Ein gescheitertes Abkommen mit der EU führte vor genau fünf Jahren zu den Maidan-Protesten in der Ukraine und Europa in eine der gefährlichsten Krisen der vergangenen Jahrzehnte. Mit dem internationalen Bestseller „Wir sind die Guten“ schauten Mathias Bröckers und Paul Schreyer hinter die Kulissen eines politischen Spiels, das tödlicher Ernst geworden ist. Denn seit der Westen sich im Kampf mit Putins Russland um die Ukraine wähnt, werden auch in Deutschland längst vergessene Kriegsängste wieder wach. Fünf Jahre später analysieren Bröckers und Schreyer in der komplett überarbeiteten und erweiterten Neuauflage „Wir sind immer die Guten“ den historischen Hintergrund des Ukraine-Konflikts, die Rolle der Geopolitik und gehen der Frage nach, wer die wirklichen Akteure in diesem tödlichen Spiel sind und welche Interessen sie verfolgen. Wir bringen zum Erscheinen des Buches einen Auszug zu diesem aktuellen wichtigen Thema.
Die Hoffnungen auf eine sich ihrer Schlüsselfunktion im Ost-West-Konflikt bewussten deutschen Diplomatie und eine europäische Friedenspolitik, wie wir sie im Sommer 2014 in der Erstausgabe von »Wir sind die Guten« äußerten, haben sich nicht erfüllt. Im Gegenteil haben sich Deutschland und Europa unter der Federführung der Vereinigten Staaten immer weiter in einen Kalten Krieg mit Russland hineinmanövriert: Nicht »Wandel durch Annäherung« lautet das Motto dieser Politik, sondern »Konfrontation durch Eskalation«. Sowohl in Form ökonomischer Sanktionen und militärischer Aufrüstung wie auch mit der Verschärfung des Informations- und Propagandakriegs.
Zumal die Kritik an Russland spätestens seit einem innenpolitischen Betriebsunfall in den USA – der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten – in eine neue Dimension gesprungen ist. Weil sich Russland nicht nur der angeblichen »Invasion« der Ukraine schuldig gemacht hat, sondern auch der Manipulation und Beeinflussung der amerikanischen Präsidentschaftswahlen: »Russische Hacker« sollen diskreditierende E-Mails von Hillary Clinton und aus der Zentrale der Demokratischen Partei (DNC) gestohlen und veröffentlicht haben.
Mit »Russiagate« erhielt die Affäre schnell den an den Watergate-Skandal gemahnenden Titel, doch anders als die damals schnell ertappten Einbrecher, die in der Parteizentrale der Demokraten nach diskreditierendem Material gesucht hatten – was zum Rücktritt von Präsident Nixon führte –, sind die Täter auch nach Jahren noch völlig unbekannt und die Bezeichnung »russische Hacker« nicht mehr als eine Behauptung. Weder das FBI noch ein Gericht haben diese Datenlecks untersucht und justiziable Beweise auf die Täter und ihre Herkunft zu Tage fördern können – bis der Sonderermittler Robert Mueller im Februar 2018 eine erste Anklageschrift vorlegte.
Dass jetzt endlich die »Smoking Gun« auf den Tisch käme, der unwiderlegbare Beweis, wie der perfide Putin Trump auf den Thron gehievt hat, diesem Höhepunkt von »Russiagate« war in den Tagen zuvor mit multimedialem Trommelfeuer entgegengefiebert worden. Die Anklage von 13 russischen Staatsbürgern, so der Spiegel nach einem ersten Blick in das Papier, »ist ein einmaliges Dokument: Erstmals erhält die Öffentlichkeit einen präzisen und detaillierten Einblick in den geheimen Wahlkampf russischer Agenten in den USA zwischen 2014 und 2016.«
Wer nun aber einen James-Bond-artigen Agententhriller erwartete, Details über den Hack von Hillarys Privatserver und der Korrespondenz des DNC wie auch über den Weg der Daten zu WikiLeaks und in die Öffentlichkeit, wurde schwer enttäuscht. Was da nämlich nach neunmonatigen Ermittlungen angeklagt wurde, war nicht mehr als eine Räuberpistole, die unter dem Titel »Putins Koch und die Wilde Dreizehn« in der Augsburger Puppenkiste aufgeführt werden könnte.
Unter Anleitung eines vermögenden russischen Gastronomen, der auch »Putins Koch« genannt wird, sollen die 13 eine »Verschwörung« zur Einmischung in den US-Wahlkampf finanziert haben, mit dem Ziel Hillary Clinton zu kritisieren und Bernie Sanders und Trump zu unterstützen. Dieser »Informationskrieg«, so der stellvertretende Justizminister Rod Rosenstein, hätte allerdings »den Ausgang der Wahl nicht beeinflusst«. Präzise und detailliert konnte man in diesem »einmaligen Dokument« (Spiegel) also nun nachlesen, wie 13 Russen doch tatsächlich Twitter- und Facebook- Accounts unter falschem Namen eröffnet und Anti-Hillary-Botschaften gepostet haben – und sogar »über hundert Amerikaner« kontaktiert haben sollen. Und das mitten im Wahlkampf, dessen Ausgang davon aber nicht tangiert wurde. Wahnsinn, diese russischen Agenten!
Dass diese Cyberkriminellen »über 60 000 Dollar« in Facebook-Anzeigen investierten, ohne den Wahlausgang zu beeinflussen, wundert allerdings nicht, wo Hillary Clinton 1,5 Milliarden und Trump 800 Millionen in Wahlwerbung gesteckt haben. Für eine Anklage reichte die Nummer aber allemal und ermöglichte, da die »Wilde Dreizehn« komplett in Russland ansässig ist und nicht vorgeladen werden kann, eine widerspruchslose und flächendeckende »Russiagate«-Berichterstattung auf allen Kanälen. (…)
Dass es sich bei der ganzen Legende um die »russischen Hacker« um eine unbewiesene Verschwörungstheorie handelte, hinderte die Medien freilich nicht, sie immer weiter zu kolpor- tieren, nicht als bunte Geschichte im Unterhaltungsressort, sondern als politische Nachricht auf den Titelseiten. »Russland hat unsere Wahlen gehackt, das war ein Anschlag wie der 11. September (›a 9/11-scale event‹) auf den Kern unserer Demokratie, ein Ereignis wie Pearl Harbor« – tönte der Chefkolumnist der New York Times, Thomas Friedman, entsetzt im MSNBC-Fernsehen. Doch gerichtsfeste Beweise, echte Fakten für diesen »Anschlag« sind in über zwei Jahren keine aufgetaucht. (…)
Wäre das Ganze nicht gefährlicher Ernst, könnte man über die plumpen und offensichtlichen Fälschungen, aus denen die »Russiagate«-Story gestrickt ist, nur lachen. Doch was hier geschieht, ist fatal: Um einen gewählten Präsidenten zu vertreiben, wird die Gewaltenteilung des demokratischen Systems aufgehoben: Geheimdienste (CIA, NSA, MI6), Polizei (FBI) und Medien arbeiten Hand in Hand, und die vom Horrorclown Donald Trump nachhaltig geschockten Demokraten, Liberalen, Linken feuern diese polizeistaatlichen, totalitären Methoden sogar noch an. Und so erleben wir die surreale Situation, dass es nicht der monströse Meteorit Trump ist, dessen Einschlag die Grundfesten der freiheitlichen Demokratie erschüttert, sondern seine Gegner, die abseits aller rechtsstaatlichen Regeln und mit einer nahezu uniformen Medienfront gegen ihn vorgehen.
Wenn man auf diese untragbaren Zustände, die jeden Anhänger eines demokratischen Rechtsstaats eigentlich aus dem Häuschen bringen müssten, in Gesprächen mit Kollegen und Freunden hinweist, kommt des Öfteren die Frage: »Ja findest du den Trump etwa gut?« – was zeigt, welches Klima zwei Jahre »Russiagate«-Bullshit in den Köpfen schon erzeugt haben. Wer auch nur ein gutes Haar an »König Donald und seiner prächtigen Eichhörnchenfrisur« lässt, macht sich umgehend unmöglich. Auch der Hinweis, dass sich die liberale Demokratie nicht mit illiberalen Methoden retten lässt und eine unabhängige Presse nicht zum Sprachrohr der Geheimdienste verkommen darf, verpufft. Gegen einen wie Trump sind offenbar alle Mittel erlaubt.
Der Grund dafür liegt auf der Hand: Trump ist definitiv kein Kandidat des hinter den Kulissen waltenden Establishments. Vorgänger wie Bush, aber auch Clinton oder Obama waren Politiker, die von jener Elite schon vor der Wahl akzeptiert und umgarnt beziehungsweise überhaupt erst aufgebaut wurden. Trump hingegen trat als heftig bekämpfter Außenseiter an. Nicht nur fast alle Leitmedien stellten sich gegen ihn, sondern auch der Geheimdienstapparat der USA.
Das Unbehagen dieser einflussreichen Eliten lässt sich kaum ernsthaft mit Trumps Rüpelhaftigkeit, Chauvinismus oder Muslimfeindlichkeit erklären. Zum Aussätzigen machen ihn vielmehr politische Positionen, in denen es um Macht und Geld geht: Etwa seine teilweise Abkehr von der Idee des internationalen Freihandels, sein Unwillen, Russland weiterhin kategorisch als Feind zu betrachten, sowie sein eher lässiges Verhältnis zur Nato.
Der Freihandel ist eine zentrale Übereinkunft zum Nutzen vor allem der multinationalen Konzerne. Daran rührt niemand ungestraft. Das Feindbild Russland wiederum ist in den vergangenen Jahren mit Hilfe der Medien und Dutzender Denkfabriken systematisch und mit großem Aufwand aufgebaut worden. Feindbilder sind austauschbar, entscheidend ist, dass sie existieren, um permanent aufrüsten und Machtansprüche in fremden Ländern geltend machen zu können.
Das Feindbild Russland ist spätestens seit der Ukraine-Krise 2014 im Westen fest installiert und dient als zentraler Motor der Geopolitik, als Hebel und moralische Rechtfertigung. Wer solch ein mühsam installiertes Feindbild in Frage stellt, der bedroht damit ein komplexes System aus Militär, Rüstung, Geheimdiensten und Konzernen. Als außenpolitisches Ziel hatte Trump in jeder seiner Wahlkampfreden »to come along with Russia« herausgestellt und dass er als harter Verhandler »mit Putin schon klarkommen« werde. Das hätte er besser nicht so oft und nicht so laut gesagt, denn seit zwei Jahren wird es ihm so gut wie unmöglich gemacht, sich mit dem russischen Präsidenten auch nur zu treffen und ausführlich zu besprechen.
Trump mag ein narzisstischer und unsympathischer Chauvinist sein – mächtige Gegner aber hat er sich nicht mit seinem zweifelhaften Charakter gemacht, sondern mit solchen politischen Ansichten und Absichten. Und solange er diesen nicht abschwört, wird die geballte Macht des »Deep State« ihn weiter im Visier und den bizarren »Russiagate«-Zirkus ad infinitum weiter in den Schlagzeilen halten.
Mathias Bröckers, Paul Schreyer: „Wir sind immer die Guten – Ansichten eines Putinverstehers oder wie der Kalte Krieg neu entfacht wird“, Westend Verlag, 224 Seiten, 18 Euro