Nach Rückkehr von einer Syrien-Reise fordert der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke ein Ende des Embargos und Solidarität mit den Menschen, die geblieben sind. „Die Politik sollte sich viel mehr damit befassen, was können wir Gutes tun für die Menschen, die dort geblieben sind, die den Wiederaufbau wollen, die bereit sind, alles zu geben für den Wiederaufbau, weil sie ihr Land lieben“, sagt Hanke in einem sehenswerten Interview. Handelten die politisch Verantwortlichen nicht, würden sich viele junge Menschen in Syrien überlegen, das Land zu verlassen. „Und dann steht der Westen wieder vor der Frage, was machen wir mit diesen jungen Leuten, die zu uns kommen.“ Von Rüdiger Göbel.
Bischof Gregor Maria Hanke kommt sichtlich bewegt von seiner achttägigen Reise durch Syrien zurück. Auf Einladung des syrisch-katholischen Patriarchen war er in das vom Krieg gebeutelte Land aufgebrochen, um Solidarität zu zeigen und Informationen zu sammeln. Jetzt will er seine Eindrücke aus Damaskus, Aleppo, Homs und anderen Städten teilen, will berichten, was er erlebt hat – und was jetzt Not tut.
In einem hoch informativen, im besten Sinne aufklärerischen Interview mit Bernhard Löhlein von der Stabsstelle Medien und Öffentlichkeitsarbeit des Bistums Eichstätt schildert Hanke gut 20 Minuten lang das Erlebte.
„Es ist erstaunlich, welche Kraft und welcher Überlebenswille in den dort lebenden Menschen spürbar ist.“
Die Menschen würden damit beginnen, das Leben wieder zu organisieren und aufzubauen. Neben den Kriegszerstörungen träfe sie das Embargo jedoch hart.
„Das trifft vor allem die einfachen Leute auf der Straße, die Leute, die wenig zum Leben haben. Sie werden durch das Embargo in Haft genommen und führen ein teilweise sehr, sehr beschwerliches, elendes Leben.“
Die Reise sei weitaus weniger gefährlicher gewesen, als er im Vorfeld gedacht habe. „Die befreiten Gebiete sind doch relativ sicher durch eine große militärische Präsenz und durch die Neuordnung“, berichtet Hanke.
„Ich konnte in den befreiten Gebieten problemlos reisen. Es mag, da und dort, etwa in Palymra, noch etwas schwieriger sein. Aber Aleppo, Homs, die anderen Großstädte, da konnte ich keinerlei Gefahrenpotentiale erkennen. Natürlich ist immer noch ein Problem das von Rebellen besetzte Gebiet in Idlib.
Wo auch immer er gewesen sei, er habe kein Problem gehabt, als Geistlicher erkannt zu werden. „Ich bin in Aleppo mit dem Talar, mit dem Habit gelaufen, ich bin in Damaskus damit gelaufen. Man wird da sogar sehr wohlwollend angesprochen, die Menschen verstehen die Sprache dieser Kleidung.“
Die Stimmung im Land – achtjährige Kinder haben nichts anderes als Krieg erlebt – sei ganz unterschiedlich.
„Wenn man nach Ost-Aleppo kommt und die zerbombten Stadtviertel sieht, da könnte man depressiv werden. Fährt man dann in die Innenstadt von Aleppo, sieht man, wie die Menschen beginnen, das Leben wieder zu organisieren. Man versucht einfach, das Leben wieder in den Griff zu bekommen. Man beginnt wieder aufzubauen. Man organisiert sich selbst. Es ist erstaunlich, welche Kraft und welcher Überlebenswille bei den dort lebenden Menschen spürbar ist.“
Er habe mit seiner Reise den Christen in Syrien bewusst „ein Zeichen der Solidarität“ geben wollen. Die Zahl der Christen sei „sehr abgeschmolzen“. Viele, vor allem jüngere, hätten das Land verlassen. Das schwäche die Existenz der christlichen Gemeinden dort.
„Syrien war ja bekannt für eine religiöse Vielfalt, die in großer Toleranz miteinander gelebt hat. Je kleiner die christlichen Gemeinden werden, desto blasser wird auch diese Vielfalt in Zukunft sein.“
Deshalb gelte es, die Christen zu stärken und zu ermuntern, nach Möglichkeit zu bleiben.“ Aber es sei für viele Familien auch nicht einfach, schon allein aus ökonomischen Gründen. Aus Gründen einer ungewissen Zukunft. Man weiß nicht, wie sich das Land weiterentwickeln wird.
Sein Zeichen der Solidarität sei angekommen. Er sei „überall freundlich aufgenommen“ worden, berichtet der Bischof weiter, gerade in den Schulen, die er besucht habe.
„Die Kinder haben sich unheimlich gefreut, dass jemand aus Deutschland zu ihnen kommt, sie wahrnimmt in Damaskus, in Aleppo, und ihnen damit kundgibt: sie sind nicht vergessen. Das war für mich eine großartige Erfahrung, diese Freude der Kinder zu erleben.“
In den „befreiten Gebieten“, eine Formulierung, die Bischof Hanke nach seiner Syrien-Reise mehrfach und ohne Zweifel wohlformuliert wählt, in den befreiten Gebieten sei das liturgische und religiöse Leben wieder ganz normal, „sofern die Kirchen stehen und ganz sind“. Auch die christlichen Schulen hätten weithin ihren Dienst wieder aufgenommen für die Kinder.
Der Aufbau zerstörter Kirchen sei für die verbliebenen christlichen Gemeinden als „Zeichen der Zukunft“ wichtig. Ein Bischof habe ihm gesagt, „ich wollte, dass die Bischofskirche wieder aufgebaut wird, damit die Christen in der Stadt spüren, ich glaube an die Zukunft, und wieder anfangen, ihre Häuser aufzubauen“.
Grundsätzlich glaubt Bischof Hanke, dass eine Versöhnung in Syrien nach den vielen Jahren des Krieges möglich ist.
„Syrien war eine sehr tolerante Gesellschaft, in der die verschiedenen Religionsgruppen gut miteinander umgehen konnten. Und man muss sagen, dort, wo das Land befreit ist, da versucht man diesen Weg auch wieder zu gehen, sowohl von christlicher Seite, von muslimischer Seite, von alawitischer Seite, sofern das eben möglich ist aufgrund des immer noch eingeschränkten Lebens.“
Man könne nicht sagen, das Schlimmste sei vorbei.
„Die Menschen leiden sehr unter dem Embargo. Das trifft vor allem die einfachen Leute auf der Straße. Diejenigen, die wenig zum Leben haben, die werden durch das Embargo in Haft genommen und führen ein teilweise sehr, sehr beschwerliches, elendes Leben.“
Infolge der Sanktionen, die die EU und die USA gegen Syrien verhängt haben und seit 2011 regelmäßig verlängern, fehlt es laut Bischof Hanke „in den Krankenhäusern an den entsprechenden Ausrüstungen, an den entsprechenden Möglichkeiten, weil das Embargo eben vieles nicht möglich macht“. Es gebe kaum Entwicklungsmöglichkeiten im Bereich der Wirtschaft.
„Man hat mir in Aleppo erzählt, die Rebellen haben die gesamten eingenommenen Industriekomplexe abgebaut und verkauft. Da ist nichts mehr da. Das Embargo ermöglicht aber auch nicht, jetzt neu anzufangen. Und das trifft wieder die einfachen Menschen auf der Straße – egal ob Christen, Muslime oder sonst einer Religion zugehörig.“
Bischof Hanke fürchtet, „wenn das Embargo anhält, werden viele junge Menschen in Syrien sich überlegen, das Land zu verlassen. Und dann steht der Westen wieder vor der Frage, was machen wir mit diesen jungen Leuten, die zu uns kommen.“ Man müsse sich überlegen, wie man den Menschen vor Ort wirtschaftlich helfen könne, wie man in Syrien Möglichkeiten schaffe, „dass die Leute sich wieder entwickeln können“.
Auf die Frage, ob Syrien denn nach seinen Eindrücken ein „sicheres Herkunftsland“ sei, antwortet Bischof Hanke:
„Auf diese Kategorie möchte ich gar nicht eingehen, weil das eine westliche Kategorie ist. Eine Kategorie unserer Politik. Man muss das Leben vor Ort vor Augen haben. Und das Leben in Syrien ist sehr, sehr schwer aufgrund des Embargos, aufgrund der Kriegsschäden. Solange die Menschen dort keine sichere Zukunft haben im ökonomischen Sinne, auch im politischen Sinne, glaube ich, sollte man diese Frage noch nicht stellen.“
Diesbezüglich nimmt der Eichstätter Bischof die Politiker in die Verantwortung: “Die Politik sollte sich viel mehr damit befassen, was können wir Gutes tun für die Menschen, die dort geblieben sind, die den Wiederaufbau wollen, die bereit sind, alles zu geben für den Wiederaufbau, weil sie ihr Land lieben. Diese Frage finde ich bei uns in der Politik leider nicht vertreten.”
Wenn die Lage in Syrien mit dem Embargo so bleibe, könne er sich vorstellen, dass sich viele junge Menschen angesichts einer fehlenden Zukunft im Heimatland auf den Weg ins Ausland begeben werden.
„Damit müssen wir rechnen. Das wird uns im Westen vor neue Herausforderungen stellen. Aber ich muss dazu sagen, solange wir uns nicht den Menschen dort vor Ort zuwenden, den Menschen in Not versuchen zu helfen, schaffen wir uns selbst unsere Probleme.“
Bischof Gregor Maria Hanke ermuntert die Christen in Deutschland, den Menschen in Syrien zu helfen:
„Wir sollten unsere Schwestern und Brüder in Syrien unterstützen durch unser Gebet. Wir sollten sie auch materiell unterstützen, wir sollten den Wiederaufbau ermöglichen.“
Vor allem Schulen, Krankenhäuser und andere Bildungseinrichtungen müssten neu errichtet werden, da das Orte seien, an denen die Menschen Kraft und Hoffnung für ihre Zukunft finden.
Das Interview mit Bischof Gregor Maria Hanke ist von einem tiefen Humanismus geprägt und hat hohen aufklärerischen Wert. Rein technisch hat es das Potential für eine Ausstrahlung in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Man würde sich wünschen, der Eichstätter Syrien-Solidaritätsreisende würde nach Hamburg zu „Markus Lanz“ eingeladen oder zu einem “Brennpunkt” des Bayerischen Rundfunks in München. Allein, das Gespräch ist in Interviewführung wie Inhalt ein Kontrapunkt zur jahrelangen einseitigen Parteinahme und Stimmungsmache in den Mainstream-Medien, an eine Austrahlung in ARD oder ZDF oder dem Kommerz-TV ist nicht zu denken. Um so mehr sind alle Leserinnen und Leser gefragt, nach Kräften für dessen Verbreitung zu sorgen – und bei den Politikern in ihren Wahlkreisen nachzufragen, warum sie mit der Aufrechterhaltung der Sanktionen das Leid der Menschen in Syrien verlängern und eine neue Fluchtbewegung nach Europa provozieren. Auch Linke müssen umdenken: Syrer sollten uns nicht erst kümmern, wenn sie aus seeuntüchtigen Booten im Mittelmeer gerettet werden müssen. Wiederaufbauhilfe für Syrien würde so manche Seenotrettung sparen.
Titelbild: Peter Fuchs