Kulturpropaganda und Preisverleihungen
„Journalist des Jahres“, „Cinema For Peace“,, „Grammys“: In den letzten Tagen häuften sich Veranstaltungen der Meinungsmache durch „Kultur“. Die für sich bedeutungslosen Ereignisse verschmelzen zur wirkungsvollen Erzählung vom guten Westen. Auch die hochverdiente Berlinale bleibt nicht ganz unberührt. Von Tobias Riegel.
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Zentrales Element der Selbstversicherung von Redakteuren großer deutscher Medien sind Medien-Preise. Dass diese Ehrungen ganz überwiegend keine Publikumspreise sind, sondern von Journalisten an Journalisten übergeben werden, ist der Realität geschuldet: In der gegenwärtigen medienkritischen Atmosphäre würde sich wohl kaum ein „Alpha-Journalist“ dem Risiko einer öffentlichen Abstrafung durch die erboste Leserschaft aussetzen. Zu diesen internen und von der eigenen Kundschaft abgeschirmten Medien-Ritualen zählt auch der Titel „Journalist des Jahres“, den das Branchenblatt „Medium Magazin“ alljährlich und so auch am Montag verliehen hat.
Journalisten ehren Journalisten – Mit freundlicher Unterstützung der Daimler AG
Die Jury besteht laut „Medium Magazin“ aus rund 100 Personen – fast alle aus dem Dunstkreis der großen Medien, darunter Leiter journalistischer Ausbildungsstätten, professionelle Medienbeobachter und Journalisten. Möglich gemacht wird der Preis unter anderem „mit freundlicher Unterstützung“ der Konzerne Daimler AG, Otto Group und Total.
Überraschungen sind bei diesen Voraussetzungen nicht zu erwarten. Die Ausgezeichneten der letzten Jahre entstammen wie die Jurymitglieder ganz überwiegend dem Kreis der Mainstream-Journalisten großer deutscher Medien. Alternative Medien scheinen in der Wahrnehmung der Jury nicht vorzukommen. Im Gegenteil: So sehr die kritischen Medien ignoriert werden, so hemmungslos werden fragwürdige Produkte aufgewertet, etwa das Online-Medium „Buzzfeed“. Das sei laut „Medium Magazin“ längst „kein Clickbait-Portal mehr“, sondern es gelinge ihm „bravourös, gesellschaftlich höchst relevante Storys zu platzieren“.
Wirtschaft wird entschärft, Sport ideologisch aufgeladen
Da ist es passend, dass im Bereich „Wirtschaft“ nicht etwa Analysen zur gesellschaftlichen Ungleichheit, zu Vergehen der Finanzbranche oder zu anderen Verwerfungen der liberalen Wirtschaftsordnung ausgezeichnet werden. Statt dessen erklärte die Jury „Spiegel“-Recherchen zu den „Football Leaks“ zum relevantesten ökonomischen Thema des letzten Jahres.
Und während die Wirtschaft in dieser Form durch ein „leichtes“ Thema medial entschärft wird, kann der Sport über das Thema Doping mit Politik aufgeladen werden. Das „Medium Magazin“ rechnete dem „unermüdlichen und unerschrockenen“ ARD-Dopingexperten Hajo Seppelt hoch an, dass „viele russische Sportler von den Olympischen Spielen“ ausgeschlossen wurden: „Dass Russland ihm für die WM das Visum verweigert hat, spricht für sich.“
Sonia Mikich, die für ihr Lebenswerk geehrt wurde, sollte nicht mit Personen wie Seppelt in einen Topf geworfen werden – doch genau das passiert, indem sich die beiden höchst unterschiedlichen Journalisten die Bühne des „Medium Magazins“ und seiner Sponsoren teilen. Und auch Mikich hat etwa mit einem TV-Auftritt zur Rentenpolitik bereits fragwürdige Meinungsmache betrieben, wie Albrecht Müller hier beschreibt. Mikichs grenzwertige Ansichten zur Pressefreiheit im Internet hat Jens Berger hier thematisiert.
Ehrungen für Propaganda
Den Hauptpreis erhielt Dokumentarfilmer Stephan Lamby – es hätte schlimmer kommen können. So sind die diesjährigen Entscheidungen zwar fragwürdig, aber immer noch nachvollziehbarer als etwa die letztjährige Auszeichnung für das “Team Paradise Papers” der hochtrabend “Rechercheverbund” genannten Kooperation von SZ/WDR/NDR, wie „RT“ schreibt:
„SZ/WDR/NDR haben die ‚Paradise Papers‘ zu Steueroasen ‚untersucht‘ und es fertiggebracht, daraus eine Propaganda-Attacke gegen Wladimir Putin zu stricken, obwohl dessen Name in den Papieren kein einziges Mal auftaucht. Gleichzeitig haben sie ihre Quellen nicht zugänglich gemacht und sich so in altmodischer und potenziell manipulativer Weise zu den Torwächtern und Verwaltern der Daten aufgespielt. ‚Medium Magazin‘ sagt zu dieser rückwärtsgewandten Praxis dennoch: ‚Aufklärung wie diese ist die Basis von Journalismus. Ihr gehört die Zukunft.’“
Cinema For Peace – Hitler, die Atombombe, der Klimawandel
Eine Veranstaltung, die sich ähnlich abgeschottet um sich selber dreht, ist die Charity-Gala „Cinema For Peace“. Strategisch parallel zum Filmfestival Berlinale platziert, feiert sich hier jährlich der Geist westlich-moralischer Überlegenheit. So auch am Montagabend.
Bei den Galas wurden seit 2001 in hochtrabenden und emotionalen Appellen jene von der westlichen Presse markierten „Autokraten“ und „Machthaber“ wie Janukowitsch, Assad oder Putin attackiert. Irritierend und neu ist, dass mit Donald Trump nun auch ein US-Präsident potenzielles Ziel dieser Angriffe ist. Und dass am Montagabend mit Ex-Kanzler Gerhard Schröder eine Person anwesend war, die von den Gastgebern bislang mutmaßlich als russischer Agent klassifiziert wurde. Dreht sich auch hier ein Wind? Schließlich waren die kritischen Blicke der Gala bislang konsequent nach Osten gerichtet, wie etwa ein Bericht des „Neuen Deutschland“ von 2014 zeigt:
„Pussy Riot waren da, haben aber keine Autogramme gegeben. Eine Femen-Frau ‚protestierte‘ – doch wogegen eigentlich? Uma Thurman ersteigerte ein Essen mit – na klar – Michail Gorbatschow und Hans-Dietrich Genscher. Und Graf Dracula im Ruhestand, Sir Christopher Lee, nahm laut übereinstimmender Berichterstattung ‚kein Blatt vor den Mund‘. (…) Lee bezog sich dabei auf Syrien und verlas einen zielgenau auf das Tränenzentrum gerichteten Brief einer 17-Jährigen: ‚Fühlt ihr nicht unseren Schmerz?’“
Promis in Notdecken
Der Gipfel der Heuchelei und der Geschmacklosigkeit wurde jedoch (vorerst) 2016 erreicht, als sich die versammelten Prominenten in goldene Folien-Decken aus der Seenotrettung hüllten – um „Solidarität“ mit Flüchtlingen zu zeigen. Das fand selbst die „Bild“-Zeitung abstoßend. Und der „Stern“ ätzte:
„Der gute Wille – ‚Sie tun immerhin was‘ – wird weiterstrapaziert, wenn auf der großen Leinwand im Festsaal Videoclips laufen, die sich mit ‚Das Böse in der Welt in drei Minuten‘ beschreiben lassen: Srebrenica, Hitler, die Atombombe, der Klimawandel, Zensur verhackstückt in apart anzusehenden Sound- und Sight-Bites, die ganz formidabel zur Vorspeise passen.“
Cinema For Peace: „Der neue Standard von Idioten“
Immerhin wird der scheidende Berlinale-Chef Dieter Kosslick nicht müde, sich und „sein“ Filmfestival vom „Cinema For Peace“ abzugrenzen. Das Foto mit den Notdecken sei „die obszönste Geschichte, die ich seit meinem Amtsantritt hier erlebt habe“. Er fährt laut Medien fort:
„Also, wenn das durchgeht, ohne dass es einen Kommentar in der Öffentlichkeit gibt, dann ist Cinema for Peace der neue Standard von Idioten, die sich auf Kosten von Flüchtlingen mit den geschmacklosesten Dingen bereichern, die man mit armen Menschen machen kann.“
Berlinale – Gegründet für Kulturpropaganda
Das Filmfestival Berlinale ist im Vergleich zum „Cinema For Peace“ eine komplexe und teils hochverdiente Institution. Allerdings war auch die Berlinale nie frei von Bestrebungen der pro-westlichen Propaganda – das war sogar Teil der offiziellen Gründungs-Motivation, wie der „Spiegel“ erinnert:
„Ein Filmfestival der Propaganda, Stars und Skandale: Die Internationalen Filmfestspiele Berlin waren ein Produkt des Kalten Krieges. Die US-Militärverwaltung wollte West-Berlin, das die sowjetische Blockade überlebt hatte, einen Hauch von Glamour verleihen.“
Und auch in diesem Jahr gibt es im Berlinale-Wettbewerb (mindestens) einen mutmaßlich grenzwertigen Film, der nicht eindeutig geklärte historische Fakten in eine allzu eindeutige anti-kommunistische Erzählung umwandeln möchte: „Mr. Jones“ über die Hungersnot in der Sowjetunion der 1930er Jahre. Für viele Medien ist aber klar – der Film erzählt endlich „die Wahrheit“, wie etwa RBB schreibt: „Die Wahrheit muss ans Licht.“ Der Sender schließt sich der Deutung des Films an: „Doch Jones weiß, was er gesehen hat – und will, dass die Welt es weiß: dass Stalin systematisch Menschen ermordet und verhungern lässt.“ Keineswegs sollen hier die Hungerkatastrophe oder Stalin verharmlost werden. Ursprung, Verlauf und vor allem der Vorsatz und die Systematik der Tragödie sind jedoch nicht in der suggerierten Eindeutigkeit geklärt.
George Clooney und der „Diktator“ in Kiew
Die Berlinale soll wie gesagt nicht mit „Journalist des Jahres“ oder „Cinema For Peace“ in einen Topf geworfen werden. Aber gerade der gute und „politisch engagierte“ Ruf des Festivals verdeckt die Defizite, die auch auf Seiten der Berlinale existieren – zum Beispiel, wenn dort fragwürdige Prominente eine kritiklose Bühne erhalten, wie das „Neue Deutschland“ kurz vor dem Putsch in der Ukraine beschrieben hat:
„An den Letztgenannten, den gewählten ‚Diktator‘ aus Kiew, waren von der Berlinale bereits Signale gesendet worden. Und George Clooney, gerade mit seinem patriotischen Rührstück ‚The Monuments Men‘ baden gegangen, engagiert sich ohnehin schon länger für die Maidan-Bewegung. In Berlin bezeichnete Clooney nun – zwischen Fragen nach seinem grauen Anzug oder gar nicht grauen Teint – Julia Timoschenko gewagt eindeutig als politische Gefangene, Klitschko als guten Freund und die doch zumindest teilweise recht fragwürdigen Kiewer ‚Demokraten‘ als Kämpfer um ‚Selbstbestimmung‘.“