Venezuela – „Dialog” mit der Pistole auf der Brust und der Januskopf der “humanitären Hilfe” der USA
Auf Initiative der Regierungen Mexikos und Uruguays trafen am vergangenen 7. Februar in Montevideo Regierungsvertreter von acht Ländern der Europäischen Union und fünf Ländern Lateinamerikas auf einer internationalen Konferenz zur Förderung des Dialogs in Venezuela zusammen. Ein Bericht von Frederico Füllgraf.
Parallel dazu erreichte am gleichen Donnerstag ein Konvoi aus zwei großen Sattelzugmaschinen und sieben kleineren Lastwagen mit der weltweit medial ausgeschlachteten „humanitären Hilfe für Venezuela“ die kolumbianische Grenzstadt Cúcuta. „Die Gegner von Nicolás Maduro verstärken ihre Bemühungen, den umkämpften Präsidenten weiter zu isolieren“, kommentierte nicht ohne Grund der britische Guardian.
Der Konvoi der kolumbianischen Transportfirma Coltanques musste aber erwartungsgemäß vor der internationalen La Tienditas-Brücke stoppen, nachdem die venezolanischen Behörden die Überfahrt angeblich mit Schiffscontainern und einem Tanklastwagen blockiert hatten. Die Nachricht wird jedoch von einem weltweit verbreiteten Foto der Blockade untermauert, die einen Sonderbericht über die Fabrizierung und Hinnahme einer Fake-Montage verdient, denn die Brücke über den Táchira-Fluss hat es in sich.
Mit einer gemeinsamen Grundsteinlegung Venezuelas und Kolumbiens im Jahr 2014 und einer Investition von fast 40 Millionen Dollar wurde die Brücke im November 2016 zwar fertiggestellt, doch wegen der seitdem aufgezogenen politischen Konflikte zwischen beiden Regierungen niemals offiziell eingeweiht, sondern seitdem von venezolanischer wie auch kolumbianischer Seite mit Containern, Tankwagen und Stellgittern blockiert.
Die Dialog-Konferenz von Montevideo offenbarte den weltweiten Riss in der von den USA und der EU beanspruchten „internationalen Gemeinschaft“ in Sachen Venezuela. Weder fanden die USA und die Lima-Gruppe konservativer lateinamerikanischer Regierungen in der Organisation Amerikanischer Staaten (Spanisch: OEA) eine Mehrheit für die Anerkennung Juan Guaidós als „Interimspräsidenten“, noch gelang US-Außenminister Mike Pompeo die Zustimmung des UN-Sicherheitsrats für eine „Delegitimierung“ und den Sturz des amtierenden Präsidenten Nicolás Maduro.
Auch die Abschlusserklärung von Montevideo wurde nicht einstimmig angenommen. Bolivien, Mexiko und die Mehrheit der Mitgliedsstaaten der Karibischen Gemeinschaft (Caricom) stimmten gegen die Formulierungen und Ziele der EU-Länder.
„Humanitäre Hilfe“: ein von langem Arm vorbereitetes Täuschungsmanöver
Der Riss reicht bis hinein ins Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). Dessen Delegationsleiter in Kolumbien, der Schweizer Christoph Harnisch, erklärte, das IKRK werde sich nicht an der Verteilung der Hilfe aus den USA beteiligen, da sie staatliche und keine humanitäre Hilfe bedeute.
„Wir beteiligen uns nicht an Hilfeleistungen, die für uns keinen genuin humanitären Charakter haben”, erklärte Harnisch. Der Begriff „humanitär” müsse für das IKRK durch grundlegende Prinzipien der Organisation wie Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Neutralität geschützt werden und er warnte vor der Politisierung der Lieferungen durch die USA: „Für uns ist es wichtig, dass der humanitäre Begriff und die Grundsätze wirklich respektiert werden“.
Am gleichen Tag von Harnischs deutlicher Distanzierung befeuerten jedoch die Regierung Kanadas und die der in Ottawa versammelten Lima-Gruppe Provokationen an der Grenze. Premierminister Justin Trudeau versprach die Vergabe weiterer 39 Millionen US-Dollar an „humanitärer Hilfe“, was die Lima-Gruppe zum Anlass nahm, die Bolivarischen Streitkräfte Venezuelas dazu aufzurufen, die Durchreise des US-Konvois nicht zu behindern.
Zwischenzeitlich bedankte sich Juan Guaidó für die Unterstützung von Außenminister Heiko Maas, der sich Tage zuvor mit dem ehemaligen CIA-Chef und amtierenden US-Außenminister Mike Pompeo abgesprochen hatte und sich nach ZDF-Angaben auch finanziell an der „humanitären Hilfe“ der USA beteiligen will.
Gleichwohl titelten selbst konservative US-Medien wie die Wochenzeitschrift Time „die US-Hilfe für Venezuela testet militärische Loyalitäten inmitten der sich ständig verschärfenden politischen Krise“. Die Entscheidung der US-Regierung, humanitäre Hilfe für das krisengeschüttelte Venezuela zu mobilisieren, könnte dort die politische Krise eskalieren, da Präsident Nicolas Maduro solche Sendungen als Vorwand für eine US-geführte militärische Intervention betrachtet. US-Sicherheitsberater und Scharfmacher John Bolton erklärte, die USA würden gar „kritische Vorräte” schicken, die vom Oppositionsführer und selbsternannten „Interimspräsidenten“ Juan Guaidó verlangt wurden.
Das ebenso über jeden Verdacht „linker Tendenz“ erhabene Wall Street Journal bestätigte jedoch mit einem Titel vom 30. Januar die schlimmsten Mutmaßungen des weltweiten linken Lagers: „US-Vorstoß zur Absetzung von Venezuelas Maduro ist Startschuss für Umwälzungs- und Neumodellierungsplan Lateinamerikas“.
Unter Berufung auf einen hohen Funktionär der Trump-Regierung behauptete die Zeitung, der Versuch, Nicolás Maduro zu stürzen, weihe eine neue Strategie für den erweiterten Einfluss der USA auf Lateinamerika ein. Im Visier des State Department, des Pentagon und der Geheimdienste stünde nicht nur Nicolás Maduro, sondern auch Kuba und Nicaragua sowie die jüngsten „Einbrüche“ Russlands, Chinas und des Iran; Kuba jedenfalls als Gegner, der seit über 50 Jahren mit Verbissenheit beschattet werde.
Die NachDenkSeiten berichteten bereits im September 2017 über Kriegsmanöver im Mantel sogenannter „humanitärer Missionen”.
Damals liefen die Vorbereitungen für das Militärmanöver „AmazonLog” am Dreiländereck Brasilien, Peru und Kolumbien, genannt Hundekopf, auf Hochtouren. In den Medien wurde das Manöver, mit dem erstmaligen Betreten des brasilianischen Amazoniens durch US-Truppen, als angebliche „Erprobung gemeinsamer, logistischer Aufgaben für den Fall einer humanitären Krise” verbreitet.
Gegen lateinamerikanische Widerstände befeuert EU den Interventionismus
Auf der internationalen Konferenz von Montevideo zur Förderung des Dialogs in Venezuela bildeten die acht EU-Regierungen (Frankreich, Deutschland, Italien, Niederlande, Portugal, Spanien, Schweden und Vereinigtes Königreich) plus Uruguay eine sogenannte Internationale Kontaktgruppe unter Ausschluss der Mehrheit der lateinamerikanischen Staaten, die mit dem Inhalt der Abschlusserklärung nicht einverstanden waren.
Mexiko und Uruguay hatten die Konferenz mit dem Ziel einberufen, ihren “Montevideo-Mechanismus” vorzustellen, der statt Ultimaten und Intervention – zum Beispiel die polemische Anerkennung des selbsternannten „Übergangspräsidenten” Juan Guaidó, die von der venezolanischen Verfassung nicht gedeckt wird – in der venezolanischen Krise eine neutraler Haltung empfiehlt.
Die Ziele der Abschlusserklärung der internationalen Konferenz unterscheiden sich von dem Montevideo-Mechanismus und sehen nach Wunsch der EU folgende Etappen vor:
- Sofortige Dialogaufnahme mit Schaffung der erforderlichen Bedingungen zur Kontaktherstellung zwischen den Konfliktparteien
- Raumschaffung für die Flexibilisierung der verhärteten Fronten, Konvergenz gemeinsamer Punkte, Verhandlungen und Publikation des Dialog-Ergebnisses
- Verpflichtung zur Unterzeichnung von Verträgen
- Umsetzung der Vereinbarungen mit Unterstützung internationaler Beobachter bzw. „Begleiter”
Die Vertreter Mexikos und Boliviens kritisierten, die Erklärung der sogenannten Internationalen Kontaktgruppe führe unweigerlich zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten Venezuelas, da sie Maßnahmen zu ergreifen beabsichtigt, die ihr nicht zustehen. Gemeint sind insbesondere die Forderung nach Neuwahlen und der erzwungene Einlass von „humanitärer Hilfe”.
Als Initiator der Konferenz, neben Mexiko, wechselte jedoch Uruguays Regierung die Fronten, als ihr Außenminister Nin Novoa verkündete, die Gruppe plane, die Wahlen vom Mai 2018 zu ignorieren, bei denen Nicolás Maduro 67 Prozent der Stimmen erzielte, und neue Präsidentschaftswahlen abzuhalten. Der bolivianische Außenminister Diego Pary erklärte, dass seine Regierung keine Erklärung „unterschreiben könne, die auf die Durchführung von Wahlen abzielt (…). Dies ist eine interne Angelegenheit Venezuelas“, und rief zur Aufhebung „illegaler und flächendeckender Sanktionen gegen Venezuela auf.
Gegen diese Widerstände beschloss die Kontaktgruppe mit den Stimmen Uruguays und Costa Ricas, die Aufstellung einer „technischen Mission”, die Anfang März nach Venezuela reisen und auf einem neuen Ministertreffen die Entwicklung im Lande evaluieren und neue Schritte beschließen soll.
Die Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, verkündete auf einer Pressekonferenz, Mexiko und Bolivien hätten sich „nicht mit einigen Teilen der Erklärung identifiziert”, betonte jedoch, dass La Paz weiterhin mit der Kontaktgruppe zusammenarbeiten wolle.
Guaidós Angriff auf Mexiko und López Obradors Warnung an Spanien
Der mexikanische Außenminister Marcelo Ebrard erwiderte darauf, sein Land könne „wegen einem Verfassungsauftrag die politische Einmischung in andere Länder nicht unterstützen … Wir bemühen uns um den Ausschluss von Gewaltanwendung und können an nichts teilnehmen, was Vorschreibung von Wahlen bedeutet”, warnte Ebrard.
Dem waren zwei entscheidende Ereignisse vorausgegangen. Unter Berufung auf einen historischen Satz des frühen mexikanischen Staatschefs Benito Juárez – „Zwischen Individuen und zwischen Nationen ist der Frieden der Kerngedanke des Respekts vor den Rechten anderer Menschen” – hatte Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador während einer Pressekonferenz vom 30. Januar zum Staatsbesuch des spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez „an die historischen Grundlagen unserer Politik“ erinnern müssen. Der Sozialdemokrat Sánchez schien peinlichst berührt von der Warnung vor unzulässiger Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines fremden Landes; in der mexikanischen Tradition eine nicht nur illegale, sondern unmoralische Unzulässigkeit.
Als Reaktion hatte Juan Guaidó am Tag darauf, dem 1. Februar, in einem Brief an die Präsidenten Mexikos und Uruguays erklärt, er beteilige sich nicht an Verhandlungen, deren Ziel es sei, „der Usurpation von Nicolás Maduro zuzustimmen und Menschenrechts-Unterdrücker an der Macht zu halten“. Er warf Andrés Manuel López Obrador und Tabaré Vázquez vor, mit ihrer Neutralität stellten sie sich „auf die Seite eines Regimes, das Hunderttausende von Menschen zum Elend, zum Hunger, zum Exil und sogar zum Tode verurteilt hat“.
Nach bisherigem Stand hielten es weder López Obrador noch Tabaré Vázquez für nötig, auf die Provokation des „Selbsternannten“ einzugehen. „Der Selbsternannte“ ist eine Sprachschöpfung von Ina Ifigenova, Kolumnistin der spanischsprachigen Ausgabe von Russia Today. In ironischer Anspielung auf Guaidós Selbstweihung zum Präsidenten Venezuelas präsentiert sich Ifigenova seit vergangenem Januar als „selbsternannte Kaiserin Russlands“ und nimmt seitdem den Venezolaner mit beißendem Humor aufs Korn, wie zuletzt nach Guaidós Interview für den russischen Sender.