auch eine Reihe anderer Initiativen und Organisationen – als Gegenöffentlichkeit dringend benötigt, um den teils aggressiven und mit viel finanziellem Hintergrund ausgestatteten Lobbyisten neoliberaler Prägung wie z.B. der INSM (Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft) oder der Bertelsmann-Stiftung Paroli bieten zu können. Wer das verkennt, hat die Wirklichkeit nicht wahrgenommen. Und schießt mit Kanonen auf Spatzen.
Geistige Offenheit bei Lobbyisten – grotesk!
Die entscheidenden Passagen im Urteil belegen, was der Dorn im Auge der Richter ist. Ein Fehler von Attac ist wohl, dass sie die falsche Partei unterstützen, dass sie zu viele Aktionen gegen die Regierungsparteien und für die Mehrheit der Bevölkerung initiieren:
22 | d) Soweit eine Körperschaft danach politische Zwecke gemeinnützig verfolgen kann, muss sie sich zudem “parteipolitisch neutral” verhalten (BFH-Urteil in BFHE 257, 486, BStBl II 2017, 1110, Leitsatz 3). Dies ergibt sich bereits aus der Unterscheidung zwischen der Förderung gemeinnütziger Zwecke einerseits (z.B. § 10b Abs. 1, § 1a EStG, § 9 Abs. 1 Nr. 2 KStG) und der Förderung politischer Parteien andererseits (§ 10b Abs. 2 EStG). Parteien ist es verboten, Spenden von gemeinnützigen Körperschaften anzunehmen (§ 25 Abs. 2 Nr. 2 PartG). Dementsprechend dürfen gemeinnützige Körperschaften ihre Mittel weder für die unmittelbare noch für die mittelbare Unterstützung oder Förderung politischer Parteien verwenden (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 AO).
23 | 2. Bei der Förderung der Volksbildung i.S. von § 52 Abs. 2 Nr. 7 AO hat sich die Einflussnahme auf die politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung auf bildungspolitische Fragestellungen zu beschränken. Politische Bildung vollzieht sich in geistiger Offenheit. Sie ist nicht förderbar, wenn sie eingesetzt wird, um die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen zu beeinflussen.
29 | (…) Geht es vorrangig um die Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung zur Durchsetzung der eigenen Auffassung, nicht aber um die Vermittlung von Kenntnissen oder Fähigkeiten bei – im weitesten Sinne – auszubildenden Personen, fehlt der erforderliche Bildungscharakter.
Den Ausdruck „geistige Offenheit“ in Zusammenhang mit Interessenvertretungen/Lobbyisten zu verwenden, ist grotesk. Wo ist denn die geistige Offenheit der als gemeinnützig anerkannten Vereinigungen wie zum Beispiel des Bundeswehrverbandes**, wo ist denn die geistige Offenheit der Bertelsmann-Stiftung? Und wo die der Atlantikbrücke? Der Mangel an geistiger Offenheit bei diesen als gemeinnützig eingestuften Organisationen müsste bei den zuständigen Finanzämtern doch längst aufgefallen sein. Dass dies nicht der Fall ist, zeigt, dass deren lobbyistisches Wirken den Verantwortlichen beim BFH eben kein Dorn im Auge ist.
Werner Rügemer – selbst aktiv bei attac – hat sich die Mühe gemacht und die Widersprüche in diesem Urteil entlarvt. Unter dem provokanten Titel
„Skandal-Urteil: BDI, INSM, Atlantik-Brücke, CDU-Verbände und Bertelsmann-Stiftung sind gemeinnützig. Attac angeblich nicht“
hat er dargestellt, welche Organisationen in Deutschland unter dem Etikett „gemeinnützig“ agieren dürfen und von Finanzämtern, Finanzministern und obersten Finanzgerichten unbehelligt bleiben, obwohl die Argumentation im zitierten attac-Urteil weit mehr auf diese Organisationen zuträfe als auf die Globalisierungskritiker von attac:
„Während dieser vorbildlich arbeitende Verein also nicht gemeinnützig sein soll, gelten knallharte Lobbyorganisationen der Industrie und des Militärs sowie Kampfverbände der Regierungspartei CDU in Deutschland selbstverständlich als gemeinnützig. Hinzu kommen milliarden-schwere Unternehmensstiftungen und sogar Aktiengesellschaften. Eine kurze Übersicht lässt den Atem stocken. Wie weit kann man die Perversion noch treiben? Und wie weit ist die oberste Justiz schon Komplize?“
Die Abgabenordnung, in welcher die Gemeinnützigkeit geregelt ist, muss geändert werden. Darauf weisen sowohl Rügemer als auch attac hin.
Wehret den Anfängen
Attac fürchtet zu Recht, dass dieses Urteil ein Einfallstor für weitere Überprüfungen der Gemeinnützigkeit von Organisationen sein könnte. Zuletzt war den Politikern die Deutsche Umwelthilfe ein Dorn im Auge, die Fahrverbote in mehreren deutschen Städten gerichtlich durchsetzen wollen. Wird die DUH die nächste sein, der die Gemeinnützigkeit aberkannt wird?
Werden die Nachdenkseiten und andere kritische Internetblogs die übernächsten sein, weil sie nachweislich den Regierungsparteien nicht sonderlich wohlgesonnen sind und sich für eine Änderung der Politik starkmachen, weil sie sich für die Vielen, nicht für die Wenigen einsetzen?
Ob die Absurdität dieses Richterspruchs ausreichend durch eine Aktion mit dem Ziel der Änderung der Abgabenordnung beantwortet wird, wissen wir nicht. Auf jeden Fall verdient schon diese Initiative unser aller Unterstützung.
Es wird darüber hinaus wichtig sein, dem Finanzgericht Hessen den Rücken zu stärken.
Dorthin wurde der Fall zurückverwiesen.
Das Finanzgericht Hessen hatte in seiner Entscheidung vom 10.11.2016 eine akzeptable und wohltuend demokratische Formulierung. Hier ein Auszug:
„Die Betätigung gemeinnütziger Organisationen muss dabei auch die politische Ebene tangieren können, ansonsten droht ein faktisches Leerlaufen ihres Engagements innerhalb unserer Zivilgesellschaft (Weitemeyer/Kamp, Zulässigkeit politischer Betätigung durch Gemeinnützige, ZRP 2015,72 ff.). Die politische Tätigkeit darf nur nicht Selbstzweck der politischen Agitation sein. Selbst wenn sich der Kläger vorliegend in seinem Internetauftritt als im politischen Bereich tätiger Verein präsentiert, ist dies nicht gemeinnützigkeitsschädlich. Damit wird nur die politische Dimension seines Handelns herausgestellt. Dass es dem Kläger in 1. Linie um die Förderung gemeinnütziger Zwecke geht, ergibt sich dagegen aus seiner Selbstdarstellung im Internet als “Bildungsbewegung mit Aktionscharakter und Expertise”. Die durch den Aktionscharakter ins Spiel kommende politische Komponente bezieht sich dabei auf den bildenden Teil. Gefördert werden soll die politische Bildung, dabei kann die aktiv bildende Befürwortung von bürgerrechtlichem Verantwortungsbewusstsein auch durch Berücksichtigung der wirtschaftspolitischen Dimensionen von “Verantwortung” gemeinnützig sein (vgl. Leisner-Egensperger in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur AO/FGO, § 52 AO Rn. 152,248). Dass es bei der Tätigkeit des Klägers in diesem Bereich mehr Übereinstimmungen zwischen den Forderungen des Klägers und der Parteipolitik der jeweiligen Opposition als mit der Regierungslinie gibt, liegt dabei in der Natur der Sache. Da staatliche Planungen als solches nicht unangreifbar sind, erwächst daraus die Gefahr dass gemeinnützige Belange nicht hinreichend beachtet werden. In dieser Hinsicht dient die Tätigkeit des Klägers der objektiven Meinungsbildung mit dem Ziel, die für die Allgemeinheit beste Lösung herbeizuführen.
Entgegen der Auffassung des Finanzamts sprechen die thematischen Schwerpunktaktionen im Veranlagungszeitraum nicht gegen die Gemeinnützigkeit des Klägers. Mit diesen Themen hat sich der Kläger im Rahmen der Förderung der politischen Bildung und des demokratischen Staatswesens vielmehr kritisch an einem gesellschaftlichen Diskurs beteiligt, der nicht von politischen Mehrheiten getragen war, der aber die in der Gesellschaft vorhandenen Interessenkonflikte aufgreift.“
Wer so differenziert argumentiert, sollte sich von widersprüchlichen Texten, die in der Entscheidung des Bundesfinanzhofes gleich reihenweise zu finden sind, nicht allzu sehr beeindrucken lassen. Zur Ermunterung sei der vierte Absatz der Pressemitteilung – des Bundesfinanzhofes vom 26. Februar 2019 zitiert:
„Demgegenüber ist nach dem Urteil des BFH für die zur Volksbildung gehörende politische Bildung wesentlich, politische Wahrnehmungsfähigkeit und politisches Verantwortungsbewusstsein zu fördern. Dabei können auch Lösungsvorschläge für Problemfelder der Tagespolitik erarbeitet werden. Politische Bildungsarbeit setzt aber ein Handeln in geistiger Offenheit voraus. Daher ist eine Tätigkeit, die darauf abzielt, die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen zu beeinflussen, nicht als politische Bildungsarbeit gemeinnützig.“
* Der Name Attac entstammt übrigens dem französischen Ausdruck “Association pour la Taxation des Transactions financières pour l’Aide aux Citoyens”, was den Einsatz für eine demokratische Kontrolle der internationalen Finanzmärkte ebenso beinhaltet wie den Einsatz gegen Handelsabkommen, Steuerflucht und soziale Ungleichheit.
** Wie der Dt. Bundeswehrverband mitteilt, sei er zwar ein e.V., aber nicht gemeinnützig. Gemeinnützig seien “unsere Bildungseinrichtungen und Stiftungen”.
Titelbild: nitpicker / shutterstock.com