Alter Wein in neuen Schläuchen? Die Heil‘ sche Respektrente bei Plasberg und anderen
Bei „Hart aber fair“ am 11.2. wies Frank Plasberg zu recht auf die vielen angekündigten und nie umgesetzten vergleichbaren Produkte der Großen Koalition hin, die Zuschussrente (2011, von der Leyen), die Lebensleistungsrente (2012), die solidarische Lebensleistungsrente (2013) und die gesetzliche Solidarrente (2016). Es verwundert daher nicht, wenn sich in Umfragen 61 % der Bevölkerung für diese Art von Grundrente aussprechen. Auf die desaströsen Umfragewerte der SPD wirkt sich dieser Zuspruch postwendend mit 2 % Plus aus. Natürlich hat Heil in der Plasberg-Runde solche Beweggründe weit von sich gewiesen. Dafür wurde er nicht müde, den Begriff „fleißige und hart arbeitende Menschen“ in seine Wortmeldungen einzubauen. Albrecht Müller.
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Eine der Heil‘ schen Respektrente vergleichbare Regelung gab es übrigens schon mal: die Rente nach Mindestentgeltpunkten
Die alte Regelung, die sich lediglich auf niedrig entlohnte Beitragsjahre vor 1992 auswirkte, war jedoch eine, deren „Last“ ausschließlich die Solidargemeinschaft der Rentenversicherten zu tragen hatte. Nach Heils Plänen soll die neue Variante ein steuerfinanziertes Modell sein. Und anders als die Grundsicherung im Alter soll die Bedürftigkeit nicht geprüft werden. Der Aufschrei von einschlägiger Seite war daher vorherzusehen. Auch der FDP-Mann bei Hart aber fair, Johannes Vogel, lehnte eine Grundrente ohne eine Form der Bedürftigkeitsprüfung ab.
Dass eine zu niedrige Rente allerdings die Folge von zu niedrigen Löhnen ist, bemerkte die VdK-Chefin Verena Bentele( SPD). Sie prangerte den höchsten Niedriglohnsektor Westeuropas an und verwies auf die Möglichkeit über höhere Unternehmensbesteuerung und Erbschaftssteuer mehr Einnahmen zu generieren. Ähnlich hat das auch der Tagesspiegel formuliert:
„..Wenn jemand ein Leben lang gearbeitet hat, und am Ende kommt eine Rente dabei raus, die nicht höher ist als ein Existenzminimum, dann braucht es keine Rentenzuschussideen für das Ende dieser Karriere, dann stimmt etwas lange davor bereits mit den Löhnen nicht. Das ist das Problem.
Rentenhöhe hat mit Löhnen zu tun – und der Niedriglohn mit der SPD
An dem großen Niedriglohnsektor in Deutschland ist die SPD nicht ganz schuldlos. Ein Minister mit ihrem Parteibuch darf 100 zusätzliche Euro als Kompensation daher durchaus anbieten. Er sollte sie aber anders nennen. Wie wäre es mit “Pardon-Zuschuss”? Das träfe den Kern des Problems, wäre semantisch nicht zweifelhaft und für die Empfänger auch nicht ehrenrührig.
Wenn einer sich entschuldigt dafür, dass er einem Ungemach bereitet hat, stellt das eine Art Gleichheit her – das kann man annehmen. Wenn einer einem Ungemach bereitet und am Ende, wenn man dessen ungeachtet zurande gekommen ist, “Respekt” sagt, ist das etwas anderes. Das Verhältnis bleibt ungleich, der Ungemachschaffer bleibt oben. Er verteilt und gewährt den Respekt. “Mangelnder Respekt”, schreibt der US-Soziologe Richard Sennett, “mag zwar weniger aggressiv erscheinen als eine direkte Beleidigung, kann aber ebenso verletzend sein”.
Eine bitterböse Auseinandersetzung mit den Plänen Heils leistet sich das Neue Deutschland
„…Das Konzept funktioniert so: Wer mindestens 35 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt hat, soll im Alter eine garantierte Rente bekommen, die 100 Euro über der Grundsicherung liegt. Wer also jeden Morgen brav aufsteht und fleißig Pakete ausfährt, dem bleiben später monatlich satte 509 Euro, die er nach Gutdünken verprassen kann. Mehr Respekt hat es in Deutschland lange nicht gegeben!
Die Idee ist toll und dürfte auf dem Arbeitsweg ein Lächeln auf die Gesichter aller Schlachthofmitarbeiter zaubern. Wie man das Ganze finanziert, ist allerdings noch nicht ganz klar. Fest steht bisher nur, dass andere verdiente Rentenbeitragszahler nicht schlechter gestellt werden sollen.
Doch so sehr die SPD die 100 Euro den wirklich fleißigen Menschen (und nur denen und nicht den faulen Säcken, die 34,5 Jahre gearbeitet haben!) auch gönnt: Missbrauch soll vermieden werden! Bundesarbeitsminister Hubertus Heil betont gerne, dass die Respekt-Rente nur jenen gezahlt werden soll, die wirklich »bedürftig« sind. Deshalb sollen Einkommen und Vermögen auch streng angerechnet werden. So soll vermieden werden, dass sich Respekt-Pensionäre durch das Austragen von Aldi-Werbeprospekten eine goldene Nase verdienen oder ehemalige Görlitzer Friseurinnen ihre Grundrente von ihrem vom unversteuerten Trinkgeld finanzierten mallorquinischen Anwesen aus verprassen…“
Die Frage nach der Gerechtigkeit dieses Modells beantwortet Axel Kleinlein vom Bund der Versicherten wie folgt:
„Das Problem ist aber, dass mit der Respektrente ausgeblendet wird, was der eigentliche Hauptmotor der Altersvorsorge sein sollte. Altersvorsorge sollte nämlich auf einem vernünftigen Erwerbseinkommen und den daraus erworbenen regulären Rentenansprüchen beruhen. Man kann noch so viel über Rentenzuschüsse, Förderung der privaten Altersvorsorge und Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge diskutieren, wie man will. Es bleibt dabei: Die gesetzliche Rente aus dem eigenen Erwerbseinkommen ist für die meisten die mit Abstand wichtigste Altersvorsorge.
Aber diese große Bedeutung der aus eigener Arbeit erworbenen Ansprüche aus der „Gesetzlichen“ wird durch die Respektrente verwässert. Bei der kommt es nämlich auf einmal nicht mehr darauf an, was man selbst (und der Arbeitgeber) in das System eingezahlt hat. Da ist es nur noch wichtig, dass man die Kriterien für die Respektrente erfüllt, um das Steuergeschenk zu bekommen. Es wäre aber respektabler, wenn man die Rente aus eigener Kraft erarbeitet hätte und nicht auf Steuergeschenke angewiesen wäre.
Richtig schwierig wird es, wenn man bei der Frage des „Respekts“ auch dazwischen unterscheiden will, aus welcher Art der Beschäftigung diese Respektrente resultiert. Zum Beispiel folgende Betrachtung: Da arbeitet jemand über lange Zeit in einer kleinen Teilzeitbeschäftigung, weil er oder sie in einer glücklichen Beziehung lebt und der Ehegatte oder die -gattin richtig viel verdient und für das Alter keine Sorgen bestehen. Braucht es da eine Respektrente? Wenn demgegenüber jemand nur deswegen in Teilzeit arbeitet, weil diese Person sich um Angehörige kümmern muss und es einfach zeitlich nicht schafft, mehr zu arbeiten, dann wäre hier die Forderung nach einer Respektrente leichter nachzuvollziehen. Mit dem Gedanken im Hinterkopf müsste man also bei der „Respektrente“ auch schauen, ob sie aus einer Tätigkeit resultiert, die der hauptsächliche Wirtschaftserwerb im Leben war.
Es müsste also darum gehen auch so etwas wie „Respektbeschäftigungen“ zu definieren, aus denen ein Anspruch auf eine Respektrente ableitbar wäre. Das ist ein politisch ziemlich schwieriges Unterfangen. Womöglich kann man das aber sogar meistern.
Respektrente als Schlupfloch
Es muss dann aber aufgepasst werden, dass mit der Respektrente nicht ein Schlupfwinkel geschaffen wird, mit dem Politik und knausrige Arbeitgeber so tun könnten, als hätten auch Geringverdienerinnen und Geringverdiener die Möglichkeit, eine „respektable Rente“ zu erreichen, ohne dass das Einkommen eigentlich hoch genug dafür wäre. Auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler würde dann die Rente künstlich hochgerechnet. Wer davon profitiert? Zum Beispiel eben die Arbeitgeber, die ansonsten mehr zahlen müssten oder annehmbarere Jobs anbieten müssten. Wer verliert? Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, die tiefer in die Tasche greifen müssen.
Die Respektrente wäre aus diesem Blickwinkel dann mittelbar eine Subvention für Arbeitgeber im Niedriglohn- und Teilzeitsektor. Müssen die sich doch dann keine Gedanken mehr machen, ob ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter später eine akzeptable Rente bekommen – die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler übernehmen das ja dann bei der Respektrente. Die Arbeitgeber werden aus der Pflicht genommen, über angemessene Beschäftigungsverhältnisse ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine angemessene Altersvorsorge zu ermöglichen. Und die Politik bekommt mit der Respektrente ein Feigenblatt, auf das sie verweisen können, wenn es um die Vorsorge im Niedriglohnbereich geht.
Es gibt nur einen Weg für eine echte Respektrente
Es gibt nur einen Weg für eine echte Respektrente, nämlich den, dass sich die Bürgerinnen und Bürger ihre Respektrente aus ihrer Erwerbsarbeit selbst verdienen. Dazu bedarf es aber dann auch angemessener Beschäftigungsverhältnisse. Für die Altersvorsorge sind Respektbeschäftigungen wichtiger als Respektrenten.
Was in dieser Diskussion wieder offenbar wird: Nur wer genug verdient, erwirbt genug Rentenansprüche und hat auch Geld übrig für private Vorsorge. Wer für produktive Arbeitsverhältnisse sorgt, in denen dann auch genug verdient wird, der betreibt eine richtige Politik in Sachen Altersvorsorge. Damit das gelingt, müssen dann Arbeitszeiten und Lohn zueinander passen. Es braucht dann eben geeigneter Respektbeschäftigungen.
PS: Gerade für diejenigen, die eher wenig verdienen, ist eine Erhöhung der Einkommen die beste Förderung der Altersvorsorge. Wer die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für eine Respektrente zahlen lassen will, der muss hinterfragen, ob der aktuelle Mindestlohn denn auch ein „Respektlohn“ ist.“
Der Einwand mit den Respektlöhnen ist sehr gerechtfertigt und muss Folgen für künftige Aktivitäten haben, weil sich bei den aktuellen Überlegungen – wie so oft – die Arbeitgeber elegant aus der Affäre ziehen können. Respekt für die von Heil ständig zitierten „fleißigen Menschen“ kann man nämlich bereits während der Berufstätigkeit und dort sehr viel nachhaltiger in Form auskömmlicher Löhne ausdrücken und muss den gewährten Respekt, den man dann schnell als Almosen empfinden kann, nicht auf das Alter verschieben.
Aber was ist mit den Menschen, denen in der Vergangenheit eben diese Respektlöhne verwehrt worden sind?
In Kenntnis vieler Frauen-Erwerbsbiografien und in Kenntnis der segensreichen Wirkung der für Beitragszeiten vor 1992 geltenden Regelung der „Rente nach Mindestentgeltpunkten“ sollte man sich daher für Heils Idee aussprechen.
Aber: sie wäre ein „Geschenk“ für nur einen Teil der Rentner. Sie ließe die Erwerbsminderungsrentner, die weit überwiegend in Altersarmut landen, außen vor, sie ließe außerdem die Rentner außen vor, die aufgrund des abgesenkten Rentenniveaus und trotz Verdiensten oberhalb des Mindestlohnes, ebenfalls in der Altersarmut landen werden. Und sie würde viele von langer Arbeitslosigkeit gebeutelten Ost-Rentnerinnen und -Rentner außen vor lassen, weil Zeiten der Arbeitslosigkeit bei den erforderlichen 35 Jahren nicht berücksichtigt werden.
Die ausführliche Auseinandersetzung Reiner Heyses mit Hubertus Heils Vorstoß lohnt sich zu lesen. Sein bitteres Fazit lautet:
„Vorprogrammiert ist vor allem eines: die Heil´sche Grundrente wird nicht kommen. Sie wird so wenig kommen wie die Lebensleistungsrente von Andrea Nahles in der letzten Legislaturperiode, die in der Substanz sogar deutlich schlechter war. Der Koalitionspartner wird weiter blockieren. Vor allem der Verzicht auf die Bedürftigkeitsprüfung werden CDU/CSU in keinem Fall mittragen. Im Koalitionsvertrag steht Bedürftigkeitsprüfung und damit basta!
Aber das weiß Hubertus Heil doch auch. Warum dann doch dieser Vorstoß? Soll das der Lackmus-Test für die Große Koalition werden? Die Sollbruchstelle, von Heil und der SPD gesetzt?
Das wäre zu begrüßen. Zu befürchten ist aber, dass es sich eher um ein Scheinprojekt handelt, mit dem Wählerstimmen eingefangen werden sollen.
Würden Hubertus Heil und die SPD sich ehrlich machen, würden sie an politischen Mehrheiten arbeiten mit denen die Agenda 2010-Politik „hinter sich gelassen“ werden kann. Dann könnte man auch bei der Rente die richtigen Reformschritte angehen:
- Armutsfeste Mindestrenten in einer Höhe über der Armutsgefährdungsschwelle (derzeit 1.100€).
- Auskömmliche, lebensstandardsichernde Renten allein durch die gesetzliche Rentenversicherung.
- Erwerbstätigenversicherung, in die alle Erwerbstätigen gleichermaßen rentenversichert werden.“
Rezepte hierfür haben auch die Nachdenkseiten und andere bereits mehrfach geliefert (Siehe hier und hier).
Ich wage jedoch die Vorhersage, dass die Respekt- oder Grundrente ohnehin nicht kommen wird. Wegen des Koalitionsfriedens oder der von Finanzminister Scholz angekündigten Haushaltslücke und/oder wegen der heiligen „schwarzen Null“. Vor sinkenden Umfragewerten wird dieser viel zu späte und vollkommen unzureichende Vorstoß die SPD ohnehin nur kurzzeitig bewahren.